Der König ist tot. Das sei nach von Hayek und Schumpeter die wichtigste Funktion des Wettbewerbs. Bevor wir uns der Frage annehmen, ob der Satz in der bekannten Weise weitergeht, also: Der König ist tot. Es lebe der König, oder ob wir es tatsächlich mit Revolutionen von Innen heraus, aus der Marktwirtschaft selber zu tun haben, müssen wir selbstverständlich uns mit den vermeintlichen und eigentlichen Veränderungen dieses Vorgangs sui generis beschäftigen.
Dabei wollen wir nicht nur Veränderungen beschreiben, sondern zunehmend im Verlauf der Betrachtung auch bewerten. Bewerten aber nicht, indem wir ein soziales oder politisches Wertmaß quasi von außen an den Prozess anlegen, sondern auf das achten, was in diesem Prozess tatsächlich geschieht. Ohne an dieser Stelle eine Methodendiskussion vorweg zu schicken, wollen wir lediglich einzelne Pänomene der Veränderung heller beleuchten. Die Methodendiskussion ist an dieser Stelle nicht notwendig. Sie kommt aber beizeiten.
Was ist das Maß, wenn es keine Mitte mehr gibt? Bislang war es informell ausgemacht, dass die Mitte auch die gute Mitte ist. Dass also Mehrheiten die Geschicke bestimmen, wirtschaftlich, politisch und sozial. Die politische Macht ist eine demokratische Macht, also durch die Mehrheit des Volkes bestimmt. Alle Repräsentationen dieses Prinzips sind Ableitungen von Mehrheitsorientierung, von common sense1.
Marktwirtschaft bezeichnet das wirtschaftliche Handeln der Menschen im Sinne des common sense und der Wettbewerb ist dessen Triebfeder. Der deutsche Politiker, Jurist und Ökonom Franz Böhm, ein wichtiger Vertreter der Sozialen Marktwirtschaft und des Ordoliberalismus, nannte den Wettbewerb das großartigste Entmachtungsinstrument der Geschichte:
„Bei Wettbewerb hat man die Möglichkeit, sich der Macht eines Arbeitgebers, eines Staates, eines Produzenten zu entziehen durch die Abwanderung zu einem anderen Mitbewerber.“2
Wettbewerb ist also schlecht für Könige, Väter und andere Etablierte. Aber gut für Erneuerer, Non-Konformisten und Talente. Wenn dem so sei, wozu dann noch Revolutionen?
Was also, wenn nicht die öffentlichen Straßen und Plätze Bühne der großen Revolution, sondern die Heimstätten der Unterdrückung und Ausbeutung selbst Schauplatz fortschreitender Evolution der Marktwirtschaft wären? Was, wenn der Klassenkampf nicht öffentlich in den Städten, sondern über den Wettbewerb ausgetragen würde? Und somit auch das „revolutionäre Bewusstsein“ aus den Innovationsprozessen mehr, als aus den Widersprüchen von Kapital und Arbeit herrührte?
Weder bricht der Wettbewerb schnell und dann auch noch auf breiter Front aus sich selbst hervor. Vielmehr braucht Wettbewerb Zeit und kommt schon gar nicht von selbst. Den Wettbewerb gibt es nicht als schlummerndes Wesen, als eine Art Entität im Wartestand.
Adam Smith, der moralphilosophische Vater des Kapitalismus, genauer gesagt, der Begründer der klassischen Nationalökonomie, sah den Wettbewerb als in der Natur des Menschen begründet. Eines Menschen, der arbeiten und tauschen will, weil es für ihn nützlich ist. In der Arbeit und im Tausch sah Smith die berühmte „unsichtbare Hand“ am Werke, eine lenkende Hand, die in einem freien Markt das Verhalten von Anbieter und Nachfrager zwar einerseits nur von ihrem eigenen Nutzen und egoistischem Gewinnstreben motiviert sah, gleichzeitig aber, indem sie sich marktgerecht verhalten, fördern sie – unbewusst – zugleich ein Allgemeinwohl, den „Wohlstand der Nation“3.
Smith bestimmt also die Beziehung zwischen dem einzelnen Menschen, insofern er Kapitalist, Arbeiter oder Verbraucher ist zum Gemeinwohl, hier das ökonomische Gemeinwohl, als eine innere Teleologie (unsichtbare Hand) der Marktwirtschaft. Die Summe also der Eigeninteressen der Erzeuger wie der Verbraucher werden optimal ausgeglichen und es entsteht eine wirtschaftliche Harmonie, die als Ziel dem Prozess von Erzeugung und Tausch von Waren innewohnt.
