Was hat man der Vernunft vonseiten des Positivismus aber auch von bestimmten Seiten der Philosophie nicht alles vorgeworfen; letztlich, dass sie zu mangelhaft sei, um ihre AnsprĂŒche und selbst gestellten Aufgaben befriedigend bzw. ĂŒberzeugend zu erfĂŒllen, vor allem die Welt zu einem gerechteren, schöneren und besseren Ort zu machen. Bei allen VorwĂŒrfen aber wurde ĂŒbersehen, dass ihre âMangelhaftigkeitâ eins ihrer wesentlichen Elemente ist, die sie flexibel, anpassungsfĂ€hig und non-konformistisch genug sein lĂ€sst, dass ihre, auf der Basis von vernĂŒnftigen Ideen entwickelten Vorstellungen von einer möglichen, einer anderen Welt, als der, in der wir leben, auch Wirklichkeit werden können.
Schauen wir auf das Naturrecht, dann sehen wir, dass die Entwicklung der Idee des Naturrechts selbst eine der Vernunft ist. War die Idee des Naturrechts so bestimmt, dass in ihr alles das gedacht wurde, was nicht das Dasein des Menschen als Quelle und Ozean, als Gestalter aus Leidenschaft und Schmerz, als Autor und Ontologe, als Kraft der Zerstörung und Architectus; – die Liste könnte lang werden – vorstellt, so endete es, von heute aus betrachtet, in der Vernunft als leitender Idee des menschlichen Daseins.
Nun gut, das ist optimistisch, aber das reicht, um zu beweisen, dass die Idee der Vernunft, also die Idee der AufklĂ€rung mit der Vernunft als Horizont aller Vorstellungen von der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft existiert. Blicken wir heute vernunftorientiert zurĂŒck, dann sehen wir im Naturrecht Götter, mehrere bestimmte Gottheiten oder einen Gott, den einen wahren Gott als Quelle aller Vernunft. Der Vernunft der Rechtsprechung nach MaĂgabe des Schöpfungsmythos bis hin zu den jeweiligen Heiligen Schriften, die das Menschenbild und deren Zusammenleben in einer Religionsgemeinschaft und in Abgrenzung zu anderen Religionen und UnglĂ€ubigen maĂregeln. Und die letzte MaĂregel ist dann die Auslegung der Welt im Gebet und im Wort Gottes durch die Kirchenvertreter und Gelehrten.
Was als göttliches Gesetz galt, wurde im antiken Griechenland schon der Logos, der die AblĂ€ufe im Kosmos, in der Welt und im Dasein der antiken Menschen, in der Polis, verstand, d.h. auslegte und auf Basis seiner Auslegungen regelte. Schauen wir auf unsere Gegenwart, dann sehen wir Teile des Naturrechts neben antiken Vernunftvorstellungen und Ideen stehen, die meisten Menschen auf der Welt, die danach leben und sich danach orientieren. Auch, weil der Glaube an ewige Gesetze, die in den Menschen eingeschrieben sind, existiert. Das ethische Bewusstsein sei ein solches ewiges Gesetz, welches das Gute vom Bösen unterscheiden kann und sogar in einer individuellen Form vorkommt, im Gewissen, und in der persönlichen Schuld die Einhaltung und Verletzung des normativen Systems der Religion sanktioniert. Wir könnten nicht sagen, unsere Gegenwart und wahrscheinlich auch die meisten Vorstellungen, die wir uns von der Zukunft machen, wĂ€ren nicht mindestens zu groĂen Teilen in religiösen und naturrechtlichen Ideen weltweit verbreitet und begrĂŒndet; der Prozess der Vernunft ist nicht abgeschlossen und auch die Frage, ob er denn jemals und so besser als endlich abgeschlossen wĂŒnschenswert wĂ€re.
Oft gescholten, teils als UrsĂŒnde der neuzeitlichen, der modernen Vernunft angeprangert, ist die Erfindung der Trennung von âres extensaâ und âres cogitansâ. Der naturwissenschaftliche Cartesianismus wird innerhalb der Philosophie des 20. Jahrhunderts gerade heraus als Ursache aller möglichen Fehlentwicklungen im VerstĂ€ndnis der Welt herangezogen, weil er eine einheitliche, ursprĂŒngliche und damit wahre Auslegung der Welt verhindert habe. Aber die Trennung von Natur und Geist war schon bei Descartes und viel frĂŒher bei Aristoteles verankert und wir haben von Anfang an davon gesprochen, dass beide Begriffe komplementĂ€re Begriffe sind und sich auf das Verstehen, auf eine Auslegung beziehen. Wir haben gesagt, dass, wenn wir VerĂ€nderung z.B. denken, mithin verstehen wollen, wir nicht umhinkommen, Sein und Nichts als logische Grenzwerte dieses Denkens zu veranschlagen, a priori. Bei Aristoteles was es die Natur, die die Kraft der VerĂ€nderung in sich selbst trĂ€gt und logisch so als âSubjektâ gedacht werden konnte. Es war ein anstrengender Weg dahin, bis der Mensch, der Logos und die Vernunft diese Rolle zu ĂŒbernehmen bereit waren, autonom, also Ursache einer VerĂ€nderung zu sein, war dieser Weg doch steinig und mit gröĂten Strafandrohungen markiert.
