Erzwungener Zugang

Wir haben in den letzten beiden Jahrzehnten auf schmerzliche Art und Weise lernen müssen, dass Boomphasen nicht unbedingt wünschenswert sind. Die naive Lesart, wenn die Wirtschaftskennzahlen einen konjunkturellen Anstieg, ein Wachstum ausweisen, ist die Welt in Ordnung, ging in zweifacher Weise fehl. Erstens hat Wachstum mit Boomphasen wenig gemein und zweitens sind Boomphasen nicht selten Vorboten einer beginnenden Wirtschaftskrise. Dabei hat die Erfahrung gelehrt, dass Finanzkrisen sogar im Weltmaßstab aus Boomphasen am Immobilienmarkt entstehen können. Und dass sogar diese Krisen über die weltweit vernetzten Finanzmärkte auf andere als die Ursprungssegmente auf andere Segmente des Wirtschaftslebens wie auch auf ganze Volkswirtschaften im Ausland übergreifen können. Wenn die US-Regierung im Konzert mit den meisten District-Feds das hohe Lied der Nationalökonomie noch singen, dass die USA nur im Sinne der USA handeln und Probleme in anderen Volkswirtschaften nur dadurch entstehen, dass dortige Regierungen und Notenbanken autonom Fehler begehen, dann hat das in theoretischer Hinsicht echten, folkloristischen Charme. Weniger folkloristisch, dafür massiv protektionistisch darf das Lied verstanden werden und singt den wütenden Abgesang auf die liberale Marktwirtschaft, deren Untergang mehr als längst besiegelt, bereits im fortschreitenden Stadium einer Krankheit zum Tode ist.

Die Ethik der liberalen Marktwirtschaft, nicht ihr Poesiealbum, ist zugrunde gegangen in der Politischen Ökonomie nach amerikanischem Modell. Die liberale Marktwirtschaft basiert auf dem alle Marktteilnehmer verbindenden Prinzip der Effizienz. Ein effizienter Markt besteht auf dem Grundsatz der Skepsis gegenüber unendlichen Wachstums, auf dem Grundsatz der Vorsicht gegenüber der eigenen Hybris im Wettbewerb und dem Grundsatz der Sorgfalt im Umgang mit allen, am Wirtschaftskreislauf beteiligten Ressourcen. Skepsis, Vorsicht und Sorgfalt haben ein gemeinsames Bewusstsein, dass alle Ressourcen endlich sind und ein gemeinsames Ziel, diese knappen Ressourcen so effizient wie möglich auf unterschiedliche und mit einander rivalisierende Verwendungsmöglichkeiten zu verteilen. Der Einsatz von Finanzierungsressourcen will demnach zwar möglichst hohe Renditen, aber keine Überhitzung einzelner wirtschaftlicher Betätigungen, einzelner Wirtschaftssegmente oder gar ganzer Volkswirtschaften. Das ist die ethische Grundlage einer effizient funktionierenden Marktwirtschaft, bei der alle Beteiligten und alle eingesetzten Ressourcen ihre bestmögliche Verwendung im Wirtschaftskreislauf finden. Auf der Grundlage dieser Ethik gibt es keinen Boom.

Nur allzu oft wird eine Boomphase der liberalen Marktwirtschaft als deren innerster Kern selbst zugeschrieben; das ist Unsinn. Es sei die Gier der Wirtschaftssubjekte, Menschen ohne Ethik, die dort am Werke sind und zerstörerisch bis zum wirtschaftlichen Suizid jeden vernünftigen Umgang mit den menschlichen, kulturellen und natürlichen Ressourcen vermissen lassen. Die gibt es in der Tat, aber die sind nicht die Repräsentanten liberaler Marktwirtschaft, sondern gewissermaßen Ego Shooter des Wirtschaftsliberalismus‘. Solche Ego Shooter haben wir im Zusammenhang mit der Politischen Ökonomie der USA beispielhaft genannt. also die wesentlichen Wirtschaftssubjekte, die den Immobilienboom mit der anschließenden weltweiten Finanzkrise maßgeblich verursacht haben; das waren die US-Präsidenten Clinton und Bush jr. und der damaligen Notenbankchef Bernanke.
Jeder Boom ist bislang noch nach kurzer Zeit geplatzt. Jede Boomphase hat den „Sudden Stopp“ erlebt. Das Platzen eine Boomphase, der Sudden Stopp, entsteht nur dann, wenn diese Phase wirtschaftlichen Wachstums kreditgetrieben ist bei sehr niedrigen Kreditzinsen. Es ist schwierig Boomphasen ganz generell von Phasen sehr starken Wirtschaftswachstums abzugrenzen. Leichter und mit mehr empirischer Fundierung fällt es, Boomphasen im Immobiliensegment zu charakterisieren. Boomphasen ziehen Kapital an. Geld wird in hohem Mengen zu Investivkapital, weil Wachstum generell und in Segmenten mit sehr starkem Wachstum im Besonderen hohe Renditen verspricht. Für den Immobiliensektor gilt grundsätzlich das Gleiche, wie für alle anderen Wirtschaftssektoren. Hier aber wirkt ein spekulatives Element direkt im Investivkapital, welches die Vorstellung einer kurzfristigen Wertsteigerung des Anlageobjekts befördert.

