Der Glaube an die arbeitsmarktpolitische Energie der Hartz-Reformen ist vor allem bei jenen auf Kritik gestoßen, die aus einer Perspektive der gesamten EU und des Euros auf die Krisen in den einzelnen betroffenen Staaten blickten. Generell gilt ein ehernes Gesetz der Ökonomie, dass aus volkswirtschaftlichen Krisen allein der Weg herausführt, der mit starken Investitionen und ökonomisch tragfähigen Innovationen gepflastert ist. Wir ergänzen, es brauchte in Europa eine performante Geldpolitik, um den volkswirtschaftlichen Krisen den brüchigen Boden zu entziehen. Aber die gab es nicht.
Unter Performanz-Gesichtspunkten betrachtet, war die Geldpolitik in Europa nach 2008 ein Underperformer. In Hinblick auf die europäische Bankenregulierung zum Schutz der Sparer und zur Sicherung der Finanzfunktionen der Volkswirtschaften war das noch weniger. Im Ergebnis bedeutet das für die deutschen Sparer einen riesigen Verlust an Vermögen bei Sparkonten und Lebensversicherungen und eine deutliche Bremse des sozialen Fortschritts. Und das Versagen der Bankenregulierung hat nicht nur in den europäischen Krisenstaaten, sondern in ganz Europa versagt.
Zwei Faktoren mag man noch durchgehen lassen, erstens, dass die Banken zu groß geworden waren. Zweitens, dass deren Geschäfte weit über das hinausgegangen sind, was zum traditionellen und über die Jahrhunderte hinweg stabilen Geschäftsmodell der Banken gehörte. Nun, in der Krise zeigt sich, dass die Komplexität der Geschäftsmodelle und deren Verzahnung von Investmentbanking und Kreditvergabe der Risikokontrolle geschadet haben, falls überhaupt eine Risikokontrolle, die diesen Namen verdiente, vorhanden gewesen war.
Aber drittens hatte sich zwischen Banken und den politischen Institutionen der Heimatstaaten ein geradezu überkostspieliges, enges Verhältnis aufgebaut. Banken und Banker waren von politischen Mandatsträgern kaum noch in ihrer Funktion zu unterscheiden. Mit jedem Sack Geld, der aus den Banken herausgetragen wurde nahmen die an politischem Gewicht zu; manchmal schienen Banken auch unter einer Art Sonderrecht zu stehen, das ihnen so ziemlich alles erlaubte, was auf den Geld- und Finanzmärkten, vor allem im Investmentbanking machbar war; besonders der Eigenhandel erwies sich nachträglich neben der Entwicklung und den Vertrieb von undurchschaubaren Kapitalmarktinstrumenten als Rudel Wölfe im Schafspelzen.
Wie wir bereits vorher festgestellt haben, hätte eine seriöse Regulierung der Banken vor allem einen höheren Eigenkapitalbestand und zweitens in ganz Europa für Kreditnehmer deutlich höhere Eigenkapitalforderungen für Kredite, und das nicht nur bei Hypotheken-Darlehen, einfordern müssen. Dass es so weit kommen durfte, dass wie in den Fällen von Griechenland, Spanien und Irland die Bürger der Krisenstaaten ihre Banken haben retten müssen und die Shareholder der Pleite-Institute relativ glimpflich dagegen davon kamen, ist ein Skandal.
Der Politik-Skandal meint nun noch nachträglich die Mär erzählen zu dürfen, dass niemand die Probleme des Finanzsektors habe vorhersehen können; was für ein politisches Armutszeugnis. Wenn niemand in Irland – und in Europa – mitbekommen hat, dass die Anglo-Irish Bank eine zweieinhalb mal so hohe Bilanzsumme in ihren Büchern hatte wie der irische Staat an Steuereinnahmen in seinem Haushalt auswies, dann müssen alle Augen blind gewesen und der Geruchssinn ausgefallen sein; das stank ja zum Himmel.
Über einhundert Milliarden an Bilanzsumme und das meiste davon an Hauskrediten. Irland ist gewissermaßen ein Paradebeispiel dafür, wie scheinbares Wirtschaftswachstum und sozialer Fortschritt in Wahrheit nichts anderes ist, als eine politische Fehlsteuerung der Ökonomie in die Krise hinein. Irland gehörte einmal mit zum Armenhaus Europas. Seit Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts gelang dem Land ein spektakulärer Aufstieg vom Armenhaus zum zweitreichsten Mitgliedsstaat der EU, gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf. Wer hingeschaut hat, musste die zeitgleich sich ausbreitende, dramatisch wachsende Ungleichheit der Wohlstandsverteilung sehen.
