Der Weg der Hybris

Wir haben den Weg der Hybris bereits nachgezeichnet. Die schwierige Verbindung von Geld und Macht begann im Mittelalter in Europa und erreichte eine Jahrhunderte lange Tradition, die eine erste Zäsur mit der Einführung des Giralgeldes bekam. Das Giralgeld1 ist strukturell zwar dem Digitalgeld sehr ähnlich, aber doch so verschieden, dass es aus sich selbst heraus den nächsten Schritt auf dem Weg zur vollständigen Kontrolle der Macht über das Geld nicht gehen konnte.

Die strukturelle Gleichheit zwischen Giralgeld bzw. Buchgeld oder Geschäftsbankengeld (Görgens 2007) und Digitalgeld besteht darin, dass beide eine Art der bargeldlosen Buchung von Konto zu Konto sind, woher das Buchgeld auch seinen Namen hat. Die Buchungen bzw. die Transmissionen geschehen im bargeldlosen Zahlungsverkehr der Kreditinstitute durch Zahlungsinstrumente wie Überweisung, Scheck, Lastschrift, Wechsel, Bankkarten oder Kreditkarten. Einige der Zahlungsinstrumente wie die Überweisung, die Lastschrift, Bank- und Kreditkarten werden aller Wahrscheinlichkeit nach auch im digitalen Zahlungsverkehr aufgrund der Verfassung westlicher Demokratien für eine gewisse zeit lang übernommen werden.

Den Unterschied zwischen Buch- und Digitalgeld macht strukturell das Bargeld aus. Buchgeld ist als volkswirtschaftliches Aggregat dem Bargeld gegenübergestellt, Bargeld ist also dem Buchgeld nicht subsumierbar. Das Buchgeld hat am gesamten Geldumlauf zu Zahlungszwecken einen wesentlich höheren Anteil als das Bargeld. Allein das Gesamtvolumen der Sichteinlagen war im August 2013 „Im Euroraum mit 4.858 Milliarden Euro fünfmal so groß wie der Bargeldumlauf mit 957 Milliarden Euro.“ (Bundesbank 2014).

Man kann natürlich auch umgekehrt formulieren, dass ein Fünftel, also 20% des gesamten Geldbestand des Nichtbankensektors von den Banken bis heute nicht erfasst oder kontrolliert werden. Wie hoch der Bestand an Bargeld aber tatsächlich ist, lässt sich nicht einmal annähernd schätzen. Als Frau Merkel und Herr Steinbrück verkündeten: Die Sparguthaben seien sicher, haben viele Menschen ihre Depots unter dem Kopfkissen und der Kaffeedose aufgefüllt. Niemand weiß, welche Summen allein anläßlich der letzten Finanzkrise so aus den Blicken der Banken verschwunden sind. Eben so wenig weiß man von den Geldern auf den Konten in Panama, Delaware und den tausend anderen Steuerparadiesen. Die sind wie Bargeld zu betrachten, ebenso wie die baren Schwarzgeldvermögen, die in Kunst und anderen Luxusgütern, Drogengelder, Schmiergelder usw.

Das Buchgeld liegt bei Banken in Buchform vor. Diese Buchform ist längst ein Datenbankformat, also ein digitales Format geworden und greift bislang nicht auf die Bargeldform hinaus, d.h. es ist nicht kontrollierbar. Und diese Unkontrollierbarkeit in Höhe und Verwendung vergrößert sich in jeder Finanzkrise, in den Phasen von politischer Unsicherheit, wie wir dies am Beispiel der Schuldenkrise Griechenlands erörtert haben. Niemand wusste damals, wie hoch denn das Gesamtvermögen der griechischen Bürger ist und welche Verkehrswege es durch die Welt nimmt. Kapitalverkehrskontrollen sind da nur das letzte Mittel und effektiv nur für das Geld, das seinen Weg aus der Kontrolle noch nicht gefunden hat.

Staaten mit ineffektiven Institutionen, vor allem in den Finanzämtern und den Grundbuchämtern, haben überhaupt keinen wirklichen Überblick über die Geldströme und wirklichen Eigentums- und Vermögenverhältnisse wie etwa in Italien und zum Teil auch in Spanien. Buchgeld generell entsteht durch Einzahlung von Bargeld auf ein Bankkonto, hauptsächlich jedoch durch Kreditgewährung der Kreditinstitute, die dadurch Geldschöpfung betreiben. Eine effektive Übersicht etwa über den tatsächlichen Vermögensstand allein der italienischen Privatimmobilien darf man getrost als nicht vorhanden betrachten.

