Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile; an diesen Satz des Aristotels kann nicht oft genug erinnert werden, ist er doch bis heute nicht wirklich überall verstanden worden und auch keineswegs trivial. Wir haben über die Universalien schon an anderer Stelle gehandelt, möchten hier aber den Bezug zur Ökonomik beibehalten.
Wie immer sich auch wie viele Marktteilnehmer zueinander verhalten, ein pareto-effizientes Verhalten wäre unter ‚denkkompositorischen‘ Kriterien dann gegeben, wenn darin mindestens eine Grenzposition markiert wäre. Die Grenze des Tausches wäre dann im Sinne traditioneller Ökonomik gegeben, wenn eine Übereinstimmung von Bedürfnis und güterbasierter Bedürfnisbefriedigung gewährleistet und keinerlei weitere Tauschbedürfnisse, wenigstens über einen deutlichen Zeitraum – wie dies im Beisspiel des ritualisierten Potlachs gegeben sein soll – existieren. Und gleichzeitig jede Form der Externalität, d.h. eine, durch die Aktivität einer ‚dritten Person‘ betroffenen Aktivität sich internalisieren lässt.
Nun sind weder alle wirtschaftlichen Aktivitäten durch ‚Dritte‘ in irgend einer Art betroffen, noch sind wirtschaftliche Aktivitäten gänzlich isoliert zu betrachten. Weder finden sie isoliert auf Märkten und seien diese noch so homogenisiert statt, noch isoliert von Umwelt und Natur.
Coase ging es vornehmlich darum aufzuzeigen, dass privatwirtschaftliche Aktivitäten ohne staatliche Eingriffe auskommen, viel besser auskommen ohne sie. Am Beispiel: saubere Umwelt fokussiert Coase daher auf die Analyse von Verteilungseffekten unter privatwirtschaftlicher und staatlicher Hinsicht.
Der Unterschied zwischen staatlicher Allokationspolitik wie sie sich im politischen Handeln bzw. in der Gesetzgebung von Umweltstandards zeigt und privatwirtschaftlichem Handeln, wie es sich nach Coase, besser denn als in staatlicher Allokation in Internalisierung von externen Aktivitäten in das eigene Handeln zeigt, sitzt aber einem fundamentalen Irrtum auf.
In seinem Beispiel von 1960 beschreibt Coase ein Unternehmen, das Schadstoffe in einen Fluß leitet, die zu großem Fischsterben führen. Die Fischer, die diesen Einleitungen ausgesetzt sind und ihr Geschäft zu verlieren drohen, können laut Coase diese externen Faktoren in ihr eigenes Handeln integrieren, indem sie dem Unternehmen Geld bei Unterlassung anbieten. Dies könnte zwar auch der Staat, indem er die Entschädigung der Fischer verordnet, aber da es nur um die Coasesche „Pareto-Regel“ geht, benutzt er dieses Beispiel, um die grundsätzliche Überlegenheit des Marktes bei der Steuerung der Produktion im Sinne der Pareto-Regel zu demonstrieren.
An diesem Beispiel aber wird deutlich, dass es bei der Pareto-Effizienz generell nicht um die sich einstellenden Verteilungseffekte geht, die als Transaktionskosten jeder Marktaktivität immanent sind. Zudem abstrahiert Coase notwendigerweise auch von anderen Transaktionskosten, die entstehen, wenn zwischen den an einer Transaktion beteiligten Personen Kommunikationsbedarf, Verständigungsprobleme, Missverständnisse oder Konflikte auftreten. Und schließlich abstrahiert die Pareto-Effizienz von der konkreten Durchführbarkeit einer, für beide Seiten annehmbaren Einigung, dürfte es doch für die armen Fischer schwierig werden, geeignete Ansprechpartner im Unternehmen zu finden, mit denen eine Einigung möglich wäre.
Wir sehen in der aktuellen Situation in der deutschen Automobilindustrie und dem Diesel-Skandal, wie schwierig hier ein privatwirtschaftlicher Ausweg zu finden ist. Auf der rechtlichen Ebene sind die Anwohner stark belasteter Durchgangsstraßen mit ihrem Recht auf saubere Umwelt weder beim Staat weitergekommen, noch dürfte es ihnen sinnvoll erscheinen, mit allen Dieselfahrerinnen und -fahrern Gespräche über saubere Autos oder zumindest umweltschonender Fahrweise zu führen. Ganz zu schweigen von deren Chance, mit der Autombolindustrie direkt über ihr Recht auf saubere Umwelt und der Einhaltung staatlicher NO2 Standards zu verhandeln.
