Mit Krisen auf Wanderschaft

In den Zeiten der Postmoderne galt es als schick, das Wort vom nomadisierenden Subjekt als ein Apercu wo immer es ging zu verwenden. Gemeint war ein irrlichternder Mensch, der seinen Wünschen und Begehrlichkeiten kaum folgen konnte. Immer waren die Dinge seines höchsten Interesses nicht nur unbekannt ihrer Herkunft, sondern auch ihres Auftauchens an jeweils anderer Stelle, nie an gleicher. Wie im berühmten „Fort-da-Spiel“(S. Freud) jagte der arme, ach so Getriebene den Dingen hinterher und blieb doch wie der Hase der List des Igels, die er nicht verstand, ständig unterlegen.
Ein wenig so ähnlich geht es der Ökonomik heute, wenn sie versucht, eine Krise zu bewirtschaften. Was am hinteren Ende solcher Versuche dabei herauskommt, wenn der Zusammenhang von Politik und Ökonomie nicht verstanden ist, zeigt recht deutlich der jüngst Vorschlag eines deutschen „Hybrids“ in Hinblich auf die Bewältigung der italienischen Schuldenkrise.

So hat die Bundesbank1 der italienische Regierung die Einführung einer Zwangsanleihe nahegelegt, mit der reiche Italiener direkt für die Schulden ihres Staates haften sollen. „Die italienische Bevölkerung wäre verpflichtet, die Solidaritätsanleihen zu erwerben, und zwar beispielsweise in Abhängigkeit vom Nettovermögen der Haushalte“, schreibt der Leiter der Abteilung Öffentliche Finanzen, Karsten Wendorff, in einem Gastbeitrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Bei einem „Solidaritätssatz“ von 20 Prozent und einem Freibetrag von 50.000 Euro könne fast die Hälfte der italienischen Staatsschulden in Solidaritätsanleihen umgewandelt werden, so die Idee einer lustvollen Leidenschaft am groben Unsinn, von der man nur hoffen kann, dass die italienische Öffentlichkeit sie der deutschen Dummheit, die es ja hier und da geben soll, nachsieht.
Dem leitenden Angestellten sollte man das Gehalt auf Harz IV zum symbolischen Ausgleich für den Schaden an der Ökonomik und der deutschen Reputation zusammenstreichen; eine entlassung wäre auch gerechtfertigt. So könnte sein nomadisierender Geist sich in seiner Freizeit dann aufmachen, Europa und die Welt besser kennen zu lernen; Italien sollte er vielleicht besser meiden.

Nicht nur, dass seine Vorschläge zur „Privatisierung“ der Staatsschulden nicht gerade neu sind und in Deutschland durch die Null-Zins-Politik der EZB zu einer gigantischen „Enteignung“ der privaten Haushalte geführt hat, gehen sie am Kern der italienischen Krise meilenweit vorbei. So weit, wie am anderen Ende der Beitrag von Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire, der keine unmittelbare Gefahr einer erneuten Euro-Krise sieht. „Derzeit ist nicht zu befürchten, dass der Haushaltsstreit zwischen Italien und der EU-Kommission den gesamten Euro-Raum in Mitleidenschaft zieht“, so Le Maire zur Zeitung „Le Parisien“(FAZ ebenda).
Während also die Bundesbank sich voller Sorge um eine neuerliche Krise größeren Ausmaßes als die erst kürzlich ein wenig beruhigte Krise der griechischen Volkswirtschaft aus der geldpolitischen Deckung wagt, empfiehlt der französische Kollege ruhig und gelassen in Deckung zu bleiben.

Zur gleichen Zeit stürzen die italienischen Staatsbonds ab, treibt es Fondsmanager den Schweiß auf die Stirn, da sie – warum auch immer – gut ein Viertel ihrer Investments in Italien platziert haben. Das Italienrisiko ist mit dem der griechischen Bonds, nur im Volumen sehr viel größer, strukturell vergleichbar. Wieder geht es um zu hohe Staatsausgaben und Überschuldung, also um eine irrlichternde politische Ökonomie, die den Kurs der zehnjährigen Staatsanleihe auf Talfahrt schickt und spiegelbildlich die Rendite von 1,8 auf 3,8 Prozent angehoben hat.

Solange viele Investoren auf eine attraktive Rendite angewiesen sind, ist Panik an den Märkten noch nicht zu verzeichnen. Und es ist lediglich der Diskurs in diesem Finanzsektor, der eine panische Reaktion noch verhindert. Denn Anleger, die nach einer Risikobewertung suchen, wissen in den meisten Fällen nicht, was in ihren Investments steckt. Und die einzigen Informationsquellen über die Zusammensetzungen der Fonds sind Investoren auf Onlineportalen zugängig, wo Produktinformationsblätter und Fondsberichte abgelegt sind. Aber wer kann die Informationen schon wirklich bewerten und deren sachliche Richtigkeit einschätzen? Und selbst wenn dies möglich wäre, was sagen solchen Informationen schon aus in Hinsicht auf die Gesamtbewegung der Anleihenmärkte in Italien, die natürlich massiv von europäischen und globalen Bewegungen direkt oder indirekt beeinflusst sind?

