Natürlich wuchs in der Folge der Finanzkrise das Gezänke zwischen Mainstream und Heterodoxie um den richtigen theoretischen Zugang zur nationalen Volkswirtschaft. Methodendebatten und, meist von jüngeren Nachwuchswissenschaftlern gefordert, ein breiterer Zugang zum Fach mit Berücksichtigung nahe gelagerter Wissenschaften wie Soziologie, ein wenig Philosophie etc. fanden ihren Zugang zum internen Diskurs.
Dabei ist man aber dem Dilemma auf der Methodenseite willentlich oder unwillkürlich nicht näher gekommen; beides nahe an der Blamage. Gegen eine breitere Aufstellung der Wissensbasis lässt sich wohl auch kaum etwas sagen, aber auch dieser Vorschlag dürfte dem dilemmatischen Selbstverständnis der wissenschaftlichen Ökonomie zum Opfer fallen. Sie hat nun mal den Weg als Einzelwissenschaft eingeschlagen, sich der mathematischen Methodik voll und ganz anverwandelt und darauf ihr Selbstverständnis von empirisch gesicherten Erkenntnissen, von wissenschaftlicher Verlässlichkeit und Objektivität begründet.
Es ist ja schon eine alten Binsenweisheit, dass naturwissenschaftliche Methoden in humanen Zusammenhängen so ihre eigenen, unbeabsichtigt Staunen hervorrufenden Schwierigkeiten offenbaren können. Als im Jahr 20151 das irische Statistikamt bekanntgab, dass das Bruttoinlandsprodukt im selben Jahr um sage und schreibe satte 26 Prozent gestiegen sei, ging der Schreck durch alle Glieder der weltweiten Wirtschaftsstatistik-Gemeinschaft. Aufgescheucht versuchte die internationale Statistik-Community nur kurz den Versuch, diese unadelige Abweichung der Zahlen von Normalnull der realen Produktionsentwicklung zuzuschreiben, aber das war schnell vom Tisch. Man betrachtete die Datenerhebung und Auswertung und kam zu dem Schluss: alles war korrekt nach den Vorgaben der internationalen Statistik-Konventionen ermittelt worden.
Wenn dem so sei, dann kann es mit den Statistik-Konventionen nicht so recht bestellt sein, was wiederum die Statistiker eilig in eine Kommission zusammen rief, um nach der Lösung dieses ach so beschämenden irischen Zahlenwerks zu suchen. Und wie immer in solchen Fällen, wird nicht die Methode auf den Prüfstand gestellt, sondern ein methodischen Element. Und kurze Zeit später konnte die Community freudestrahlend einen neuen Wert, eine neue Maßzahl für die irische Wirtschaft verkünden: aus dem BIP wurde GNI, das irische Bruttonationaleinkommen.
Diese neue Kennzahl war netterweise fast um ein volles Drittel kleiner als das irische BIP, befreite die Statistik vom peinlich wilden Schwanken, mit dem ja eine überhohe Volatilität unterstellt hätte werden müssen, die schon nahe an die Instabilität einr Volkswirtschaft eines Entwicklungslandes gerührt hätte.
So kamen zunächst einmal alle ins Ausland transferierten Einkommen in Abzug und so blieben die Gewinne der Tochterunternehmen von ausländischen Unternehmen, anders als beim BIP, wo sie der nationalen Wertschöpfung zugeschlagen worden sind, von dieser unberücksichtigt.
Und da man nun einmal dabei war, wurden im Zuge dessen auch die Gewinne von Unternehmen, die zwar ihren rechtlichen Hauptsitz in Irland haben, deren Eigentümer im Ausland sitzen und deren Produktion auch überwiegend im Ausland stattfindet, substrahiert, bzw. nicht in die nationale Wertschöpfung verbucht, weil diese Unternehmen ja lediglich aus fiskalischen Gründen sich irisch nennen.
Oben drauf packten die Statistiker auch noch Patente und Lizenzen sowie Leasingabschreibungen, die bei den großen US-Companies wie etwa Microsoft Ireland Operations Ltd. und anderen bekannten Namen aus der IT- und Kommunikationsbranche heftig ausfallen können.