Die âErfindungâ der res extensa hat diesen Weg bereitet, ein Weg heraus aus der Einheit der Schöpfung in die Differenzierungen des Menschseins. Die res extensa war LĂ€sterung, GotteslĂ€sterung und seine Schöpfung, der Mensch, erreichte eine ungeahnte NĂ€he zu den rein instinktiven und lokalen spezifischen Naturgesetzen des Naturreiches, wie dies nach Descartes Darwin z.B. der Nachwelt hinterlassen hatte. Gott ist tot und wir haben ihn getötet, schrieb Nietzsche im Ăbereifer. Wusste er nicht oder wollte er nicht wissen, dass mit dem Zuwachs an Erkenntnissen ĂŒber scheinbare und tatsĂ€chliche naturwissenschaftliche Notwendigkeiten die Ausbreitung der Religionen einhergingen; wie es scheint liegen die Religionen im Tempo, in der Verbreitung und der IntensitĂ€t des Glaubens immer noch vor den Naturwissenschaften, die sich nicht gleich auf breiter Front gegen religiöses und magisches Denken haben durchsetzen können. Das liegt aber weniger am Glauben an den Gehalt und die Bedeutungen der Naturwissenschaft, als mehr daran, dass deren Erkenntnisse oft ebenso mangelhaft sind, wie die der Vernunft.
Es ist ein Dilemma, dass komplementĂ€re Begriffe eben nur in der Zusammenschau einen Sinn ergeben, einzeln sich aber mehr dadurch legitimieren, dass isoliert naturwissenschaftliche Erkenntnisse und Fortschritte z.B. gröĂeren Nutzen und immer bessere Fertigkeiten hervorbringen. Wollen wir also auf Fragen nach dem Sinn nicht ganz verzichten, mĂŒssen wir uns dem Dilemma stellen, dass in den vielen Quellen und Auslegungen sowohl Gott als auch der Mensch, das Naturrecht und die Humanitas der Menschenrechte enthalten sind. Und wer will wirklich auf das schlechte Gewissen verzichten, wenn zugleich jede Form der Empathie dabei zugrunde gehen wĂŒrde? Seit den antiken Griechen wissen wir, es gibt die unterschiedlichsten Vermögen, die einen Menschen von einem anderen unterscheiden. Aber das Vorhandensein von Vermögen und Talenten ist nichts ohne Fertigkeiten, ohne Techne. Menschen mit Hochbegabung werden zu Trotteln, wenn ihre Begabungen nicht ebenso gefördert und tagtĂ€glich herausgefordert werden, wie Menschen mit schlichteren Begabungen und ohne ĂŒbenden Umgang. Vermögen oder Talente sind also bisweilen wenig bis nichts, ohne Können und das kommt von Ăbung der Talente auf dem Weg zu vollendeten Fertigkeiten. So ist auch die Vernunft wenig bis nichts, ohne ihre historische Entwicklung. Und wenn zur Zeit der Eindruck besteht, die Vernunft wĂ€re am besten vermĂ€hlt mit den empirisch-analytischen und den mathematisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen, dann darf auch dieser Entwicklungsschritt als ein historischer betrachtet werden, gleichwohl in der Anwendung mathematisch-naturwissenschaftlicher und empirischer Erkenntnisse und Fertigkeit ein schier unerschöpfliches Potenzial heute und fĂŒr die Zukunft zu liegen scheint. Es ist aber so sicher wie deren Ausbreitung, dass nicht einmal die mathematisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnisse allein bestimmend sein werden, weder Mathematik, noch Medizin, noch die Physik usw. werden als einzige Quellen von Erkenntnis und Vorstellungen von der Zukunft sich durchsetzen; eine gewisse Dominanz mag auch erhalten bleiben fĂŒrs Erste. Denn niemand will auf unsere Sprache verzichten und dies wĂ€re unweigerlich mit einem Siegeszug der heute sogenannten MINT-FĂ€cher als Verstehenshorizonte verbunden. Man stelle sich vor, alle reden nur noch in mathematischen Gleichungen oder Kraftverteilungen ĂŒber sich, ĂŒber das Zusammenleben der Menschen untereinander und ĂŒber unsere Zukunft. Man stelle sich vor, man wĂŒrde nur in medizinischen AusdrĂŒcken ĂŒber sich sprechen; eine erste Begegnung mit dem anderen Geschlecht wĂ€re schnell vorbei, selbst wenn es dabei vielleicht durchaus um biologische Absichten ginge.
