Grandma’s Kitchen

Der Ausdruck Mainstream hat in der Wissenschaft eine etwas andere Bedeutung, als im landläufigen Gebrauch. Meint er hier eine Anpassung an die herrschende Meinung, weil man es nicht besser weiß, meint er dort, trotzdem man es besser weiß. In der Mainstream-Volkswirtschaft sichert die Einhaltung der wissenschaftlichen Standards und der Eingangsbedingungen wissenschaftlichen Arbeitens ein erkleckliches Einkommen, hohe Reputation und attarktive Nebenverdienste. So ist es auch kein Zufall, da ja die Mainstream-Ökonomie auf vielfältige Weise mit der Politik verbandelt ist, dass sie wenig Schwierigkeiten damit hat, sich der herrschenden Politik-Meinung anzuverwandeln.

Schwenkt Politik in Richtung Renationalisierung, folgen ihr behend ihre geistigen Knechte, was ihnen fortan den Zugang zu den materiellen wie ideelen, gut gefüllten Töpfen in Forschung und Lehre, Expertenwesen und öffentlichem Diskurs, nebst all‘ den angehmenen Zusatzleistungen, die man unter ‚travell expenses‘ verbuchen kann, sichert. Da macht es dann durchaus auch einen Sinn, „Teil einer Herde“ zu sein, nur ist das kein schicksalshafter Status und wenig glaubhaft, suggeriert das naive Ahnungslosigkeit.

Zurück an Grandmas Herd zu den altbewährten Rezepten kann da Wunder wirken, ist doch der geistige Trend als „Retro“ heute gernerell auszumachen. Die Politik der Staaten der EU gibt ein derart peinliches Bild davon ab, dass wir es uns hier ersparen, darauf näher einzugehen. Was aber nicht der Richtigkeit entspricht, ist die politische Diskursbeschickung mit derlei Absonderungen, dass sie die Hinwendung der Wähler zu populistischen Parteien und so auch den Zerfall der EU abwehren musste, als sie in ihrer nationalen wie europäischen Politik wieder mehr nationale Interessen berücksichtigen musste.

Mit Urache vor Wirkung hält es die Politik ja überall auf dem Globus nicht ganz so verbindlich, wie man spätestens seit dem sog. Brexit weiß. Was mal wieder und viel schwerer wiegt, ist, dass die politische Einmischung in die Wirtschasft als Akteur besonders auf den Finanzmärkten eine in vielerlei Hinsicht unrühmliche wie desaströse Rolle gespielt hat. Und dieses Spiel ist noch nicht zuende; es beginnt gewissermaßen gerade erst.

Und dabei geht es darum, Erkenntnisse, so sie denn vorhanden sind, aus der noch andauernden Finanzkrise so umzusetzen, dass möglichst nicht gleich wieder eine solchen Ausmaßes durch den Hintereingang wieder eintritt. Eines der großen Ungleichgewichte wirtschaftlichen Handelns, und die hat keine Ökonomik gerne, wird heute als der viel zu große
Leistungsbilanzüberschuss der deutschen Wirtschaft diskutiert. Den mögen, so liest man, weder die anderen Europäer noch die Amerikaner, schon gar nicht der IWF.

Die deutsche Wirtschaft unisono mit dem zuständigen Ministerien der Wirtschaft und Finanzen spricht davon, dass der Überschuss einfach durch die starke Nachfrage nach den guten Waren, made in Germany, verursacht ist. Andere, vor allem europäische Politik-Kollegen in den Ländern oder den EU-Institutionen sehen ihn verursacht durch die niedrigen Löhne – seit der Agenda 2010 – in Deutschland. Versiertere Ökonomen, vor allem jene, die ihr Auskommen als Mezzopolitikerinnen und -Politiker im IWF z.B. gefunden haben, erkennen im Leistungsbilanzüberschusss einen rechnerischen Überhang von Ersparnissen gegenüber Investionen einer Volkswirtschaft, was eher einer lehrbuchaffinen, definitorischen Erklärung gleichkommt, ist ein Leistungsbilanzüberschuss ja durchaus auch zu verstehen als Äquivalent des nationalen Kapitalexports.

