Mit fingerdicker Kosmetik zukleistern

Statistiker sind ja meistens weder Politiker noch Volkswirte und so gelingt ihnen nicht selten heiteren Sinnes und leichter Hand so mancher große Wurf. In Irlands neuer Statistik erkannten sie zwar eine fatale Abweichung von ubiquitären statistischen Normen, sie aber sahen darin einen außerordentlichen Gewinn an Klarheit und statistischer Präzision, ganz nach dem Grundsatz. Omas Kuchen war doch immer der beste. Demnach zeige das GNI nun besser und reeller, was in der irischen Volkswirtschaft vor sich gehe und hätte, indem es sich lediglich auf das physische Kapital beziehe, mit dem die heimische Produktion untermauert ist, auch mehr Relation zur Beschäftigungsentwicklung. Blöd nur, dass mit der Exterminierung des sog. intangiblen Kapitals auch die politisch gewünschten Effekte desselben, nämlich für mehr Beschäftigung zu sorgen und Irlands Jugend von den Strassen zu kriegen, gleich mit eleminiert wurde. Wie also Irlands Beschäftigung, ohne die schönen Effekte des intangiblen Kapitals und durch steuerparadiesische Politik sich entwickelt hätte, wird man fortan so leicht nicht mehr herausfinden.

Mit der neuen Berechnungsmethode ergab sich auch eine Staatsschuldenquote von ca. 106% zu etwa 73% im Vergleich zum europäischen Durchschnitt; wer’s glaubt. Dies mag hoch bzw. niedrig sein, je nachdem, ob man den Durchschnitt oder Griechland und Italien zum Vergleich heranzieht. Mit dem Vergleichen ist es aber so, dass ein nur relationales Vergleichen etwas ganz anderes ist, als ein direktionales. Und wir vermuten daher ohne verschwörungstheoretische Absichten, dass das Wohlgefallen, dass den IWF und die Statistikbehörde Eurostat gleichermaßen mit der Einführung des neuen Indikators für das Bruttonationaleinkommen Irlands befiehl, darin vielleicht zu suchen ist, dass ohne diesen die Quote wohl noch schlechter ausgefallen wäre, hätte man als Nenner das BIP gelassen.

Alle die einzelnen Wägbarkeiten führen aber unweigerlich zu der nicht unbegründeten Vermutung, dass es bei den Iren gar nicht so sehr um die Iren geht, sonder um die volkswirtschaftlichen Statistiken ganz generell. Und da sieht es schlecht bestellt aus mit dem Ruf, eine verlässliche empirische Methode zu sein. Wir sagen, das kann sie gar nicht sein. Denn die Absurditäten in den irischen Kennzahlen traten auf, nachdem einige wichtige Änderungen der internationalen Statistikregeln umgesetzt worden und im Fall Irlands zutage getreten sind.

Die Geschäftsmodelle und Geschäftspraktiken von Apple, Google bzw. Alphabet, Amazon, Facebook und Microsoft, um nur die größten zu nennen, stellten die Statistik insgesamt vor neue Probleme, denn sie erwirtschaften, auch wenn sie aktuell sogar teilweise Riesenverluste ausweisen, ihre Gewinne hauptsächlich mit geistigem Eigentum und dessen Lizensierung sowie der Vermarktung von Profil- und Bewegungsdaten ihrer Kunden und Plattform-Nutzer. Würde man heute eins der Unternehmen verkaufen, dann wiesen die Due-Diligences ein geradezu abendteuerliches Verhältnis zwischen Sachwert und good will zugunsten des good will aus.