Wenig haben diese Formen der Vernunft zur Gestaltung unserer LebensverhĂ€ltnisse beigetragen. Auch wenn wir heute die Umlaufbahnen der wichtigsten Gestirne, Planeten, gar einiger Kometen besser kennen und berechnen können als je zuvor, das hat die Trennung von res extensa und res cogitans auch mitverantwortet, was Sache der Natur ist, ist Sache der Natur und nur insofern kulturell von Belang, insofern es unsere Kultur in ihrer komplementĂ€ren Bedeutung zur Natur beleuchtet. Dass unsere Kultur zu sehr auf Kosten der Natur geht, dass kann die Naturwissenschaft unvergleichbar besser deuten und sogar in ihren Syntagmen beweisen als die Geisteswissenschaft. Wie damit aber umzugehen ist, ist Sache der Kultur und bei weitem groĂrĂ€umiger zu denken als mit dem puren Glauben, dass Technik z.B. die die SchĂ€den an der Natur angerichtet hat, es dieselbe modernere Technik sein wird, die diese SchĂ€den wieder zu reparieren in der Lage sein wird; na dann warten wir mal auf den ökologischen Umbau der Produktion weltweit.
Bis dahin machen wir uns einige Sorgen um die Vernunft, wird sie doch von allen Seiten bedrĂ€ngt. Selbst Hegel hat aber nicht behauptet, dass die Vernunft bereits am Ende sei, weder gemeint, sie habe ihr Potenzial bereits ausgeschöpft, noch sie sei einfallslos geworden. Hegel begriff die Vernunft als einen Prozess, als einen, dessen Vollkommenheit in einer ungewissen Zukunft liegt, bis dahin gilt die Arbeit am Begriff, die Arbeit an der Arbeit des Denkens selbst. Und solange noch irgendwo ein Rest der res cogitans existiert, wird dies sich nicht Ă€ndern; und umgekehrt. Selbst die radikalsten Kritiker der Trennung von Subjekt und Objekt, Natur und Kultur, Wissenschaft und Glauben bzw. magisches Denken kommen nicht umhin, die Existenz dieser Trennung zur Kenntnis zu nehmen und ihr eine Unausweichlichkeit zu attestieren. Selbst die engste Relation von res extensa und res cogitans in der ontisch-ontologischen Differenz von Heidegger erkennt sie an und muss schlieĂlich auch einrĂ€umen, dass sie unausweichlich ist; jedenfalls solange der Mensch denkt und in seinem Denken noch nicht vollkommen ist, also Grund genug hat nachzudenken darĂŒber, was und wie er denkt. Das gilt auch zunehmend als Einsicht, als eine Art der wissenschaftlichen Selbstreflexion der Naturwissenschaften, dass auch ihre Erkenntnisse weit davon entfernt sind, euphorisch auszurufen: Heureka â Ich habâs gefunden und dabei kollektiv aus dem Badebottich zu springen und nackt durch Syrakus zu rennen; obwohl die Vorstellung pikant wĂ€re.
EIN SPEZIALFALL DER VERNUNFT
Was wird der Vernunft vorgeworfen? Selbst in einer Zeit, die die Ansicht vertritt, aller Fortschritt ist einer des Zusammenspiels von Wissenschaft und Technik, wird der aufgeklĂ€rten Vernunft vorgeworfen, sie trĂŒge zu wenig zur Problemlösung bei, sie hĂ€tte keine besseren LösungsvorschlĂ€ge als Wissenschaft und Technik im Verein. Der aufgeklĂ€rten Vernunft wird vorgeworfen, ihre Lösungen liegen ausschlieĂlich in der Semantik, dorthin nĂ€hme sie Zuflucht vor ihrer wissenschaftlichen und technischen Irrelevanz. Die erwidert schon mal, dass nicht alles auf der Welt Probleme und Prozesse wissenschaftlich-technischer Art adressiert und somit auch nicht wissenschaftlich und technisch beschrieben werden kann. Das reflektiert nicht die EffektivitĂ€t von Problemlösungen, sondern die Art von Problemen, die sich also von technischen Problemen unterscheiden und nicht in wissenschaftlichen Kategorien beschreiben lassen; hinzuzufĂŒgen wĂ€re die Frage, ob denn schon mit einer adĂ€quaten Beschreibung eines Problems hinreichend schon ein Lösungsansatz verbunden ist?
