Amerika First!

Die Fokussierung auf das volkswirtschaftliche Wohlergehen einer Nation aus sich selbst heraus ist heute der sichere Weg in eine politische sowie in eine ökonomische Sackgasse. Auch wenn der Wendehammer noch nicht in Sicht ist, die Rückkehr auf die Weltbühne ist unvermeidlich und mit einer ganzen Reihe von Paradigmenwechseln innerhalb der politischen Ökonomie der USA verbunden. Das kann dauern, ist aber notwendig, auch für die USA. Das amerikanische Modell einer politischen Ökonomie sieht zuallererst eine logisch-kausale Verbindung zwischen Konjunkturzyklen und staatlicher Geldpolitik. Darin folgt das Geld dem Auf und Ab der Wirtschaft. Wir haben soeben aber gesehen, dass wir bei der Betrachtung eines Teilbereiches der Wirtschaft – und dies gilt generell, ist nicht auf die USA beschränkt – stets die Fragerichtung nicht aus den Augen verlieren dürfen. Sie ergibt sich aber quasi von selbst, wenn die Betrachtung des Teilbereiches gründlich geschieht. Wir haben gesehen, dass Geldverschiebungen oder Geldpolitik im Kern der Betrachtung die Haushaltslage einer Nation im Sinne von Importen und Exporten und den dazugehörigen Kapital- bzw. Kreditdiensten freilegt.

Nur ein Beispiel von vielen, teilweise in kürzesten Zeiträumen, welches die Annahme einer Beziehung zwischen Konjunktur und Geldpolitik der USA klar widerlegt: Am 26.12.2018, also in der Weihnachtszeit, stieg der amerikanische Dow Jones quasi über Nacht um 5%, was eine Veränderung der Marktkapitalisierung von knapp 280 Mrd. EUR ausmachte und damit höher lag als das Bruttoinlandsprodukt (2017) von 151 von 192 Ländern der Erde, damals also ab Platz 42 Chile. In den Tagen zuvor war der Dow binnen kurzer Zeit um etwas mehr als 5% gefallen, ein klassischer sogenannten Short-Squeeze, der gerne binnen Tagesfrist an den Börsen weltweit stattfinden kann. Die hier an einem Tag „erwirtschafteten“ Gewinne und Verluste haben einen Wert in der Höhe des Doppelten der Auslandsnettoschulden der USA gegenüber Irland, immerhin Platz drei der Gläubigerstaaten.

Wir sehen unschwer, dass das Auf und Ab an den Börsen nichts, aber auch gar nicht zu tun hat mit den Bewegungen der sogenannten Realwirtschaft. Diese Verbindung ist zerbrochen und wie ein zerbrochener Spiegel auch nicht mehr durch die alten volkswirtschaftlichen Kausalitäten und Determinismen zusammen zu setzen und zu verstehen. Es liegt natürlich nahe, in fraktalen ‚Logiken‘ zu denken, in den Bruchstücken nach Mustern von Ähnlichkeiten und Wahrscheinlichkeiten zu suchen, um mit dem Geschehen auf den Finanzmärkten mit zu halten. Geht man wie ein paar Seiten vorher gezeigt davon aus, dass Konjunkturzyklen sich abbilden in dem Auf und Ab der Leistungsbilanzen einer Volkswirtschaft, also eines Saldos von Kapitalzuflüssen bzw. Kapitalabflüssen, wird die Angelegenheit also schon etwas schwierig in kausale Zusammenhänge zu pressen. Betrachtet man die lange Zeitreihe der US-Nettoexporte, also Exporte minus Importe, dann sieht man sehr schön, wie sich das Handelsbilanzdefizit ungebremst und rapide ab etwa dem Jahr 1997 ausweitete. Auf Dauer ist ein solches Defizit suboptimal. Es muss letztlich über Kapitalzuflüsse aus dem Ausland ausgeglichen werden.

