Freunde für’s Leben

Der konzentrierte Blick auf optimierte Allokationsprozesse schien Freunde fürs Leben zu schaffen. Wirtschaft im Verein mit dem Staat versprachen die Lösungen fast aller volkswirtschaftlichen wie internationalen Schwachstellen im Marktgeschehen. Anstatt Systemrisiken und Systeminstabilitäten zu fokussieren, zeigten sich staatliche Institutionen flexibel genug, um mit Deregulierungsmaßnahmen auf Standortvorteile anderer Finanzmärkte bzw. Börsenplätze zu antworten und so auf den globalen Finanzmärkten auf vorderen Plätzen mitzuhalten.

Ein neuer Begriff prägte sich ein: der Finanzkapitalismus, der den der Marktwirtschaft stetig überbordete und einige Volkswirtschaften wie die US-Volkswirtschaft und die des Vereinigten Königreichs sahen in der Deindustrialisierung keinen problematischen Prozess mehr, sondern die fundamentale Verschiebung von der Realwirtschaft zu einer zunehmend auf Finanzdienstleistungen und IT ausgerichteten Wirtschaft geradezu ein geschichtliches Geschenk Gottes mit diesen beiden Ländern als Hauptbegünstigten.

Die Überschwemmung der Finanzmärkte selbst mit einem Tsunami an sog. Finanzinnovationen sowie der Deregulierung aller damit verbundenen Dienstleistungs- und Finanztransaktionen ließen die Sektkorken knallen und in den Finanzministerien die dicken schwarzen Marker über bestehende Gewerbe- und Umsatzsteuerregelungen gleiten. Und bei der Gründung sog. Steuerparadise war und ist man bis heute wenig zimperlich gewesen. Nicht nur Schweizer Banken, sondern gleich auch deutsche Fußball-Präsidenten und Würstchenproduzenten wurden große Nummern im explodierenden Schatten-Business der globalen Finanzmärkte.

Und alle beteiligten sich hektisch daran, den Anschluss an die angelsächsischen Vorsprünge aufzuholen. Selbst als die Spatzen den Crash bereits in den Vorgärten der deutschen Politik von den Dächern sangen, war diese bemüht, ihre Freundschaftdienste ins schier endlose auszuweiten.
„Dabei sollte nicht nur Kapital für Investitionen in deutsche Unternehmen und Infrastruktur günstig mobilisiert werden können, sondern auch eine „tiefere Fertigung von Finanzdienstleistungen“ am Standort Deutschland erfolgen.“1
In der alt-bewährten, deutschen Gründlichkeit haben Politik und Sachverständigenrat im Gleichschritt mal so richtig Gas gegeben und mit den „mit den Promise- und Provide-Programmen seit 2000 in Zusammenarbeit mit den Banken das wohl größte Verbriefungsprogramm (58 Transaktionen) in Europa geschaffen.“2

Doch damit nicht genug. Und alle wussten es, dass es hierbei um hochspekulative Finanzderivate ging.
„Das im Bereich der synthetischen Verbriefung3 bereits erfolgreich begonnene(n) Projekt „Förderung des deutschen Verbriefungsmarktes“ konnte – wie sich heute zeigt – auf das Segment des True-Sale-ABS-Marktes erfolgreich ausgeweitet werden.“4
Und so haben mit diesen forderungsbesicherten Wertpapieren zuallererst die Banken große Teile ihrer nicht immer im Prime Standard vergebenen Kreditforderungen handelbar gemacht und sich günstig refinanziert. Der Erfolg auf dem ABS-Markt weckte natürlich bei den ohnehin taktgebenden politischen Stellen Begehrlichkeiten und vorsichtig wie die deutsche Seele nun mal ist – der Ausdruck: German Angst machte damals seine Runde durch die Finanzmärkte – packten die Finanzjongleure hierzulande Verbriefungspakte mit, aus deutscher Sicht erheblich weniger Risiken.
Mit der „TSI GmbH (wurde) eine Gesellschaft etabliert, die durch Bereitstellung von deutschen Zweckgesellschaften und ütesiegeln für Transaktionen die ABS-Aktivitäten an den Standort Deutschland (ABS made in Germany) bindet.“4

