Bestand und Differenz

Die Geschichte hat gezeigt, dass alle Modelle der Ökonomik in ihren Berechnungen davon ausgehen, dass ein als bestĂ€ndig angenommener Basiswert, etwa Preis und Menge, sich nach unten oder oben wertverĂ€ndernd bewegt und diese Bewegung proportional, linear oder funktional abgebildet werden kann. Die mathematischen Abbildungen bzw. Ableitungen erlauben eine Berechnung, die wiederum prĂ€dikative Aussagen ermöglicht ĂŒber zukĂŒnftige Entwicklungswahrscheinlichkeiten, damit Unternehmen oder politische Institutionen und nicht zuletzt die geldpolitischen Maßnahmen der Notenbanken prĂ€ventiv auf mögliche Krisen aus- oder die Fiskalpolitik konjunktiv resp. konjunkturpolitisch nach Krisen intervenierend eingreifen können. Wie auch immer berechnet und agiert wird, proaktiv oder reaktiv, es bleibt stets die Idee dahinter, dass VerĂ€nderungen Unterschiede zu einem Bestand darstellen. Was aber ist, wenn die Idee des Bestands obsolet wird, wenn es diese Idee der BestĂ€ndigkeit gar nicht gibt in Wahrheit, sondern nur im Konjunktiv?[1]

Der Konjunktiv hat also ursprĂŒnglich lediglich die Bedeutung, ein Unterschied zu sein und sonst keine andere Bedeutung. Im Nachgang der lateinischen Umdeutung haben wir gelernt, einen Unterschied zu hypostasieren, zu vergegenstĂ€ndlichen und so instrumentalisierbar werden zu lassen, informell, kulturell und auch politisch. Es ist geradezu unsere sprachliche Kultur geworden, Unterschiede, Differenzen zu instrumentalisieren, was in der Philosophie verklĂ€rt als „la diffĂ©rance“[2] festgehalten wurde. Aber eine Differenz ist weder ein Unterschied zwischen real und irreal, zwischen möglich und notwendig, zwischen identisch und verschieden. Beginnen wir unseren kurzen Exkurs mit dem Satz: eine Differenz ist eine Differenz, sonst nichts. Erinnern wir uns, was wir ĂŒber den CFD-Handel (Band III. Kap. 5: Roulette mit dem Untergang) geschrieben haben, dass nĂ€mlich das GeschĂ€ft mit Differenzen durchaus ein reales GeschĂ€ft ist und dessen hochriskante Form eben darin liegt, dass ein SpekulationsgeschĂ€ft mit einem Differenzkontrakt der Idee der Differenz am weitesten bzw. am reinsten entspricht. Vergleichen wir es mit klassischen WertpapiergeschĂ€ften, dann liegt der bedeutendste Unterschied zu klassischen Wertpapieren wie Aktien oder Fonds darin, dass beim CFD-Handel nur ein geringer Kapitaleinsatz erforderlich ist, die CFDs sich aber dennoch 1:1 zum zugrundeliegenden Basiswert entwickeln. Kurz gesagt: Alle den Basiswert kursbeeinflussenden Faktoren schlagen beim CFD Handel voll auf den Differenzkontrakt durch. Beim CFD-Trading können Anleger somit die vollen Kursbewegungen von Aktien, Indizes, Rohstoffen, Renten et cetera mit einem Bruchteil des sonst erforderlichen Kapitals handeln. Verstehen wir Kapitaleinsatz auch als Risikobeteiligung und somit als eine Form der Eigenverantwortung der Spekulanten, dann erkennen wir gleich, dass Eigenverantwortung bzw. Risikoanteile Begrenzungen von Spekulationen sind und auch eine Form der Bestandswahrung, des eigenen Kapitalbestands wie des Finanzsystems insgesamt.