Mit dem USD als Reservewährung war das nie ein Problem. Der Dollar bestimmt nach wie vor einen Großteil des weltweiten (realen) Handel und im Besonderen den weltweiten Devisenhandel. Für jedes andere Land führt ein den USA vergleichbares Defizit früher oder später zu erheblichen Problemen; Schwellenländer mit zu großen Defiziten waren nicht selten von Staatsbankrotten bedroht. Aber der Dollar allein wird das gewaltige, nominelle Refinanzierungsproblem der USA nicht lösen. Allokative Schwankungen auf den Geld- und den Finanzmärkten haben enorme Auswirkungen auf die Staatsschulden, auf Investitionen und auf den privaten Konsum. Steigen, wie zuletzt zu beobachten war, die Zinsen in den US-Rentenmärkten, fallen die Kurse im Markt, was für den Verkauf während der Haltedauer entscheidend ist wie auch für Neukäufe. Zinsschwankungen erhöhen das Risiko erheblich, etwa eins zu zehn.

Die Fed hat allein in diesem Jahr (2018) den Kapitalmarktzins in vier Schritten auf mittlerweile 2,5% erhöht, um, wie es ihr Auftrag ist, die Arbeitslosigkeit niedrig und die Inflation stabil zu halten. So bietet die aktuelle Wirtschaftslage gute Daten. Der Arbeitsmarkt habe, so die Fed, sich weiter gefestigt, die wirtschaftliche Aktivität sei mit hohem Tempo gewachsen. Die Konsumausgaben und die Investitionen der Unternehmen seien stark expandiert, während die Inflation in der Nähe des Zwei-Prozent-Ziels der Fed liege. Für Anleger und Volkswirtschaften weltweit haben die Entscheidungen der Fed bereits seit einiger Zeit einige Auswirkungen. Obwohl sie bei der Straffung ihrer Geldpolitik bislang behutsam vorging, führten steigende Zinsen in den USA und ein stärkerer Dollar dazu, dass verstärkt Kapital aus Schwellenländern in die USA zurückfließt. Dies sorgte zeitweise für heftige Währungsturbulenzen in einigen Staaten mit einer Reihe anhängiger Probleme bis hin zu deren Arbeitsmärkten, die mit den sozialen Folgen einmal mehr zu kämpfen hatten.

Wenig bis gar nicht interessiert an den weltweiten Auswirkungen der Geldpolitik, verfolgt die Fed weiterhin und notgedrungen im Blick auf sich selbst eine Politik der „Nabelschau“. Die konsumtreibende Notenbankpolitik, das sogenannten QE (Quantitative Easing) der vergangenen Jahre hat besonders in 2017-2018 die private Verschuldung in den USA ansteigen lassen, da US-Haushalte traditionell über Kredite ihren Konsum finanzieren. Gleichwohl durchschnittlich nur etwa 3% der privaten Schulden notleidend oder toxisch sind, haben die Schuldenstände der amerikanischen Privathaushalte per Ende 2017 erstmals 13 Bio. $ übertroffen. Gegenüber Ende 2016 sind das 572 Mrd.$ oder 4,5% mehr. 2017 sind, wie aus der jüngsten Erhebung der Federal Reserve Bank of New York hervorgeht, die Haushaltsschulden im Übrigen das fünfte Jahr in Folge gewachsen. Die Schuldenquote liegt zurzeit bei 66% des BIP (gegenüber 87% in 2008/2009) mit steigender Tendenz zum Höchststand hin.
Sämtliche Schuldenkategorien: Hypotheken, Studentendarlehen, Autokredite, Kreditkartenschulden haben 2017 zugenommen. Gleichwohl die Hypothekarschulden auch Ende 2017 noch 4,4% unter ihrem bisherigen Rekord lagen und derzeit keine Immobilienkrise in Sicht ist wie vor der Finanzkrise 2007/08, die Verschuldung also gemessen an der Zeit vor der letzten Krise diversifizierter geworden ist, sind die Entwicklung der Autokredite und der Studentendarlehen durchaus beunruhigend, da beide Kategorien inzwischen Werte von weit über 1 Bio.$ erreichen und deren relative Bedeutung also deutlich gestiegen ist; derzeit gelten etwas mehr als 10% der Studentendarlehen als notleidend.
Dagegen helfen weder die auf Rekordniveau gewachsenen Finanz- und Immobilienvermögen und dass die Bürger der USA fast schon notorische Nicht-Sparer sind, war auch bekannt. Dass aber die sehr niedrige Sparquote jüngst auf 2,4% des verfügbaren Einkommens gesunken ist, ist mehr als nur ein Schönheitsfehler in einer scheinbar makellosen Konjunkturbilanz. Keynes hätte geraten, in guten Zeiten Reserven für Krisen zu bilden. Aber Keynes ist in den USA kein bedeutender Ratgeber mehr, war es, wenn überhaupt, nur kurze Zeit und eher von leiser Lautstärke gegenüber dem Getöse der Monetaristen.

