Ein Blick Backdoor

An dieser Stelle kommt das unvermeidliche Thema der Datensicherheit auf. Wir werden zu einem späteren Zeitpunkt hierhin zurückkehren und uns mit dem Thema aus einer sozialpolitischen Perspektive beschäftigen. Wir sind generell der Meinung, dass dieses Thema gleichwohl von zahllosen Autoren auf vielfältigste Weise betrachtet und kritisiert die eigentliche, die wirklich problematische Dimension nach wie vor verfehlt . Die Voraussetzung für die Erkenntnis, wie weitreichend und in der Sache problematisch der Missbrauch des Datenschutzes im Zusammenhang mit der Digitalisierung des Lebnensalltags der Menschen weltweit geworden ist, ist in den aktuellen Datenschutzrichtlinien von WeChat durchaus vermerkt. Dort steht: „Wir teilen Ihre Daten mit ausgewählten Empfängern, die über die rechtliche Grundlage und Zuständigkeit für die Anforderung solcher Daten verfügen. Zu diesen Kategorien Empfängern gehören: Regierungsbehörden, öffentliche Behörden, Aufsichtsbehörden, Gerichte und Gesetzesvollzugsbehörden … wir teilen ihre personenbezogenen Daten in unserer Konzerngruppe…“

Da also steht, dass die chinesische Regierung resp. die Verwaltungsorgane und staatlichen Behörden uneingeschränkten Zugriff auf die Daten haben und diese auch innerhalb des Tencent-Konzerns ausgetauscht werden. Dies ist Voraussetzung, aber keineswegs hinreichend für eine Erkenntnis, worum es beim Datenschutz bzw. beim offenen Zugang zu den Daten der chinesischen Bevölkerung geht. Dies erschließt sich allein aus dem Zusammenhang der individuellen mit der gesamtpolitischen bzw. politisch-ökonomischen Bedeutung der Digitalisierung des Bargelds. Betrachten wir die gesamtpolitische Bedeutung der Digitalisierung des Bargelds aus einer volkswirtschaftlichen Sicht, dann besitzt allein der chinesische Staat den Zugang zu allen mit bargeldlosen Transaktionen verbundenen Daten. Zur Erinnerung: wir haben in einem früheren Band bei der Analyse des Bargelds für die Fiskalpolitik darauf hingewiesen, dass das Bargeld in den westlichen Demokratien und Volkswirtschaften eben jenen Bereich markiert, in dem das „Money Proper“ sich dem staatlichen Zugriff entzieht, insofern es nicht zu „Money of Account“ liquidiert ist, also als eine Form des Buchgeldes in privaten Steuererklärungen, Banken- oder Unternehmensbilanzen erscheint. Kurz gesagt: was die Omi unterm Kopfkissen hatte, war dem Staat und so dem Fiskus nicht bekannt. Es war der ‚dark continent‘ des gesellschaftlichen Wohlstands, das individuelle Eigentum in Geldform und zugleich dem staatlichen Zugriff entzogen.