Kreditgewährung erfolgt im Endeffekt regelmäßig dadurch, dass eine Bank ihrem Kreditnehmer Buchgeld durch Gutschrift auf dessen Bankkonto zur Verfügung stellt. Die durch Gutschriften zustande gekommenen Bankguthaben heißen Sichteinlagen und bilden den größten Teil des Buchgelds. Genau genommen müssen zum potenziellen Buchgeld auch die dem Bankkunden eingeräumten, noch nicht ausgenutzten Kreditlinien wie etwa der Dispokredit und der Kontokorrentkredit sowie Termineinlagen und Spareinlagen von Nichtbanken gerechnet werden. Alle diese Buchgelder entzeihen sich sofort einer Kontrolle, einer echten Wertstellung, wenn sie die Bankkonten verlassen haben. Was macht einer mit der Sichteinlage, sprich Guthaben auf seinen Girokonto? Was mit seinen Kontokorrentkredit? Niemand weiss das. Was man leider dann zur Kenntnis nehmen darf, ist, dass im Falle der Nicht-Rückzahlung von Krediten diese toxisch werden.

Da Sichteinlagen jederzeit durch Abhebung in Bargeld umgewandelt werden können, bezeichnet man sie als potenzielles Bargeld und sind so der Bankenkontrolle in ihrer Rolle bzw. Funktion als wirtschaftspolitischer Träger entzogen. Banken und andere Kreditinstitute waren nie allein Wirtschaftsunternehmen mit verschiedenen Geschäftsmodellen, sondern Teil eines Systems der staatlichen Geldkontrolle bis hin zum Bargeld, das sich gleichsam als Grenzphänomen bzw. Aggregat jenseits staatlicher Kontrolle entabliert hat. Und bislang war auch eine Kontrolle nur möglich um die Preisgabe eines auf individueller Freiheit basierenden Staatsmodells.

Nun, mit der Verbreitung mobiler, digitaler Technologien ist es möglich, den gesamten Geldumlauf zu Zahlungszwecken und letztlich auch den gesamten Geldbestand des Nichtbankensektors staatlichen Trägern sichtbar zu machen, wenn Bargeld aus dem Verkehr gezogen wird. Die Kopfkissen zuhause werden dann wieder flacher, in der Kaffedose ist wieder nur Kaffee. Ein Bank Run ist nicht mehr möglich – und die Regierung die größte Sorge in Finanzkrisen ledig. Der Geldbestand ist jederzeit in seiner aktuellen Höhe bekannt und kann als Besicherung von Krediten aller Art, also auch von Staatskrediten verwendet werden; so jedefalls träumen Banken und Regierungen.

Aber vor allem in Verbindung mit weiteren Datenquellen wird das Digitalgeld zu einem Paradigmenwechsel im Verhältnis zwischen Macht und Geld. Der direkte und umfassende Duchgriff des Staates auf (fast) alle Lebensbereiche der Bürger wird möglich; in China existiert er bereits und beängstigend weitgehend. Dieser Paradigemnwechsel dehnt sich auch auf den privatwirtschaftlichen Bereich aus, bleibt also nicht auf das Verhältnis von Staat und Bürger begrenzt. Die vielschichtigen geschäftlichen Beziehungen, die ein Bürger zu Unternehmen unterhält gleichen sich an und werden zu einer einzigen Art von Relation, dem sog. Social-Scoring-System.

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GiralgeldDigitalgeldBuchgeldKapitalverkehrskontrollenwirtschaftspolitischer Träger


1 Buchgeld (auch Giralgeld (griechisch gȳrós (γυρός) „rund“) oder Geschäftsbankengeld ist, als Forderung auf Bargeld, ein Zahlungsmittel, das im Bankwesen durch Übertragung von Girokonto zu Girokonto mittels Buchungen genutzt werden kann.


Egon Görgens, Karlheinz Ruckriegel, Makroökonomik, 10. Aufl., 2007, UTB, ISBN 978-3825283506

Deutsche Bundesbank (Hrsg.): Geld und Geldpolitik, Stand: November 2014 /sup>

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