Dieses spekulative Element, welches man in den Aktienmärkten im Anstieg der Marktkapitalisierung der Aktie findet, wird für den Immobilienmarkt gespeist von den exponentiell nachfließenden Krediten, die, wenn dieser Prozess marktgerecht vonstatten ginge, relativ schnell zu einer Regulierung durch Zinserhöhungen führen würde. Dieser Mechanismus der Erzeugung kreditgetriebener Wertübertreibungen gilt auch für die Auswirkungen der europäischen Notenbankpolitik zwischen Volkswirtschaften.

Überhitzungen im grenzüberschreitenden Kreditverkehr mit Gefahren von rasch einbrechenden Sudden Stopps treten selten dann auf, wenn Kredite als Investitionen in neue Produktionsstätten, neue Technologien, neue Märkte usw. also in die Realwirtschaft fließen. Das Überangebot an liquider Kreditmittel fließt aber über die Grenzen hinweg auch in Wertpapiere und Immobilien, gleichwohl es Volkswirtschaften erreicht, die an einer allgemeinen, konjunkturellen Schwäche und an einer verringerten Wettbewerbsfähigkeit leiden.
Notenbanken generell und speziell die EZB gründen ihre Zinsentscheidungen auf der Grundlage monetärer Analysen und rechtfertigen ihre Entscheidungen mit Daten zur Inflationsrate, dem Geldmengenwachstum und der Kreditvergabe. Heute ist die Situation in der Eurozone die, dass die Inflationsrate der Mitgliedstaaten der EU und der Eurozone zugleich betrachtet werden müssen, da der grenzüberschreiten Kreditverkehr die gesamten Währungen in der EU umschließt und innerhalb einer weiten Range zwischen 4,2% in Rumänien und 0,8% in Portugal (März 2019) sowie in der Eurozone zwischen 1,3% und 2,3% innerhalb eines Jahres schwankt.

Die wichtige Bestimmung der richtigen, durchschnittlichen Zinshöhe wurde bislang mit der sog. Taylor-Regel1 ermittelt. Mittlerweile sind andere Berechnungsmethoden entstanden, weil seit dem Jahr 2013 festgestellt werden musste, dass sich Taylor-Zins und tatsächlicher Leitzins signifikant voneinander entfernt haben. Würde man die alten Berechnungsmethoden weiterhin anwenden, müsste der Leitzins für die Eurozone mittlerweile bei für die gegenwärtige Konjunktursituation utopischen 4 Prozent liegen und würde zudem die hochverschuldeten Länder wie etwa Italien binnen Monaten in den Staatsbankrott treiben. Demnach hätten die Zinsen durch die EZB längst angehoben werden müssen, oder man sieht den Zustand als ein Ergebnis, dass alle Maßnahmen der Notenbank, wie gesagt, nicht zum gewünschten Ziel geführt haben, obwohl Draghi die Bazooka oder auch die Dicke Berta nun schon seit Jahren im Dauerfeuer hat.