Es war um das Jahr 1990, als der CFD-Handel unter institutionellen Tradern in Mode kam. CFDs oder wie Investmentbanker sie auch nannten, Equity Swaps, wurden schnell zum Renner auf dem Derivate-Markt. Der Name Equity Swaps macht deutlich, worum es auf diesen MĂ€rkten geht, um eine Form des Tauschhandels, bei dem jeder, Anbieter und Nachfrager wie in einem Roulette-Spiel all in gehen. Man setzt auf eine Zahl (Farben lassen wir mal weg) und die kommt oder kommt nicht, reine Differenz also und Äquivalenz, Gleichwertig aller Möglichkeiten. Beim Roulette gewinnt, wie man so sagt, die Bank immer, aber darauf kommt es uns hier im Kontext nicht an. Das Element des „GlĂŒcks“ bestimmen wir hier als letzte, auch jeder Wahrscheinlichkeit sich entziehende Dimension des ZukĂŒnftigen, die in jedem GlĂŒcksspiel das Maximum an Gewinn und Verlust bestimmt.

CfDs sind, anders als CfDs zum Beispiel im Interbankenhandel es waren, wechselseitige Vereinbarungen zwischen Betreiber bzw. Energieanbieter und Abnehmer auf eine feste zeitliche Frist, also etwas, was dem inneren Kern einer freien Marktwirtschaft fundamental widerspricht. Nehmen wir die heutige Situation, in der der Marktwert des elektrischen Stroms aus Erneuerbaren Energien wie etwa die Solarenergie deutlich ĂŒber dem Preis liegt, der damals, als die Anlagen geplant, kalkuliert und gebaut wurden, dann mĂŒsste, wĂ€ren damals CfDs geschlossen worden, der Anlagenbetreiber den Abnehmern die Differenz ausgleichen bzw. zurĂŒckzahlen; so wĂ€re die Absicherung auch symmetrisch. Dass heute wieder ĂŒber solche Formen der Finanzierung mit symmetrischer Absicherung nachgedacht wird, bedeutet, dass nicht in jedem Fall alles Private in der Marktwirtschaft allein seine Zukunft hat, auch vernĂŒnftige Elemente planwirtschaftlicher Vereinbarungen dĂŒrfen der Marktwirtschaft durchaus hinzugefĂŒgt werden, ohne Ideologieverdacht. Langfristig kalkulieren und finanzieren ist immer dort das Gebot, wo Projekte aus marktwirtschaftlicher Sicht zu risikoreich sind und deshalb kaum durch private Investitionen realisiert werden können. Und Projekte wie die Energiewende und die Digitalisierung sind keine Einzelprojekte, sondern Transformationen bestehender Strukturen und so auch fĂŒr Einzelinvestoren zu groß. Also muss der Staat sich solcher Transformationen annehmen. Es ist seine Aufgaben, eine Volkswirtschaft von den Grundbedingungen her zukunftsfĂ€hig, also wettbewerbsfĂ€hig in der Zukunft zu halten. So klingt es paradox, aber Bestand wahren, Wohlstand und Wohlfahrt einer Nation zu wahren, heißt an der Spitze des Fortschritts stehen; natĂŒrlich ist Fortschritt per se kein Garant fĂŒr WettbewerbsfĂ€higkeit in der Zukunft. Nicht alle neuen Techniken und Technologien sind das, aber welche, das wird und wurde ausfĂŒhrlich in unserer Philosophie bereits diskutiert.

Bestand wahren, indem ein System, etwa die Wirtschaft sich selbst erneuern kann, ohne auf staatliche und somit faktische ImponderabilitĂ€ten zu treffen, auf Gesetze, die der Erneuerung abtrĂ€glich sind, darum geht es einerseits. Entwicklungsprozesse sind Erneuerungsprozesse und sind maßgeblich abhĂ€ngig von staatlicher ‚BĂŒrokratie‘, was ,meint, dass Verwaltungsprozesse, wie etwa Genehmigungsverfahren beteiligt sind, und zwar recht kleinteilig, weshalb man zurecht und oft von bĂŒrokratischen Hemmnissen spricht. Das wahre Problem aber liegt woanders. Haben wir es in solchen Prozessen mit VerĂ€nderungen zu tun, die eine KontinuitĂ€t im Unterschied meinen, was wir Erneuerung im Sinne einer Verbesserung, einer Optimierung bestehender Anwendungen und Strukturen (Band II. Kap. 1) genannt haben, wie das in den siebziger Jahren besonders unter den ökonomischen Begriffen der Lean Production und des Lean Managements hervortrat, so sprechen wir bei Transformationsprozessen nicht mehr von solchen Differenzierungen, sondern von Dekonstruktionen, also von einer Differance, wie Jaques Derrida dies entwickelt hat[3].