Wir wissen, dass Marx hier mit all seiner Vehemenz ansetzte und auf den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit und die daraus resultierende, ganz und gar unharmonische Beziehung zwischen Kapital und Arbeit im Sinne von Ausbeutung und Unterdrückung verwies. Gleichwohl, nun haben wir ein Stück Geschichte kapitalistischer Produktion hinter uns und der Wohlstand der Nation(en) hat sich, wie disproportional zu bewerten auch immer – enorm entwickelt. Und gleichwohl dieser Wohlstand aufseiten der westlichen, entwickelten Industrienationen ein Pendant in der Armut und Unterentwickeltheit der Entwicklungsstaaten zu haben scheint, ist der Nachweis einer Kausalbeziehung zwischen beiden auf ökonomischer Basis nicht immer leicht.
Homan wie Smith haben durchaus gesehen, dass, wenn immer die Gelegeheit gegeben ist, „Geschäftsleute des gleichen Gewerbes“ sich bei praktisch jeder Gelegenheit gegen die Öffentlichkeit „verschwören“, indem sie Absprachen über Preise und ihre Produktion treffen. Von Gemeinwohl kann hier also so keine Rede sein.
Smith glaubt an ein „System der natürlichen Freiheit“, das auf der Grundlage von Privateigentum und freiem, fairen Handel und Tausch basiert und vom „Staat garantiert“ werden muss, insofern Individuen und Gruppen teils in Konflikt mit einander geraten. Diesem aristotelischen Denkansatz einer „politie“4 folgt also Adam Smith und eben hier findet Marx seinen Einlasspunkt einer Überwindung der kapitalistischen Produktion durch die Überwindung des Privateigentums, besonders an den Produktionsmitteln.
Die Frage aber bleibt in Richtung Wettbewerb. Ist der marktwirtschaftliche Wettbewerb tatsächlich eine Überwindung der industriekapitalistischen Kokurrenz? Und, ist Wettbewerb kausal verbunden mit der Akkumulation von Kapital, oder, grundlegender gefragt, mit dem Privateigentum? Sind als Privateigentum und Wettbewerb nur in Beziehung zueinander zu sehen, oder hat das eine mit dem anderen nur akzidenziell etwas zu tun?
Homan verweist auf Smith, indem er die unerlässlichen Rahmenordnungen zitiert, die letztlich darüber entscheiden, ob Wettbewerb stattfindet, oder sich in Konkurrenz verwandelt. Gleichzeitig aber implizieren beide Denkansätze, dass jeder Mensch, so er Unternehmer ist, ein Monopol anstrebt, also niemand wirklich den Wettbwerb schätzt.
Zwei unvereinbare Denkansätze gegen hier durcheinander. Ein anthropologischer und ein historischer. Und dann ist die Argumentation wettbewergsspezifisch inkonstitent. Denn letztlich geht es bei beiden Autoren darum, den Wettbewerb zu gewinnen, was, wie wir vorher sahen, einem Konkurrenzverhalten gemein ist. Dort will der Sieger nicht aufhören zu siegen, verteidigt seine Position im Markt mit allen Mitteln, will so viel mitnehemn wie nur geht.
Das ist Konkurrenz in Reinkultur und beschreibt in diesem Doppel von Anthropologie und Geschichte einen Prozess, der so nie wirklich stattgefunden hat. Denn Konkurrenz entsteht nicht aus Wettbewerb. Der Wettbewerb ist kein Vorspiel zur Konkurrenz. Er folgt einer ganz anderen Logik und Wirklichkeit.
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[title]Begriffe – Anmerkungen – Titel – Autoren[/title]
die „unsichtbare Hand“ (Adam Smith)
1 Thomas Paine: Common Sense. Deutsch v. Lothar Meinzer. Reclams Universalbibliothek, Band 7818. Reclam, Stuttgart 1982 ISBN 3-15-007818-0
2 Vgl. Franz Böhm: Wettbewerb und Monopolkampf. Eine Untersuchung zur Frage des wirtschaftlichen Kampfrechts und zur Frage der rechtlichen Struktur der geltenden Wirtschaftsordnung. Berlin 1933.
3 Smith, Adam: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, Vol. I/ Vol. II. Printed for W. Strahn; and T. Cadell, in the Strand, 1776; erschienen im IDION-Verlag, München 1976 – Voll-Faksimile-Ausgabe
4 Die Politie (griechisch πολιτεία politeía) ist laut Aristoteles die Bezeichnung für ein Gemeinwesen, das von den Vernünftigen bzw. Besonnenen seiner Mitglieder gelenkt und geleitet wird. In Aristoteles’ Politik gehört die Politie zu den guten Herrschaftsformen, sie ist die legitime Mehrheitsherrschaft.
Thomas Paine, geboren als Thomas Pain, (* 29. Januar 1736/ 9. Februar 1737 in Thetford, England, Königreich Großbritannien; † 8. Juni 1809 in New York, USA)
Adam Smith (*16. Juni 1723, Kirkcaldy, Vereinigtes Königreich † 17. Juli 1790, Edinburgh, Canongate Kirkyard, Vereinigtes Königreich)
Franz Böhm (* 16. Februar 1895 in Konstanz; † 26. September 1977 in Rockenberg)
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