Der neue Handelsimperialismus

Imperialismus ist laut Duden das Streben von Großmächten nach einer (militärischen, politischen und wirtschaftlichen) Vormachtstellung, das mit rücksichtsloser, expansiver Politik durchgesetzt wird. Expansion muss keine territoriale Größe bezeichnen. Auch Ausdehnung politischer Macht etwa in exterritoriale Rechtsgebiete verträgt der Begriff als eine Bestimmung. Wenn wir also von einem neuen Handelsimperialismus sprechen, dann meinen wir neu im Unterschied zu den territorialen Expansionsbewegungen der europäischen Großmächte am Anfang des 20. Jahrhunderts, in deren Verlauf u.a. zahlreiche Kolonien gegründet wurden.
Heute bestimmen wir das imperiale Momentum im Handel als eine politische Grenzüberschreitung, bei der die Interessen der nationalen Volkswirtschaft gegen die ausländischer Unternehmen durchgesetzt werden.
Hierzu gehören sowohl auf nationalem Recht willkürlich gesetzte exterritoriale Sanktionsdrohungen, exterritorial wirksame, nationale Rechtsanwendungen, Verbote, Beschränkungen und Behinderungen usw., die alle zum Zwecke der Behinderung oder der völligen Suspendierung von Leistungswettbewerb dienen. Protektionismus ist also ein Teil davon und kein begriffliches Substitut.

Wozu dieser neue Handelsimperialismus führen kann, konnte man bereits im Fall des kanadischen Flugzeugbauers Bombardier beobachten. Die Kanadier verkauften 2017 die Kapitalmehrheit an ihrer C-Serie an Airbus – auch um den von Washington bereits angedrohten Strafzöllen von 300 Prozent zu entgehen. Airbus will die Jets nun in Amerika zusammenbauen. Das ist ganz im Sinne des Oval Office‘.

Die exterritoriale Wirkung von US-Sanktionen konnte man imm Jahr 1995 erleben, als die USA mit dem sog.“Helms-Burton-Gesetz“1 sein Handelsembargo gegen Kuba auch auf ausländische Unternehmen auszuweiteten. Oder mit dem „Iran Libya Sanctions Act“ von 1996, der den iranischen Energiesektor mit einem Embargo belegte und auch ausländische Firmen, die sich im Mullah-Staat geschäftlich engagierten, bestrafte.

Der neue Handelsimperialismus hat also nicht erst mit der Präsidentschaft von Trump begonnen. Sanktionen und Gegenmaßnahmen sind bereits seit zwanzig Jahren an der Tagesordnung. Die Europäer reagieren schon seit Jahren auf die Alleingänge der USA mit einer Anti-Boykott-Verordnung (EU 2271 96). Diese soll die europäischen Unternehmen davon abhalten, die von Washington installierten Sanktionen umzusetzen, soweit sie durch europäisches Recht nicht gedeckt sind. Im deutschen Außenwirtschaftsgesetz (Paragraf 7 AWG) findet sich eine nahezu gleichlautende Vorschrift. Zudem wollten die Europäer den Streit über exterritoriale US-Sanktionen auch vor dem Schiedsgericht der WTO klären lassen. Doch die USA blockierten das Vorhaben mit dem Hinweis, dass dies in die „nationale Sicherheit“ Amerikas eingreifen würde und die WTO deshalb darüber nicht zu befinden habe2.

Vollends entfaltet sich der neue Handelsimperialismus auf dem Finanzsektor. Mit dem sog. Patriot Act als eine der Auswirkungen des alles, auch offene Lügen bei der Begründung des illegitimen militärischen Einmarsches in den Irak legitimierenden Terroranschlags von 09/11 im Jahr 2001 verschärften die USA ihre Sanktionen vor allem gegen ausländische Banken.
Die französische BNP Paribas erhielt eine Rekordstrafe von fast 9 Mrd. US-Dollar, weil sie nach US-Recht verbotene Transaktionen mit Iran, Kuba und dem Sudan gemacht hatte. Man untersagte ihr weiterhin, ein Jahr lang, Dollar-Clearing-Geschäfte im Öl- und Gassektor vorzunehmen, was die Bank erheblich traf.

Da die USA mit dem Dollar über die Weltleitwährung verfügen, was heißt, dass viele Geschäfte nur oder überwiegend in Dollar abgewickelt werden, vor allem im Energie- und länderübergreifenden Bankensektor, und das Clearing von Dollar-Transaktionen grundsätzlich dem amerikanischen Recht unterliegt, sind die Durchgriffsmöglichkeiten der US-Politik hier besonders groß. Das haben auch die Deutsche- und die Commerzbank schmerzlich zu spüren bekommen.

Der Iran und alle mit dem Iran geschäftlich verbundenen Unternehmen spüren die US-Sanktionspolitik massiv. Die USA verbieten effektiv den Einsatz von Dollar in fast jedem Iran-Geschäft, was die meisten Banken, die ja auch Geschäfte in den USA tätigen und so sofort dem Durchgriff der US-Justiz unterliegen, bei der Handelsfinanzierung und der Geährung von Krediten an den Iran ausbremsen.

Selbst noch gar nicht angewandte, aber beschlossene oder auch nur angedrohte Sanktionen sedieren fast jede Geschäftstätigkeit mit dem Iran.
„Vielen Unternehmen wird gerade erst bewusst, dass sie möglicherweise einen US-Bezug haben und mit ihren Iran-Plänen somit unter die Genehmigungspflicht von der US-Behörde Ofac fallen.“…“Amerikaner sind da ziemlich erfinderisch. Und es gibt oft einen viel engeren US-Bezug, als man glaubt“4, denn es reicht bereits, wenn Mitarbeiter etwa in der Innovationsabteilung eines deutschen Autobauers mit Kollegen aus sanktionierten Staaten kooperieren, oder wenn Mitrabeiter US-Staatsbürger seien, eine US-Steuernummer oder Greencard hätten, das Geschäft in US-Dollar abgewickelt werde und damit das Clearing in den USA stattfinde. Selbst wenn nur Serverleistung aus den USA genutzt werde, könnte schon die US-Justiz aufgerufen werden.