Irland lockte mit extrem niedrigen Unternehmenssteuern und einer gute Infrastruktur zahlreiche Investoren vor allem aus den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland ins Land. Irlands Banken boten sagenhafte Zinsen den deutschen Sparern und machte es der eigenen Bevölkerung extrem leicht, an Hauskredite zu kommen. Der größte Teil der irischen Wertschöpfung floss ins Ausland, der Anteil der Löhne am Bruttoinlandsprodukt sank bis zum Ende der neunziger Jahre kontinuierlich von 77% auf schließlich 58%. Der ausgezeichnete Leistungsbilanzüberschuss aus Exporten täuschte darüber hinweg, dass dem ein etwa entsprechender Saldo an Gewinntransfers an die ausländischen Investoren gegenüber stand.
Für die Investoren ein Paradies, für den Faktor Arbeit ein fataler Irrtum. Denn in dem Maße, wie die Arbeitslosigkeit zurück ging stiegen die Nominallöhne. Der Wochenlohn in der Industrie lag im Jahr 2006 um mehr als 50 Prozent höher als noch 1998. Aber gleichzeitig wurde die Kaufkraft durch die hohen Inflationsraten von jährlich über zwei bis zu fünf Prozent belastet und so die reale Kaufkraft erheblich geschmälert. Das Preisniveau schnellte über den EU-Durchschnitt und obwohl die Nominallöhne in den Boomjahren zwar stark gestiegen waren, wuchsen sie real eher schwach und vergößerten stetig die ungleiche Wohlstandverteilung.
Steigende Nominallöhne und niedrige Arbeitslosigkeit ließen die Iren zu wahren Hausbaumeistern werden. Zwischen 1995 und 2006 verdreifachten sich die jährlichen Fertigstellungen von Häusern und Wohnungen im Privatbesitz. Die Handelsbilanz drehte sich um, das Wachstum kam ja nun aus der Binnennachfrage und der Überschuss fiel in nur fünf Jahren zwischen 2002-2007 um satte vierzig Prozent. Weil die Gewinntransfers an die ausländischen Investoren weiter anhielten und bei jährlich immerhin rund 14% des BIP lagen, drehte die Zahlungsbilanz ab 2005 kräftig ins Minus. Das Land begann also relativ über seine Verhältnisse zu leben.
Zwischen 1997 und 2007 wies Irland Haushaltsüberschüsse aus, war also ein Land mit sparsamem Staat. Im gleichen Zeitraum halbierte sich die Staatsverschuldung des Landes sogar und lag am Ende bei lediglich 25% des BIP. Aber Irlands Bürger lebten deutlich über ihre Verhältnisse. Alimentiert wurden sie durch die Banken, die weder bei den Risiken der privaten Schuldner noch bei ihrer immer riskanteren Refinanzierung auf den internationalen Kapitalmärkten irgend welche Probleme sahen; man wollte sie einfach nicht sehen. Und so ähnelte die Situation im Grundsatz mit der in den USA vor Ausbruch der Finanzkrise. In Irland spreizte sich die Verteilung der Wertschöpfung weiterhin in zunehmende Ungleichheit, aber die reichlich sprudelnden Kredite der Banken, die fast jeden beliebigen Nachschub von den europäischen Investoren bekamen, wiegten die Bürger in der scheinbaren, finanziellen Sicherheit und dem Gefühl, sich immer mehr leisten und am Boom lange teilhaben zu können; nur war die Teiilnahme leider kreditfinanziert und die irische Währung der Euro und nicht der US-Dollar.
Dann kam der Crash. 2008 würde es ungemütlich an den heimischen Kaminen und die Parties in den Hausgärten wurden wegen aufziehenden Schuldengewitter abgesagt. Aus war es plötzlich mit der günstigen Refinanzierung der irischen Banken auf den internationalen Finanzmärkten. Kredite brachen in beiden Segmenten ein, private wie geschäftliche, und mit ihnen das irische Wachstum. Dann, zwischen 2007 und 2010 erwischte es die Arbeitsmärkte, auf denen sich die Arbeitslosigkeit sprunghaft verdreifachte. Die Bürger waren insolvent und die Banken saßen vor seitenweisen uneintreibbaren Krediten, die die Bilanzen rot färbten.
So rot, dass das Eigenkapital der Banken aufgezehrt war und auch kein Schuldenschnitt allein mehr die Banken retten konnte. Die politische Ökonomie hatte sich verzockt und rief nun die Bürger zur Rettung. Und für diese Rettung des Bankensektors vor dem Totalbankrott musste der irische Staat die über zehn Jahre akkumulierten Haushaltsüberschüsse binnen zwei Jahren in die Rettung der Banken stecken; dieser Wohlstandsgewinn war nun weg und zeigt sich als ein Pyrrhussieg.
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Underperformer – Bankenregulierung
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