Die Welt als ein Verkäufermarkt

In Ohio droht jetzt eine Verschärfung des Abtreibungsgesetzes, welches Frauen und Ärztinnen mit Strafen, bis hin zur Todesstrafe, für eine Abtreibung droht. Und das selbst nach einer Vergewaltigung, bei Inzest oder Gefahr für die Gesundheit der Schwangeren. Was hat das mit der politischen Ökonomie in den USA zu tun? Wo liegen die Grenzen der politischen Ökonomie?

Wir haben gerade gesehen, dass eine ökonomische Spaltung einer Gesellschaft in Arm und Reich mit einer ökonomischen Desillusionierung einhergehen kann, die sich in einer sozialen und politischen Spaltung fortsetzt, bei der institutionelle Strukturen in soziale Beziehungsstrukturen in öffentlichen, populistischen Diskursen transformiert werden.
Soziale Spaltung folgt also dem Muster der politischen Spaltung, nicht umgekehrt. Natürlich sind in der Geschichte erworbene, geistig-kulturelle Denkmuster wie ein auf Abstammung fokussiertes Land notwendige Voraussetzung für eben diese Form der geistigen und sozialen Segregation, derer sich die Politik dann scheinbar legitimiert darin in ihren Diskursen wiederum bemühen kann, wie man dies derzeit in den USA am Beispiel der Grenzmauer nach Mexiko hin erleben kann.

Wir haben das amerikanische Modell grob übersichtlich auf signifikante Schwachstellen hin untersucht, die alle strukturell ausreichen, um Krisen zu definieren. Werfen wir nun einen kurzen Blick auf einen scheinbar nur widersprüchlichen Aspekt, die unterschiedlichen Preisentwicklungen der amerikanischen Volkswirtschaft in Hinsicht auf Binnen- und Weltmarkt. In der Ökonomik weitgehend nicht oder nur peripher reflektiert, weisen die Unterschiede der Preisentwicklung aber auf eine der strukturell bedeutendsten Schwachstellen im amerikanischen Modell.

Ziehen wir den Unterschied zwischen den handelbaren, sowohl exportierte wie importierte Industrieprodukte gegenüber den nicht handelbaren Gütern und Dienstleistungen in den Binnensektoren der US-Wirtschaft, etwa zur Bauwirtschaft, im Frisör- und Gaststättengewerbe oder bei haushaltsnahen Dienstleistungen, dann stellen wir fest, dass generell handelbare Güter weitaus preissensibler sind als nicht handelbare. Die Preissensibilität handelbarer Güter führt deshalb zu relativ stabilen Preisen, weil der internationale Wettbewerb hier am größten ist und damit die Preisrange weitgehend vorgibt.

Sowohl im Export wie im Import sind daher selbst kleinste Preisanstiege über eine internationale Preisrange hinaus in der Lage, die Nachfrage sprunghaft zurückgehen zu lassen. Ein Preisanstieg von nicht gehandelten Gütern führt in der Regel mittelfristig zu Lohnsteigerungen und mündet somit in höheren Produktionskosten.
Bedenken wir zudem die strukturellen Vorgaben einer verbrauchermarkt-orientierten Volkswirtschaft, dann wird das Dilemma auch aus Sicht der US-Verbraucher resp. Erwerbstätigen sichtbar. Auf den US-Binnenmarktsegmenten verzeichnen diese in wirtschaftlich guten Zeiten einen sich wechselseitig verstärkenden Prozess von Lohn- und Preissteigerungen, der auf die Sektoren der handelbaren Güterproduktion sich verstärkend fortsetzt und dort auf den fast ausschließlich käufermarkt-strukturierten Weltmärkten zu fortgesetzter Einbuße der Wettbewerbsfähigkeit aufgrund höher Produktionskosten führt.