Und was die ganze Situation noch erheblich erschwert, ist der Umstand, dass Unternehmen, die sich aus Angst vor schmerzhaften Strafen sich an US-Sanktionen halten wollen, anderseits aber mit deutschen oder europäischen Rechtsauffassungen in Konflikt geraten, wie etwa dem §7 Außenwirtschaftsgesetz.
In zunehmend mehr Fällen verlangt Washington bei US-Geschäften, dass ausländische Firmen sich nach dem amerikanischen Sanktionsrecht richten. Das Abgeben einer solchen Erklärung aber ist nach deutscher Außenwirtschaftsverordnung strafbar. Denn es verstößt gegen das Boykottverbot. Mit diesem Dilemma werden die Unternehmen meist alleingelassen.
„Das Thema ist in Unternehmen sehr präsent, das treibt sie um. Ich halte das aber für verfassungswidrig“, sagt Sanktionsexperte Kuhn. Das Boykottverbot sei juristisch nicht ausreichend transparent, und es gebe keine Rechtsprechung dazu.

Wir erkennen an diesen Sachverhalten, dass der Durchgriff der Politik auf die globalen wirtschaftlichen Handelsbeziehungen erheblich ist. Die Entwicklung der globalen Handelsbeziehungen ist der Entwicklung eines internationalen Rechts weitgehend enteilt und zwar eines internationalen Rechtssystems, dass zur Durchsetzung auch einer Machtorganisation bedarf, die sich der politischen Macht einzelner Staaten in Form von militärischer Macht und auch in der weltweiten Geld- und Finanzpolitik entgegensetzen kann. Ob diese Vorstellung einer Fortschreibung eines offensichtlich zur Genüge verbrauchten Status quo auf internationaler Ebene überhaupt praktikabel und auch zweckmäßig vernünftig ist, bedenken wir in einem späteren Kapitel.

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exterritoriale SanktionsdrohungenProtektionismus


1 Helms-Burton-Gesetz, benannt nach dem republikanischen Abgeordneten Jesse Helms und seinem demokratischen Kollegen Dan Burton. Dadurch verschärfte sich die US-amerikanische Blokkadepolitik gegenüber dem Iran, Irak und Libyen und vor allem gegenüber Kuba. Das Gesetz verkörpert eine neue Qualität amerikanischer Großmachtpolitik.
Zuvor bestimmte die Exekutive über die einzelnen Sanktionen, nun haben sie Gesetzescharakter. Besonders brisant sind die Kapitel lll und IV des Gesetzes. Darin ist die exterritoriale Ausweitung der Sanktionen auf Drittländer und internationale Finanzorganisationen festgeschrieben. Mit anderen Worten: Amerikanisches Recht bricht internationales Recht und schränkt die staatliche Souveränität anderer Länder ein. Allein der Präsident der Vereinigten Staaten kann die angedrohten Strafmaßnahmen halbjährlich aussetzen, was er regelmäßig getan hat. Zeit Online vom 23. Januar 1998

2 Vgl. Handelsblatt print: Nr. 203 vom 20.10.2017
3 Clearing: gegenseitige Auf- und Verrechnung von Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen gleichen Partnern.
Im Zahlungsverkehr (Interbanken-Clearing): Verfahren der Übermittlung, der Abstimmung und in einigen Fällen auch die Bestätigung von Zahlungsaufträgen vor dem Zahlungsausgleich; dies entspricht im dt. Sprachgebrauch dem Begriff der Zahlungsverkehrsabwicklung. Das Clearing kann auch die Aufrechnung und Saldierung der Positionen mit anschließendem Zahlungsausgleich der Nettobeträge umfassen (auch als Abrechnung, Skontration oder Settlement bezeichnet). Für das Clearing gibt es mehrere Möglichkeiten:
(1) Beim internen Clearing (Inhouse-Zahlungen) erfolgt die Verrechnung zwischen Filialen einer Bank oder innerhalb einer Institutsgruppe (z.B. im Kreditbanken-, Sparkassen- oder Genossenschaftssektor).
(2) Im bilateralen Austausch sind zwei Kreditinstitute beteiligt, die Verrechnung erfolgt zumeist über Zentralbank-Konten.
(3) Eine Auf- und Verrechnung kann auch über Clearingsysteme erfolgen wie die Deutsche Bundesbank sie im Rahmen des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) anbietet (z.B. TARGET2).
Im Wertpapierclearing/Derivateclearing: Im Derivate- und Wertpapierhandel werden Käufe und Verkäufe zwischen den Handelspartnern entweder bilateral oder über das Clearingsystem einer zentralen Gegenpartei abgewickelt. Die Mitglieder eines Clearingsystems müssen dabei bestimmte Anforderungen erfüllen und für ihre individuellen Geschäfte Sicherheiten stellen. Dabei tritt die zentrale Gegenpartei als Risikomanager für die beteiligten Handelspartner auf. In Deutschland sind mit der Eurex Clearing AG und der European Commodity Clearing AG zwei Tochtergesellschaften der Deutschen Börse AG als zentrale Gegenparteien zugelassen.(Vgl Gabler Wirtschaftslexikon)

4 Sascha Kuhn, Partner und Wirtschaftsstrafrechtler bei der Kanzlei Simmons & Simmons in Düsseldorf


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