Laut Gordon handelt es sich um vier1 bzw. sechs2 Faktoren, die er bildlich als „headwinds“, also Gegenwinde, bezeichnet, die der Volkswirtschaft der Vereinigten Staaten ins Gesicht blasen und somit einer dynamischeren Wirtschaftsentwicklung entgegenwirken: Demografie, Ausbildung, Ungleichheit, Staatsverschuldung, Globalisierung und Umwelt. Demografie, Ausbildung, Ungleichheit und Staatsverschuldung sind ganz generell gesagt jene Faktoren, die der US-Wirtschaft einheimisch sind, also auch dort bekämpft werden müssen und können. Globalisierung und Umwelt haben nichts zu tun mit dem amerikanischen Modell. Globalisierung ist transnational, mithin nur durch Kooperation erfolgreich für beide resp. alle beteiligten Partner zu erreichen. Reine politische Machtdurchsetzung mit wirtschaftspolitischen Mitteln oder in ökonomischen Formen als marktdominantes Wirtschaften sind inakzeptabel und illegitim, verletzen heute schon in den meisten Fällen bestehende Gesetze, Handelsgesetze und andere internationale Gesetze, Regeln und Vereinbarungen.
Denken wir über den Zusammenhang von Demografie, Ausbildung, Ungleichheit und Staatsverschuldung nach, dann bewegen wir uns relativ schnell weg von den rein berechenbaren Zusammenhängen, die uns gerne als die einzig wahren ökonomischen Zusammenhänge vorgestellt werden. Die Lücken und Inponderabilitäten mathematisch-statistischer Berechnungsverfahren mit allen ihren zunehmenden, methodischen Schwierigkeiten, die mit der Zunahme ökonomischer Komplexität immer weniger in den Griff zu bekommen scheinen einmal beiseitegelassen, führen uns auf eine Grundlage dieser Methoden, dem Prinzip der Kohärenz4. Das Prinzip der Kohärenz besagt zunächst einmal nur, dass ein Zusammenhang besteht zwischen Eigenschaften oder Elementen einer Gleichung, ein Zusammenhalt struktureller oder materieller Art und damit auch eine Möglichkeit der Synchronisierung und Optimierung.
Lassen wir an dieser Stelle einmal die Fragen nach der psychologischen und wissenschaftlich-logischen Kohärenz außen vor und konzentrieren wir uns auf die unterstellte ökonomische Kohärenz, dann geht die Ökonomik davon aus, dass es möglich sei, unterschiedliche, wirtschaftliche Handlungen in kohärenter Weise zu berechnen und zu bewerten, was in der Totalen Faktorproduktivität geschieht. Damit dies möglich ist, so haben wir gezeigt, ist, dass zu einer präzisen mathematischen Repräsentation oder Zusammenfassung und Verallgemeinerung, zunächst eine Wertfunktion bestimmt werden muss, die alle wirtschaftlichen Handlungen (Arbeit) der Mengen und Preisen nach bestimmt, um hernach bei gegebenen und errechenbaren Wahrscheinlichkeiten Aussagen über eine Entwicklung ( Produktivitätswachstum) in der Zukunft treffen zu können.
Das Solow-Modell nun zeigt eine schier unendliche Anwendungsvielfalt, insofern von unterschiedlichen Entscheidungs- bzw. Berechnungsbedingungen ausgegangen werden kann und in Form verschiedener Wahrscheinlichkeitsberechnungen auch verschiedene Aussagen über zukünftige Entwicklungen getroffen werden können. Man unterstellt also, dass die Flexibilität des Modells auch verschiedenen Optimierungskalkülen entspricht. Und da die Mathematik ein universelles Repräsentationssystem ist, ist es auch möglich, die unterschiedlichsten Motivationen, Präferenzen, Ausgangsbedingungen etc. in einer reell wertigen, also auf reellen Zahlen basierenden mathematischen Funktion zu übertragen, darin zu repräsentieren.
Im Allgemeinen sprechen wir dann von einem Utilitarismus, wenn dieses Repräsentationsmodell sich auf Nützlichkeitskalküle bezieht. Optimierungskalküle sind dann also Steigerungen oder Verminderungen von Nutzen, je nach Ansatz und Bemessung unterschiedlicher Art. Die Totale Faktorproduktivität unterstellt also eine vollständige Nutzenoptimierung ökonomischer Art. Alle wirtschaftlichen Handlungen werden in diesem Modell demnach unter dieses Optimierungskalkül zusammengefasst sowie damit auch alle qualitativen Bewertungsfragen dieser einen Nutzenfunktion nach Mengen und Preisen gerechnet bzw. subsumiert werden. Und schließlich wird die Komplexität aller Wissensfragen, die mit den Prozessen eine Nutzenoptimierung verbunden sind, in einer mathematischen Wahrscheinlichkeitsfunktion repräsentiert.
