Einfall der Hybris

Die Erscheinungsformen der Hybris1 der politischen Macht sind vielfĂ€ltig. In Friedenszeiten zeigt sich eine dieser Erscheinungsformen politischer Anmaßung im Umgang mit dem Geld der BĂŒrger, ganz besonders in dem Ziel der Abschaffung des Bargelds.
Bereits in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde die persönliche Auszahlung von Löhnen und GehĂ€ltern (LohntĂŒte) durch das Girokonto (Giralgeld) ersetzt. Diese Ersetzung war im Vergleich zu den aktuellen Ambitionen der Ersetzung des Bargelds durch ‚digital money‘, minimal an Bedeutung. Gleichwohl war schon die universelle EinfĂŒhrung von Giralgeld weitreichend und fand am Beginn auch wenig Zustimmung.

Politik und Banken haben damals wenig gegeben auf die Ablehnung des Giralgeldes in weiten Teilen der Bevölkerung. Unter dem Schirm einer demokratischen Verfassung hat der Bankensektor in Form einer oligarchischen TrÀgerschaft
2 den wirtschaftspolitischen Prozess vom Bar- zum Giralgeld stellvertretend vollzogen. FĂŒr die Politik ist es aber keineswegs ausgemacht, dass Banken auch den proktischen Vollzug vom Giralgeld zum Digitalgeld bewerkstelligen, weil sie in der aktuellen Situation weit hinter den Entwicklungen im Bereich der sog. FinTechs, der Unternehmen, die das Feld der monetĂ€ren Dienstleistungen auf der Basis digitaler Prozesse entwickeln zurĂŒck geblieben sind.

Banken haben ihre uneingeschrÀnkte Rolle als wirtschaftspolitische TrÀger, die sie Jahrhunderte lang innen hatten, in den letzten zwei Jahrzehnten stark beschÀdigt. Bevor wir diesen Transformationsprozess uns genauer ansehen und auf die Digitalisierung wirtschaftlicher und wirtschaftspolitischer Prozesse detaillierter eingehen, schauen wir einen kurzen Augenblick auf den Status Quo.

Der Status Quo ist maßgeblich gekennzeichnet dadurch, dass die gesamte europĂ€ische Bankenlandschaft, vor allem aber die in der sĂŒdlichen HemisphĂ€re des Euros an der Staatenfinanzierung beteiligten Banken in einer schweren Krise sich befinden durch die enormen Summen an toxischen Krediten in ihren Bilanzen. Die Staatsfinanzierung, die ĂŒber Banken, also den PrimĂ€rmarkt, wie ĂŒber den SekundĂ€rmarkt der internationalen FinanzmĂ€rkte organisiert war, ist im Prinzip und defacto schwieriger geworden.

Da der Geist der Staatspleiten nun einmal in Europa aus der Flasche ist und der Fall Griechenland seine Kreise zieht, reagieren die FinanzmĂ€rkte mehr als zurĂŒckhaltend. Die langlaufenden Anleihen, die jĂŒngst von Italien herausgegeben wurden, liegen schwerer als Blei in den BĂŒchern. Kein Investor will sie mehr haben. D.h. man traut weder Italien noch der EU zu, das Pferd langfristige Schuldenhalbierung durch die Zinspolitik der EZB lebend in zwanzig bzw. mehr als zwanzig Jahren wieder in den Stall zu bringen. Das Damoklesschwert Staatsbankrott schwebt nun natĂŒrlich vor allem ĂŒber Anleihen mit langer Duration, die einst eine sichere Finanzierungsquelle darstellten.

Auf dem PrimĂ€rmarkt herrscht ebenfalls Ebbe in den Kassen, so daß den Regierungen nicht mehr viele Optionen bleiben. Soll der Schuldenstand etwa von Italien tragfĂ€hig bleiben, was er aber schon seit langem de facto nicht ist, also, abgesehen von Tilgung nur so wie aktuell unterhalb eines Spread bis zu 4-4,5% refinanzierbar sein, so bleiben der italienischen wie alllen anderen im Europarat vetretenen Regierungen nicht mehr viele Möglichkeiten; eigentlich nur noch eine.