Erinnern wir kurz an Freud und die WunscherfĂŒllung. Wie immer wir auch das âUnbewussteâ betrachten, sei es als eine Sprache wie dies Lacan versuchte, oder als ein Reservoir spezifischer, autonomer Prozesse der WunscherfĂŒllung, in TrĂ€umen und TagtrĂ€umen werden auf höchst effiziente Weise und unerreicht von Technik und Wissenschaft Probleme gelöst; man darf sagen, jede Art von Problemen, nimmt man die Inhalte von Tag- und NachttrĂ€umen zum Beweis. Und WunscherfĂŒllung ist nicht nur nicht begrenzt auf sexuelle oder erotische WĂŒnsche, sondern ist auch nicht einmal fixiert auf eine WunscherfĂŒllung im Sinne einer Problemlösung. Es werden auch Wunschbilder erzeugt, die keine Positivverzerrungen negativer Erfahrungen sind, sondern Vorstellungen eines besseren Lebens in allen seinen Facetten. Was uns hier interessiert ist keine Auseinandersetzung mit den Wissenschaften der Seele, sondern der Hinweis darauf, dass es doch wohl dieselbe Vernunft ist, die im Wachen wie im Traum nicht nur Monster gebiert, sondern â man sagt, TrĂ€ume dauern zwar nur einige Sekunden â auf sehr effektive Weise haufenweise WĂŒnsche erfĂŒllen und Probleme lösen, zumindest vorgestellt.
Nun mag man antworten, der Zustand der WunscherfĂŒllung dauert ja nicht sehr lange an nach dem Wachwerden; das ist richtig, aber immerhin wurden ein oder manchmal auch mehrere WĂŒnsche erfĂŒllt und ernsthafte Probleme fĂŒr kurze Zeit gelöst, die einer wissenschaftlich-technischen Lösung wohl noch jahrelang, vielleicht auf unabsehbaren Zeiten der Lösung harren. Auch unterscheiden sich TagtrĂ€ume dann auch schon zeitlich, da sie lĂ€nger andauern können und manchmal gar ein Leben lang. Und es gibt seriöse Betrachtungen wissenschaftlich-technischen Verhaltens, die diese sehr nahe an tagschwĂ€rmerische Phantasien bringen wie etwa der Traum zu fliegen, der Wunsch lĂ€nger zu leben, nach lebenslanger Gesundheit, dem Ende aller Kriege, Verbrechen und Umweltverschmutzung, der Ăberwindung von Armut und Gewalt gegen Kinder und Frauen, dem Ende von Machtmissbrauch, vielleicht sogar der Ăberwindung des Nihilismus. Wie weit entfernt ist denn nun die Wissenschaft und die Technik von TrĂ€umen, von TagtrĂ€umen?
Folgen wir den Spuren von TagtrĂ€umen, dann unterscheiden sie sich von den TrĂ€umen, dass deren WĂŒnsche so schnell nicht in ErfĂŒllung gehen wie bei diesen. Es dauerte aber auch nicht endlos, bis Da Vinci oder ein Ingenieur seine WĂŒnsche erstmals zu Papier gebracht hat. Sieht man darauf, dann sind die notorisch folgenden Bemerkungen, âdas Ding wĂ€re nie geflogenâ oder âdas Auto wĂ€re nie gefahren und wenn, hĂ€tte es bei Kindern und Frauen nachhaltige psychische SchĂ€den hinterlassenâ nicht nur irrelevant, sondern auch ĂŒberflĂŒssig. Die Frage, wie lange es gedauert hat, bis das eine Ding flog und das andere fuhr ist fĂŒr den ersten Schritt zur WunscherfĂŒllung völlig unwichtig, denn der Geist der Erfindung war aus der Flasche und schlecht wieder zurĂŒck in die Flasche zu bringen. Auch sind alle kritischen und zweifelnden ErwĂ€gungen und misslichen bis entmutigenden Erfahrung bei der ErfĂŒllung der groĂen MenschheitstrĂ€ume, auch der kleineren tĂ€glich Brot und gehören eben zur ErfĂŒllung von WĂŒnschen hinzu.
