Niemand will hier ein Kapitalist sein

Viele Unternehmen haben heute mehr Cash als Verbindlichkeiten. Selbst noch in der Zeit der Pandemie (Ende 2021)beginnen deutsche Unternehmen wieder mit Investitionen. So haben z. B. die öffentlich rechtlichen Sparkassen in der ersten Hälfte 2021 über 50 Mrd. an Krediten gezeichnet, 20 Mrd. für gewerblichen Wohnungsbau, 32 Mrd. für Investitionen. „Bei vielen Unternehmen, die wir beraten, beginnen nach Überprüfung der strategischen Ausrichtung jetzt die Vorbereitungen für Investitionen“, so Freshfields-Partner Seibt. Das beinhalte den Kauf von Unternehmen und deren Kompetenzen, vor allem im Bereich Digitalisierung, Datennutzung und nachhaltige Produktion. Und schon melden sich die Investmentbanken mit ihren Konzepten der Geldverteilung, die aber nicht dorthin geleitet werden, wo sie im Sinne der ESG-Kriterien am sinnvollsten eingesetzt wären, sondern dorthin, wo sie die höchsten Renditen versprechen. Wenn sie in die Zukunft investieren, dann ist ein kritischer Blick auf solche Investments mehr als angezeigt.

Die Investmentbanken lernen schnell, gehört dieser schneller Lernprozess doch zur DANN ihres Geschäftsmodells und bildet zugleich den primären Vorteilsfaktor im Wettbewerb, nachzulesen in der kürzlich erschienenen Liste der US-Bank Goldman Sachs, die Unternehmen vorstellt, die zugleich innovativ und disruptiv sind. Da können also Investoren ablesen, wohin sie ihre Gelder fließen lassen sollen und wo sie zukunftssicher angelegt sind; wohl dem, der’s glaubt. Denn auf der Liste finden wir Unternehmen wie Philip Morris International, einen US-Konzern, der mit Marlboro bis heute sein Kerngeschäft bestreitet. Innovation versteht sich in diesem Konzern durch Abspaltungsstrategie, die den US-Regulierungen entgehen wollen und durch die Einführung neuer Rauchertechniken, bei denen der Tabak nicht verbrannt wird. Liquors nennt sich diese Technik, die als moderne disruptive Marke fungiert und massiv beworben wird. Fertin Pharma und die Vectura Group sind die beiden Neuerwerbungen des Konzerns, jene stellt Nikotinkaugummis her, diese ist auf Inhalatoren spezialisiert. What the hell means here disruption and innovation?

Die britische Firma Croda International wird in der Liste angepriesen mit ihrem weiten Produktfeld, angefangen von Agrochemie bis hin zu Pharmaprodukten, Produkten für die Auto- und die Elektronikindustrie. What the hell is…? Wir sehen auf der Liste die Firma Prosus, die im Jahr 2019 in den Niederlanden durch Auslagerung aus dem südafrikanischen Konzern Naspers gegründet worden ist und der immer noch Mehrheitseigner ist.  Die Holding hält und erwirbt systematisch Tech-Werte, vor allem im Verbrauchersegment. Sie hält große Anteile an Delivery Hero (etwa 25%) und steht in einer hohen Abhängigkeit von der chinesischen Tencent; wenn das kein Risiko ist? Und wer glaubt, dass die VRC ihr großes Interesse mit Interessen der EU oder den USA teilt? Tencent (Band V. Kap. 1) hat in den letzten zwölf Monaten stark unter dem Zugriff der chinesischen Regulatoren auf den gesamten Tech-Sektor gelitten. Dieser Zustand dürfte wohl noch länger anhalten und damit auch ein lang anhaltendes hohes Risiko bedeuten. Der Konzernriese, bekannt unter anderem für seine App WeChat (Band V. Kap.1), hat im Sommer seine Spielesparte durch den Kauf der britischen Firma Sumo für knapp eine Milliarde Pfund erweitert. Experten gehen davon aus, dass der Deal bis Ende des Jahres abgewickelt werden kann. Als mögliches Risiko gilt, dass zu Sumo das US-Studio Pipeworks gehört, sodass auch US-Behörden involviert sind, was die möglichen Spannungen zwischen den USA und der VRC befördern könnte; kein sicheres Investment also.

Und natürlich finden wir auch den Konzernriese Alibaba auf der Liste. Bis vor Kurzem bekannt als eine Art chinesisches Amazon, hat der Konzern seine Produktpalette immer mehr erweitert. Seit der Rede von Gründer Jack Ma im Oktober 2020, die sich kritisch mit dem Zustand des chinesischen Finanzsystems auseinandersetzte, hat Alibaba rund 340 Milliarden Dollar an Börsenwert verloren. Die chinesische Regierung hatte den Börsengang der Alibaba-Tochter Ant Financial gestoppt und reguliert insgesamt die Tech-Riesen des Landes sehr viel strenger als je zuvor. Alibaba gilt wie Tencent, um nur zwei auf der Liste zu nennen als „Enabler“, eine schöne Formulierung der Goldmänner, die alles und nichts sagt über ein nachhaltiges Geschäftsmodell und eine Erneuerung bestehender Geschäftsprozesse. Nicht alles, was „Enabler“, Ermöglicher von Innovation, sich nennt, steht für Erneuerung, schon gar nicht für eine disruptiven Charakter.

Schauen wir kurz zurück auf die Gründe für die Liquidität der deutschen Unternehmen, dann erkennen wir schnell, dass diese niemals ohne die Maßnahmen der deutschen Regierung in der Zeit der Corona-Pandemie so entstanden wären. Selbst im unter Umsatz- und Gewinnrückgang leidenden, produzierenden Gewerbe des Metall-, Fahrzeug- und Maschinenbaus erhöhten die Unternehmen ihre Liquiditätsquote binnen eines Jahres von 4,1 auf rekordhohe 9,3 Prozent. Wir sehen hier bereits einen der Gründe, die zu dem Aufbau von Liquiditätsreserven geführt haben. Unternehmen investierten in der Krise deutlich weniger und müssen auch ihre Liquiditätsreserven weniger belasten, wenn Volkwirtschaften über sozialstaatliche Werkzeuge verfügen.  Und, weniger zu investieren bedeutet, dass weniger Geld abfließt und stattdessen im Unternehmen bleibt.

Zweitens, zu den sozialstaatlichen Hilfen wirken auch die von der Bundesregierung beschlossenen und erweiterten Finanzhilfen im Volumen von rund 125 Milliarden Euro, womit der Bund Umsatzausfälle mit verbesserten Fixkostenerstattungen ausgleicht. Bei den komplexen Förder- und Hilfsprogrammen geht es um Überbrückungs- und Neustarthilfen sowie um Kreditbürgschaften bis hin zu den Erstattungen von Steuervorauszahlungen, einer Erweiterung der Verlustvorträge sowie den einmaligen November- und Dezemberhilfen.

Drittens holen sich die börsennotierten Unternehmen billiges Geld bei den Anlegern. So besorgte sich der Pharmakonzern Bayer über neue Anleihen rund 2,5 Milliarden Euro zu einem Jahreszins von weniger als einem halben Prozent. Selbst der Dax-Neuling Delivery Hero, der mit seinem Essenslieferdienst noch nie Gewinne erzielt hat, braucht Anlegern nur einen Jahreszins von einem Prozent zu bezahlen.