Wir haben soeben auf die Auswirkungen der Leitzinserhöhungen durch die Fed hingewiesen. Sie wirkt aber darüber hinaus auf vielfältige Weise. Mit jeder Leitzinserhöhung verteuern sich die Kapitalkosten. Nicht nur Unternehmensanleihen, selbst Kreditkarten werden teurer und ganz generell entzieht jede Zinserhöhung der Wirtschaft Liquidität. Es ist ein Novum und zwar eins der kabarettistischsten Art, wenn erstmals ein Präsident der USA wie jüngst geschehen, seine Bürger – und die der Welt – in einem Tweet zum US-Aktienkauf auffordert. Und das gerade in dem Moment, als die Börsen in den USA gewaltige Kursverluste hinnehmen mussten; das entbehrt nicht einer gewissen Komik, ist aber, wie so vieles vom Donald, eine freche Beleidigung der Intelligenz der heimischen und ausländischen Investoren.
Will der präsidentielle Börsenratgeber wiedergewählt werden, das weiß er, sollte er den kreditfinanzierten Konsum seiner Wähler nicht zu sehr negativ beeinflussen. Denn bevor es mit „Amerika First“ weiter aufwärts gehen kann, muss die Leidenschaft des Schuldenmachens zu Konsumzwecken in der amerikanischen Zivilgesellschaft gewährleistet sein. Dass aber das amerikanische Schuldenwachstum auch langfristig tragfähig ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Das Bruttoinlandsprodukt ist dabei der am geringsten relevante Faktor. Dem Arbeitsmarkt, besonders in den Segmenten, die zugleich auch am meisten verschuldet sind, kommt dagegen eine wichtige Rolle zu. Dort, wo langfristige Jobs rar oder eher prekär sind, man gleich mehrere braucht, um seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen, herrscht zugleich eine hohe Fluktuation, eine brüchige Flexibilität. Über Jahrzehnte genügend solcher „hire and fire“ Jobs zur Verfügung zu stellen, wird in der amerikanischen Form der Marktwirtschaft immer schwieriger.

Und eben jene prekären Jobs brauchen umso dringlicher eine flexible Kredit- bzw. Liquiditätsversorgung, um über die Erwerbsbrüche einigermaßen hinweg zu kommen. Eine begonnene Bankenregulierung wird gerade aktuell in den meisten Regularien wieder aufgebrochen. Natürlich ist es unmöglich, einem Schuldner der höchsten Risikoklasse Geld zu leihen nur unter der Bedingung einer Eigenbeteiligung. Also dereguliert die derzeitige politische Administration sowohl die Risikoeinstufungen, die Kreditbeschränkungen und die Risikoprämien auf breiter Front. Es macht also wenig Sinn, von einem rückläufigen, nominellen Schuldenwachstum und einer verbesserten Tragfähigkeit privater Schulden in den letzten Jahren in den USA zu sprechen, da in diesen arithmetischen Durchschnitten selbst unter Berücksichtigung des Medianvermögens bzw. der Medianverschuldung die wirklichen Risiken der amerikanischen Schuldenkultur verborgen bleiben.
Mit dem Risikowachstum privater Verschuldung in bestimmten Beschäftigungssegmenten, die selbst bis in die amerikanische Mittelschicht reichen einher geht auch die unverändert bestehende Verbriefungspraxis riskanter Kredite durch die amerikanischen Bankenkonzerne. Wie vor der Finanzkrise, als toxische Hypothekenkredite „exportfertig“ gemacht wurden, werden heute im Derivate Handel gigantische Schuldensummen der USA per Paket durch die weltweite Bankenlandschaft geschickt. Denn für die USA ist es von ganz zentraler Bedeutung, dass die US-Banken, die solche Kreditrisiken eingehen, diese auch in der Welt verteilen können, um sie schlicht los zu werden und aus den Büchern zu bekommen. Dieses Segment im Derivaten Handel ist schwer abgrenzbar und funktioniert wie eine Bad Bank, ohne eine Bad Bank zu sein.