Das ist uns wichtig festzuhalten, dass es auch einen Unterschied zum Unterschied gibt und dass dies kein Bonmot ist und sich erst langsam in den letzten Jahren in Teilen zu einer wissenschaftlichen „communis opinio“ entwickelt hat. Disruption (Band II. Kap. 3 u. 7) im Zusammenhang mit ökonomischen Entwicklungen kamen ins Bewusstsein erst mit der zunehmenden Nutzung digitaler Technologien in der Wirtschaft, wiewohl sie schon einige Zeit in nicht-ökonomischen Kontexten Gang und GĂ€be waren. Wie dem auch sei, es verwundert nicht, dass die Differenz/Differance sich erst einmal ausdifferenzieren musste, um in den verschiedenen Kontexten aufzutreten, seien diese soziologische, systemisch strukturelle, rein ökonomische, kulturelle oder individuelle ZusammenhĂ€nge. Heute sind diese ontologischen Felder kaum mehr auseinanderzuhalten und haben auch alle ihre Berechtigungen, als immer schneller und auch fundamental sich verĂ€ndernden Entwicklungen bzw. EntwicklungsbrĂŒche sich natĂŒrlich auch schneller und deutlicher in der Gesellschaft widerspiegeln.

Wir haben die individuellen Auswirkungen mehrmals gestreift und kommen immer wieder dorthin zurĂŒck, wo sich die ontologischen Fragen stellen, also jene Fragen, die einen Modus anzeigen, der etwas dazu macht, wie es ist, wie wir neben den modernen Seinsfragen auch immer wieder die systemisch-strukturellen VerĂ€nderungen in soziologischer wie ökonomischer Hinsicht aufsuchen. Hier beschĂ€ftigen uns Fragen der politischen Strukturen, also der Strukturen, wie wir sie in unseren politisch-institutionellen Verwaltungen hauptsĂ€chlich vorfinden. Denn ohne das engmaschige Netz von politischer BĂŒrokratie ist unsere Gesellschaft in der Form, wie wir sie kennen, nicht möglich. Verwaltungen sind somit para-konstitutiv, sind Ausdehnungen, Erweiterungen, Exekutiven des politischen Willens, also der Gesetzgebung. Hier wird entschieden, wie etwas geschieht; im Idealfall. Nicht selten wird auch entschieden, ob etwas geschieht. Denn wenn ein Projekt des politischen Willen in der DurchfĂŒhrung aus allen zeitlichen und wirtschaftlichen Koordinaten herausgelaufen ist, wĂ€re es oft besser gewesen, man hĂ€tte es gestoppt oder zurĂŒckgebaut, als partout auf „die Wiese“ zu stellen.

Bei Transformationsprozessen ist die Verwaltung und die gesamte Exekutive wie auch die Judikative vor einer so besonderen Situation gestellt, dass sie im Wesentlichen zur Bedingung der Möglichkeit fĂŒr den politischen Willen selbst werden. Ohne sie, also ohne eine funktionierende Rechtsgestaltung, Verwaltung und Exekutive bleiben politische WillensĂ€ußerungen und sogar Gesetze freischwebend ohne Bodenhaftung. Wie in unserem Beispiel des Zentralen Omnibusbahnhof in Berlin , ZOB, gezeigt, sind moderne Verwaltungsprozess von so zentraler Bedeutung fĂŒr die Umsetzung politischer Entscheidungen, dass ĂŒber diese in analytisch-kritischer Hinsicht neu nachgedacht werden muss. Der ZOB ist nicht allein ein Projekt, welches finanziell und zeitlich komplett aus dem Ruder gelaufen ist, sondern der ZOB zeigt auch, dass heute mit Verwaltungen, deren Wissensstand und Kompetenz strukturell weit hinter den Anforderungen modernen Projektmanagements zurĂŒckbleiben, Transformationsprozesse in Wirtschaft und Gesellschaft nicht mehr  realisierbar sind oder sein werden.

