Kausalsätze haben ihre Tücken, zumal wenn die Eingangsbedingungen nicht klar sind; was sie in humanen Zusammenhängen meistens nicht sind. Kausalitäten sind oft flüchtig wie Rehe auf der Lichtung und wie dieselben auch schwer zu unterscheiden, besonders auf der Flucht. Und dann gibt es noch Wahrheit bzw. Aussagen, die wahr sind aber nicht beweisbar1, was Wissenschaften wie die Volkswirtschaft, die gerne von beweisbaren, empirischen Tatsachen spricht, besonders erschreckt. Selbst da, wo man von „hinreichend starken Systemen“ spricht, also von stark formaliserten Systemen, die die Voraussetzung für die Ableitbarkeit von Aussagen innerhalb dieser System sind, gibtes, ja muss es nach Gödel Aussagen geben, „die man weder formal beweisen noch widerlegen kann.“
Ob eine solche starke Formalisierung einer nationalen Volkswirtschaft überhaupt und jemals möglich ist, steht stark im Zweifel. Und damit natürlich auch die logischen Aussagen über transnationale Wirtschaftsvorgänge. Wenn heute innerhalb der Volkswirtschaft über Positionen teils heftig gestritten wird, dann schwingt immer auch dieser Methodenstreit mit, inwiefern die volkswirtschaftlichen Aussagen denn überhaupt eine tragbare Beziehung zwischen naturwissenschaftlicher Formalisierungen und wirtschaftlichen Vorgängen repräsentieren.
Dieser grundsätzliche Streit ist wichtig für die Entwicklung der Volkswirtschaft als Wissenschaft und war längst überfällig. Er repräsentiert eine fundamentale Krise der Wissenschaft, die entweder eine reale Krise der Weltwirtschaft repräsentiert oder sich innerhalb der wissenschaftlichen Methodenkrise ergibt. Wir benutzen die Konjunktion in einem nicht ausschließenden Sinne und blicken auf die Krise zwischen Wirtschaft und Wissenschaft als ein asymmetrisches, aber „inklusives“ Verhältnis.
Wir haben uns daran gwöhnt, von einem Dilemma zu sprechen. Ein Trilemma wird auch noch verstanden, insofern es intuitiv noch nicht den Rahmen des logisch nachvollziebaren verlässt. Aber was machen wir mit einem Pentalemma, einem Oktalemma, einem…?
Das ‚Pentalemma‘ der derzeitigen Volkswirtschaftschaft zur Lösung der Probleme innerhalb der EURO-Zone ist schnell skizziert. Wir haben den Vorschlag von Hans-Werner Sinn soeben vorgestellt. Ein zweiter Vorschlag, mit dem der IWF und auch Peter Bofinger tanzen, ist der, dass die EURO-Zone die Inflation in Deutschland und den anderen wirtschaftlich starken Ländern anheizt durch höhere Ausgaben für Investitionen und höhere Löhne. Das muss allerdings dadurch ergänzt werden, dass dies nur dann in die gewünschte Richtung gedacht ist, wenn gleichzeitig in den Peripherieländern die Löhne niedrig gehalten werden können.
Ein drittes Szenario wäre, die EURO-Zone akzeptiert eine hohe, im speziellen eine hohe Jugendarbeitslosigkeit und zwar solange, bis die Preise und die Löhne in den jeweiligen Ländern auf ein wettbewerbsfähiges Niveau gefallen sind. Der Vorschlag einer Agenda 2010 für die Peripherieländer macht ja seit einigen Jahren die Runde.
Das vierte Szenario besticht mit der Idee, die wirtschaftlich starken Länder müssen, Agenda begleitend, unbegrenzte Finanztransfers an die schwachen Länder leisten, um so schnell wie möglich Wettbewerbsunterschiede innerhalb der EURO-Zone auszugleichen und schlussendlich wäre ein Ausweg auch, den EURO zerbrechen zu lassen.
Nun weiß jeder Weise der Wirtschaft, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Bündel bzw. eine zeitweilige Kombination aus diesen fünf Maßnahmenpaketen werden muss, damit eine Aussicht auf Erfolg sich formulieren lässt. Wir haben es also nicht mit einem ‚Pentalemma‘ zu tun, sondern mit einer rechnerischen ‚Potenz‘ dessen, was die Risiken, die in jedem einzelnen Vorschlag für sich schon schlummern, noch erheblich potenzieren dürfte.
Nehmen wir als Ausgangsbeziehung dieser Aussagen zur Lösung des EURO-Problems den Vorschlag des IWF hinzu, der notorisch den Schuldenschnitt Griechenlands auf ein tragfähiges Schulden-Niveau fordert, das bei heutiger Betrachtung besser bei NUll denn darüber läge, dann kommt ein ganz grundsätzliches Kriterium bei der Betrachtung der Situation wie deren Lösung hinzu. Verwiesen wird in diesem Zusammenang immer auf die Situation von Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, als Deutschland die Schulden weitgehend erlassen worden sind und damit der Einführung der D-Mark als neuer Währung und einer Gesundung der Wirtschaft insgesamt nichts mehr im Wege stand.
