Der vollständige Markt ist hocheffizient. Er findet die beste Menge eines Gutes auf der Grundlage der kostengünstigsten Produktionsweise, bedient die Kunden mit einer engen Marktpräsenz und das alles bei bestmöglicher Qualität zu günstigsten Preisen. Auf diesem Markt treffen sich Anmbieter und Nachfrager, also der homo oeconomicus in größter Nähe zueinanders, quasi als Freunde. Klar, dass es diesen Markt nicht gibt. Aber es ist gerade dieser Markt, der die Vorstellung der Ökonomik fundamental bestimmt.
Die Ökonomik bestimmt also ihr Verhältnis zum ‚Gegenstand‘ aus dieser Vorstellung, oder anders gesagt, obwohl es keine Markt gibt, der als vollkommen bezeichnet werden kann, lassen sich dennoch aus diesem Modell eines vollständigen Marktes bzw. vollständigen Wettbewerbs Rückschlüsse auf das tatsächliche Marktverhalten ziehen. Diese Idealvorstellung eines Marktes kommt mit den folgenden, grundsätzlichen Elementen bzw. Bestimmungen aus:
Ein Markt ist vollständig, wenn er den Charakter eines Polypols hat, es also viele Anbieter und viele Nachfrager gibt. Wenn er eine hohen Homogenitätscharakter besitzt, also ausschließlich Güter der gleichen oder sehr ähnlichen Art angeboten werden. Der klassische Wochenmarkt mit den regionalen Güter der Landwirtschaft wie er heute, aber auch schon vor über zweitausend Jahren existierte, dient hier als konrete Vorstellung.
Ein Markt ist vollständig, wenn es keinen Wettbewerbsausschluss, also keine Eintrittsbarrieren in den Markt für neue Marktteilnehmer gibt, sowohl auf der Anbieter- wie auf der Nachfragerseite.
Wenn alle Marktakteure die größtmögliche Markttransparenzbesitzen, also über möglichst vollständige Informationen verfügen und diese Informationen als wahr bzw. richtig gelten dürfen.
Und schließlich, wenn alle Marktteilnehmer mit kaum einer Zeitverzögerung auf eintretende Marktveränderungen wie etwa bei Preisen und anderen Marktprozessen reagieren können.
Die traditionelle Ökonomik geht nun davon aus, dass die Preisbildung im vollständigen Wettbewerb sich an den Grenzkosten1 der Anbieter bzw. Produzenten bildet. Gleichzeitig geht sie von einem hohen Maß an Konkurrenz aus und von einer vollständigen Information der Nachfrager über die Marktpreise. Wir sahen eben, dass der Wettberwerb sich in vollständigen Märkten aber fast ganz aufhebt, sich also angleicht, dass ein Preiswettbewerb letztlich sich ebenso aufhebt und in einem Einheitspreisverwirklicht.
Was bei dieser Betrachtung eines vollständigen Marktes aufgrund wissenschaftlicher Operationalität ganz unberücksichtig ist, sind u.a. die sog. Transaktionskosten2.
Ronald Coase hat bereits im Jahr 1937 seinen, später mit dem Nobelpreis gewürdigten Transaktionskostenansatz veröffentlicht3. Alle, ob ex ante oder ex post entstehenden Transaktionskosten betreffen direkte und indirekte Kosten einer Transaktion, ohne die ein Markt und eine Transaktion überhaupt nicht möglich sind, es sei denn, wir betrachten die Transaktionen als reinen Tauschvorgang im klassischen Sinne eines Potlachs4. Die Betrachtung von Transaktionen als reine Tauschvorgänge kommt allerdings in die moderne Ökonomik gewissermaßen wieder zur Hintertüre herein als das viel zitiertes Pareto-Kriterium bzw. als Pareto-Effizienz5.
Jeder transaktionale Markt setzt einen Verteilungsprozess in Gang. Transaktionen und ihre ‚Kosten‘ aus einer idealisierten Marktbetrachtung auch nur vorübergehend außer Acht zu lassen, ist daher mindestens aporetisch als sie nicht den Sachzusammenhang der Phänomene eines Marktes betrachtet. Wir befinden uns bei jeder Marktbetrachtung also eo ipso durch den transaktionalen Charakter von Märkten in einer Verteilungssituation, die in der Ökonomik fundamental unter dem Pareto-Kriterium betrachtet wird.
Das Pareto-Kriterium wird genauer bestimmt als Pareto-Effizienz, aber auch bei diesem Begriff finden wir eine Aufhebung bzw. eine gegenseitige Neutralisierung von Transaktionsnutzen unter Effizienz-Kriterien6. Für die Berechenbarkeit von Marktvorgängen mag dieser Denkansatz von Vorteilen sein, unter dem Kriterium der Gerechtigkeit von Verteilungen aber nicht. Unter dieser nicht erfassten Bestimmung von transaktionalen Verteilungsvorgängen ist auch die Vorstellung einer optimalen Pareto-Effizienz aporetisch, da unter Verteilungskriterien eine solche überhaupt nicht vorkommen kann.
Insgesamt gesehen umgibt die mikroökonomischen Betrachtungen aus einem, auf Personen, ihren Bedürfnissen und Interessen wie auch ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten einer Marktbeteiligung basierenden Ansatz eine fast schon hermetisch zu nennende Abschirmung jedes anderen, etwa eines kooperativen wie auch eines politschen Ansatzes der Betrachtung moderner Märkte, die immer folgenreicher zu werden droht.
Der Ansatz etwa von Coase führt in der Folge seines privatwirtschaftlichen Blickwinkels zu seltsamen bis wahrlich folgenschweren, weder individualistisch noch politisch akzeptablen Konsequenzen.
[sidebar]
[title]Begriffe – Anmerkungen – Titel – Autoren[/title]
Polypol – Markt-Eintrittsbarrieren – Markttransparenz – Einheitspreis – Transaktionskosten – Pareto-Effizienz – Verteilungsprozess
1 Grenzkosten bezeichnen die Kosten, die entstehen, wenn eine Einheit eines Produkts mehr hergestellt wird. Umgekehrt sind die Grenzkosten die Kosten, die wegfallen, wenn ein Stück weniger produziert wird.
In der Regel entsprechen die Grenzkosten den variablen Kosten.
2 Transaktionskosten sind sämtliche Kosten, die nicht bei der Gütererstellung, sondern im Zusammenhang mit einem Geschäftsabschluss anfallen, also bei der Übertragung von Gütern von einem Wirtschaftssubjekt zum anderen entstehen.
3 Ronald H. Coase: The Nature of the Firm. In: Economica. 4 (1937), S. 386–405.
4 Ein Potlatch – auch Potlach oder Potlatsch – ist ein Fest der amerikanischen Indianer der nordwestlichen Pazifikküste. Bei ihm werden in ritueller Weise Geschenke verteilt oder ausgetauscht.
5 Die Pareto-Effizienz ist ein Kriterium zur Beurteilung der ökonomischen Effizienz einer Verteilung.
6 Eine Verteilung wird dann als pareto-effizient bezeichnet, wenn man durch Tausch der betrachteten Güter keine der beteiligten Personen mehr besser stellen kann, ohne eine andere Person schlechter zu stellen. Vereinfacht könnte man auch einfach sagen, eine Verteilung bzw. eine Situation ist pareto-effizent wenn niemand mehr freiwillig mit einem anderen tauscht; vgl. Vimentis Lexikon..
Ronald Harry Coase (* 29. Dezember 1910 in Willesden bei London, England; † 2. September 2013 in Chicago, Illinois)
[/sidebar]