Dies hat strukturelle und generelle Bedeutung, als zur praktischen Vernunft zuerst die Befreiung des Möglichen gehört, die dann vor alle möglichen Probleme in der Verwirklichung und Vervollkommnung stellt und diese Situation oder Phase der WunscherfĂŒllung nie gemessen werden darf an dem Grad und der Wirklichkeit, die die Vernunft, auch die technische, nach Jahren und Jahrzehnten erreicht hat. Selbst unsere hochgradig entwickelten Fertigkeiten lassen wie auch in frĂŒheren Epochen der Geschichte die AnfĂ€nge der WunscherfĂŒllung eher naiv, kindlich und aus der Perspektive von ein paar Jahren recht lĂ€ppisch oder fast schon untalentiert aussehen; die ersten MĂ€nner flogen tatsĂ€chlich in fliegenden Kisten, die ersten Computer sahen nicht nur so aus, als könnten sie kaum bis Zehn zĂ€hlen, waren massive RiesenschrĂ€nke, denen dauernd das Licht ausging. Erinnern Sie sich noch an das erste Laufrad? Es gibt heute wieder Autos aus der VRC, deren SpaltmaĂe im Frontbereich um mehr als zwei Zentimeter differieren, es gibt moderne KĂŒchengerĂ€te, die einem lediglich einen Wunsch erzeugen aber leider nicht erfĂŒllen, nĂ€mlich den Wunsch, sie mögen sich sofort auf die StraĂen zum Abfall hinbewegen. Sind Sie mal an einem ganz normalen Tag von Köln nach MĂŒnchen mit der Bahn gefahren?
Unsere Vernunft kennt also nicht nur in der ersten Formulierung von Ideen und Vorstellungen ihrer Umsetzung auch ĂŒber lange Zeit der Umsetzung hinweg, sagen wir mal: Höhen und Tiefen auf allen Ebenen. Trial-and-Error, Versuch und Optimierung, sind weder ontologisch homogen noch in ihren Entwicklungen linear. Unsere Vernunft, zusammenfasst alle Disziplinen und Anwendungsbereiche, ist wie auch das menschliche Verhalten eher sprunghaft und zwar derart sprunghaft, dass selbst eine Gesamtschau ĂŒber Jahrzehnte und manchmal auch Jahrhunderte keine lineare Entwicklung skizziert. Deshalb nicht â wie wir auch im letzten Band schon ausgefĂŒhrt haben â weil unsere Vernunft es selbst ist, die sich nicht austricksen kann, indem sie etwa die Zunahme oder Abnahme konstanter Mengen pro Zeiteinheit in Grafen zeichnet und lineare Extensionen dann glaubt zu erkennen, wer macht das heute noch?
Es gibt das Boolesche Gesetz, wonach die Rechenleistung von Computern stetig in einer Zeiteinheit zunimmt, aber was, wenn Quantencomputer mit in dieses Gesetz einbezogen werden? Genauso ist es mit der der Aussage, ein Wert verĂ€ndert sich monoton, denn das wĂŒrde bedeuten, dass der Wert immer im gleichen MaĂe abgenommen oder gleichgeblieben wĂ€re, aber nie zugenommen hĂ€tte. Das geht allein schon wegen des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik nicht, denn dieser Wert wĂ€re bereits entropisch und hĂ€tte keine Zeit, keine Zukunft vor sich. So sehr auch das Gesetz der Entropie stimmen mag, niemand aber weiĂ es genau, ob nicht doch aus dem Untergang des Kosmos, rumms, wieder ein neuer oder ein anderer wird und Schluss ist mit jeder Monotonie.
Was wĂ€re das fĂŒr eine Vernunft, die LinearitĂ€t und Monotonie als Wesen historischer Prozesse versteht – unbrauchbar. Wirkliche historische Bewegungen skizzieren Wellenbewegungen, schwere und leichte AusschlĂ€ge in unterschiedlichen Zeitfenstern, Kurven, die, wĂŒrde man sie mit einem Fahrzeug fahren, so zackig und kurvenreich, bisweilen schlingernd wĂ€ren, dass kaum jemand dabei alles im Magen behalten könnte, manche Fahrer schnell dazu noch das Bewusstsein verlören. In der Bewegung kann man sich nur versuchen, optimal anzupassen, indem man Kurven auspendelt, Beschleunigungs- und BremskrĂ€ften ein wenig entgegenwirkt, einfach versucht, mitzugehen, so weit wie möglich. Was man nicht hat ist Zeit, sich auĂerhalb einer Bewegung zu stellen und sie von einem festen Platz aus zu betrachten. Das lernen wir in Schulen und Akademien, manchmal kommt es auch in Labors in praktischen ZusammenhĂ€ngen zum Tragen. Oder in Planungs- und den diversen anderen praktischen Entscheidungs-Meetings sowie in den Besprechungen der Angestellten und Arbeiter vor Ort.