Das ist das Dilemma von dominanten Verkäufermärkten, dass ihre Fähigkeit, in Zeiten großer Nachfrage, höhere Preise bei nicht-handelbaren Produkten durchzusetzen, das Lohnniveau über alle Einkommensgruppen erhöht, was die Anbieter einerseits sehr erfreut, den Exportmarkt aber schwächt wie prinzipiell alle Importe im gleichen Zug verteuert, weil sich hier der durch den Inflationsdruck, der primär bei den nicht-gehandelten Gütern, also voll im Binnensektor sich entlädt, importierte Waren und Güter verteuert.

Aus Sicht der Erwerbstätigen ist das amerikanische Modell also realwirtschaftlich betrachtet von zwei Seiten her unter Druck. Symptomatisch ist die Exportschwäche der US-Wirtschaft, die bereits Jahrzehnte mal mehr oder weniger stark anhält und mit einem durchschnittlichen Defizit von fünfhundert- bis achthundert Milliarden US-Dollar jährlich das strukturelle Problem verdeutlicht1. Dazu kommt, dass US-Verbraucher in diesem Modell der dominanten Verkäufermärkte ihren Konsum mal mehr, mal weniger kreditfinanziert nur befriedigen können und dabei auch noch gänzlich abhängig sich machen, von den Kreditkonditionen ihrer Banken und Kreditkartenunternehmen sowie der Geldpolitik der Notenbank.

Der kreditfinanzierte Konsum treibt – neben den Ausbildungskosten – die privaten Schuldenstände in die Höhe und pervertiert den amerikanischen Traum von der Autonomie der privaten Wirtschaftssubjekte. Er verstärkt dieses private Risiko sogar noch in Zeiten hoher Inflation, da nun der Geldwert gegenüber dem Warenwert abnimmt und den Konsum weiter antreibt. Betrachtet man diesbezüglich den Verbraucherindex (VPI) der USA, dann stellt man fest, dass der VPI in manchen Jahren um mehr als 1.5 Prozentpunkte stark schwankt, was auch ein Indikator von preisdominanten Käufermärkten ist.

Zum amerikanischen Modell gehört auch der nicht unwichtige Aspekt der Gehaltsentwicklung nach Qualifikation. In einer liberalen Marktwirtschaft kann man prinzipiell feststellen, dass Löhne und Gehälter für Hochqualifizierte verhältnismäßig stärker steigen gegenüber denen von Niedrigqualifizierten, wo sie in den USA sogar signifikant gesunken sind in den letzten beiden Jahrzehnten, als in vergleichbaren OECD-Ländern mit sozialer Marktwirtschaft.
Von welcher Seite man dieses Phänomen auch betrachtet, die Spaltung einer Gesellschaft in Arm und Reich, die zudem an Intensität zunimmt, scheint strukturell wie ein Double-Bind-Prinzip zu wirken.

Wir erinnern an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich daran, dass wir die soziale Komponente der Marktwirtschaft eben nicht als eine Komponente der jeweiligen staatlichen Zuwendungen an Privatpersonen bestimmt haben, sondern als eine sozial ausgewogene Wirtschaft, die eine Steigerung des gesellschaftlichen Wohlstand aus wirtschaftlich erfolgreicher Aktivität erreicht. Denn nimmt man die staatlichen Zuwendungen der US-Administration in den Vergleich etwa mit Deutschland, dann stellt man fest, dass in den USA der Staat fast 2 Billionen Dollar pro Jahr an Transferleistungen übernimmt, was ca. 6.300 Dollar pro Person pro Jahr bedeutet. Das ist unwesentlich weniger als z.B. in Deutschland, wo es etwa 5 % mehr pro Person und Jahr sind.