Den Verwaltungen fehlt es heute schon an Personal, an Expertise und modernen Skills, um Groß-, aber auch mittlere Projekte in zeitlich und wirtschaftlich angemessenen Rahmen zu verwirklichen. Erschwerend kommt hinzu, dass mit modernen Formen der Finanzierung solcher Großprojekte oder breiter Transformationsprozesse Anforderungen an die FĂ€higkeiten von Verwaltungen gestellt sind, die dort bislang weder bewusst, geschweige denn in Ausbildungsprogrammen niedergeschrieben sind. Das ist das Kernproblem der Entwicklung, dass auch Verwaltungen wie das Recht und die exekutiven Staatsorgane „dekonstruiert“, also auf die neuen Herausforderungen eingestellt werden mĂŒssen. Nur dass das mit einer VerĂ€nderung der Einstellungen, mit Schulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen wenig mehr zu tun hat. Personal, dass professionelle Projektplanungen mit Wirtschaftlichkeitsberechnungen zu verbinden in der Lage ist, ist fĂŒr Verwaltungen schwer zu rekrutieren, braucht doch aus demselben Grund der Transformation die Wirtschaft auch Personal aus diese Gruppe und ist auch bereit, diese Personen ausreichend zu bezahlen und eine moderne Jobumgebung wie Karriereentwicklung zu offerieren. IT-Analytiker und -Sicherheitsexperten sind Mangelware generell und in den Verwaltungen speziell kaum zu bekommen. Die Stadt Witten musste dies gerade erleben, haben Hacker den Verwaltungsbetrieb doch am 16.10.2021 derart komplett lahmgelegt, dass die Stadtverwaltung weder telefonisch noch elektronisch erreichbar war und wohl noch einige Zeit so bleiben wird. KĂ€men andere Verwaltungen wie etwa die aus Dortmund nicht zur Hilfe, könnte in Witten auf absehbare Zeit weder geboren, noch geheiratet oder gestorben werden, es gĂ€be keine PĂ€sse noch Renten und zahlreiche andere kommunalen Dienstleistungen. Es ist bereits der dritte Fall, bei dem eine deutsche Kommune in den vergangenen drei Monaten Ziel einer erfolgreichen Cyber-Attacke wurde und nun lernen muss, in vernetzten Systemen zu denken; aber damit sind die strukturellen Probleme kommunaler Verwaltungen lĂ€ngst nicht gelöst.

Wer also ist verantwortlich fĂŒr den Personalengpass, die unzureichenden FĂ€higkeiten zur DurchfĂŒhrung kommunaler Aufgaben und der mangelhaften technischen Ausstattungen, auch der Polizei und Strafverfolgungsbehörden, wer fĂŒr die teils ĂŒberhaupt nicht vorhandenen gesetzlichen Regelungen einer modernen, sich in einer Transformation befindenden Gesellschaft? NatĂŒrlich die Politik, wer sonst? Sie hat die Sorgfaltspflicht, frĂŒh zu erkennen, welche Anforderungen welche Konsequenzen bei Technik und Personal nach sich ziehen. Es sind die Leiter der öffentlichen Verwaltungen auf kommunaler Ebene an der Basis und die Minister der zustĂ€ndigen Regierungsinstitutionen, vornehmlich Recht, Wirtschaft und Finanzen; ein Digitalministerium gibt es ja bis heute nicht in Deutschland, was belegt, welchen Stellenwert Digitalisierung einnimmt. Zu wenig Wissen, eine veraltete Gesetzeslage, zögerliche Innovationsbereitschaft, wo Wissen und Kompetenzen besser ausgeprĂ€gt sind, hemmen solche Prozesse, die notwendig sind und die öffentlichen Verwaltungen zu ReprĂ€sentanten und Vorreitern von VerĂ€nderungen werden lassen. Dagegen breiten sich auf der Grundlage ĂŒberholter administrativer Entscheidungen systembedingte Unverantwortlichkeiten rhizomatisch aus. Diese Unverantwortlichkeiten sind daher durch politische Unterlassungen bedingt, grĂŒnden im politischen Unwillen zeitlich und inhaltlich adĂ€quate Anpassungen an VerĂ€nderungen und Erneuerungen.