Besonders Entscheidungs-Meeting hinterlassen in der ĂŒberwiegenden Mehrzahl den Eindruck eines intellektuellen Tohuwabohus. Da findet sich, auĂer in auffallender Inszenierung souverĂ€ner Persönlichkeit, kaum einmal eine stringente Argumentation aus sicherem Fachwissen fĂŒr das anliegende Problem sowie eine unaufgeregte Wissens- und Problemlösungs-Vermittlung an die nĂ€chstgelegene Betriebseinheit. Wie immer imponiert in der praktischen Vernunft weder lineares und homogenes Denken, sondern die wesentlich flexiblere und schneller lernfĂ€hige und so am Ende effizientere Vernunft der IntersubjektivitĂ€t der Teams und deren FĂ€higkeit zur Kooperation; und vieles ist Intuition und gerechnet nach statischen Wahrscheinlichkeiten wird selten bis gar nicht. Ginge es einzig um das VerstĂ€ndnis eines Problems, wĂ€re man ja allein deshalb schon aller EntscheidungszusammenhĂ€nge und den entsprechenden Konflikten, den individuellen wie den organisations- und betriebsspezifischen entledigt. Man könnte sicher linearer denken und das Problem so betrachten, dass ein Teilproblem einzeln und dann seine kausale oder funktionale Beziehung zum nĂ€chsten Teilproblem betrachtet werden kann, wie man dies gelernt hat. So hat Lernen auch nicht selten den Charakter der Monotonie, steckt voller Wiederholungen und Systematiken, die die praktische Vernunft leider missen muss, weil allein in ihr eine stets sich verĂ€ndernde Welt von Differenzen und UnwĂ€gbarkeiten sich einmischt.
Mit Differenzen kann ein Team von Spezialisten noch umgehen, das hat jeder einzelne von ihnen gelernt. Mit den UnwĂ€gbarkeiten ist es ungleich schwieriger. Das liegt daran, dass in der praktischen Vernunft jede Lösung eines Problems neue Probleme schaffen kann und meistens auch schafft, die man eben nicht vorhersehen, nicht einmal abwĂ€gen konnte. Dann kommt es auf die praktische Vernunft umso mehr an, als dass dies Punkte oder Momente sind, in denen verschiedene AusprĂ€gungen des erworbenen Wissens und verschiedene AusprĂ€gungen von Erfahrung und Fertigkeiten kooperieren mĂŒssen, um aus den zahlreichen Unterbrechungen, teilweise anhaltenden Stopps im Fortgang einer â heute sagen wir Projekt â praktischen TĂ€tigkeit wieder Fahrt aufnehmen zu können, sobald ein neues Problem wieder gelöst ist.
Praxis ist nicht ohne Unterbrechung bis hin zur Gefahr des Scheiterns eines Plans, zur Feststellung, dass ein Plan nicht umsetzbar ist, oder jedenfalls nicht so, wie der Planungsrahmen vorgesehen hatte. Die Vorsicht oder Vorstellung endet dann also in einer Feststellung und eine praktische TĂ€tigkeit endet, oder muss ihre Richtung so sehr Ă€ndern, dass man auch von einem neuen, in wesentlichen Punkten ĂŒberarbeiteten oder verworfenen Plan sprechen muss. Wir reiĂen hier einen BerĂŒhrungspunkt zwischen theoretischer und praktischer Vernunft an, der in unseren Begriffen wieder als eine komplementĂ€re Form der BerĂŒhrung zu beschreiben oder zu verstehen ist, die zugleich und in der Zusammenschau ein Punkt ist, der eine theoretische Vorstellung noch mit einer praktischen TĂ€tigkeit verbindet, also eine Unterbrechung im Fortgang sein kann, und zugleich auch ein Punkt ist, von dem ab eine TĂ€tigkeit einen neuen Weg einschlagen kann oder endet. Dieser Punkt, von denen es in groĂen Projekten einige gegeben kann, ist ein ganz besonderer Fall der Vernunft, nĂ€mlich ein Punkt der Feststellung und Entscheidung. Die Feststellung, dass eine praktische TĂ€tigkeit endet oder eine neue Richtung erhĂ€lt, sowie die Entscheidung, wie weiter verfahren wird, setzt einen RĂŒckgriff auf den ursprĂŒnglichen Plan, die erste Absicht voraus, und trifft somit eine Neubewertung post Factum vom Punkt der Feststellung aus. Solange nicht alle Möglichkeiten der Problemlösung oder auch der Umgehung eines Problems, dem sogenannten Work-around (wie auch in unserem Beispiel des Jungen), ausgeschöpft sind, sind Entscheidungen nur im Mitgang der TĂ€tigkeit möglich und sinnvoll. UnvernĂŒnftige, unĂŒberlegte, spontane Abrupt-Entscheidung kommen vor, helfen aber wenig und sind nicht zielfĂŒhrend.