Natürlich darf man sagen: wer so dumm ist, amerikanische Risiken zu kaufen, ist selbst schuld. Aber Dummheit und Schuld sind keine brauchbaren Kategorien zur Prädikation des Interbankenhandels. Viel wichtiger ist, dass das US-Derivategeschäft auch unter amerikanischer Kontrolle bleibt. Dazu dienen die Rating-Agenturen . Sie bewerten vor allem für Großinvestoren, Pensionskassen, Geldfonds, Hedgefonds, Versicherungen und Banken etc. die dort in den Portfolios liegenden Derivate, aber nicht nur, um die Risiken der Großinvestoren zu minimieren, sondern auch deren börslichen wie außerbörslichen Handel positiv zu beeinflussen. Das geschieht nicht per „Ordre de Mufti“, sondern in einer, mittlerweile derart hohen Komplexität, die in der komplett simplen Vereinfachung der Ratings selbst die einzige Form finden, unter der komplexe Finanzprodukte überhaupt noch weltweit handelbar sind.
Ratings also sind einfach. Sie verringern die Komplexität der Finanzwelt auf ein Minimum und machen Wertpapiere international vergleichbar. Diese Form der Vergleichbarkeit ist wie Fliegen unter dem Radar, wo niemand mehr erkennen kann, wer oder was da fliegt. Ratings machen Derivate zu Ufos und sind so bequem auf den Märkten zu platzieren und nehmen Anbieter wie Kunden die Arbeit ab, ein Risiko vertraglich bewertbar und schriftlich verbindlich justiziabel zu machen, wo beides nicht mehr möglich ist. S&P, Moody’s und Fitch geben eine vermeintliche Sicherheit und bieten sich zugleich Fonds, Banken und anderen Großinvestoren als Sündenbock an, auf den sie zeigen können, sollte sich ein Wertpapier als wertlos erweisen. Da Rating-Agenturen aber formal-juristisch weder Eigentümer noch Besitzer der gerateten Risiken sind, kann man sie nicht verklagen. Was sie zu verlieren haben ist nicht einmal ihren Ruf, der während der Finanzkrise dramatisch gelitten hat; allein, es blieb folgenlos. Normalerweise kann ein Privatunternehmen mit solchen Imageschäden kaum noch weiter Geschäfte betreiben; nicht so die Rating-Agenturen. Die Probleme mit den Rating-Agenturen sind viel leichter zu erkennen, aber kaum zu lösen, da der enorme Einfluss der sogenannten „Big Three“ schlicht daher rührt, dass es sie schon gab, soweit man an der Wall Street zurückdenken kann.

Das Rating-Monopol der USA steht also zentral im Interesse der amerikanischen Wirtschaft wie auch der amerikanischen Politik. Standard and Poor’s Corporation (S&P), eine Tochtergesellschaft von McGraw-Hill, einem US-amerikanischen Verlag für Lehr- und Schulbücher und Finanzinformationsdienste mit Sitz in Manhattan, fungierte als die mit Abstand größte Agentur neben Moody’s Corporation (NYSE: MCO), Sitz in New York City und Fitch Ratings mit Sitzen in NYC und London, wie eine Black Box, in die niemand sonst Einblick hatte, nach welchen Kriterien die Risiken im Derivate Handel bewertet wurden und werden. Und dies ist wie einer vorweggenommenen Erkenntnis, was à la longue geschieht, wenn Künstliche Intelligenz demnächst auch das Rating bestimmt.