Krisen im Umkehrschluss

Die Fragmentierung der großen Krisenfelder der Marktwirtschaft: Finanzkapital, Handel, Arbeit (und Bildung/Ausbildung) und Klima (und Ressourcen) sowie deren Verteilung in den globalen Wertschöpfungsprozessen und den Entscheidungen der politischen Ökonomien, vor allem in den USA, Europa und China, lassen sich nicht mehr in den traditionellen Theorien der Kapitalakkumulation oder mit Hilfe spieltheoretischer Denkmuster repräsentieren.

In der klassischen Ökonomik repräsentierte der Prozess der Kapitalakkumulation noch ein Begehren, eine Gier nach Profit aus der Natur des homo oeconomicus, die sofort und gesteigert einsetzt, wenn nur ein erster Mehrwert erreicht ist. Das exponentielle „immer-mehr“ der keynesianischen Ökonomen mit evulotionstheoretischem Hintergrund kontrastiert die andere Seite der Medaille, auf der die Mangel- und Verzichtstheoretiker, kurz die Neoklassik, sich einstellt. Sparsamkeit, Konsumverzicht, die „Schwarze Null“ oder die Austeritätspolitik unterstellt dem so gesparten, gebildeten Kapital eine innere Kraft der Entfaltung, eben eine Akkumulationsbewegung sui generis.

Natürlich ist Profit, ohne ein gewisses Quantum an Kapital, in einer Marktwirtschaft nicht zu haben. Aber, wenn es denn kein „anthropologisches“ Streben nach immer mehr Kapital gibt, wo kommt dann die Akkumulation des Kapitals her? Nehmen wir die beiden Enden der anthropologischen Implikationen zusammen in den Blick, dann sehen wir leicht, dass Klassik und Neoklassik zwei-eiige Zwillinge des gleichen Gedankens sind.

Es mangelt zur Zeit nicht an Schuldzuweisungen, wenn es um die Euro-Krise ab dem Jahr 2011 geht. 2011 war das Jahr einer Doppelrezession in Europa, die inmitten der Finanzkrise von 2008 sich ausbreitet mit all‘ den Imponderabilitäten auf den internationalen Finanzmärkten, die, wären sie nicht gewesen, dem griechischen Staat wie einigen anderen europäischen Volkswirtschaften sicherlich nicht ganz so grausam mitgespielt hätten.

So blieben laute Schuldzuweisungen mit unterschiedlichen Sündenfällen. Italien und Portugal, denen man vorwarf, nicht wirklich ihre Staatsschulden in den Griff bekommen zu wollen. Den Iren wurden mangelnde Kontrollen ihrer Banken vorgeworfen, bis man erkannte, dass dies ebenso in Spanien der Fall war. Den Griechen warf man Betrug der internationalen Investoren nach, bevor man deren leidenschaftlichen Lustgewinn aus administrativer Strukturlosigkeit, wie etwa im Steuer- und Bauwesen einerseits und andererseit an einer bis zum maroden Übereifer erfreuten Überregulierung und Bürokratie entdeckte.
Dann sah man solche lusterzeugenden Differenzen auch in Italien, wo sie eigentlich schon seit Jahrzehnten bekannt, vielleicht sogar erfunden worden, aber kaum in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung erkannt waren. Schließlich musste Deutschland zuerst beim IWF, dann in den USA des Donald T. und schließlich in Halb Europa mit England an der Spitze sich die immensen Exportüberschüsse und den notorisch ängstlichen Sparzwang vorwerfen lassen, die die extreme Schieflage der EU und des Euros mit verursachen halfen.

Alles in allem liegen die Ursachen der Eurokrise demnach in menschlichem Versagen, sei es hedonistischer oder zwanghafter Natur. Dabei ist es schon seltsam, dass ökonomische Theorien eindeutig ökonomisch motiviertes Verhalten in einer verhaltensontologischen Ursache begründet sehen. Wie wir mehrfach zeigen konnten, greifen solche Annahmen viel zu kurz. Sie decken den ökonomischen wie den politisch-institutionellen Erklärungsraum nicht ab, leuchten ihn nur spärlich aus; man sieht bei solchen Lichtverhältnissen dann eben wenig.