Ganz nach dem Motto, irisch ist nur, was den Iren pekuniär nutzt, tat die Kommission nichts unehrenhaftes, zumal der neue US-Präsident auch öffentlich damit drohte, alles zu unternehmen, damit die im Ausland verbuchten Gewinne heimgeholt und dem US-Fiskus zugeführt werden müssten. Dem Mann mit der bloden Tolle sollte man besser glauben und so sagten sich die Iren, dann raus aus den Büchern mit den Gewinnen, ob kurzfristige oder langfristige.
Nun wird das quartalsweise ermittelte, neue irische Bruttonationalprodukt, auch weiterhin noch so errechnet, wie zuvor, nämlich durch formalisierte, elektronische Verfahren, die nicht in der Lage sind, politische Entscheidungen adäquat zu berücksichtigen wie auch nicht zwischen tatsächlichem und sogenanntem intangiblen Kapital unterscheiden zu können. Die Sache mit den mathematisch-statistischen Verfahren ist und bleibt verfahren, insofern sie sich an einem Ideal orientiert, das zwischen einer Wirklichkeit und seiner formalisierten Repräsentanz nistet. Es ist leidenschaftlich verbunden mit ‚Wenn-Dann-Sätzen‘, deren Ändrungen aber möglichst selten in der Wirklichkeit stattfinden sollen.
Wenn Irland ein normales Land wie alle anderen wäre, dann würde es sich wohl kaum jemandem erschließen, warum hier, anders als überall dort, zur Beurteilung der Stabilität öffentlicher Finanzen der einheimische Schuldenstand nicht auf das BIP anstatt des neuen GNI bezogen werden sollte?
Wenn sich in Irland wie in anderen Ländern Großunternehmen ansiedeln, warum sollte nicht hier wie in allen anderen Ländern dies auch mit dem bilanziellen Geschäftsjahr und der Hinzurechnug des mitgebrachten Kapitalstocks geschehen? Natürlich wird dann ein erkläglichen Sümmchen der irischen Volkswirtschaft mit einem Mal hinzu addiert, was dramatische Ausschläge kaum vermeiden kann und sich ebenso natürlich auch auf die Seiten, wo Importe und Investitionen stehen in dicken Summen wiederspiegelt?
Wenn Irland ein normales Land wäre, dann könnte es wie alle anderen es auch tuen, auf das Geld, das ausländische Unternehmen auf der grünen Insel verdienen, dieselben Steuern erheben wie für irische Unternehmen. Das hätte auch den Vorteil, dass mit der Knete auch die nicht unerheblichen Staatsschulden des Landes abgetragen werden könnten, was auch zu einem besseren Rating und damit zu einer besseren Refinanzierung der Staatsausgaben führen würde, ganz zu schweigen von einer ganzen Reihe anderer Vorteile; und hier würde es sich nicht einmal um die vielgehasste Austeritätspolitik made in Germany handeln.
Da aber Irland kein Staat wie jeder andere in der EU ist, zwar zum EURO, aber nicht zum Schengen-Raum gehört, hat die irische Politik beschlossen, ein Steuerparadies zu werden und zu den wirtschaftpolitischen Vorteilen gleich noch zweimal zusätzlich zu verdienen. Einmal durch den EURO-Wechselkurs und durch Draghis unermüdlich vorgetragenes ‚Frau-Holle-Prinzip – das sich hoffentlich nicht in den nächsten Jahren als Märchen herausstellen wird, wofür aber vieles spricht. Günstiger Wechselkurs und günstige Zinsen spülen Summen in Irlands Kassen und die nur formal ausgewiesen ausländischen Einkommen, die ja deshalb nur formal zu Buche schlage, weil sie ja tatsächlich gar nicht in
[sidebar]
[title]Begriffe – Anmerkungen – Titel – Autoren[/title]
1 Zum GNI vgl. Norbert Häring – in Handelsblatt print: Nr. 140 vom 24.07.2017 Seite 012 / Wirtschaft & Politik
Norbert Häring (* 1963, Aalen)
[/sidebar]