Nicht die Summe der Luftbuchungen nach Übernahmen zeigt den Druck in den Bilanzblasen der internationalen Unternehmen an. Es ist wie vor einem Vulkanausbruch das schnelle Anwachsen des Drucks im Innern, das die dünne Hülle dann zum Platzen bringen kann. Die dünne Hülle, so viel im Vorgriff auf späteres, ist nichts anderes als ein Finanzmarkt-Diskurs, der durchaus jeden einzelnen Titel der indexierten Unternehmen kennt wie auch die Dynamik in der Zunahme überbewerteter Übernahmen, der aber doch lange ein wirkungsloses Dasein in der Öffentlichkeit fristet, bis eben die Blase platzt.
Krisen haben diesen ad-hoc Charakter, den wir von den Aktienmärkten als ad-hoc Abwertungen kennen. So traf es z.B. die Deutsche Bank AG im Jahr 2015, als eine ad-hoc Abwertungen mal eben knapp 5 Mrd. Euro an Aktienwerten vernichtete. Für die Bank damals zwar keine „Peanuts“, aber durchaus verkraftbar. Bereits zwölf Monate später kam es zum Ausbruch und der Aktienkurs rauschte auf ein 45-Jahres-Tief. Aus der stolzen Deutschen Bank war ein Start-up geworden, nur leider mit wenig Übernahmephantasie.
Die Bayer AG ist das jüngste Beispiel eines ausufernden Goodwills mit der Übernahme des US-Saatgutriesen Monsanto für satte 66 Mrd. Mrd. US-Dollar. Monsanto, mit einem Vermögen von 18 Mrd. Dollar, ließ sich also die Übernahme mit einem Preis von 350% des Eigenkapitals bezahlen. Das Eigenkapital war bis dato jener Preis, zu dem das Unternehmen seine Marktstellung ‚erkauft‘ hatte, also sein realer Preis. Nun ist die selbst Marktstellung dreieinhalb Mal so viel wert. Die erschreckende Wertsteigerung allein braucht zur Dramatisierung keinen Verweis mehr auf die Risiken, die in der Übernahme am Unternehmenswert zehren, was sie auf ebenso erschreckende Weise bereits tuen.
Die Übernahme der Monsanto AG hat den Goodwill in der Bayer-Bilanz auf knapp 38 Mrd. Euro und damit auf knapp 75% vom Eigenkapital anschwellen lassen1; ein enormes Rückschlagspotenzial, dass da im Aktienkurs der Bayer AG steckt. Die Erhöhung des Goodwills binnen zwei Jahren von knapp 16 Mrd. Euro und 52% auf 38 Mrd. bzw. 75% des Eigenkapitals, also um jeweils knapp 50% lässt sich durch keine ökonomische Sicht mehr rechtfertigen. Selbst die Annahme, dass bei politischer Duldung die Monsanto AG eine zeitlang ein Weltmonopol auf genetisch verändertes Saatgut besäße, rechtfertig die Übernahme unter diesen Bedingungen auch nicht. Denn ob die Politik das dulden könnte, steht stark im Zweifel und dass Monsanto weltweit gültige Lizenzen auf genetisch verändertes Saatgut besitz verkündet deren Unternehmensleitung bereits seit 14 Jahren, gesehen hat so eine Lizenz bislang noch niemand.
Aber wir verfolgen ja an dieser Stelle eine andere Thematik. Die Grafik (3) zeigt deutlich, dass vieles, was als ein Firmenwert daher kommt, nichts anderes ist als eine Blase, eine Luftbuchung eines erhofften Wertes, Kaffeesatzleserei in die Zukunft. Wir sehen, dass bei der Abschreibungspraxis am Transparanzgebot gegenüber den Eigentümern bzw. Investoren vorbei eine Wertsteigerung verschleiert wird, die quasi als Ewigkeitswert imponiert, der in der Summe des Goodwills als reale Position und deren tatsächlichem Wert auf der Zeitachse wie eingewoben als nachvollziehbares Investmentrisiko untergeht. Dass also Eigentümern die Nachvollziehbarkeit unternehmerischer Entscheidungen in Hinblick auf ihre Werthaftigkeit und Risiken verwehrt wird, ist der eigentliche Skandal. Und dabei helfen auch nicht mehr die Kampagnen aktivistischer Investoren auf breiter Front.
Zu viele Unternehmen zeichnen einen Goodwill-Anteil von über 50% des Eigenkapitals, was als Trennlinie zwischen einem zu hohen zu einem gesunden Verhältnis von Eigenkapital zu Goodwill gilt. Unternehmen mit einem höheren Goodwill-Wert als dem Eigenkapital in der Bilanz wie etwa Thyssen-Krupp, Fresenius SE, weisen aber nur auf eine Seite der Problematik hin. Betrachtet man die Grafik 1 zusammen mit der Grafik 2, dann sind einige Unternehmen aus dieser Betrachtung herausgefallen bzw. haben den Goodwill-Anteil stark verringert wie etwa E.On. Daran erkennt man schnell, dass eine Betrachtung allein über Goodwill-Anteile am Eigenkapital zu kurz gegriffen, aber durchaus als eine Art Brennglas gerechtfertigt ist, mit dem man eine bestimmte Sichtweise des Managements auf den Markt und den Wettbewerb in vergößerter Darstellung bekommt.