Nicht umsonst wird der Vorschlag einer „Sammelklage“ wie dies in den USA möglich ist, ohne deren exzessive Schadensersatzforderungen gleich mit zu übernehmen, heftig und zurecht diskutiert.
Wir halten fest, dass es eher selten den Fall einer reinen markt-effizienten Transaktion im Sinne der Pareto-Regel gibt. Vielmehr gibt es bei allen transaktionalen Vorgängen Verteilungseffekte, die die Frage nach der Fairness und der „Gleichheit“ der Marktteilnehmer wie auch nach der Verteilungsgerechtigkeit im Sinne einer staatlichen Allokationspolitik aufwerfen, die sich kaum oder gar nicht privatwirtschaftlich sinnvoll und konkret lösen bzw. ersetzen lässt.
Damit nähern wir uns einer Frage, die im Fortgang der Arbeit immer wichtiger werden wird, nämlich der Frage nach dem Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft wie sie sich aus der heutigen Situation der sozialen Marktwirtschaft und der repräsentativen Demokratie ergibt.
In der Ökonomik wird diese Frage meist als eine Teilfrage der Wissenschaft der Ökonomie selbst gestellt, also als ein Teilbereich des wirtschaftliches Handelns betrachtet und somit aus der Perspektive etwa der Frage nach dem Verhältnis von Wirtschaftswachstum und Staatsquote1 diskutiert.
Dabei gilt es vielen Ökonomen als belegt, dass die Wirtschaft sich um so dynamischer entwickelt, je weniger Staat dem wirtschaftlichen Handeln entgegensteht bzw. je geringer die Staatsquote ausfällt. Andere, wie etwa auch Bofinger2, argumentieren dagegen und ziehen problematische internationale Vergleiche von Staatsquoten wie z.B. von der OECD (s.u.Anm. 1.2.) zum Beleg heran.
Für uns sind solche Rechenbeispiele nicht von überragender Relevanz. Für uns ist maßgeblich, dass der Staat nicht direkt in seiner Betrachtung der wirtschaftlichen Betrachtung, sondern einer politischen Reflexion unterzogen wird. Der Staat ist kein Teilgebiet der Ökonomik sondern deren Horizont, unter dem wirtschaftliches Handeln stattfindet.
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[title]Begriffe – Anmerkungen – Titel – Autoren[/title]
Coasesche „Pareto-Regel“ – Verteilungsgerechtigkeit – Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft – Staatsquote
1 1. Begriff: Verhältnis der gesamten Staatsausgaben zum Bruttoinlandsprodukt (BIP). Die Staatsquote fällt unterschiedlich aus, je nachdem, ob die Staatsausgaben in der Abgrenzung der Finanzstatistik oder der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) nachgewiesen werden.
2. Bedeutung: Die Staatsquote soll den Grad der Inanspruchnahme der gesamten Volkswirtschaft durch den staatlichen Sektor ausdrücken. Da auch Ausgaben des Staates einbezogen werden, die nicht Teilmenge des BIP sind, ist die Staatsquote eine „unechte” Quote. Sie ermöglicht damit zwar eine Einordnung der absoluten Beträge der Staatsausgaben in einem gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang, liefert jedoch nur begrenzte Information über den Grad der Inanspruchnahme der gesamtwirtschaftlichen Leistung durch den Staat. Aussagefähiger ist die Veränderung der Staatsquote im Zeitablauf. Sie zeigt, ob die Staatsausgaben in einem bestimmten Zeitraum schneller oder langsamer gewachsen sind als das BIP. Internationale Vergleiche von Staatsquoten sind problematisch, da bereits geringe Unterschiede in den jeweils angewandten Konzepten der VGR die Aussagefähigkeit erheblich herabsetzen können.(Gabler, Wirtschaftslexikon)
2 Peter Bofinger: Grundzüge der Volkswirtschaftslehre: Eine Einführung in die Wissenschaft von Märkten (Pearson Studium – Economic VWL), 2003, S. 200
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