Meistens setzen sich die Beteiligten zusammen und beraten, und nicht selten rufen sie Experten oder Spezialisten hinzu, um eine Entscheidung ĂŒber Ende oder Fortgang unter neuen Bedingungen unter externer Expertise zu treffen. Wir folgen nicht dem Gedanken der Entscheidungsfindung und der Verantwortung durch Expertise an dieser Stelle weiter, sondern konzentrieren uns noch auf den wichtigen Schnittpunkt zwischen Vorstellung und Fortgang einer Idee innerhalb praktischer ZusammenhĂ€nge. Die Frage, ob wir es hier mit einer logischen und sogar dialektischen Form der praktischen Vernunft zu tun haben, bei der wir die Vorstellung, den Plan als IdentitĂ€t und den Fortgang der Vorstellung in den praktischen ZusammenhĂ€ngen als Differenz betrachten können, werden wir en passant mitbehandeln.
Bedenken wir kurz die Eingangsvoraussetzung und fragen uns, unter welchen Bedingungen wir denn ĂŒberhaupt IdentitĂ€t und Differenz voneinander unterscheiden können. Aristoteles wĂŒrde sagen, die Differenz ist ein Bestandteil der IdentitĂ€t wie IdentitĂ€t ein Bestandteil der Differenz ist. So etwas nennt man einen Zirkelschluss, weil das, was ein Ergebnis sein soll, bereits als Bedingung in der Annahme vorhanden ist. Es ist so als wĂŒrde man sagen, dieser Mensch kann dumm bleiben oder klug werden und wenn er dann klug geworden ist, sagt man Heureka, ich habâs gewusst. Die Zeit, die eine IdentitĂ€t auflöst in eine Differenz, also einen Unterschied zur IdentitĂ€t macht, der einen Wandel, eine Entwicklung markiert wie man sagt: du hast dich in all den Jahren ja ĂŒberhaupt nicht verĂ€ndert, wird somit linear und der Wandel als homogen angesehen. Wer schon einmal einer Situation beigewohnt hat, in der ein Projektleiter das endgĂŒltige Aus eines GroĂprojekts verkĂŒnden musste, der hat jemanden gesehen, der Blut und Wasser schwitzte, nervös herumlief, stotterte, dem Weinen nahe war wie einem kompletten Nervenzusammenbruch. Das liegt wahrscheinlich daran, dass mit dem Aus des Projekts wahrscheinlich auch das Aus seiner beruflichen Karriere, zumindest bei dem aktuellen Unternehmen verbunden ist und nicht ganz unwahrscheinlich auch ein berufliches Stigma ihn zu seinem Head-Hunter begleitet und auch ins nĂ€chste VorstellungsgesprĂ€ch, wenn dies denn in einem Ă€hnlichen beruflichen Umfeld stattfindet. Es kann sein und ist auch nicht unwahrscheinlich, dass mit dem Ende des Projekts auch seine berufliche IdentitĂ€t endet und er sich neu erfinden muss, jedenfalls in Deutschland. Man sagt, in den USA hĂ€tte er bessere Chancen, die Verantwortung fĂŒr ein Ă€hnliches Projekt zu bekommen, weil man dort das Scheitern als lediglich einen Punkt in der Entwicklung eines Managers sieht, der mit jeder Niederlage mehr an Erfahrung ansammelt. Ob dies wirklich so ist, darf man ruhig bezweifeln, aber uns geht es ja darum herauszufinden, in wie fern sich eine möglicherweise andere Sicht auf die Wirklichkeit unterscheidet von einer anfĂ€nglichen Sicht.
Geht man von der Möglichkeit aus, dass etwas sich verĂ€ndert, ohne sich im Kern zu verĂ€ndern, also von einer â kontinuierlichen- Entwicklung aus und versteht auch die Sichtweise auf eine Entwicklung so wie sie sich faktisch darstellt, dann setzen wir nicht nur die LinearitĂ€t einer faktischen Entwicklung voraus, sondern auch die Möglichkeit einer solchen. Und so ergibt die Voraussetzung, dass etwas in seinen VerĂ€nderungen gleichzubleiben in der Lage ist auch schnell die Auffassung, dies sei auch faktisch so. Und wie beweisen wir dies, dass es so ist? Einfach durch ZĂ€hlen. Wir zĂ€hlen, wie viele Manager in den USA nach einem Misserfolg im Beruf wieder einen neuen Job in ihrem Beruf gefunden haben oder einfach weiterbeschĂ€ftigt worden sind und ein neues Projekt bekommen haben in Relation zu den Managern in Deutschland z.B. wo dies nicht passiert ist. Und wir schlieĂen dann aus dieser prozentualen Relation auf eine andere Sichtweise und auf eine faktisch andere berufliche Entwicklung in den USA im Vergleich zu Deutschland.