Vielleicht aber liegt das Auseinanderdriften von tatsächlichem Referenzzins und Logarithmus aus realwirtschaftlichen Daten und Prognoseannahmen daran, dass die vorgestellte Relation zwischen Zinsen und Realwirtschaft nicht valide ist, zumindest nicht mehr in einer Zeit der Transformation bzw. Umkehrung der Relation zwischen Finanz- und Realwirtschaft. Und dass diese Umkehrung stattgefunden hat, erkennt man beispielhaft an der Entwicklung der Renditen deutscher Staatsanleihen. Bereits seit geraumer Zeit sind die Renditen deutscher Anleihen im Sinkflug, liegen im Mai 2019 zwischenzeitlich auf einem Tiefstand von 0,16 Prozent und können das Allzeittief von 0,20 Prozent bald wohl erreichen. Deutsche Staatsanleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren bringen kein Geld, sie kosten Geld; ein Unding wie wir bereits ausgeführt haben. Deutschland erhält Geld, wenn es sich Geld leiht. Und die Nachfrage ist groß, da diese Wertpapiere als sicher gelten und als liquide, also gut handelbar; die Kurse also steigen im Markt. Zu beachten ist auch, dass gerade in einer Zeit, in der die Wachstumsphantasie aus der weltweiten Realwirtschaft entweicht, die Aktienmärkte volatiler werden, gerade deutsche Staatsanleihen gekauft werden. Warum warten die Investoren nicht ab, wird doch bald wieder Geld zur Refinanzierung aller Arten von Anlagen und Investitionen gebraucht? Sie warten ja, und horten ihr Geld in deutsche Anleihen, weil die Investoren wissen, dass sie diese geparkten Gelder zu relativ geringen Kosten in deutschen Anleihen parken und schnell wieder liquidieren und dann mit höheren Renditen anderswo einsetzen können.

Gerade risikobewusste Anleger wechseln in deutsche Anleihen, weil sie davon ausgehen müssen, dass der Handelsstreit zwischen China und den USA wie sich übrigens gerade zeigt, längst kein reiner Handelsstreit mehr ist, sondern es bei diesem um die langfristige, weltweite Vormachtstellung zweier Super-Ökonomien mit sehr unterschiedlichen Vorstellung von Politischer Ökonomie geht; die eine ein liberale Marktwirtschaft, die andere eine Partei-dirigierte Staatswirtschaft. Die Unsicherheit, die mit der zunehmend sich verschärfenden Rhetorik der italienischen Regierung und dem Anwachsen nationalistischer Vorstellungen in Europa einhergehen, tun ein Übriges dazu, dass risikoscheue Investoren deutsche Staatspapiere horten.

Angesichts der gestiegenen politischen Risiken innerhalb und außerhalb der Euro-Zone mit ihren möglichen Auswirkungen auf die nationalen wie internationalen Wirtschaften wird dieses Verhalten verständlich, aber damit ist nicht genug des Verständnisses dieses Verhaltens. Denn die Entwicklung der Renditen deutscher Staatsanleihen hat Auswirkungen auf die gesamte Volkswirtschaft der Eurozone – und auch darüber hinaus. Was ungern gesehen wird, aber den Tatsachen entspricht ist, dass die Renditeentwicklung der zehnjährigen Bundesanleihe direkten Einfluss hat auf die Erträge der meisten anderen, als sicher geltenden staatlichen Zinspapiere.
Die Renditeentwicklung, das sah man bereits im Rückblick auf das letzte Jahrzehnt beeinflusste und tut dies auch in Zukunft die Zinsen von Millionen von Sparern, die Garantiezinsen und vor allem die Überschussbeteiligungen in Versicherungsprodukten, die übrigens alle in den letzten Jahren ersatzlos gestrichen worden sind, sowie die Kosten langlaufender Immobilienkredite. Alles in Allem beeinflusst also der Ertrag deutscher Anleihen auf direktem Weg nachhaltig den Wohlstand von Millionen von Menschen und über den Anteil an der Altersversorgung die Wohlfahrt ganzer Nationen.