Einen Vorgeschmack auf Kommendes bekamen italienische Privatanleger Ende November 2108 von ihrer Regierung eingeschenkt, die Zeichnung einer „Patriotenanleihe“. Weil Profi-Investoren auf den FinanzmĂ€rkten immer höhere Zinsen fordern, versucht Rom die Italiener nun selbst fĂŒr milliardenschwere Wahlversprechen anzuzapfen. Doch nicht mal das eigene Volk will Geld fĂŒr den Schulden-Wahnsinn riskieren. Und es bleibt doch einiges an Zweifel, ob mit solchen patriotischen Papieren, die ganz nahe von „Kriegsanleihen“ konstruiert sind, das italienische Volk freiwillig der weiteren Befriedigung des Geldhungers der italienischen Regierung nachkommen möchte.

So bleibt am Schluss nur noch der Ausweg, wie bei Kriegsanleihen die Bitte um Freiwilligkeit zu umgehen. SelbstverstĂ€ndlich ist die italienische Administration nicht so ungeschickt, dies öffentlich sichtbar vorzutragen. Aber was machen Regierungen, wenn die Finanzierungsbedingungen viel zu kostspielig sind fĂŒr ein Land mit niedriger Inflation und zugleich schwachem Wachstum?

Der Begriff der Stagflation hĂ€lt zumindest schon einmal fest, dass mit einer Schuldenverringerung durch langjĂ€hrige Inflation um die zwei Prozent p.a. nicht zu rechnen ist. Das schwache Wachstum lockt auch keine Investoren ins Land und die RisikoaufschlĂ€ge auf Staatsanleihen in der Höhe wie sie fĂŒr Italien bereits sichtbar sind, kann keine Volkswirtschaft fĂŒr lĂ€ngere Zeit aushalten.
Noch versuchen Staaten in solch einer Situation eine Refinanzierung durch auf Privatanleger zugeschnittene Bonds an den Börsen zu platzieren. Einige Staaten schauen dabei auf die Situation in Japan, das das höchst verschuldete Industrieland der Welt mit ĂŒber 230% des BIP ist und trotzdem keine Probleme mit der Refinanzierung seines Staatshaushaltes hat, und das schon seit Jahrzehnten. In Japan aber findet der Absatz von Staatsanleihen bei den japanischen BĂŒrgern keine Probleme wie auch der RĂŒckkauf durch den Staat nicht.

Aber die jĂŒngsten Erfahrungen mit der italienischen Variante der japanischen Idee Ă€hneln einem verheerenden Finanzreferendum, dass so ausfĂ€llt: Angesprochen vom italienischen Populismus wollen eine stattliche Reihe Italiener gerne mehr soziale Leistungen und Wohltaten von ihrer Regierung, aber sind nicht bereit, dafĂŒr Geld auszugeben; das klingt wir ein politisches Facebook-Prinzip. Und das ist es auch. Denn in absehbarer Zeit werden die BĂŒrger der sĂŒdeuropĂ€ischen Staaten Zypern, Griechenland und Italien und Ă  la longue alle BĂŒrger in Europa mit ihren Daten die Finanzierung des Machthungers und der Machterhaltung ihrer Regierungen mit Daten bezahlen, so nicht japanische VerhĂ€ltnisse eintreten, die, ĂŒbrigends auch nicht gar so schön sind, wie sie auf den ersten Blick erscheinen.3

Gerade in Zeiten von Finanzkrisen, die nicht selten mit Kapitalmarktkontrollen und Bankeninsolvenzen einhergehen, war und ist bislang das Bargeld fĂŒr den privaten Besitzer noch das sicherste Zahlungsmittel. Ein drohender Bank Run, wie wir das in Europa im letzten Jahrzehnt bereits mehrfach erlebt haben, ist der Alptraum fĂŒr Banken und Regierungen4. NatĂŒrlich sind die Einlagen der Sparer in solch einer Situation alles andere als sicher. Woher will eine Regierung diese Summen denn nehmen?