Der wesentliche Unterschied dabei ist, dass diese Transferleistungen in Deutschland durch Steuern und Sozialabgaben mehr oder minder gedeckt sind. In den USA sind sie es nicht. D.h. gleichzeitig, dass in den USA der Staat sich jedes Jahr mehr verschuldet, da die Wirtschaft die Defizitlücke nicht in der Lage ist, zu verringern oder gar auszugleichen. Mit der Staatsverschuldung geht zugleich einher, dass die US-Bürger natürlich am Schuldenstand partizipieren, aber mehr noch, dass es keine wirtschaftlich bedingte Wohlstandsangleichung gibt, also eine Wohlfahrt der Nation damit verbunden wäre; im Gegenteil. Da dieses Wirtschaftsdefizit von der Wirtschaft selbst nicht ausgeglichen wird, bleibt mehr oder weniger alles beim Alten und da dieses Defizit nicht durch Steuern und Abgaben finanziert ist, findet auch kein Umverteilungseffekt statt.

Genau genommen handelt es sich hier nicht um tatsächliche Umverteilung, gleichwohl alle die Wohlfahrt finanzieren. Betrachten wir die wichtige Kenngröße ökonomischer Wohlfahrt in den USA, dann sehen wir, dass besonders ausgeprägt in der Produktion die Reallöhne seit Jahrzehnten nicht mehr gestiegen sind 2. Obwohl der Output pro Person, also dessen Produktivität ständig steigt, ziehen die Löhne nicht mit. Jeder Arbeiter kann sich von dem, was er selbst produziert, immer weniger leisten. So kann ein Erwerbstätiger also trotz steigender Produktion seinen Lebensstandard und den Lebensstand über die Generationen nicht verbessern; ergo, es bleibt den Haushalten nichts anderes, als dies über Kredite zu finanzieren und man also Schulden macht.

Daran ändert auch nichts wie oben vermerkt, dass zu den Reallöhnen zwei weitere Faktoren in die Gesamteinkommen hinzugerechnet werden müssen: die staatlichen Leistungen sowie andere Leistungen der Arbeitgeber, die nicht als Lohn erfasst werden, etwa Beiträge zur Rentenversicherung3. Die Löhne steigen also gemessen am Produktivitätszuwachs zu langsam und dies deutet einmal mehr auf die Wirtschaft als dominierenden Faktor der politischen Ökonomie in den USA hin. So hat das Median-Familieneinkommen erst letzten Jahr ein neues Hoch erreicht, nachdem es fast 20 Jahre stagnierte und seit dem Jahr 1973 kontinuierlich unterhalb der Produktivitätsrate lag4.

Man kann natürlich darüber streiten, ob immer kleiner werdende Haushalte die Statistik verzerren. Haben wir auch einen Blick auf das reale, verfügbare Pro-Kopf-Einkommen geworfen um zu zeigen, dass das zwar kontinuierlich ansteigt, aber trotzdem weit hinter dem Zuwachs der Produktivität zurückbleibt.
Erwerbstätige in den USA partizipieren zu wenig am zunehmenden Output. Das wäre in einer Symptomforschung das Kernproblem. Suchen wir aber nach den Ursachen, dann finden wir die strukturellen Probleme, die mit dem amerikanischen Modell verwoben sind, es eigentlich ausmachen.

Bevor dieses Problem der strukturellen Spaltung Amerikas in Arm und Reich durch eine liberale Auffassung von Marktwirtschaft unter dem Primat der Wirtschaft nicht gelöst ist, wird die Schere zwischen Arm und Reich weiter aufgehen und es braucht nicht weniger, sondern mehr Transferleistungen des Staates, die das strukturelle Problem damit aber nicht lösen, sondern prolongieren und verschärfen.

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[title]Begriffe – Anmerkungen – Titel – Autoren[/title]

handelbare Güterkreditfinanzierter KonsumVerbraucherindex (VPI) der USAGehaltsentwicklung nach QualifikationTransferleistungenProduktivitätszuwachs


1
Nettoexporte

2

Löhne in den USA
Quelle: Webseite Godmode Trader.

3

USA - kein Sozialstaat?
Quelle: Webseite Godmode Trader.

4

Löhne und Produktiität USA
Quelle: Webseite Godmode Trader.

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