Ausweg – nicht in Sicht

Ein „geordneter“ Fall der Profitrate wäre in den letzten zweieinhalb Dekaden japanischer Wirtschaft und Politik vielleicht besser gewesen, als das, was heute mit dem wenig schönen, aber durchaus die Sache vollends treffenden Ausdruck „Abenomics“ beschrieben wird. Darin verbinden sich Politik und Ökonomie unter dem politischen Primat auf höchst spezielle Weise, die ein Denken umschreibt, welches jeden Bezug zur wirtschaftlichen Realität, insofern sie sozialen Ausgleich, um nicht den Begriff Gerechtigkeit zu benutzen, anstrebt, verloren hat.

Die japanische Geldpolitik hat den Patienten weder geheilt, noch nicht einmal ruhig gestellt. Sie hat wirtschaftspolitisches Kamikaze veranstaltet, dem nicht nur nationale, sondern auch internationale Wirtschafts- und Finanzmarktstrukturen zum Opfer gefallen sind. Die Kosten dieser Politik sind für weite Teile der japanischen Bevölkerung, sowohl der erwerbstätigen wie der nicht-erwerbstätigen Teile immens.

Eine Rettung marktwirtschaftlicher Strukturen ist nicht gelungen; im Gegenteil. Protektionismus bis hin zu Vetternwirtschaft und Korruption haben sich ausgebreitet. Im Zerfall der großen Weltkonzerne sind die Triebkräfte der einstigen japanischen Form der Marktwirtschaft, Innovationskraft und internationale Wettbewerbsfähigkeit, stark versandet. Eine schleichende Verstaatlichung von Banken, großen Teilen der Industrie und des Nachfragesektors generell durch Umverteilung und Differenzierung von Löhnen und anderen Einkommensarten wirkt sich geradezu bremsend auf den Wettbewerb und auf die Erneuerung der Wirtschaft aus sich selbst heraus aus.

Verheerend sind die Anschläge auf die Verbindung von Zinsen und Haftung. Die uralte Gewissheit, dass, wer einen Kredit nimmt, auch für die Rückzahlung haftet, dass also ein „Vertrag“ zustande kommt, dessen Verbindlichkeit in der Summe und dessen Risiko sich im Zins ausdrückt, ist dahin. Zinsen signalisieren in Japan und seit der Bankenkrise in den USA und Europa längst kein Risiko mehr, nicht mehr überall und in jedem Fall, und von einer verbindlichen Haftung, wie es die Privatwirtschaft zweifelsohne und unbedingt als Bestandtteil eines haftungs- und justiziablen Vertrages zwischen ehrbaren Parteien voraussetzt, ist keine Rede mehr1.

Und so trennt auch der Zins nicht mehr gute von schlechten Schuldnern, nicht mehr gute von schlechten, sprich riskanten Investments. Das erinnert nicht zufällig an staatsmonopolitische Wirtschaftssysteme. Es ist nicht der tendenzielle Fall der Profitrate, sondern die Tatsache, dass eine sehr gut ausgebildete, höchst arbeitsame und produktiv arbeitende Bevölkerung nun seit mehr als 25 Jahren im Hamsterrad läuft, das sich einer anmaßenden und ineffektiven Abenomics verdankt, dass staatsmonopolistische Gedanken inmitten einer kapitalistischen Marktwirtschaft laut werden2.

Konträr zur veröffentlichten Expertise, folgt das niedrige Zinsniveau nicht der Logik einer Wachstumsschwäche, die in der Verschiebung der Alterspyramide, also mithin in den geburtenschwachen Generationen eine Ursache findet, sondern just umgekehrt einen Sinn ergibt. Man kann am japanischen Modell leicht erkennen, wie weit eine Politik des billigen Geldes umfassende Auswirkungen auf das Dasein der Menschen hat und nicht nur, was deren materielle Lebensverhältnisse betrifft.

Und wie gleicht doch das japanische Modell in wesentlichen strukturellen Bereichen dem europäischen, das wir zur Zeit erleben dürfen. Hier wie dort wurden mittels fehlgeleiteter Geldpolitik marode Banken gerettet bzw. weiter finanziert. Und daran ändern auch keine „Quoten-Pleiten“ in Italien oder sonst wo. Unrentable Unternehmen und ihre überforderten Unternehmenslenker werden über ihren tatsächlichen Bilanztod am Leben erhalten, ein paar der angestellten „Pleitiers“ werden verklagt, um dann gegen ein Trinkgeld an die Cote Azure oder ins Schweizer Asyl entlassen zu werden. Unser Rechtssystem ist für solche Belange, bei Insolvenzen oder anderen schädlichen Unternehmensentscheidungen nach Haftungsmissbrauch zu suchen, sie zu verurteilen, schwerlich, wenn nicht ganz ungeeignet – dazu später mehr.

In Europa wie in Japan stellen wir eine äußerst berohliche Immobilienblase in den wirtschaftlichen Ballungszentren fest. In Hamburg, München, Paris und London, um nur einige zu nennen, können Arbeiter und Angestellte der Mittelschicht Wohnungen kaum mehr bezahlen, weder zur Miete noch in einem sinnvollen Zeitraum der Kreditrückzahlung bei Kauf einer Immobilien.
Hier wie dort wachsen die sozialen Verwerfungen durch viel zu extreme Einkommensdifferenzierung. Hier wie dort schmelzen private Spar- und Versicherungsvermögen zur Vermögens- und Altersicherung wie Speiseeis in der Hochsommersonne. Und wer garantiert, dass es keine staatlich legitimierten und verordneten Zugriffe auf private Immobilien- und Sparvermögen in Zukunft gibt?

[sidebar]
[title]Begriffe – Anmerkungen – Titel – Autoren[/title]

AbenomicsZinsen und Haftung


1 Vgl. Heinsohn, Steiger: Eigentum, Zins und Geld, Marburg 2002.
2 Heute sprechen wir ungern von staatsmonopolistischen Vorgängen. Wie aber anders sind die politischen Entscheidungen der G20 Staaten seit der letzten großen Finanzkrise 2007-2008 zu nennen, nach den, laut Analyse des IWF (Internationale Währungsfonds) 2017, eine neuerliche Finanzkrise fast unausweichlich ist. In seinem neuen Stabilitätsbericht hat die Verschuldung von Regierungen, Haushalten und Industrieunternehmen in den 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländern (G20) einen Wert von 135 Billionen Dollar erreicht. Das entspricht 235 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung (BIP) – und ist ein neuer Rekord. Und die eigentlichen Akteure des neuerlichen Schuldensogs sind die im Auftrag der Regierungen handelnden Notenbanken wie diese auch zugleich auch den Finger am Auslöser der nächsten Krise haben. Denn ein zu abrupter Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik könne eine Vertrauenskrise mit steigenden Renditen, stark fallenden Aktienkursen und einem Einbruch der Weltwirtschaftsleistung auslösen. (Vgl. Handelsblatt vom 12.10.2017)


[/sidebar]