Beim Blick auf diese Marktbewegungen gehen die Einschätzungen selbst bei den beiden wichtigsten Ratingagenturen auseinander. Moody’s strafte die Schuldenpolitik Italiens bereits ab und nahm die Benotung der langfristigen Verbindlichkeiten zurück. Die Bonitätsbewertung liegt im Oktober 2018 nur noch eine Stufe über Ramschniveau. Standard & Poor’s beließ es bei seiner Note zwei Stufen über Junk-Status, senkte den Ausblick allerdings auf „negativ“.
Große Vermögensfonds und die kanadische Ratingagentur DBRS z.B. sprechen bereits deutlich vernehmbar von der Möglichkeit eines Ausscheidens Italiens aus dem Euro mit entsprechenden Schuldenschnitten und Verlusten für die Investoren.

Fast schon nahe an der Panik raten Vermögensverwalter eine genaue Hinsicht auf die Depots der Fondasanleger. Ein minimaler Anstieg der Renditen etwa der zehnjährigen italienischen Staatstitel auf vier Prozent gilt vielen Fondsexperten bereits als hoch riskant weil existenziell gefährlich für Italien, insbesondere wegen der Rückwirkungen auf das Bankensystem. Damit nicht genug, sogar höhere Renditen als diese sind zu erwarten, und im Falle einer echten Eskalation steht sogar weit mehr als eine Krise des italienischen Finanzsystems und à la longue der italienischen Volkswirtschaft im Raum. Italien ist auch eine Zeitbombe für den Euro, allein deshalb schon, weil in der feingliedrigen Vernetzung der italienischen Banken mit ihren europäischen Partnern und Kreditgebern in Frankreich, Spanien und Deutschland nebst einigen Affektionsgefahren großer europäischer Versicherungsunternehmen sehr schnell der gesamte Euro-Raum in eine massive Krise geraten könnte.

Wir stellen fest, die Krise unterwandert ganz Europa und ist weder zu beziffern noch zu steuern oder mit den Mitteln einer europäischen Geldpolitik zu zähmen. Und, die Krise ist nicht ökonomischer Natur allein; im Gegenteil. Das Chaos hat die politische Ökonomie zu verantworten, eine dreiste Haushalts- und Schuldenpolitik, eine verwirrte Politik von fiskalischen Fehlallokationen in einer sklerotischen Administration und überbordenden Bürokratie, nebst korrupten und mafiösen Strukturen in Teilbereichen des privaten und öffentlichen Lebens.

Nicht verwunderlich, dass nun mehr und mehr Vermögensverwaltern ihren Anlegern, die in italienischen Staatsbonds investiert sind, empfehlen, jeden Rückgang der Zinsen und damit steigende Kurse zum Verkauf zu nutzen. Heinz-Werner Rapp, Vorstand und Chefstratege beim Vermögensverwalter Feri, hält es nicht einmal für unwahrscheinlich, dass „das Land […] bald eine Parallelwährung einführen könnte, um sich finanziell Luft zu verschaffen, aber auch als mögliche Vorstufe eines Euro-Austritts.“
Der Ausverkauf des italienischen Staates hat damit bereits begonnen und eine konservative Anlagepolitik in Sachwerte ist angeraten. Wie Rapp dann aber auf die Idee kommt, dass für einen denkbaren Euro-Zerfall das richtige Mittel zur Absicherung gegen dieses Szenario eine Konzentration der Vermögenswerte im Geltungsbereich der ‚deutschen‘ Heimatwährung2 sei, mag der Logik einer Vermögensverwaltung gedankt sein; in einem Verständnis der Verstricktheit der europäischen politischen Ökonomie – und damit auch der deutschen Heimatwährung – die ja auch bei einem Zerfall des Euros zeitlich unmittelbar und in den Jahren danach nicht unerheblich affiziert davon bleiben kann, liegen solche Vorschläge jedenfalls nicht.

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ZwangsanleiheBonitätsbewertung


1 FAZ vom 29.10.2018
2 Vgl, dazu Studie zum „Zukunftsrisiko ‚Euro Break-up'“ (PDF), sowie
Studie zum „Zukunftsrisiko ‚Euro Break-up'“ 2. Auflage (PDF). Siehe dazu auch: Handelsblatt print: Nr. 208 vom 29.10.2018 Seite 034.

FERI Cognitive Finance Institute – Zukunftsrisiko „Euro Break Up“

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