Wenn also ein Unternehmen zu einem hohen Anteil sein Wachstum nicht aus sich selbst heraus, sondern überwiegend durch Übernahmen zu sichern trachtet, traut das eigene Management schlicht gesagt weder sich selbst noch den Ressourcen der eigenen Firma diesen Wachstumsprozess zu. Das ist legitim, aber nicht gerade hoffnungsvoll und vertrauenswürdig. Das ist der Beginn einer Krise, die wie im Falle von E.On bereits eingetreten ist, oder noch aussteht. Diese Krise, die ein Unternehmen in seiner Substanz bedrohen kann, kennzeichnet sich vornehmlich aus durch ein abnehmendes Marktvertrauen, dass zu einer Kapitalflucht führen kann. Aber was heißt Kapitalflucht genau?
Wenn eine Kapitalflucht beginnt, dann kann man mehrere Ereignisse, teilweise alle zusammen in einem Fall, feststellen. Die Preise etwa für Kreditausfallsversicherungen, CDS, also Credit Default Swaps steigen. Hedgefonds wetten auf Zahlungsausfälle bei bedrohten Unternehmen. Ratingagenturen stufen die Bonität des bedrohten Unternehmens herunter usw. Im Falle einer Kapitalflucht kommt es natürlich nicht, wie der Ausdruck suggeriert, zu einer Flucht, einem Entzug von Kapital, denn das liegt ja in Form von Maschine, Ausrüstung, Gebäuden etc. in der Form von Produktionskapital vor. Kapitalflucht meint mehr den Fall, dass die Eigentümer bzw. die Investoren, die das Produktionskapital also die Investitionen des Unternehmens finanziert haben, die Verlängerung bzw. eine Erneuerung des Investments, also der Finanzierung von investiven Vermögensteilen verweigern. Und das gilt natürlich auf für konsumtive Investments bzw. Ausgaben. Kapitalflucht meint als eine Verringerung bis Einstellung von Anschlussfinanzierungen eines Unternehmens und damit drohende Produktionseinbußen und Entlassungen.
Wir haben damit den Bereich von Abschreibungen verlassen und sind in einen anderen Bereich der Verschleierung der tatsächlichen Wertstellung eines Unternehmens, der Unvergleichbarkeit der Unternehmensbilanzen gewechselt. Auch hier drohen Blasen, nur dass man hier nicht einmal das dünne Häutchen mehr sieht. Diese Methode der Verschleierung des realen Unternehmenswertes geschieht mithilfe unterschiedlicher Kennziffern und Begriffen in der Bilanzstellung.
Was soll ein Investor unter: „außerordentliche Aufwendungen“ oder unter „ohne Sondereinflüsse“ verstehen? Und hier geht es wieder nicht um Peanuts; ganz im Gegenteil. So hat etwa VW seine Bilanz ohne Brücksichtigung von Sondereinflüssen erstellt und damit vermieden, seine Aktionäre davon in Kenntnis zu setzen, dass die Erträge in 2018 wohl erheblich geringer als erwartet ausfallen werden; ein Fall einer nicht rechtzeitigen Gewinnwarnung und man darf gespannt sein, wie dieser etwaige Rechtsverstoß, der x-te bereits, bei der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) und andernorts aufgefasst wird.
Nicht nur, das VW sich gegenüber Wettbewerbern wie etwa Daimler und BMW, die eine Gewinnwarnung zeitnah abgegeben haben, einen eklatanten Vorteil auf den Aktienmärkten durch diese Nichtnennung von Ertragseinbrüchen verschafft hat, zehren solche irreführenden, konzerneigenen Begrifflichkeiten in der Bilanz (Ausblick) am bereits geschädigten Vertrauen der Aktienmärkte enorm.
Man fragt sich natürlich, wie das VW Management nach alter Gutsherrenart auf die Idee kommen kann, die Märkte würden dies Spiel nicht durschauen und beizeiten die Risiken der Diesellüge, denn nichts anderes verbirgt sich hinter den „Sondereinflüssen“, durch Kapitalflucht abstrafen?
So geschen, der Kurs der VW Aktie brach trotz Vermeldung einer operativen Umsatzrendite von 6,5-7,5% um mehr als 25% binnen weniger als zehn Monaten ein und zählt heute mit dem 5,7-fachen des Jahresnettogewinns zu den „billigsten“ Aktien im Dax; ein Übernahmenkandidat, wäre da nicht der politische Schutz durch die Beteiligung des Landes Niedersachen und der Lex Volkswagen. Betrachtet man die Notierungen aus Grafik 2 mit toxischen Goodwills, dann wird man erkennen, dass alle binnen Zweijahresfrist das Rückschlagspotenzial, das im Goodwill liegt, auch (fast) realisiert haben; manche sogar mehr.
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