Das Mißverständnis vom Wettbewerb liegt historisch bedingt in der Verwechslung von Kokurrenz und Wettbewerb. Marx kannte den Begriff Wettbewerb nur in seiner Bestimmung als Konkurrenz. Für ihn war das Geschehen auf den Märkten geprägt von der auf Masse bzw. Menge und Automatisierung, also durch forcierten Einsatz von Technik bedingten, industriellen Produktion und entsprechend mechanistisch war auch sein Denken. So stellte er einen direkten Bezug her zwischen Konkurrenz und fixem Kapital, also Maschinenleistung.
Nach Marx hat der Kapitalist ein enormes Interesse daran, die Umschlagsgeschwindigkeit seines Kapital zu erhöhen, da dies die Produktion eines größeren Mehrwerts bei gleichem Kapitaleinsatz bewirkt. Ebenso gilt der Fall, dass der Kapitalist durchaus glücklich ist, einen gleichen Mehrwert bei geringerem Kapitaleinsatz zu erzielen. Warum nun der so bestimmte Kapitalist beide Möglichkeiten nicht optimal nutzen kann, liegt, nach Marx, an den objektiven Tendenzen, die dem entgegenwirken, nämlich der sich aufgrund der zunehmenden Konkurrenz erhöhende Anteil an fixem Kapital bei der Warenproduktion.
Und so spricht Marx (eigentlich, so widerspricht sich Marx) auch, dass das entscheidende Motiv für die Steigerung der Produktivkraft allerdings nicht die Erhöhung der Mehrwertrate, sondern die „Zwangsgesetze der Konkurrenz“1 sind.
Was aber auf den Märkten innerhalb einer marktwirtschaftlichen Ökonomie tatsächlich passiert, kann nicht aus der damals wohl bestorganisierten und stabilsten Feindschaft aller Zeiten von Großunternehmen mit monoplistischen Ambitionen untereinander und kleineren und mittleren Unternehmen abgeleitet werden. Die Konkurrenz damals belebte in Wirklichkeit gar nicht das Geschäft.
Mehr als diese belebte – wenn denn schon – die Konkurrenz zwischen Ost und West das Geschäft. Binnen vier Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg hat der politische Kernkonflikt ein historisches Rekordhoch an Wohlstand, Wachstum und Innovation im Westen Europas und der USA ausgelöst. In dieser Zeit entfaltete sich die Konsumgesellschaft und der Wohlfahrtsstaat und liegt auch der Beginn der Digitalisierung, der Beginn der Transformation vom Industriekapitalismus zur Wissens-, besser gesagt zur heutigen Plattformökonomie. Und das Mittel zum Erfolg war nicht Konkurrenz, sondern Wettbewerb.
Konkurrenz bedeutet aufenander losrennen, oder anders gesagt, das andere Unternehmen auf dem Markt beseitigen, zumindest so schwächen, dass es kein Konkurrent mehr ist. Hier geht es um Sieg und Niederlage und die Strategie, wie dieses Ziel zu erreichen ist. Die Nivellierung von Unterschieden, wie sie auch in der Masssenfertigung hervorgebracht wird, setzt sich als Marktmechanismus durch. Ein Produkt, ein Preis, ein Anbieter mit größtmöglicher Marktdominanz, das ist Konkurrenz
Wettbewerb in einer Marktwirtschaft aber funktioniert ganz anders. Hier werden Märkte segmentiert, werden Preise durch mehrere Anbieter differenziert, werden Kundengruppen und Unternehmen eng zusammengebracht, gibt es einen Transfer von Kundenbedürfnissen zum Unternehmen wie umgekehrt. Es geht nicht um Sieg oder Niederlage, sondern um eine „faire“ Auseinandersetzung zwischen Unternehmen, an der Unternehmen auf spezielle Art und Weise wachsen, indem sie Kundenwünsche besser verstehen, schneller, einfacher, günstiger zufrieden stellen.
Wettbewerb ist weder ein Zweikampf wie zwischen Porsche und Piech, kein Duell wie im Wilden Westen. Wettbewerb ist eine Grundbedingung für faires Markttreiben, unter der jedes Unternehmen seiner eigenen Strategie, Wachstums, – Wert- oder Marktanteilsstrategie u.a. nachkommen kann. Wettbewerb wird dann ausgesetzt, wenn Ressourcenknappheit herrscht. Deshalb sind die Globalisierung des Handels wie die weltweiten Handelsabkommen für einen fairen Wettbewerb auch so wichtig. Weltweiter Handel gelingt nicht mit Rivalität bis aufs Blut, nicht neben politischen und militärischen Machtkämpfen und Kriegen, nicht mit Organisationen, einer strikt hierarchischen Kultur folgen.
Weltweiter Handel gelingt heute stets dort besser, wo Handelsabkommen einen fairen Wettbewerb unter mehreren Wettbewerbern ermöglicht. Überraschenderweise sehen wir heute eine Renaissance von Konkurrenzdenken in Politik und Wirtschaft, ein Erstarken von Renationalisierung inmitten schneller fortschreitender Globalisierung, von Machtdenken und -posen, die Orientierung durch „angeborene Führungsqualitäten“ versprechen.