Diese Situation aber wird richtigerweise auch von einigen Ökonomen in der Zusammensicht mit dem Versailler-Vertrag2 gesehen, der bei der Pariser Friedenskonferenz im Schloss von Versailles von den Mächten der Triple Entente und ihren Verbündeten bis Mai 1919 ausgehandelt worden war. Besonders der Kriegsschuldartikel (Artikel 231), der als Grundlage für Reparationsforderungen formuliert wurde, bekam in den folgenden Jahren jene wirtschaftliche und politische Bedeutung, die erheblich zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs beigetragen hat.
Auch wenn fast alle maßgeblichen Historiker heute die Ursachen des Zweiten Weltkriegs differenzierter sehen, territoriale Abtretungen, Einschränkungen der ‚Selbstverteidigung‘ und dadurch Erpressbarkeit durch andere Staaten mit hinzuzählen, bleibt ein Konsenz über die wirtschaftlichen Auswirkungen des Vertrages, vor allem zu Inflation und Arbeitslosigkeit als die wesentlichen Ursachen für die Schwäche der Weimarer Republik und die Erstarkung des deutschen Nationalsozialismus.
So geht in den Vorschlag des IWF zur Erlangung tragfähiger griechischer Staatsschulden eine historisch-politische Sicht aus der Zeit um das Jahr 1919 ein und man verweist mit Nachdruck in Richtung Deutschland bzw. deutscher Austeritätspolitik auf die eigene, deutsche Geschichte, die den geforderten Schuldenschnitt begründen und empfehlen soll. Abendteuerlich ist allein schon der Versuch, eine Parallele zu ziehen der Zeit und der wirtschaftlichen Situation nach; beides ist Unfug. Aber mehr noch bleibt die Frage unbeantwortet, in wie weit denn eben dieses strukturelle Schuldenproblem durch einen Schuldenerlass gelöst sein soll? Man verschüfe sich nicht einmal Zeit – um das beliebte Politik-Bonmot aus deutschem Munde hier zu zitieren – um einer Problemlösung näher zu kommen; es ginge einfach bei Null wieder los; da capo.
In jedem anderen Vorschlag zur Lösung des Schuldenproblems finden wir Denkfallen von aporetischen Begründungen und Schlüssen. Dabei ist nicht die Aporetik das Problem, sondern das fehlende Bewusstsein darüber. Investitionen und höhere Löhne in einem Land können, müssen aber nicht die beabsichtigten Folgen in einem anderen Land haben. In einem grundsätzlichen Sinne aber dringen beide nicht an die Ursachen der staatlichen Verschuldung und lösen diese deshalb auch nicht. Wir haben dargelegt, dass die staatliche Verschuldung allein politische Ursachen im wesentlichen hat und somit sind sie auch nur politisch zu lösen.
Ebenso verhält es sich mit dem Vorschlag einer, über Preise und Löhne verbesserten Wettbewerbsfähigkeit der notleidenden Volkswirtschaften. Hierin steckt nicht nur eine hohe Abstraktion von anderen wesentlichen, statischen und dynamischen Funktionen des Wettbewerbs, sondern auch die Vernachlässigung von diversen staatlichen Wettbewerbsbeschränkungen und staatlichen, wettbewerbs-belastenden Faktoren. Besonders mangelnde Fiskalsysteme und wettbewerbs-nachteilige Rechtsordnungen sind neben Korruption, staatlicher Kartell- und Monopolbildung neben einigen anderen zu nennen.
Der Idee, den Wettbewerbsunterschied in der EURO-Zone so weit als möglich aus- bzw. anzugleichen entbehrt nicht nur der Esprit, sie widerspricht sogar allen Fundamentalkriterien derzeitigen erfolgreichen Wirtschaftens. Dieses braucht den Wettbewerb. Es verwundert sehr, aus dem Munde der aktuellen Vertreter der Marktwirtschaft solche Vorschläge zur Steuerung des Wettbewerbs und in letzter Konsequenz von Märkten zu vernehmen.
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Krise zwischen Wirtschaft und Wissenschaft – Versailler-Vertrag
1 Vgl. Der Gödelsche Unvollständigkeitssatz. Kurt Gödel: Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und verwandter Systeme I. In: Monatshefte für Mathematik und Physik. 38, 1931, S. 173–198,
2 Im Artikel 231 heißt es: „Die alliierten und assoziierten Regierungen erklären, und Deutschland erkennt an, daß Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind, die die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des Krieges, der ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungen wurde, erlitten haben.“
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