Dass die Berechnungen der Notenbanken so sehr an Validität verlieren ist also kein Zufall. Ihre Daten und wie man sagt, ihre fundamentalen Analysen kommen hauptsächlich aus der Entwicklung der Realwirtschaft. Betrachten man aber Renditeentwicklungen bzw. Wertentwicklungen bei Wertpapieren, spielen realwirtschaftliche Größen wie die konjunkturelle Entwicklung eine eher untergeordnete Rolle, wenn überhaupt eine.
Aus der Sicht von technischen Analysen im Gegensatz zu Fundamentalanalysen ist die negative Renditeentwicklung deutscher Staatspapiere noch nicht zuende. Charttechniker versuchen, stark vereinfacht gesagt, aus dem Vergleich wiederkehrender, sich ähnelnder Kursmuster der Vergangenheit mit aktuellen Chartgrafiken die Weiterentwicklung von Wertpapierkursen und Renditen wie auch Börsenindizes zu prognostizieren. In dieser Projektion sieht man die Renditekurve deutscher Staatspapiere wieder in einen Abwärtstrend wechseln, der seit Sommer 2018 anhält und mit 0,20 im Jahr 2016 seinen temporären Tiefpunkt erreicht hat, der aber keinen Wendepunkt in der Entwicklung darstellt und deshalb ein kalkulatorisches Kursziel im Bereich von rund minus 0,40 Prozent wahrscheinlich werden lässt.

Ohne in die Tiefen der technischen Wahrscheinlichkeitsberechnungen hinab zu steigen deuten auch Fakten auf die Wahrscheinlichkeit einer solchen Entwicklung hin. Die von der Deutschen Finanzagentur jüngst veröffentlichten Zahlen belegen, dass erstmals wieder nach Jahren Finanzinvestoren deutsche Staatsanleihen in nennenswertem Umfang gekauft haben. Bis ins Jahr 2017 waren es weniger private Investoren, sondern die EZB und andere Notenbanken, die im Umfang von drei Vierteln aller gehandelten Bundeswertpapiere sich deutsche Staatsanleihen ins Depot gelegt haben. Nun stellen wir fest, dass seit 2018 dieser Anteil der öffentlichen Investoren stark abnimmt und zunehmend private Vermögensverwalter wie z. B. Hedgefonds solche Papiere im hohen zweistelligen Milliardenbereich erwerben.

Allein die Geld- bzw. Vermögenverschiebungen in diesem Sektor mit denen der privaten Haushalte summiert, ergibt eine signifikante Größe sowohl in der Geldmenge M0 wie M1, trotzdem ist die Geldmenge nicht länger ein Faktor bei der Berechnung der Refenezzinsen. Finanzprofis schauen aber durchaus auf die EZB-Politik und deren Tagungstermine wie die aller anderen wichtigen Notenbanken gehören zum Kalender von Investoren in Staatsanleihen. Investoren deutscher Staatspapiere sehen natürlich zur Zeit nicht nur auf den EZB-Zins, sondern auf Italien und Großbritannien sowie auf den Zwist zwischen China und den USA. Aus dieser Gemengelage und den nah zur Aktualität sich ergebenden Verschärfungen oder Beilegung von politisch motivierten Eingriffen in die Weltwirtschaft ziehen die Investoren ihre Schlüsse zum Halten bzw. zum Verkauf ihrer Positionen. Das Halten hat den Investoren in den letzten acht Monaten einen Kursgewinn bei den zehnjährigen Bundesanleihen von über sieben Prozent eingebracht; wahrlich kein schlechtes Geschäft. Dabei zählt auch das Signal, dass die Notenbanken ihre Politik der geldpolitischen Straffung nicht unbedingt aufrechterhalten wollen und damit deutsche Staatspapiere weiter einer hohen Nachfrage entgegensehen.

Wir haben in einem anderen Kontext dazu gehandelt, wie eine Verknappung sicherer Anlagen die Investoren in höhere Risiken treibt und diese Erhöhung von riskanteren Anlageallokationen wiederum zu weiterer Volatilität auf den Märkten und somit zu größere Unsicherheit für Investments, auch in der Realwirtschaft führt. Aber ganz besonders betroffen von einer weiteren Zinssenkung der EZB sind andere Notenbanken, vor allem aus jenen Ländern, die die für ihre Volkswirtschaften und ihre Währungen so wichtigen Inflationsziele seit Jahren verfehlen. Würde die EZB den Zins senken, müsste die Bank of Japan diesem Schritt unmittelbar folgen, denn eine Zinssenkung der EZB hätte ein indirekte Aufwertung des Yen zu Folge und die auf Export so angewiesene japanische Wirtschaft würde schnell einen Rückgang im Wirtschaftswachstum verspüren. Umgekehrt hat also die japanische Exportwirtschaft von der Zinspolitik der EZB temporär profitiert und allein aus diesem Beispiel dürfen alle Äußerungen etwa aus den USA, dass das US-Defizit gegenüber Japan eine bidirektionale Deutung und daraus abgeleitet eine bilaterale Politik erlaubt dem Reich der Märchenphantasien zugeschrieben werden.