Das ist soweit nicht illegitim und kann durchaus für Entscheidungsträger im Wirtschaftsleben, sei es im Bereich Arbeit oder Management hilfreich sein. Und da nun einmal Mengen und Preis im Marktgeschehen eine Rolle spielen, haben solche Formen von Entscheidungshilfen auch durchaus rationalen Charakter. Ob man besser ein paar Menschen mehr „in Lohn und Brot“ bringt, als eine neue Maschine anzuschaffen, kann durchaus als eine sinnvolle im Sinne einer rationalen Überlegung gelten. Investitionsentscheidungen haben in der Regel auch einen markttransaktionalen Erwartungswert, müssen sich also am Markt rentieren und sind somit rationale Entscheidungen im Sinne einer utilitaristischen Überlegung, deren Ziel bzw. Konsequenzen in ökonomischen Ertrags- bzw. Erlösgrößen sich abbilden.
Bis hierhin sind alle Entscheidungen auf der Grundlage von solchen Berechnungsverfahren legitim und akzeptabel, auch wenn sie lediglich die ökonomischen Konsequenzen wirtschaftlicher Entscheidungen fokussieren. Das schließt nicht aus, auch andere Kriterien und „Verfahren“ der Entscheidungsfindung und Umsetzung ins Kalkül zu nehmen.
Bedenken muss man aber, dass dem Prinzip der Kohärenz grundsätzlich das Prinzip der Kompatibilität, also der Vergleichbarkeit inhärent ist insofern, als eine Gleichheit, eine Identität im logischen Sinne stets auch die Vergleichbarkeit voraussetzt bzw. miteinschließt. Denn ohne diese grundsätzliche Form der Kompatibilität ist auch die Berechenbarkeit verschiedener Objekte bzw. Sachverhalte und Handlungen nicht gegeben.
Kompatibilität geht also von der Vereinbarkeit unterschiedlicher Sachverhalte aus und muss aus Gründen der wissenschaftlichen Redlichkeit stets den Geltungsbereich des zu Vereinbarenden im Sinne des Berechenbaren begründen; das tut die Ökonomik im Begriff der Totalen Faktorproduktivität aber nicht.
Die TFP vereinbart unter Berechenbarkeitsbedingungen Sachverhalte, die nicht vereinbar sind. Und weist diese Unvereinbarkeit nicht aus. Diese Unvereinbarkeit, „separatness of persons“, wie John Rawl dies nennt, ist grundsätzlicher Art und steht somit konträr zum Kompatibilitätsprinzip der ökonomischen Wertberechnung menschlicher Arbeit im Allgemeinen und der Faktorproduktivität im Besonderen. Die Faktorproduktivität subsumiert alle Menschen, auch Arbeitssektor-übergreifend, unter der Vorstellung eines handelnden Kollektivs, das in der Konsequenz einem ökonomischen Prinzip folgt, dem der Nutzen-, hier der Produktivitätsmaximierung.
Offensichtlich sind Polizisten Erwerbstätige. Und sicher kann man deren ökonomischen Wert auch berechnen, zählt man deren Köpfe und Stunden und bemisst deren Produktivitätsentwicklung an der Zahl bzw. Statistik aufgeklärter Kriminalität. Selbst die Kriminalität kann statistisch mit Schadenssummen hochgerechnet werden und so für die Polizei insgesamt eine Faktorproduktivität errechnet werden. Optimierer wie etwa McKinsey könnten leicht auch die Grenzproduktivität errechnen, also ab wann es sich nicht mehr lohnt, mehr Polizisten einzustellen und einen gewissen Kriminalitätsüberhang vorteilhafter im ökonomischen Sinne erscheinen zu lassen; so oft geschehen.
Was nicht in diese Form der Berechnung eingeht und auch eine Form der „separatness“, der Unberechenbarkeit darstellt, ist der präventive Charakter von Polizeipräsenz z.B. in Wohnvierteln und auf Betriebsgeländen etc. Dies geht ja per definitionem nicht in die Aufklärungsrate ein, ist aber gewissermaßen als verhinderte Kriminalität wie aufgeklärte Kriminalität und allemal ein Teil, wahrscheinlich der größere im Gesamt polizeilicher Produktivität. Wie also misst man verhinderte Kriminalität?
So ist es auch mit dem internationalen Finanzsektor. Hier ist es noch schwieriger, die Produktivität zu messen. Allein die Datenerhebung ist derart defizitär, dass alle weiteren mathematischen Anstrengungen der Mühe nicht wert sind. Dann fällt der größte Teil der Produktivität länder- bzw. börsen-übergreifend an, hat also allemal Markttransaktionen zur Basis, somit auch Preise und Mengen bei einer Vielzahl von Produkten; allein die produktiven Anteile der Bits and Bytes im länderübergreifenden Finanztransfer zu identifizieren, ist unmöglich. Man sieht, wie schwer sich die Finanzpolitik damit tut, eine gerechte Form der Transaktionsbesteuerung zu implementieren, was selbst unter Nichtberücksichtigung der Transaktionen, die über Steueroasen laufen, nicht gelingen will.