Aber es geht eigentlich um eine ganz andere Sache, es geht umgekehrt um die Besicherung staatlicher Kredite durch private Einlagen bei Banken (und Versicherungen). Und dahin fĂŒhrt nur der Weg ĂŒber die Abschaffung des Bargelds als letztes und effizientestes Mittel. Ohne Bargeld könnten die Banken privaten Kunden ungehemmt Minuszinsen5 in Rechnung stellen. Ohne Bargeld sind allen Geldtransaktionen einsichtbare Datenströme, die kontrolliert, selektiert und monetarisiert werden können. Und in Verbindung mit anderen Daten etwa MobilitĂ€tsdaten bilden sie ein gigantisches Wertpotenzial.

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1 Die Hybris (altgriechisch ᜕ÎČρÎčς hĂœbris ‚Übermut‘, ‚Anmaßung‘) bezeichnet eine extreme Form der SelbstĂŒberschĂ€tzung oder auch des Hochmuts. Man verbindet mit Hybris hĂ€ufig den RealitĂ€tsverlust einer Person und die ÜberschĂ€tzung der eigenen FĂ€higkeiten, Leistungen und Kompetenzen, vor allem von Personen in Machtpositionen. Im Kontext der politischen Ökonomie bezeichnet Hybis das bewusste, kalkulierte Überschreiten des politischen Mandats zur Erreichung demokratisch nicht legitimierter Ziele und zum Nutzen politischer TrĂ€gerschaften.
2 Der Begriff wirtschaftspolitischer TrĂ€ger ist ein Kernstrukturelement der allgemeinen Wirtschaftspolitik. Die Auswahl und die Funktion des wirtschaftspolitischen TrĂ€gers ist im Wesentlichen durch das allg. politische System bestimmt, in dem der wirtschaftspolitische TrĂ€ger operiert. Seine Definition berĂŒhrt deshalb auch Fragen der Wirtschaftsordnung und der Staatsverfassung.
Charakteristik: Der wirtschaftspolitische TrĂ€ger bestimmt den praktischen Vollzug der wirtschaftspolitischen Handlungen. Seine Charakterisierung resultiert aus der Beantwortung der beiden Fragen: „Wer handelt fĂŒr wen” und „Wozu und wodurch ist der Handelnde legitimiert”.
Oligarchische TrĂ€gerschaft: Eine Gruppe handelt fĂŒr alle wie etwa in einer parlamentarischen Demokratie. (Vgl. Gabler)

3 Bereits nach ein paar Wochen nach dem verheerenden „Finanzreferendum“ in Italien signalisiert dessen Regierung ein Einlenken in der Schuldenpolitik. Wir glauben daran nicht uneingeschrĂ€nkt. Welche semantischen Narrative die italienische Schuldenpolitik der nĂ€chsten verschleiern werden, werden wir beobachten. Aber dass Italien zu einer vernĂŒnftigen Haushaltspolitik zurĂŒckkehrt, ist unwahrscheinlich, wenn nicht gar unmöglich.
4 Erinnert sei an die Hypo Real Estate Pleite und den Auftritt von Merkel und SteinbrĂŒck: „Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind. Auch dafĂŒr steht die Bundesregierung ein.“ (Merkel)
„Ich möchte gerne unterstreichen, dass wir in der Tat in der gemeinsamen Verantwortung, die wir in der Bundesregierung fĂŒhlen, dafĂŒr Sorge tragen wollen, dass die Sparerinnen und Sparer in Deutschland nicht befĂŒrchten mĂŒssen, einen Euro ihrer Einlagen zu verlieren.“(SteinbrĂŒck) beide am 05.10.2008

5 Die Hamburger Sparkasse (Haspa) hat angekĂŒndigt, ab 1. September private Konten mit hohen Einlagen zu belasten. Privatkunden mit einem Vermögen von 500.000 Euro und mehr auf Giro- und Tagesgeldkonto mĂŒssen dann 0,4 Prozent Strafzinsen bezahlen. Allerdings nur fĂŒr die BetrĂ€ge, die ĂŒber 500.000 Euro liegen.
Beispielrechnung: Ein Kunde hat 700.000 Euro auf seinem Tagesgeldkonto. FĂŒr 200.000 Euro muss er 0,4 Prozent Strafzinsen bezahlen. Das macht im Jahr 800 Euro . Dazu kommt noch die Inflation von derzeit zwei Prozent. Sie frisst – bezogen auf den Anlagebetrag von 700.000 Euro – weitere 14.000 Euro pro Jahr. (fokus.de vom 23.08.2018

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