Zur Bestätigung mag man hinzuziehen, dass die neuseeländische Notenbank bereits zu einer erneuten Zinssenkung übergegangen ist, die Schweizer Notenbank aktuell über ein nachdenkt und weitere Notenbank der Industrieländer sich auf einen solchen Zinsschritt vorbereiten. Wir erleben also, dass die Notenbanken von Japan, der Schweiz, Neuseeland und weiterer Industrieländer auf die Zinspolitik der EZB reagieren und nicht ihren Referenzzinssatz aus fundamentalen Größen ihrer Realwirtschaft ermitteln. Die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit geht über den Wechselkurs der Währungen bei Exportnationen, ohne den der realwirtschaftliche Wettbewerb kaum gelingen kann. Wir schließen also daraus, dass aus dem einstigen Wettbewerb der Volkswirtschaften, ein Wettbewerb der Notenbanken geworden ist.

Märkte verlangen Zinsen nach Marktregeln. Diese Regeln haben viele Unschärfen und sind auch nicht linear ableitbar und übertragbar. Es sind Regeln des Wettbewerbs, Einschätzungen von Entwicklungen, keine Gesetzmäßigkeiten. Die von den Märkten verlangten Zinsaufschläge beeinflussen den Marktwert der Staatspapiere ganz wesentlich, neben deren Liquidität und Marktgängigkeit. Notenbankpolitik, ob in den USA oder in Europa erweckt den Eindruck, als stünden die Zinsen für Staatsanleihen nicht im Kontext misslungener Politischer Ökonomie, sondern unter dem Einfluss fehlerhafter Märkte. Fehlerhafte Märkte gibt es nicht und so ist auch eher gemeint ein diabolischer Deus ex machina, der der Renditegier von Anlegern resp. Investoren entspringt. Solche als fehlerhaft konnotierten Zinsaufschlägen durch die Kapitalmärkte müsste sich Notenbankpolitik schützend entgegenstellen; just das Gegenteil aber ist der Fall.

Übertreibungen werden in aller Regel durch die jeweiligen Märkte korrigiert und es bedürfte nur in Ausnahmen echter Wirtschaftskrisen Eingriffen von Notenbanken zur Sicherstellung der Transmission der Geldpolitik2. Die Politik der EZB der letzten zehn Jahre aber war weniger durch den Erhalt der Transmissionsmechanismen motiviert als durch die Zielsetzung, gegen die Marktprozesse auf den Zugang der europäischen Krisenstaaten zu den Kapitalmärkten zu günstigen Zinsen hinzuwirken. Vom Markt aus gesehen war also die Notenbankpolitik der großangelegte Versuch der Zinsmanipulation im Sinn der Krisenstaaten, und dieser Versuch darf als ‚gelungen‘ betrachtet werden. Ohne diesen, wären einige der europäischen Staaten pleite, ihre Volkswirtschaften in einer anhaltenden Rezession mit stark deflationären Entwicklungen sowie deren Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte.

Die Zinsmanipulation der EZB hat somit nichts mit einer normalen Transmission der Geldpolitik gemein und war auch in weiser Voraussicht als das bekämpft worden, was sie wirklich ist, eine marktumgehende Staatsfinanzierung. Sie sollte durch den Artikel 125 und der darin enthaltenen No-Bail-Out Klausel verhindert werden wie auch mit Artikel 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und gehörte somit eben nicht zu einer legitimen Art der staatlichen Intervention in als ‚fehlerhaft‘ unterstellte Marktvorgänge; ‚fehlerhaft‘ wäre ein Krise, wie wir das ausführlich dargelegt haben. Und als der EZB-Rat beschloss, Staatspapiere auf die Art und Weise in fast unbegrenztem Maße auf zu kaufen, nämlich unter drastischer Herabsetzung der Pfänderqualität, wie das dann geschah, gab nicht nur der damalige Präsident der Bundesbank, Axel Weber, sein Amt zurück, sondern die EU der Eurozone auch den Status eines Wettbewerbers mit den Notenbanken anderer Industriestaaten und Wirtschaftsräume.