So weit so gut. Alle empfehlen der deutschen Wirtschaft, weniger zu sparen, dafür mehr zu investieren. Mit den Sparern nur meinen sie nicht die Wirtschaft, sondern die Erwerbstätigen und die haben bei der derzeitigen Situation der Altersversorgung und ständig steigender Mieten wenig Interesse an Investitionen bzw. erhöhten Konsumausgaben. Aber eigentlich argumentiert ja auch gar nicht die Wirtschaft mit der deutschen Wirtschaft. Es mischen sich ein in das deutsche Wirtschaftsgeschehen vor allem der IWF und die amerikanische Administratrion, denen der deutsche Leistungsbilanzüberschuss bei gleichzeitig eigenem Defizit in Billionenhöhe den Kamm hochstellt.

Die USA versammeln in ihren Büchern mehr als ein Drittel aller Leistungsbilanzdefizite weltweit. Dass die da nervös werden ist verständlich, aber was sie der deutschen Volkswirtschaft vorschlagen zum Defizitabbau, das könnten sie auch sich selber mit umgekehrtem Vorzeichen raten: Löhne senken, weniger auf Pump konsumieren, Investitionsprogramme auflegen in Infrastruktur, Bildung usw. Da aber die Verantwortung des US-Defizits wenig mit der Wirtschaft aber mehr mit der Politik zu tuen hat, müssten die, die zu großen Teilen das Problem sind, gleichzeitig Hauptbestandtteil der Lösung sein; schöne Idee.

Die US-Administration müsste Hauhaltsdisziplin üben; das hat sie noch nie. Die Fed müsste nicht nur von der lockeren Geldpolitik Abschied nehmen, was sie zur Zeit versucht und auch riesige Anleihenpositionen wieder in den Markt bringen, was den US-Finanzmarkt enorm beeinflussen würde mit allen Folgeerscheinungen, was wenig ratsam ist. Die US-Konsumenten müssten höhere Haftungen bei ihren Hypothekendarlehn einbringen, also Eigenkapital, was sie nicht wollen und meistens auch nicht haben. Und sie müssten Abstand nehmen davon, Häuserdarlehn für weitere Konsumausgaben zu beleihen; manch ein US Bürger verfügt über ein Dutzend Kreditkarten; was für ein Irrsinn.

Die US-Administration verspürt wenig Lust, an ihrer und der wirtschaftlichen Situation ihrer Bürger etwas zu ändern. Zumal der Dollar als Leitwährung auch mit hohen Defiziten bei der staatlichen wie der privaten Verschuldung auch in Zukunft die Kreditwürdigkeit der USA einigermaßen garantiert. Und solange der EURO sich selbst oder durch geeignete Maßnahmen der USA nicht zu stabil in einem günstigen Wechselkurz zum Dollar wird, wird sich so schnell daran auch nichts ändern.

Also bleibt es bei den Rezepten aus Grandmas Küche: einem exzessiven Neokeynsianismus das Wort reden, radikaler als in den theoretischen Werken selbst, und Defizite sich einfach entwickeln lassen bei gleichzeitigem Abbau von allen Schranken, die eine Kapitalallokation in den Dollar und die US-Wirtschaft bzw. die US-Finanzmärkte behindern könnte. Die neuste Erfindung, die an Frivolität kaum noch zu überbieten ist, ist die Politik der Russland-Sanktionen, die den Aufbau neuer Energiemärkte in den osteuropäischen Ländern befördern soll, mit leichtem Nachdruck unterstützt durch Aufbau eines Rakentenabwehrschildes in denselbigen.

An die 1.000 US-Militärbasen gibt es weltweit. Russland verfügt über 20 und China neuerdings über eine am Horn von Afrika. Russland und China werden als militärisch bedrohlich angesehen, durchaus im Diskurs der USA so befördert, was jene Politik wohl weiterhin unterstützt, die bei der Einweihung des neuesten Flugzeugträgers, der USS Gerald Ford einmal mehr stolz von: That’s a hundred thousands tonnes of politics“ spricht.

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Leistungsbilanzüberschuss

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