Wer also investiert in Transformationen, wenn der Zeitfaktor den AnkĂŒndigungen und so den Erwartungen der Investoren nicht entspricht? Das mochte in der Politik der Vergangenheit noch gerade hingehen, aber Projekte wie etwa der BER, die zeitlich und finanziell unĂŒberschaubar werden, schrecken Investoren eher ab. Dann helfen auch keine klugen Finanzierungsideen wie etwa CfDs, wenn Vertrauen in die VerlĂ€sslichkeit von Politik und deren Institutionen perdu geht. Aber was ist aus der Verantwortung von Politik geworden? Ein Nullsummenspiel? Wir plĂ€dieren fĂŒr eine ‚differance de politique‘ eine europĂ€ische und wenn so nicht, dann eine deutsche Dekonstruktion politischer Entscheidungsprozesse. Wir begrĂŒnden dies beispielhaft damit, dass politische Entscheidungen, die in den öffentlichen Verwaltungen umgesetzt werden sollen, mittlerweile soweit auseinandergetreten sind, dass eine Korrektur mehr als notwendig erscheint. Politische Entscheidung und Verantwortung mĂŒssen wieder zusammenfinden, denn es kann nicht angehen, dass Projekte des politischen Willens ein Vielfaches an Zeit und Geld kosten und ein Land von Erneuerungsprozessen abkoppeln, weil Politik ihrer Sorgfaltspflicht nicht nachkommt.

Wir wollen kein Fanal, wir wollen politische Aufmerksamkeit und administrative Motivation fĂŒr Innovationen, fĂŒr einen Prozess der Erneuerung, der heute nicht mehr kurzfristig lange Phasen der Bestandswahrung ablöst, sondern der ein permanenter Erneuerungsprozess ist, bei dem nur der Phasen-Modus von Disruption und Optimierung den Unterschied ausmacht. Moderne LĂ€nder stehen heute permanent in einer Phase wie einst die der Erfindung und EinfĂŒhrung der Dampfkraft und der Eisenbahn, man schaue allein nur auf die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien der letzten drei Jahrzehnte. Technologische Revolutionen sind an der Tagesordnung und bedĂŒrfen einer staatspolitischen Entscheidung, entweder der permanenten und zeitlich vorausschauenden Anpassung, oder der Bestandswahrung im klassischen Sinne, wofĂŒr heute in der parteipolitischen Landschaft nur noch rechtsradikale Parteien und deren Vertreter stehen. Gehen wir davon aus, dass der politische Wille wie der Wille der BĂŒrgerinnen und BĂŒrger in Deutschland bereit dafĂŒr ist, Wohlstand und Wohlfahrt zu wahren durch Anpassung an Innovationsprozesse – das heißt weder im blinden Glauben an Technik, noch ungeachtet aller damit verbundenen Umweltgefahren – dann ließe sich das recht leicht durch Umfragen bestĂ€tigen. Ein positives Ergebnis vorausgesetzt, glauben wir, dass bereits ein so langer Zeitraum politischer PassivitĂ€t verstrichen ist, dass diese Thematik auf die Agenda direktdemokratischer Entscheidung gesetzt werden kann.