Das ist wie damals mit dem Nobelpreis für Obama, den der bereits bekommen hatte, bevor er sein Versprechen, die US-Soldaten aus Afghanistan zu führen und Guantanamo zu schließen überhaupt realisieren konnte, war er doch noch nicht als Präsident vereidigt. Was aus diesem ‚Kredit‘ geworden ist, ist bekannt. Er blieb unbeglichen.
Und ebenso war es auf dem sog. Neuen Markt, wo Ideen bzw. manchmal sogar Geschäftsmodelle spekulativ bewertet wurden, ohne dass die Unternehmen aus der Gründungsphase heraus waren. Was Banken wie Börsenspekulaten den Unternehmen an good will, heute sprehen wir auch von „produzierten nichtfinanziellen Vermögenswerten“ zugesprochen hatten, nahm im Jahr 2000 ein ebenso übertrieben verheerendes Ende wie der Anfang des Marktes übertrieben optimistisch war.

Und genau diesen good will wollen die Statistiker nun aus ihrem Zahlenwerk herausrechnen, was für eine Idee. Schauen die traditionellen Statistiker hier in die Glaskugel und versuchen wahrzusagen, indem sie mit dem in der Kugel erblickten, geistigen Eigentum auch höhere Ausgaben für dasselbe sowie für Forschung und Entwicklung vor ihrem geistigen Auge vermuten und diese geistig versammelten Vermutungen als ‚Investitionen‘ bezeichnen, die sich dann über einen langen Zeitraum auszahlen – also rechnen lassen. So wird natürlich das BIP höher, da es einen enormen vermuteten good will enthällt und dies betrifft nicht die irische Statistik allein.

Lease und Lease Back-Geschäfte, der Handel mit Flugzeugen, Schiffsverbriefungen bzw. -beteiligung und vieles andere mehr werden in den neuen Statistiken auf die Waagschale geworfen und nicht mehr an die Perspektive der Eigentumsrechte gebunden, die ja in der volkswirtschaftlichen Statistik gleichzeitig verküpft sind an den „Standort“ des Eigentümers, nicht an den des Nutzers. Aber wie den gordischen Knoten durchschlagen, der die weltweite Vernetzung und Verbriefung von allem und jedem zusammenzieht?

Der Vorschlag der Statistiker ist so einfach wie populär. Lasst uns zu Standardszurückkehre, die „sich an der physischen Produktion von Gütern und Diensten durch Einsatz von Arbeit ausrichten. Denn wenn die volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen immer schlechter mit der Entwicklung des Arbeitsmarkts und der Einkommen harmonierten, schade das der Glaubwürdigkeit und dem Informationsgehalt dieser Rechenwerke.“1

Mit der Statistik sind wir also wieder auf dem Rückmarsch ins Industriezeitalter bzw. der Epoche der industriellen Wertschöpfung. Die sich ausbreitende Verzahnung von Wirtschaft und Politik kümmert uns dann wenig, können wir sie ja auch kaum oder gar nicht ‚berechnen‘. Dass hier die klassische Betrachtung der Wirtschaft aus den traditionellen und von Karl Marx eingeführten Bedeutungen von Kapital und Arbeit für die nationale Wert-Produktion wieder als Lösung für die Probleme der Statistik aus dem Hut gezaubert werden, sei an dieser Stelle im Vorgriff auf Späteres nur kurz vermerkt.

Es komplementiert mit einem anderen, seit einigen Jahren zunehmend sichtbaren Prozess: der politschen Renationalisierung wirtschaftlicher Prozesse, nicht zufällig besonders im Bereich Handel virulent. Populistische Renationalisierungsdiskurse wie man sie in den USA und in Europa notiert, gehen einher mit der Zrsplitterung nationaler und internationaler Rechtsauffassungen und Gerichtsbarkeiten, der Zersplitterung ordnungs- und fiskalpolitischer Systeme, dem Zerfall internationaler (Regierungs-) Organisationen u.a.m. innerhalb eines Vorgangs, dem man plakativ überall als Globalisierung indexiert begegnet.

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intangibles KapitalStaatsschuldenquote von Irlandgood willproduzierte nichtfinanzielle Vermögenswertepolitsche Renationalisierung


1 Häring, ebenda.

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