Schlussendlich werden wir im Rahmen der Globalisierung der Wirtschaft uns daran gewöhnen müssen, dass die bestehenden Systeme der Berechnung der TFP unter Berücksichtigung von vernetztem, transnationalen Arbeitens, also in Formen weltweiter Kooperationscluster, uns zunehmend alleine lassen mit dem Wunsch nach Transparenz, Entscheidungs- und Planungssicherheit. Was das für die bereits begonnene Zukunft an politischem Sprengstoff auf breiter Basis bedeutet, wird uns beschäftigen.
Die wissenschaftliche Diskussion über mögliche Gegenwinde als Ursachen der Produktivitätsverlangsamung hat besonders zum Thema Messfehler in Verbindung mit neuen Produkten und Dienstleistungen aus dem IKT-Bereich mittlerweile einen großen Raum eingenommen. Für die USA gilt, dass die Produktivitätsverlangsamung aus dieser Thematik heraus nicht erklärt werden kann (Syverson 2016 und Byrne et al. 2016)4. Gleichwohl gibt es eine schon länger andauernde generelle Diskussion um Messprobleme im Zuge des Strukturwandels der Wirtschaft (Hartwig und Krämer 2017)5. Folgt man der Argumentation von Gordon in Richtung Globalisierung, dann erkennt man schnell, dass mit den alten Methoden der Produktivitätsmessung nicht sehr weit zu kommen ist. Zwar räumt Gordon einen Strukturwandel im IKT-Bereich ein, muss aber aus makroökonomischer Sicht selbst hier recht vage bleiben.
So könnte das Wirtschaftswachstum aus der Binnensicht der USA verstärkt werden, wenn die importierten Güter relativ betrachtet günstiger zu den heimischen Gütern wären, also auch mehr Geld für andere Konsumzwecke und somit in der Binnennachfrage verbleiben würde.
Ebenso könnte ein positiver Effekt auf die Arbeitsproduktivität darin bestehen, dass einfache, schlecht-bezahlte Arbeitsschritte aus der Gesamtproduktionskette ins Ausland ausgelagert werden, während qualifizierte, produktivere Teile der Wertschöpfungskette weiterhin im Inland stattfinden; so geschehen. Aber warum hat sich das dann nicht auf die Produktivität niedergeschlagen?
Arbeitsteilung und Spezialisierung lässt durchaus die Produktivität steigen. Sie ist aber aus transnationalen Wertschöpfungsketten nur schlecht herauszurechnen. Selbst die vermeintlich leichtere Zuordnung von Arbeitsplätzen bzw. von Arbeitslosigkeit durch Outsourcing von Arbeit in fremde Länder wird bei genauerer Betrachtung doch wiederum einige Mühe bereiten, denn welcher Arbeitsplatz bzw. Arbeitsschritt genau durch Outsourcing verlagert worden ist, geht im Aggregat Arbeit letztlich doch unter. So wandert gewissermaßen die Total Faktorproduktivität durch die Wertschöpfungsketten und miniaturisiert darin. Selbst im Infenitesimalbereich ist sie nicht zu finden, da alle mathematischen Methoden in globalen Zusammenhängen versagen. Mit nationalen BIPs und TFPs lassen sich ja heute schon kaum noch volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen einer klassischen Volkswirtschaft berechnen; ohne einen globalen Ansatz wird es in Zukunft wohl schwerer noch werden. Aber eine einheitliches, transnationales BIP wird allein schon bei der Datenerhebung so große Schwierigkeiten bereiten, dass eine transnationale bzw. globale Produktivität kaum zu erreichen sein wird.
Die Quintessenz aus allem wird dann wohl sein, dass das amerikanische Modell auch zum globalen Modell erhoben werden wird. Faktoren, die aus einem Modell der sozialen Marktwirtschaft entstammen, werden sich nicht durchsetzen, werden ganz aus den ökonomischen Diskursen und letztlich auch aus den politisch-ökonomischen Diskursen verschwinden.
[sidebar]
[title]Begriffe – Anmerkungen – Titel – Autoren[/title]
Kohärenzprinzip – Optimierungskalküle – Kompatibilitätsprinzip – „separatness of persons“
1 Gordon (2014)
2 Gordon (2012,2015,2016)
3 (lateinisch cohaerere ‚zusammenhängen‘
4 Syverson, C. (2016): Challenges to Mismeasurement Explanations for the U.S. Productivity Slowdown. NBER Working Paper Nr. 21974.
Byrne, D. M. / Fernald, J. G. / Reinsdorf, M. B. (2016): Does the United States Have a Productivity Slowdown or a Measurement Problem? In: Brookings Papers on Economic Activity, Bd. 47 H. 1, S. 109–157.
5 Hartwig, J. / Krämer, H. (2017): Zwischen Hoffnungsträger und Spielverderber: der Beitrag von Dienstleistungen zum Produktivitätswachstum. In: Wirtschaftsdienst Bd. 97, H. 2, S. 99-102.
John Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft. Band 271). Suhrkamp, Frankfurt am Main 1979, ISBN 978-3-518-27871-0 (englisch: A Theory of Justice, 1971/5. Übersetzt von Hermann Vetter).
John Rawls (* 21. Februar 1921 in Baltimore, Maryland; † 24. November 2002 in Lexington, Massachusetts)
[/sidebar]