Wir haben gezeigt, dass es sowohl in Europa wie auch im globalen Handel keine Institutionen gibt, die geeignet wären, die Prozesse der Transformation nationaler Marktwirtschaften zu transnationalen wie globalen Wirtschaftsräumen zu steuern, zu kontrollieren und zu befördern. Die Rahmenrichtlinien, die bislang in einer bereits dynamisch sich entwickelnden Weltwirtschaft bestehen, sind mäßig, wenn überhaupt vorhanden.

So wächst die Weltwirtschaft zur Zeit mit einer durchaus robusten Rate von jährlich etwa vier Prozent, gleichwohl sind die Risiken größer denn je geworden. Eine weitere Krise im Umkehrschluss haben wir bereits eingehend beschrieben: Obwohl die meisten Schwellenländer über stabile und gute Haushalte verfügen, verlässt sie das Kapital fluchtartig, als stehe eine schwere, ökonomische Krise in den Ländern bevor.

Zur politischen Steuerung des Handels haben sich, nach einigen amerikanischen Zicken, die USA, Mexiko und Kanada auf ein neues Freihandelsabkommen geeinigt, zugleich eskaliert der Handelsstreit zwischen den USA und China und erhält fast täglich im diskursiven Widerspruchsverfahren durch Donald T. via Twitter sich selbst widersprechende Aussagen und Ankündigen.
So widersprechen sich die Ergebnisse von Bankenstresstests und politischen Aussagen zur Bankenstabilität mit solchen, die den Banken ein ‚ungenügend‘ ins aktuelle Zugnis schreiben und die Institute schlechter denn je auf eine rezessive Krise vorbereitet sehen.

Optimusmus und Pessimusmus scheinen in einem fast heroischen Streit um die Vorherrschaft zu stehen, wie die Götter der griechischen Tragödie um das Gute. Alles das passiert in der Abwesenheit jeglicher Spielregeln und dem Wissen darum, wie sehr solche Not tun. Fast täglich wird den Menschen weltweit der Segen der Globalisierung verkündet, allein sie begehren dagegen auf, rebellieren oder fallen in Apatheit. Wie sehr auch der globale Wettbwerb sich nicht als ein Null-Summen-Spiel herausgestellt hat, bei dem einer gewinnt, ein anderer verliert, wie sehr also darauf auch verwiesen wird, dass dabei alle Länder gewinnen, es mag keine positive Stimmung bei den Bürgern in den USA, Europa und in Teilen Asiens bezüglich des globalen Wettbewerbs aufkommen.

Drei Jahrzehnte Weltwirtschaftswachstum, in denen sich die Wirtschaftsleistung global verdoppelt, die Armut drastisch verringert hat und dies, obwohl die Weltbevölkerung stark angestiegen ist, mag viele Menschen zu keiner positiven Meinung bezüglich des Ausbaus globaler Beziehungen, weltweiter Handelskooperationen und Wertschöpfungsnetzwerken leiten. Nationalismus und Protektionismus als Triebkräfte einer Deglobalisierungsbewegung verteilen sich zur Zeit über fast alles westlichen Volkswirtschaften.

So abhängig vom Euro wie kein anderes Land der Eurozone brüstet sich Italien lautstark wie eine pubertierende Rotznase, sich an keine europäische, vertragliche Vereinbarung zur Begrenzung von Staatsschulden zu halten; von anderen Vereinbarungen und Verträgen gar nicht zu sprechen. Bereits in stürmischer See, öffnet die italienische Regierung alle Lucken der europäischen Währung unterhalb der Wasserlinie. Und so imponiert auch aktuell die griechische, die unbedingt an die Finanzmärkte und damit zu einer autonomen Refinanzierung des Haushalts zurückkehren will, indem sie üppige Wahlgeschenke zur Wiederwahl im nächsten Jahr verspricht, worauf promt die Rendite auf griechische Staatsanleihen auf aktuell fast 6% springt. Daraufhin musste Griechenland die jüngste Emission von Staatspapieren vom Markt zurückziehen.
Man wird den Eindruck nicht los, dass viele der europäischen und US-amerikanischen Regierungssitze von Replikanten aus dem Film Blade Runner besetzt sind, natürlich nicht von „Roy“, denn der hat sich ja über die Zeit hinweg weiterentwickelt: „Zeit zu sterben.“

[sidebar]
[title]Begriffe – Anmerkungen – Titel – Autoren[/title]

KapitalakkumulationAusteritätspolitik


[/sidebar]