Wettbewerb vs. Konkurrenz

Die Bestimmung der Arbeit aus einer Idee ressourcenschonenden Umgangs mit der Natur ist verführerisch, zumal als eine Art Befreiungsteleologie, in der Mensch und Natur befriedet im Einklang miteinander leben. Marx war nicht so naiv zu glauben, dass Arbeit jemals wieder wie in Urzeiten im direkten Austausch mit der Natur vonstatten gehen könnte. Selbst bei Platon und Aristoteles stand zwischen Mensch und Natur noch der Oikos.

Als Marx den ersten Band des Kapitals zur Veröffentlichung vorlegte, waren die Volkswirtschaften von England und den USA bereits in weiten Bereichen fest in der Hand von Großindustriellen bzw. Monopolisten, damals in der New York Times als „Räuberbarone“ bezeichnet. Der erste Bestandteil des Begriffs bezog sich hauptsächlich auf die strikte Ablehnung einer Handlungs- und Denkweise, die die Entwicklung gesellschaftlichen Wohlstandes behinderte, ja blockierte.

Damals schon war die traditionelle Ökonomik übereingekommen, dass wirtschaftliches Handeln nur dann einen Sinn macht, wenn sich daraus auch eine Wohlstandsentwicklung erkennen lässt. John D. Rockefeller dominierte die Erdölindustrie, Andrew Carnegie die Stahlindustrie, J. P. Morgan die Banken. Sie trafen Absprachen, kauften kleine Unternehmen der jeweiligen Branchen auf, hebelten den Wettbewerb aus und  diktierten schlussendlich die Preise in ihren Branchen.

In dieser Zeit wurde der Zusammenhang von Löhnen und Preisen in Relation zum Wettbewerb erkannt; und dies gilt bis heute. Wohlstandsentwicklung ist nicht möglich, wenn die Preise die Löhne auffressen. Und dies entscheidet sich in der Art und Weise, wie der Wettbewerb organisiert ist bzw. unter welchen Bedingungen Wettbewerb stattfindet.

Das Geschehen auf Märkten wurde wie jede Form der menschlichen Beziehung jahrhundertelang aus dem anthropologischen Axiom: der Mensch ist des Menschen Wolf betrachtet. Der Ausspruch: „Der Krieg ist der Vater aller Dinge!“ wahrscheinlich der bekannteste Satz des griechischen Philosophen Heraklit,ist so bekannt wie dessen zahlreiche Abwandlungen wie etwa: „Am Anfang stand der Krieg“ oder „Im Krieg entwickeln sich alle wichtigen Dinge.“ Dabei hatte Heraklit etwas ganz anderes im Sinn, wenn er  über die Polarität des Lebens zu sprechen begann.

Mit der Polarität des Lebens fand Heraklit eine Möglichkeit, den Prozess des Lebens vorstellbar zu machen. Vorgestellt vollzieht sich das Leben aus dem ständigen Wechselspiel von Gegensatzpaaren: Fröhlichkeit und Traurigkeit, Wärme und Kälte, Hunger und Sattheit, Tag und Nacht, Winter und Sommer, Krieg und Frieden etc. Diese Polarität ist eingeprägt in unsere Vorstellungen von unserem Leben. Ohne sie würden wir zwar leben, könnten das Leben aber nicht denken.

Nach Heraklit – wir haben ausführlich davon schon gehandelt – gehört diese Polarität zu unserem Leben, insofern wir Menschen sind, gehört zu unserem Logos wie die aristotelischen Kategorien oder, wie wir sagten, stehen in einem komplementären Verhältnis zu unserem Dasein und prägen die Möglichkeit, unser Leben bewusst zu erleben.

Nach Heraklit gilt: Das Gefühl für Sattheit habe ich erst, wenn ich das Gefühl des Hungers hatte. Das Gefühl für Gesundheit habe ich erst, wenn ich vorher krank war. Ich kann das Leben also erst erleben, wenn die Pole, die nur scheinbar im Widerspruch zueinander stehen, aufeinandertreffen. Und dieses ständige Ringen, die Auseinandersetzung, der Streit der Pole, der zum Erleben des Lebens führt, den bezeichnete Heraklit als Krieg. Und deshalb hat der Ausdruck Krieg in diesem Zusammenhang auch nichts mit Tod, grenzenlosem Leid, Zerstörung und Niedergang zu tun.

Mord und Todschlag als anthropologisches Axiom, als Wesenskern des Menschseins im Sinne von Macht über das Leben anderer Lebenwesen, im Sinne eines unbedingten Willens und der grenzenlosen Verfügungsgewalt über die Natur fand historisch erst relativ spät in unsere Alltagswelt, wenn gleich auch schon der Homo faber der römischen Antike, kaum sich seiner selbst bewusst, auf den anderen, den Mitmenschen losgeht. Erst nach außen hin, dort wo er seine Feinde findet, dann auch nach innen ins eigene Staatswesen und Wirtschaftsleben. Die Lateiner nannten das concurrere, aufeinander rennen, was aber dort beizeiten noch keinen festen Kollisionskurs aller mit allen vorstellte.

Erst am Ende der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts, dem Zeitalter des „Kalten Krieges“ wurde der Krieg Vater dieses Gedankens, dass nämlich wir, solange wir leben und uns erinnern können, unter solchen Konkurrenzverhältnissen scheinbar leben. Dass wir nämlich wegen allem und jedem aufeinander losrennen: in der Wirtschaft, der Technik, der Kunst, im Sport, sogar im Weltall.
Die große Konkurrenz zwischen West und Ost, zwischen den Ideologien von Kommunismus, Sozialismus, freier Marktwirtschaft und bürgerlicher Existenz, zwischen den Anhängern des kapitalistischen und des kommunistischen Weltbilds also, beherrschte politisches Denken und Handeln in einer Zeit, die im Westen längst schon bestimmt war von der Transformation des Industriekapitalismus zum Informations- und Kommunikationszeitalter, zur Wissensökonomie, Digitalisierung und Globalisierung.

Wir betrachten an dieser Stelle aber vornehmlich den Wandel von einem Konkurrenz- zu einem Wettbewerbsdenken. Konkurrenz belebt das Geschäft war eine der höchsten Wirtschaftsweisheiten und steckte den Menschen zugleich tief in den Knochen. Und da es bei der Konkurrenz ja eo ipso immer um den anderen gleich mit geht – Konkurrenz mit sich selbst macht wenig Sinn – formulierte sich das Denken laut auch stets in der Kriegs-Polarität von Gut und Böse, von denen, die zu einer Gemeinschaft, einer Gruppe, einem Milieu, einer sozialen Schicht gehörten und den anderen, die nicht dazu gehörten. Am schlimmsten wog der latente, oft auch ausgfesprochene Vorwurf mangelnder Kompetenz, deren Folge ineffizientes Arbeiten das eine, mehr aber noch dessen Pendant, Unrentabilität war.

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Wohlstandsentwicklung


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