Der alten Mythos des: divide et impera, teile und herrsche scheint wieder in Mode zu kommen. So regierte der französische König Ludwig XIV absolutistisch, indem er die Opposition im eigenen Lande teilte, deren Konkurrenz untereinander schürte, um sie dann, geschwächt noch internen Kämpfen zu liquidieren. Auch zentralistische Unternehmen arbeiten nach diesem Muster bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhundert, bis auf den USA eine Welle der Dezentralisierung auch Europa erreichte. Gleichzeitig wuchs der Kapitalbedarf der Unternehmen im globalen Wettbewerb und konnte allein noch durch größere Anteilsverkäufe an Investoren oder durch IPOs gesichert werden.
Das bewährte Konkurrenz- und Machtmodell, dass vor allem in den großen deutschen Gründer-Familien-Unternehmen herrschte, hatte ausgedient. Dieser „Königsmechanismus“2 funktioniert unter marktwirtschaftlichen Wettbewerbsbedingungen schnell nicht mehr. Wettbewerber wehren sich, lassen sich nicht unterkriegen, wissen, was sie wollen und wie sie Potenziale auf den Märkten für sich finden.
Marktanalysen zielen nicht darauf ab, sich mit anderen Unternehmen „gleich“ oder ähnlich zu machen, sondern suchen Differenzierung. Sie gehen aus von einer Vielfalt an Bedürfnissen, von Wechsel und Veränderung von Interessen und materiellen Möglichkeiten, von Durchlässigkeit und prinzipieller Offenheit gesellschaftlicher Ordnungen.“Wandel durch Annäherung“ war damals der politisch vielleicht nachhaltigste Ausspruch dieser Zeit.
Unternehmenslenker, die dem Königsmechanismus der Konkurrenz auf dem Leim gingen (und gehen) kennen nur Verdrängung von Unternehmen von ihren scheinbar angestammten Märkten und Bereinigung von Märkten. Sie nehmen im Preiskampf lieben lange Phasen von Verlusten in Kauf, als sich einem fairen Wettbewerb zu stellen; insofern sind sie dumm. Sie sind der Inbegriff des Homo oeconomicus als herzloses, stets kalulierendes Wesen, dessen Marktkalkül der strategische Sieg über den Konkurrenten ist.
Das von dem Mathematiker John Nash formulierte Nash Gleichgewicht aus den Anfängen der Spieltheorie hatte in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts unter der Methode des sog. „Benchmarking“4 weitreichende Folgen in der modernen Unternehmensführung. Nashs Formel unterlegte ein Denken, dass davon ausgeht, dass jedes Unternehmen alles dafür tut, um seine Möglichkeiten und Interessen so gut wie möglich zu sichern, indem es aber dabei gleichzeitig auch so viel wie möglich vom Wettbewerber lernt. Dieser wird aber also nicht auf ein Feindbild reduziert, wie beim Konkurrenzdenken. Der Wettbewerber dient im Benchmarking gleichsam als Leitbild, das man aber nicht stur kopiert, sondern mit den eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten vergleicht.
Benchmarking wurde so zu einem Ansatz, bei dem ein Unternehmen seine Marktchancen und -möglichkeit herausfinden und eine eigene, nicht-konfrontative Strategie verfolgen kann, ohne externe Einflüsse weder zu hoch zu bewerten noch zu ignorieren. Benchmarking ist daher auch nie ein abgeschlossener Zustand, sondern ein stets sich erneuernder Anpassungsprozess an Märkte mithin ein Gleichgewicht, das man im Idealfall immer wieder neu in der Unternehmensgeschichte findet.
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[title]Begriffe – Anmerkungen – Titel – Autoren[/title]
Die Zwangsgesetze der Konkurrenz – „Königsmechanismus“ – Benchmarking
1 MEW 23, S. 335
2 Norbert Elias: Die höfische Gesellschaft: Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie. Suhrkamp Verlag, 1983, ISBN 978-3518280232.
3 John Forbes Nash: Non-cooperative games, Dissertation, Princeton University 1950.
Das Nash-Gleichgewicht, oder im Englischen Nash-Equilibrium, steht für eine Spielsituation, in der keiner der Spieler sich durch eine Änderung seiner Wahl verbessern kann. Man sagt deshalb auch, dass diese Situation zu einem gewissen Grad „stabil“ ist. Zu einem Nash-Gleichgewicht kommt es, in dem alle e Spieler eine beste Antwort auf das Verhalten der Gegenspieler spielen. Deshalb nennt man das Nash-Gleichgewicht auch oft strategisches Gleichgewicht.
4 Benchmarking: Instrument der Wettbewerbsanalyse. Benchmarking ist der kontinuierliche Vergleich von Produkten, Dienstleistungen sowie Prozessen und Methoden mit (mehreren) Unternehmen, um die Leistungslücke zum sog. Klassenbesten (Unternehmen, die Prozesse, Methoden etc. hervorragend beherrschen) systematisch zu schließen. Grundidee ist es, festzustellen, welche Unterschiede bestehen, warum diese Unterschiede bestehen und welche Verbesserungsmöglichkeiten es gibt (Gabler).
Norbert Elias (* 22. Juni 1897 in Breslau; † 1. August 1990 in Amsterdam)
John Forbes Nash, Jr. (* 13. Juni 1928 in Bluefield, West Virginia; † 23. Mai 2015 nahe Monroe Township, New Jersey)
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