Hier geht es um die ganz großen Dinger, um Makroökonomie schlechthin. Der berühmte „Schwarze Freitag“, die internationale Finanzkrise 2008, die Ölkrise in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, alle diese Wirtschaftskrisen hatten massive Stabilisierungsmaßnahmen des Staates, vor allem fiskalischen und geldpolitscher Art zur Folge.
Wir haben uns mit der Finanzkrise schon ein wenig eingehender in diesem Kapitel beschäftigt. Wir sind dabei auf Prozesse gestoßen, die weit über nationale Kompetenzen hinausgehen. Im Kern aber reflektiert die Ökonomik solcherart Krisen, nun nationale oder internationale Angebots- und Nachfrageschocks genannt, im Zusammenhang mit den gesamtwirtschaftlichen Grundannahmen, die John Mynard Keynes vor allem in seinem Werk: Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes im Jahr 1936 veröffentlicht hat.
Seine theoretischen Grundlagen hatten einen so großen Einfluss und wurden im Laufe der Jahre so sehr modiziert und erweitert, dass wir heute uns schwer tun, den „wahren“ Keynes aus alle dem herauszuarbeiten. Sechs Kernthesen als Quintessenz des keynsianischen Denkansatzes haben sich bis heute als unstrittig ihm zugeordnet erhalten.
Die wohl unstrittigste und mit der wahrscheinlich größten theoretischen Reichweite ist Keynes Ansatz, dass nicht wirtschaftspolitische Funktionen auf dem Feld des Arbeitsmarktes, sondern allein Marktmechanismen auf den Gütermärkten Einfluss auf Produktion und Beschäftigung haben.
Das Phänomen der „Unfreiwilligen Arbeitslosigkeit“ darf auch mit Keynes in direkte Verbindung gebracht werden, steht natürlich im Zusammenhang mit der Arbeitslosigkeit generell und besteht, wenn das Arbeitsangebot die Arbeitsnachfrage bei den herrschenden Bedingungen übersteigt. Also Erwerbspersonen betrifft, die, obwohl sie zum herrschenden Lohnsatz bereit sind zu arbeiten, keinen Arbeitsplatz finden.
Gleichwohl die Stabilisierungsfunktionen des Staates und vor allem in der Wettbewerbspolitik in Deutschland großen Anklang fanden, kam besonders aus der Riege der sog. Ordo-Liberalen heftige Kritik an Keynes vor allem, wenn es um staatliche Eingriffe in den Markt ging1. Fast freundschaftliche Anhänger fanden sich auch nach der erfolgreichen Politik des damaligen Wirtschaftsministers Karl Schiller (SPD), der mit dem durchaus an Keynes orientierten sog. „Stabilitäts- und Wachstumsgesetz“ von 1967 erfolgreich den Konjunktureinbruch in Deutschland (BRD) im gleichen Jahr bekämpfen konnte.
Überwiegend wird Keynes heute im Zusammenhang mit der Staatsquote diskutiert und bei ordo-liberalen Ökonomen findet dann eine Quote von deutlich unter fünfzig Prozent Beifall und dementsprechend bei traditionellen Keynesianern eine über diesem Satz. Aktuell wird in Deutschland im Zusammenhang mit der sog. Schuldenbremse eine Staatsquote von nicht mehr als 42% diskutiert, wobei diese mittelfristige Senkung wie überhaupt die absolute Größe der Quote Zusammenhänge verschleiert, die heute immer deutlicher werden und die im theoretischen Ansatz von Keynes auch nicht enthalten waren.
Man kann durchaus am Zuwachs der Staatsquote die Vermutung einigermaßen begründen, dass mit dem Zuwachs auch eine stabilisierende Funktion des Staates durch Eingriffe in den Wettbewerb und durch geldpolitische Maßnahmen in den gesamtwirtschaftlichen Mechanismus stattfindet. Ein Zusammenhang zwischen staatlichen Diustributions- und Stabilisierungsfunktionen wird dagegen nicht fokussiert. Dies liegt zualler erst wohl daran, dass durch die immer noch vorhandene starke Trennung zwischen Mikro- und Makroökonomie Vorgänge in der Politik und auf den internationalen Finanzmärkten theoretisch wenig auf ihre markt- und wettbewerbs-stabilisierenden und -destabilisierenden Auswirkungen überdacht werden. Ein anderer Punkt ist die schon angesprochene Randstellung der Politische Ökonomie in der modernen Ökonomik.
Folgte man der Logik von staatlicher Intervention, deren Maß die Staatsquote sei im Verhältnis zum BIP, dann wäre die Defizitquote3 der Indikator für Erfolg oder Mißerfolg staatlicher Eingriffe in die gesamtwirtschaftlichen Wettbewerbsmechanismen. Demnach wären Länder wie Norwegen, Korea, Schweiz, Finnland und Dänemark, ja sogar Deutschland, das eine Defizitquote von 0% auswies, bei geringer Intervention extrem erfolgreich, die Vereinigten Staaten von Amerika führten mit einer Quote von -6,5,% und Griechenland mit 7,7% einer Reihe extrem erfolgloser, nicht-interventionistischer Staaten an zu denen noch Frankreich, Ungarn, GB, Irland und Italien gehören.
Man sieht, solche Vergleiche hinken doch sehr und verhindern ein Vorwärtskommen auf geistiger Ebene kolossal.
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John Mynard Keynes – Staatsquote – Defizitquote
1 Vorreiter für die Verbreitung der Theorie von Keynes an den Universitäten war das Lehrbuch von Erich Schneider „Einführung in die Volkswirtschaftslehre“, insbesondere Teil III: Geld, Kredit, Volkseinkommen und Beschäftigung. (1. Aufl. Tübingen, 1952).
2 Vgl. OECD Economic Outlook 86 Database, Jahr 2008
3 Die Staatsquote ist der Anteil der Staatsausgaben am Bruttoinlandsprodukt eines Landes, die Defizitquote die Differenz zwischen Staatsquote und BIP
Anthony P. Thirlwall (* 21. April 1941)
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