Und das „Made in Germany“ funktionierte bestens. Auf dem größten europäischen Kreditmakt entstand ein aktiver Verbriefungsmarkt zwar viel später als in den angelsächsischen Ländern und mit dem Jahr 2000 setzte der deutsche Markt überwiegend auf sog. Balancesheet-Transaktionen5, also solche, die vorwiegend für Assets mit realwirtschaftlichem Hintergrund genutzt werden. Damit wurden vor allem die Absatzfinanzierungen von Banken und der Automobilwirtschaft, für Leasing- und Handelsforderungen deutscher Unternehmen sowie für die Verbriefung von Mittelstandsfinanzierungen deutscher Unternehmen erleichtert und Anlagevermögen wie die entsprechenden Verbindlichkeiten aus den Bilanzen der Banken und Unternehmen in die eigens dafür gegründeten Zweckgesellschaften ausgelagert. Zudem bekamen diese ‚Pakete‘ überwiegend ein Triple A Rating bzw. ein nur gering schlechteres.

Die Rahmenbedingungen waren mit den deutschen Plattformen PROMISE und PROVIDE unter der Schirmherrschaft und Kontrolle der KFW und der Gründung der TSI im Jahr 2004 hervorragend. Die TSI erließ eigene Transparenz- und Qualitätsstandards ganz im Geiste des Made in Germany und schuf einen Nachfrageschub, der bis zur Krise 2007 eine echte dynamische Entwicklung auf hohem finanztechnischen Qualitätsniveau nahm. In der Entwicklung des deutschen Verbriefungsmarktes spielten bis zum Jahr 2007, als die Finanzkrise einsetzte, die synthetischen Verbriefungen, insbesondere von Mittelstandstandsfinanzierungen, eine bedeutende Rolle.

Zwischen 2008 und 2009 kam der Interbankenmarkt ziemlich zum Erliegen und auch die in Deutschland emittierten synthetischen Verbriefungen lagen träge in den Tresoren, obwohl diese keine Qualitätseinbußen hinnehmen mussten. Die Banken waren nun darauf angewiesen, sich über die EZB zu refinanzieren. Dazu nutzten sie in Deutschland wieder neu Verbriefungen von Teilen ihrer Kreditportfolios, die sie nun aber nicht auf die Finanzmärkte warfen, sondern für sich einbehielten und die Triple A Tranchen bei der EZB als Sicherheiten für ihre Refinanzierung hinterlegten.

Das Volumen an platzierten wie an einbehaltenen Verbriefungen erreichte zwar nicht mehr die Größenordnungen wie in den Jahren bis 2008, aber sowohl in Deutschland wie weltweit sind bei wieder stetig ansteigend, wobei der deutsche Markt mit seinen synthetischen Produkten im Allgemeinen besser durch die Krise gekommen ist, als die meisten europäischen und amerikanischen Märkte; bis auf einige Ausnahmen niederländischer und englischer Produkte.

In der Rückschau auf die Krisenjahre bis 2014 wird heute einhellig in Fachkreisen festgestellt, dass die Verluste aus Verbriefungen im Zuge der Finanzkrise fast ausschließlich aus US-Subprimeverbriefungen herrührten. Sie waren gewissermaßen die Trigger der Krise, erklären aber den Gesamtverlauf der Krisenjahre nicht. Der Kern der aktuellen Finanzkrise, deutlich sichtbar seit 2015, kann nicht auf amerikanische Subprimekredite reduziert werden. Waren die Subprimes politisch gepuschte privarechtlich organisierte Produkte, so wird nun zunehmend deutlich, dass die Finanzkrise noch eine zweite Linie ausgeprägt hat, die bereits auf Vorgänge in den letzten zwanzig Jahren zurückgeht, die Staatsverschuldungen, allen voran der europäischen Staaten.