So zĂ€hlen wir in Langzeitreihen die Anzahl von Menschen, die Opfer werden von Gewalt in Relation zu jenen, die dies nicht werden und wir beantworten auf die gleiche Art und Weise die Fragen nach der Entwicklung von Armut, Krankheiten, Hunger, UnterdrĂŒckung, Analphabetismus usw. Werden die Zahlen kleiner oder werden sie gröĂer, mĂŒssen wir dabei bedenken, dass sich hier in den Zahlenreihen etwas einreiht, was wir AufklĂ€rung nennen und was schon seit Aristoteles so ist, nĂ€mlich, dass wir allen Menschen, insofern wir sie zĂ€hlen, den gleichen Wert beimessen und damit meinen, jeder moralischen oder anderen Bewertung, etwa nach Geschlecht, Rasse oder sonst irgendetwas entkommen zu sein; wir haben im Band V. im Zusammenhang mit KI dies nĂ€her betrachtet und demaskiert. So geht dies, wenn wir empirische Wissenschaften zum Fortschritt befragen, dann erhalten wir zur Antwort eine Vielzahl an Zahlenreihen mit Werten auf der Y- und X-Achse, einen ganzen Aufmarsch an Diagrammen zur Kindersterblichkeit, Arbeitslosigkeit, Einkommen, Lebenszeit etc., aber niemand wird darin einen Bezug zu den zwei wichtigsten Paramatern herauslesen können, nĂ€mlich einmal den Bezug zu der Gesamtheit der LebensverhĂ€ltnisse sowie zu den Lebensgrundlagen, beide wie wir dies am Anfang von Band I. bereits bestimmt haben, als die einzig wirklich wichtigen und bestimmenden Begriffe fĂŒr die Entwicklung des Daseins der Menschen, einzeln oder gesamt. Was hilft es den Uiguren in der VRC oder den BĂŒrgern von Hongkong, dass sie in den etwa 380 Internierungslagern VollbeschĂ€ftigung erreicht haben, wenn man hinter den aufgeklĂ€rten Zahlenreihen vergisst, dass damit Zwangsarbeit gemeint ist. Was hilft es den UnterdrĂŒckten, wenn sie Arbeit haben, gesĂŒnder werden, reicher werden und öfter sich Urlaub und ein besseres Gesundheitssystem leisten können?
Wir zĂ€hlen also und bedienen uns einer âneutralenâ Logik, einer aufgeklĂ€rten Aussageform, aber damit ist noch nicht zugleich klar, was wir wirklich zĂ€hlen. Alles im Begriff der Arbeit wird heute bestimmt von der Relation zwischen Arbeit und Natur. So war Arbeit bis vor Kurzen noch nicht bestimmt. Und lĂ€ngst nicht alle Beteiligten und alle ihre Aussagen geben eine nachhaltige Orientierung des neuen Begriffs Arbeit â und auch des Begriffs Kapital â frei. Wir haben im Begriff Natur einen âForschungsgegenstandâ, der nicht nur, was das ZĂ€hlen betrifft, sich unseren wissenschaftlichen Methoden zur Erforschung der Beziehung Mensch-Natur weitgehend entzieht und als wissenschaftliches Desiderat wohl noch eine ganze Weile die Wissenschaften begleiten wird. Zu Hilfe kommt leider eine gewisse Evidenz, die in Form von Naturkatastrophen und Klimawandel den Wissenschaften wie eine Bugwelle vorweglĂ€uft und Dringlichkeit anmahnt. So verstehen wir auch unser Beispiel aus der praktischen Vernunft, wenn Projekte enden, ohne Fertigstellung. Jede praktische TĂ€tigkeit beinhaltet die Möglichkeit, dass eine Vorstellung nicht verwirklicht werden kann als Voraussetzung. NatĂŒrlich fokussieren wir solange es geht auf die Möglichkeit, eine TĂ€tigkeit zuende bringen zu können, als Voraussetzung und leiten davon dann ein lineares Geschehen und homogenes TĂ€tigkeitsfeld ab. Das besteht somit im Kern aus dem Zusammenwirken arbeitsteiliger und spezialisierter TĂ€tigkeiten, also geradezu dem Gegenteil von dem, was Heidegger mit seinem Begriff des âBesorgensâ semantisch homogenisiert und was die Ăkonomik mit den Arbeitsmarktdaten statistisch linearisiert.