Damit haben sich die Kapitalflüsse verändert. Einmal von einem wechselnden Feld sicherer Anleihen hin zu riskanten Geldallokationen. Überschießende Geldströme kommen in Wertpapiermärkten ebenso an wie in den Immobilienmärkten und führen so zu den berüchtigten Blasen, als Marktübertreibungen. In den Aktienmärkten sehen wir Überhitzungen z.B. im Segment der sog. FAANG Titel – Facebook, Apple, Amazon, Netflix, Google. Und schließlich wird durch Notenbankpolitik in den Industrieländern ganz entscheidend auch der freie Kapitalfluss in und aus den Schwellen- und Emerging-Markets behindert, da diese sich dem durch die Notenbankzentralen versuchten Auf- und Ab der Kapitalflüsse weder entziehen noch zur Wehr setzen können. Der freie Kapitalverkehr, der Hauptbestandteil internationaler Abkommen für eine sich weltweit ausbreitende Marktwirtschaft unter fairen Kapitalbedingungen ist, wird so durch fremde geldpolitische Entscheidungen denormalisiert.

Blickt man auf die wichtigen Zielgrößen der Geldpolitik: Arbeitslosenquote, Wirtschaftswachstum und Inflationsrate, dann erkennt man, die Zinspolitik der EZB hat für den Euroraum ihre Zielvorgaben verfehlt. Arbeitslosenquote, Wirtschaftswachstum und Inflationsrate passen länderspezifisch teilweise überhaupt nicht zusammen und für den Euroraum insgesamt sieht es nicht viel besser aus. Was aber funktioniert hat ist neben der Bankenrettung der europäischen Großbanken vor allem aus Frankreich, England und Deutschland – hier aber eher vorübergehend, wenn man den Zustand der Deutschen Bank und der Commerzbank heute betrachtet – die weitere Sicherung des Zugangs zu den Kapitalmärkten für hochverschuldete Staaten und an der Grenze der haushaltspolitischen Seriosität agierenden Regierungen wie etwa die in Italien.
Wenn diese Notenbankpolitik einen Einfluss auf die deutsche Wirtschaft hatte, dann wollen wir dies im Folgenden herausfinden, bestätigen oder widerlegen.

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[title]Begriffe – Anmerkungen – Titel – Autoren[/title]

Ethik der liberalen MarktwirtschaftPrinzip der Effizienz„Sudden Stopp“Taylor-RegelCharttechnikerTransmission der Geldpolitik


1 Nach der Taylor-Regel sollen die Zinsen steigen / erhöht werden, wenn die Inflationsrate über dem Inflationsziel (von z.B. 2 %) liegt und / oder wenn die Produktion stark ausgelastet ist; die Geldpolitik ist restriktiv.
Umgekehrt sollen die Zinsen sinken, wenn die Inflationsrate niedrig bzw. unter dem Inflationsziel liegt und / oder wenn die Produktion unter dem Produktionspotenzial liegt; die Geldpolitik ist expansiv.
Mittelfristig soll die Beachtung der Taylor-Regel dafür sorgen, dass das Inflationsziel erreicht und die Wirtschaft stabilisiert wird.

2 Der Prozess, mittels dessen sich geldpolitische Entscheidungen auf die Wirtschaft auswirken, wird als Transmissionsmechanismus der Geldpolitik bezeichnet. Die geldpolitischen Impulse werden über einzelne Verbindungen (Transmissionskanäle) übertragen. Oft unterscheidet man hierbei zwischen Zinskanal, Kreditkanal, Wechselkurskanal und Vermögenskanal. Die Geldpolitik wirkt durch alle Kanäle, aber unterschiedlich – je nach z.B. Finanzstruktur der Wirtschaftssubjekte (Zinsreagibilität der Vermögenspositionen, Laufzeit der Finanzinstrumente etc.).
Die verschiedenen ökonomischen Denkschulen bewerten einzelne Auswirkungen unterschiedlich. So hebt z.B. der Keynesianismus die Transmission fiskalpolitischer Impulse auf das BIP stärker hervor als der Monetarismus, während Letzterer der Geldpolitik einen besonderen Einfluss auf das Preisniveau beimisst.(Wikipedia).


John Brian Taylor (* 8. Dezember 1946 in Yonkers, New York)

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