Im Zuge der Krisendiskussion wurden samt und sonderlich alle Verbriefungsarten in einen ideologischen Topf geworfen. Unter Subprime versteht man nun nicht nur die Verbriefung von US-Immobilen-Hypotheken, sondern auch „Subprime-Staatsanleihen“ wie etwa die verschiedenen Griechischenland-Anleihen und auch sämtliche Balancesheet-Verbriefungen bzw. synthetischen Verbriefungen. Haben die privaten Investoren, vornehmlich französische und deutsche Banken einem 70%igen Gläuberverzicht mittlerweile zustimmen müssen, sind alle Verbriefungen im öffentlichen Diskurs in Mißkredit geraten. Gleichwohl sich europäische Verbriefungen hingegen über die Krisenjahre hinweg als sehr stabil erwiesen und deutsche sogar hervorragend bewährt haben, werden sie als hoch-toxisch vielerorts bewertet.

Die deutschen Auto- und Mittelstandstransaktionen liegen sogar in ihren tatsächlichen Ausfällen unter den Erwartungswerten, wie sie vor der Krise von Ratingagenturen und Beteiligten geschätzt wurden. Auch die deutschen Verbriefungen von Leasing- und Handelsforderungen deutscher Unternehmen zeigen keine Ausfälle. Dass diese Aussichten überhaupt nicht vergleichbar sind mit den Ausfallserwartungen toxischer Staatsanleihen wird wenig nach wie vor beachtet. Sieht es dort so aus, als wären die Geschäftfsaussichten mindestens positiv, also die privaten Renditerwartungen und Risikobewertungen überdurchschnittlich, so steht hier fest, dass an der Vergeinschaftung der Staatsverluste kein Weg vorbei geht. Durch Zins- und Ausgleichsprologierung von über vierig Jahren bleibt die unfreiwillig freundschaftliche Beziehung zwischen, zur Zeit vor allem Griechenland und den Steuerzahlern anderer europäischen Länder auf sehr lange Sicht erhalten.

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[title]Begriffe – Anmerkungen – Titel – Autoren[/title]

FinanzkapitalismusPromise- und Provide-Programmensynthetischen VerbriefungBalancesheet-Transaktionen


1 Asmussen,J: Verbriefung aus Sicht des Bundesfinanzministeriums – in: Zeitschrift für das
gesamte Kreditwesen 19/2006, S. 10 ff – PDF
Zu den verschiedenen Assetklassen des sog. True-Sale-ABS- Marktes weitere Information in true-sale-international.
Das Wasserfall-Prinzip – in true-sale-international.

2 Asmussen,ebenda
3 Die synthetische Verbriefung ist eine spezielle Variante der Verbriefungen, bei der nicht Forderung selbst (hierbei entstehen Asset Backed Securities) sondern das damit verbundene Risiko (hierbei entstehen Kreditderivate) verkauft und in handelbare Wertpapiere umgewandelt wird.
4 Asmussen, ebenda. Eine Zweckgesellschaft (englisch special purpose vehicle, kurz SPV) verwendet ihre Mittel ausschließlich zum Erwerb von Forderungen meist mehrerer Gläubiger und verbrieft sie zu einem Wertpapier. Die Zahlungsansprüche werden durch den Bestand an Forderungen gedeckt, die auf die Zweckgesellschaft übertragen werden. Zusätzlich können die Forderungen durch die jeweils eingeräumten Sicherheiten, die über einen Treuhänder zugunsten der Inhaber des forderungsbesicherten Wertpapiers gehalten werden, besichert sein.
5 Die Bilanzexterne Finanzierung (englisch Off-balance-sheet) ist ein Begriff für ein Finanzierungsinstrument aus dem Finanz- und Rechnungswesen, unter dem eine bilanzneutrale Finanzierung zu verstehen ist. Vermögensgegenstände und Schulden werden hierbei meist in – eigens zu diesem Zweck gegründete – Zweckgesellschaften ausgelagert, die nicht in den Konsolidierungskreis des berichtenden Unternehmens fällt (Wikipedia).


Europäischer Verbriefungsmarkt 2004-20016

Deutscher Verbriefungsmarkt 2004-20016


Jörg Asmussen (* 31. Oktober 1966 in Flensburg)

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