Wenn die Mitglieder der Zivilgesellschaft sich gegenseitig das Wort abschneiden, ist es nichts mehr mit der Freiheit der Gedanken; sie überzeugt niemanden mehr. Wenn Wissenschaften nurmehr am Bestehend und dessen Perfektion arbeiten, wird es schwer sich vorzustellen, dass diese für viele von uns doch weitgehend angenehme und so gar nicht nach Dekadenz riechende Welt einer Idee der Veränderung bedarf, zumal mit Veränderung heute nicht mehr Fortschritt, Befreiung, Wohlstand, sondern gegen Veränderung gerichtete Besitzstandswahrung und Abstiegs- und Verlustängste konnotieren. Es sind eben diese Konnotationen, die die offene Gesellschaft heute bedrohen, obwohl wir durchaus und fast täglich noch der Bedrohungen gewahr werden, die das Leben aller Menschen noch vor weniger als achtzig Jahren in Unruhe versetzt hatten und die vor etwa siebzig Jahren ihre Ultima Ratio mit der Atombombe erreicht hatte. Der Nihilismus staatlicher Macht ist also eher gewachsen als Sachverhalt, geschweigen denn gar verschwunden. Aufgerüstet wird munter weiter und nicht nur in den Arsenalen, auch gegen die Wahrheit, Demokratie und Dissidenz wird alles aufgefahren und in Szene gesetzt, was technischer und technologischer Fortschritt hervorgebracht hat. Moderne staatliche Gewalt braucht keine tägliche Dosis an Tränengas und Knüppeln, es braucht ein Bewusstsein, welches sich inmitten von Wohlstand und Wohlfahrt in Sicherheit einrichtet. So selbstverständlich geworden ist die umgreifende Sicherheitselektronik im öffentlichen Raum, dass Übergriffe unvermeidbar werden. Übergriffig ist diese Technik, insofern sie Sicherheit in die Freiheit der Bürger implementiert und in deren unglückliches Bewusstsein, welches seine Freiheit außerhalb der engen Grenzen bürgerlicher Existenz nicht mehr findet ob der Bedrohung, die dort stets und ubiquitär sich auszubreiten scheint und vor der der Bürger sich mehr und mehr schutzbedürftig wähnt.
Sicherheit, ein Komplementär zur individuellen Freiheit, wird nun zu deren Hauptbedrohung im zivilen Alltag der Menschen, hier mehr als dort, aber nie mehr abwesend als konnotierender Part im Dasein des Menschen. Der Diskurs der Sicherheit kommt daher als scheinbar notwendiger Anschlussdiskurs an den der bürgerlichen Freiheiten, besonders wenn es um die Digitalisierung als Ganzes geht. Mit ihr, der neuen digitalen Welt, scheint die äußere staatliche Bedrohung, die ja nur die Bedrohung durch den anderen Staat in Schach zu halten vorgibt, um die Freiheit von Staat und Bürger zu schützen, ein Pendant gefunden zu haben. Universell wie die Bedrohung durch die Atombombe scheint die Digitalisierung der Welt zu sein und zugleich will sie eine universelle Technik der Sicherheit sein, die jede Bedrohung abzuwehren weiß, ob diese nun der Zivilgesellschaft im öffentlichen oder auch im privaten Alltag begegnet; unser individuelles Dasein scheint von diversen Bedrohungen bestimmt zu sein und unser Glück nurmehr durch die erfolgreiche Abwehr von Leiden. Freiheit als Residual von Sicherheit, wird dies langsam selbstverständlich? Und wie sieht es aus mit der Sicherheit, befriedigt sie wirklich ein menschliches Bedürfnis unserer Zeit und hält sie, was sie verspricht?
Werden wir also durch Gesichtserkennungstechnologien im öffentlichen Raum sicherer, oder werden wir überwacht? Kein geringeres Unternehmen als die IBM hat jüngst bei der zuständigen US-Behörde einen Exportstopp für Gesichtserkennungssoftware zu erwirken versucht: „Jedwede Verwendung der Gesichtserkennung für die Massenüberwachung oder rassistische Profilerstellung ist eine Verletzung der grundlegenden Menschenrechte und Freiheiten, und keine Gesellschaft sollte den Einsatz von Technologie zur Förderung solcher Ungerechtigkeiten tolerieren“, heißt es in dem Brief an die Regulatory Policy Division, Bureau of Industry and Security des U.S. Department of Commerce[1]. Dies kling fast wie eine Klarstellung und ein Plädoyer für Freiheit auf der Basis der internationalen Menschenrechte. Systeme, die dazu dienen, einzelne Nutzerinnen oder Nutzer zu erkennen, um beispielsweise ein Smartphone oder einen Computer zu entsperren, hält IBM für unkritisch. Auch Systeme, die lediglich Menschen von Gegenständen unterscheiden können, um beispielsweise die Anzahl von Fußgängern zu überwachen, hält der US-Konzern für unproblematisch, nicht aber, wenn Gesichtserkennungssysteme dafür genutzt werden, einzelne Personen aus einer Masse heraus zu identifizieren; lässt sich diese Nutzung bzw. diese Technik in Hinsicht auf ihre Funktionen hin klar und nachvollziehbar unterscheiden als legitim oder illegitim? Oder ist der öffentliche Raum nicht unter der Herrschaft staatlicher Kontrolle zu betrachten und eine Überwachung, gleich welcher Art, nicht per se illegitim, solange kein Gericht einen Anfangsverdacht für eine konkrete Straftat bestätigt und damit eine Überwachung legitimiert hat?
Wie ist es mit der Freiheit und dem Schutz des Menschen in seinen Beschäftigungsverhältnissen und welche Rolle spielt dabei die Digitalisierung? Unternehmen wollen, wenn sie dies für ökonomisch richtig halten, dass ihre Mitarbeiter flexibel sind und z.B. Arbeiten im sogenannten Homeoffice erledigen. Hätten Unternehmen einen Rechtsanspruch auf Homeoffices dann könnte daraus folgen, dass sie ganze Bereiche wie etwa die Buchhaltung in Heimarbeit auslagern. Unternehmen argumentieren, dass ein Arbeitgeber die Abläufe in seinem Unternehmen so organisieren können muss, dass die Organisation den verzahnten Abläufen optimal dient und nicht zuerst den einzelnen Mitarbeitern. Was so zur unternehmerischen Freiheit gehört, belässt dem einzelnen Arbeitnehmer seine Freiheit nurmehr residual, wenn überhaupt. In Deutschland aber ist es bislang so geregelt, dass grundsätzlich Mitarbeitende dann aber auch Aufwendungsersatzleistungen von ihren Arbeitgebern verlangen können, sofern sie sich ihr Homeoffice selbst ausgestattet haben; auch können Betriebsräte den Abschluss einer Betriebsvereinbarung hierzu einfordern, denn Alleingänge gehen selten seit der Einführung der Tarifpartnerschaft.