Dies war über Jahrhunderte, ja über Jahrtausende so und niemand nahm wirklich Anstoß öffentlich daran, war doch auch der persönliche Reichtum in der Form des Money Proper allenthalben Privatsache. Dies war die „natürliche Grenze“ der Universalität des Geldes, dass nicht der Staat universellen Zugriff auf das Geld seiner Bürger hatte, sondern die Liquidierung von Money Proper zu Money of Account in den Händen des Privatmenschen lag, sei es der Bürger Athens oder der Bürger der Industriegesellschaft. Zumal, wenn es rechtens erworben war. So gilt denn auch eine der illegitimen Anwartschaften des Staates auf das Geld der Bürger mit dem Hinweis der Bekämpfung von Schwarzgeld; wir haben dazu fast alles gesagt und kommen später darauf zurück. Kommen wir jetzt zurück auf die politische Beziehung zwischen Digitalgeld und chinesischer Politik. Die hat früh erkannt, dass die Gleichung aus universeller digitaler Infrastruktur einer Volkswirtschaft und wirtschaftlichem Wachstum als reziproke Elemente angesehen werden müssen. Das erkannte die chinesische Regierung nicht erst im Jahr 2015, als das Wirtschaftswachstum arg in Bedrängnis geriet. In diesem Jahr aber erkannte die Regierung den Wettbewerbsaspekt der Digitalisierung und löste dadurch eine gigantische Förderung der neuen Technologien aus, besonders durch die Förderung von Start-ups im Pekinger Stadtviertel Zhongguancun, dem chinesischen Silicon Valley. Dort allein wurden in kürzester Zeit vier Millionen Unternehmen gegründet, das waren damals ein neues Start-up in gerade einmal sieben Minuten. Diese Gründungswelle kam natürlich nicht zustande, ohne staatliches Geld. Dass nun der chinesische Staat ein vitales Interesse daran hatte, die wirtschaftliche Entwicklung dieser Unternehmen abzubilden, ist leicht einsehbar, zumal wie man weiß, auch in China nicht nur die Gründungsinvestitionen zählen, sondern auch und in ganz besonderem Maß die Geldsummen, die dann benötigt werden, wenn Start-ups in die Marktphase wechseln. Und dieser Wechsel geschah derart dynamisch, dass eine Abbildung der Wirtschaftlichkeit der neuen Unternehmungen, ohne digitale Aufzeichnungssysteme unmöglich gewesen wäre.

Wir in Europa und den anderen Industriestaaten der Welt mit marktwirtschaftlicher Orientierung sind es seit Hunderten von Jahren gewohnt und können es uns kaum bis nicht vorstellen, dass Schulden, private wie öffentliche, einmal ohne die sogenannten Sicherheiten vergeben werden. Sicherheiten oder Pfänder sind die Grundlage des Kredit- und der gesamten Finanzsysteme der verschiedenen Marktwirtschaften, das haben wir ausführlich dargelegt. Selbst staatliche Schulden sind bislang nur denkbar, wenn entsprechende Pfänder bereitgestellt werden können, und wir haben ein langes Kapitel diesem Zusammenhang von Kredit und Pfand im Rahmen der vergangenen Griechenland- und Euro-Krise gewidmet (Band IV. Kap. 3). Wir nehmen also an dieser Stelle den Gedanken wieder auf und verknüpfen ihn nun mit der Digitalisierung, genauer der Digitalisierung des Bargelds.

Wieder zurück nach China. Digitalisierung wie wir sie in diesem Zusammenhang verstanden wissen wollen, trägt das gesamte Konsumverhalten einer Gesellschaft und ist somit die Basis der Reproduktion einer Volkswirtschaft. Hier sehen wir auch sogleich den großen Unterschied, den WeChat von Tencent gegenüber etwa Facebook und WhatsApp ausmacht. War WeChat einst eine eher belächelte Kopie von Facebook, so ist es heute mit diesem nicht mehr zu vergleichen und technologisch wie funktional seinem „Vorbild“ enteilt. WeChat ist in der Welt der Konsumtion universell und omnipräsent. Es verbindet die „analoge“ Welt der stationären Geschäfte, des traditionellen Konsums, mit der Welt des digitalen Konsums. Es ist insofern universell und omnipräsent zugleich, als es nicht einmal nur Konsum in digitalen Shops, auf elektronischen Plattformen wie etwa Amazone erlaubt, sondern wie gezeigt über QR-Codes die analoge Welt mit der digitalen nahtlos verbindet. Die Plattform-App WeChat ist im Kern nicht mehr bloß eine Kommunikations- und Wissensfunktion, über die Nachrichten, Bilder, Kontakte usw. ausgetauscht werden können. Sie ist über die digitale Bezahlfunktion zur universellen Konsumplattform aufgestiegen, die das gesamte Konsumverhalten einer riesigen Volkswirtschaft wie der Chinas verändert hat. Und mit der sog. Backdoor, der Verbindung der Kommunikations-, Wissens- und Konsumdaten mit Regierungsbehörden, öffentlichen und Aufsichtsbehörden ist die Plattform nun Teil der digitalen Staatsökonomie in China geworden, was weitreichende Konsequenzen nicht nur im Inland hat, sondern auch im ökonomischen Wettbewerb mit den Marktwirtschaften der Welt.