Als die Diskurse um die globale WettbewerbsfĂ€higkeit begannen und Arbeit deshalb nur als Kostenwettbewerb diskutiert wurde, war genau gesehen von einer schwachen WettbewerbsfĂ€higeit der deutschen Industrie nicht die Rede. Im Gegenteil. Bis auf die Jahre 2008 bis 2010 stieg der ExportĂŒberschuss nicht nur kontinuierlich, sondern im Vergleich zu anderen, westlichen Volkswirtschaften erheblich. Und dies seit mindestens 1994, also lange vor dem Glauben an die arbeitsmarktpolitische Energie der Hartz-Reformen.1
Wenn die Sozialpolitik und die Arbeitsmarktpolitik nicht die Ursachen der anhaltenden Wirtschaftskrise waren und beide auch deshalb keine durchschlagende Wirkung auf die Beendigung der Krise fĂŒr sich beanspruchen konnten, was war dann ursĂ€chlich fĂŒr die Krise wie deren Beendigung?
Wir sehen auch fĂŒr diese Phase der Wirtschaftsentwicklung weder die Ursachen noch die Lösung der Krise in ökonomischen Entscheidungen und Verhaltensweisen, sondern in geldpolitischen. Die Geldpolitik der EZB war ab 1999 der entscheidende und treibende Faktor, der auf den deutschen Arbeitsmarkt und die Wirtschaftsleistung mehr als alle sozalökonomischen wie wettbewerbspolitischen MaĂnahmen durchgeschlagen hat.
Aufgrund der Senkung der LohnstĂŒckkosten sind die Löhne am Ende der Krise in Bezug zur Wirtschaftsleistung insgesamt langsamer gestiegen und in den fĂŒr die deutschen Exporte so entscheidenden Segmenten wie etwa Automobil und Maschinenbau sogar gesunken. Aber die Krise selbst hatte nicht wesentlich mit einer zu „faulen“ deutschen Bevölkerung zu tun, die sich genĂŒsslich in die sozialstaatliche HĂ€ngematte der Langzeitarbeitslosigkeit gelegt hatte, noch mit einem zu teueren und deshalb nicht global wettbewerbsfĂ€higen Arbeitsmarkt. Und gleichwohl die InflexibilitĂ€t, also die strukturelle Versteifung des deutschen Arbeitsmarktes, die in der Tat erheblich durch die Hartz-Reformen an AnpassungsfĂ€higkeit an die globalen Bedingungen gewonnen hat, besorgniserregend war, war sie doch nicht mit ursĂ€chlich fĂŒr die Krise.
Die Ursachen der Krise findet man in der Geldpolitik der EZB. Und diese Geldpolitik ist eine Politik, die die Krise der politischen Institutionen in Europa und in jedem einzelnen Staat der EU deutlich hat werden lassen; jedenfalls fĂŒr den, der sie sehen will und kann.
Um gleich vorweg mit einem folgenschweren Irrtum aufzurĂ€umen; die Vorgeschichte der Euro- und der EU-Krise, die geografisch richtig gesehen in den USA als Bankenkrise begann, wurde zu Unrecht von fĂŒhrenden Ăkonomen damals so beschrieben, als wĂ€re sie wie die Flut, die Hambung 1962 fast verschlang, aus den USA nach Europa geschwappt wie ein Schicksal, gegen das die EU keine Mittel hatte. Das ist falsch.
Wie in Hamburg damals waren die Deiche, die die expansive Geldpolitik hĂ€tten eindĂ€mmen können, zu niedrig und zu schwach, aber der „Klimawandel“ in der Geldpolitik war jedem bekannt. Man hĂ€tte das Hochwasser erwarten und GegenmaĂen frĂŒhzeitig ergreifen können. Die zur Vorgeschichte zĂ€hlenden „Kapitalströme innerhalb der Eurozone“, also jene, die vom Norden Europas in den SĂŒden flossen und hier gemeint sind, sollen Krisenauslöser gewesen sein. Damit gehen die Autoren des „Consensus“2 ein wenig zu weit. Demnach seien nicht die Staatsschulden verantwortlich fĂŒr die Krise, sondern diese im Verein mit der Verschuldung der Privathaushalte. Dies gilt eher fĂŒr die USA, aber nicht fĂŒr Europa insgesamt und im speziellen nicht fĂŒr Deutschland.
Wie könnte es auch sein, dass der Wirtschaftsboom in Deutschland von zwei Seiten einer schweren „Crisis“, den Staats- wie den Privatschulden betrieben worden wĂ€re? Kann man sich in Kreisen der Ăkonomik so irren? Denn die Frage, warum die Krise nicht in ganz Europa ausbrach, steht ostentativ im Raum.
Es gibt eine kurze Antwort auf diese Fragen: Der Consensus umschreibt gar keine KrisengrĂŒnde, sondern beschreibt KrisenphĂ€nomene. Aber selbst gut beschriebene PhĂ€nomene beschreiben in einem Wirtschaftsraum nicht die Auswirkungen eines Teiles der Volkswirtschaften auf einen anderen Teil an Volkswirtschaften darin, mĂŒssen alle Einzelwirtschaften doch in irgend einer Art Realtion untereinander bestehen.