Das Ziel direktdemokratischer Verfahren muss sein, Projekte der öffentlichen Hand schneller, kosteneffizienter, an die aktuellen Bedingungen angepasst durchfĂŒhren zu können. Steht die Agenda in diesen thematischen Unterpunkten kann, ein positives Ergebnis wiederum in einer direktdemokratischen Abstimmung vorausgesetzt, die Thematik einen parlamentarischen Gang nehmen mit einer abschließenden Gesetzesvorlage und deren Abstimmung in den beiden Kammern Bundestag und Bundesrat. HinzuzufĂŒgen, so schlagen wir vor, wĂ€re ein turnusgebundener direktdemokratischer Entscheidungsprozess, in dem Leiter von kommunalen und LĂ€nderbehörden durch wahlberechtigte BĂŒrgerinnen und BĂŒrger von ihren leitenden Funktionen indirekt entbunden und zurĂŒckgestuft werden können. Die AusfĂŒhrung obliegt der nĂ€chst höheren politischen Entscheidungsebene. Auf kommunaler Ebene könnte der Befragunszyklus etwa sieben Jahre, auf LĂ€nderebene zehn Jahre betragen. Die kommunale Ebene betrifft im Kern natĂŒrlich lokale, die LĂ€nderebene lĂ€nderspezifische Projekte einerseits und dazu noch die personalpolitischen Entscheidungen fĂŒr die Landes- wie die kommunale Ebene. Auf der Bundesebene soll es möglich sein, bei krassen Verfehlungen wie etwa dem Mautdesaster direktdemokratisch einzugreifen und per Volksentscheid eine parlamentarische Diskussion ĂŒber Verantwortlichkeiten zu erzwingen, die, ungeachtet etwaiger anhĂ€ngiger Rechtsverfahren auch eine Abberufung von Verantwortlichen zur Folge haben kann und so den Volksentscheid öffentlich bestĂ€tigt oder verwirft. Als Grundlage fĂŒr direktdemokratische Verfahren mag der Bericht des Bundesrechnungshof dienen, der unseres Erachtens leicht fĂŒr direktdemokratische Verfahren operationalisierbar erscheint, sowohl, was die Eingrenzung der Sachverhalten angeht, die direktdemokratischen Verfahren zugefĂŒhrt werden sollen, sowie was die differenzierte Thematisierung der Agenda angeht.

 

[1] Der Konjunktiv (lateinische Bedeutung) in der Linguistik ist derjenige der Modi, der das Geschehen nicht als wirklich, sondern nur als vorgestellt (IrrealitÀt, PotenzialitÀt) oder von einem anderen behauptet (Referat) darstellt.

Der lateinische Ausdruck geht zurĂŒck auf eine Entlehnung aus der altgriechischen Grammatik. Diese hat den ‚Konjunktiv‘ als diejenige Verbform beschrieben, welche nur in Verbindung mit einer Konjunktion auftritt. Über die ModalitĂ€t des Verbs selbst (real – irreal – potential etc.) trifft der Ausdruck ‚Konjunktiv‘ demnach eigentlich keine Aussage. In der Tradition der lateinischen Grammatik, auf der auch das System der deutschen (Schul-)Grammatik mit ihrer Terminologie beruht, ist das ursprĂŒngliche Bezeichnungsmotiv aus der griechischen Grammatik nicht ĂŒbernommen worden (vgl. Wikipedia).

[2] DiffĂ©rance (nach frz. diffĂ©rence „Unterschied“, absichtlich falsch mit ‚a‘ geschrieben) ist eine Wortschöpfung des französischen Philosophen Jacques Derrida (1930–2004) und ein zentraler Begriff in der von ihm entwickelten philosophischen Idee der Dekonstruktion.

[3] Jacques Derrida: Die Schrift und die Differenz. Übers. von Rodolphe GaschĂ©. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1976. Siehe dazu auch: Gilles Deleuze: Differenz und Wiederholung. Übers. von Joseph Vogl. Wilhelm Fink Verlag, MĂŒnchen 1992, ISBN 3-7705-2730-5 sowie Martin Heidegger: IdentitĂ€t und Differenz. Text der durchges. Einzelausg. mit Randbemerkungen des Autors. Klostermann, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-465-03493-7 und

Niklas Luhmann: Soziologische AufklÀrung. Teil 4: BeitrÀge zur funktionalen Differenzierung der Gesellschaft. Westdeutscher Verlag, Opladen 1994.