Fassen wir den Consensus zusammen, dann lesen wir, dass Verschuldung im SĂŒden der EU zu Wirtschafts- und Staatskrisen, aber im Norden zu Wirtschaftswachstum gefĂŒhrt haben. GrĂŒnde fĂŒr beide wĂ€re ein recht launisches Finanzkapital, das mal nach SĂŒden und dann nach Norden flieĂt, immer den Kursen resp. Renditen hinterher. Das ist zwar nicht ganz unrichtig, aber wir denken, das kann so nicht stehen bleiben. Und auch nicht die damit verbundene, notorisch falsche These, dass da, wo das Finanzkapital (oder der Kapitalismus) sich abwendet, aus welchen LĂ€ndern es sich zurĂŒckzieht, stets Armut einzieht. Dann wĂ€re das Kapital Ursache von allem und der Ideologie genĂŒge getan; so einfach.
Als das Finanzkapital auf die Euro-Zone traf, hatten vorher alle Volkswirtschaften ihre eignen ZinssÀtze, ihre eigene Inflation. Nun musste die EZB eine Zinspolitik machen, die den gesamten Euroraum als einen einheitlichen betrachtete, gab es ja nurmehr eine WÀhrung.
Waren damals die Zinsen in LĂ€ndern wie Griechenland, Spanien, Portugal sehr niedrig, waren sie in Deutschland hoch. Griechenland, Portugal und Italien waren bereits vor dem Eintritt in den Euro chronisch verschuldet, wiesen hohe und steigende Staatsdefizite aus. Trotzdem profitierten sie in erheblichen MaĂe vom Euro und den internationalen Investoren, die durchaus launisch sein können, die aber gleichzeitig solange keine so untreuen GĂ€ste sind, solange Renditen mit hoher Wahrscheinlichkeit, also risiko-adĂ€quate Renditen zu haben sind; wir sehen, auch mit schwierigen GĂ€sten kann man ordentliche Feste feiern.
In Deutschland sah damals die Situation so aus, als lĂ€ge die Krise auf den ArbeitsmĂ€rkten. HĂ€tte es damals aber den Euro nicht gegeben – und die Kosten der Integration der neuen BundeslĂ€nder in die BRD-Wirtschaft – dann hĂ€tte es wohl keiner Hartz-Reformen bedurft. HartnĂ€ckig aber hĂ€lt sich in den öffentlichen Diskursen eine Auffassung, dass die Effekte der Hartz-Refomen auf den ArbeitsmĂ€rkten sich derart positiv ausgewirkt hĂ€tten, dass mit den sinkenden Arbeitskosten die Wirtschaftskraft an Dynamik zugelegt hat.
Was man aber zur gleichen Zeit beobachten konnte, war, dass es in Europa und in den SchwellenlĂ€ndern zu einer vermehrten Nachfrage nach Produkten „made in Germany“ kam, vor allem Maschinen, Automobile und Chemie. Und aus den etwa sieben Millionen Erwerbslosen bzw. Langzeitarbeitslosen sind bis heute knapp fĂŒnf Millionen in Teilzeitarbeit, Minijobs, ein paar Ich-AGs wollen wir nicht vergessen. Der Sockel an Schwarzarbeit hat sich, durch Androhung von Sanktionen, zudem in Putz-Ags und Minijobs verwandelt und gleichzeit dass Niveau der Abstiegsangst in relative Armut entsprechend vergröĂert.
Die deutsche Jugendarbeitslosigkeit ist gleich Null, in den LĂ€ndern des europĂ€ischen SĂŒdens dagegen beĂ€ngstigend angestiegen. Die Staastschulden von Deutschland sind entlang der steil ansteigenden Exportquote und der BeschĂ€ftigungsquote unter den Maastricht-Satz von 60% des BIP gefallen, wĂ€hrend Irland, Griechenland und neuerdings auch Italien vor Staatsbankrotten stehen. Wer allein schon bis hierin keinen Perspektivwechsel von den Arbeits- zu den FinanzmĂ€rkten anstrengt, hat wohl GrĂŒnde, die sich nur ihm erschlieĂen. Der Blick aber auf die Geschehnisse auf den FinanzmĂ€rkten gibt immer und zugleich einen Einblick in die politische Ăkonomie, die die Rahmenbedingungen der FinanzmĂ€rkte ĂŒber die entsprechenden politischen Finanzmarkt-Institutionen, das sind vor allem die internationalen bzw. transnationalen Notenbanken, die nationalen GeschĂ€ftsbanken, die Regulierungsbehörden eines WĂ€hrungsraumes sowie die Institutionen, die zur Abwicklung bzw. zur Rettung und Sicherung staatlicher wie privater Geldhaushalte eingesetzt werden oder bestehen.
Allein schon aus einem Grund können wir behaupten, dass die FinanzmĂ€rkte stets zugleich auch die politischen Institutionen in den Blick nehmen, die weit mehr mit verantworten als die traditionllen GeschĂ€ftstĂ€tigkeiten der Banken, nĂ€mlich die Versorgung der Wirtschaft mit Geld. Dieser Grund liegt allein schon in der GröĂe der weltweiten Wirtschaftsleistung im Vergleich mit den weltweiten FinanzmĂ€rkten, die bei etwa 4:1, oder 315 Billionen zu 80 Billionen US-Dollar jĂ€hrlich liegt.
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Schwarzarbeit – Finanzmarkt-Institutionen
1
2 „Importantly, the EZ Crisis should not be thought of as a government debt crisis in its origin â even though it evolved into one.
Apart from Greece, the nations that ended up with bailouts were not those with the highest debt-to-GDP ratios.
Belgium and Italy sailed into the Crisis with public debts of about 100% of GDP and yet did not end up with Troika programmes;
Ireland and Spain, with ratios under 40%, needed bailouts.
The real culprits were the large intra-EZ capital flows that emerged in the decade before the Crisis.
These imbalances baked problems into the EZ âcakeâ that would explode in the 2010s. All the nations stricken by the Crisis were running current account deficits. None of those running current account surpluses were hit.“