Europäische Quadratur

Wir sind noch nicht entschlossen zu sagen, das europäische Modell gleicht der berühmten Quadratur des Kreises. Dennoch, festhalten sollten wir beim Folgenden, dass zwischen strategischer und mehr und mehr autokratisch geführter Machtpolitik, hegemonialer bis offen imperialer Wirtschaftspolitik und den Herrschaftsformen der Geldpolitik über Notenbanken der europäische Weg vielleicht und lediglich als ein gescheitertes Experiment in der Geschichte zurückbleibt.

Das liegt hauptsächlich dann daran, ob es Europa gelungen sein wird, sich geldpolitisch gegenüber dem amerikanischen Modell zu behaupten; militär-strategisch wird das auf absehbare Zeit nicht gelingen, muss es aber auch nicht unbedingt. Fokussieren wir also zunächst einmal kurz auf einen, wenn auch sehr wichtigen Aspekt der Geldpolitik ohne Notenbankbeteiligung, sehen wir kurz auf das sog. SWIFT1. SWIFT ist weit mehr als ein Code-System, das im Zahlungsverkehr eingesetzt wird.
Seit den Terroranschlägen am 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York City übermittelte SWIFT nach eigenen Angaben vertrauliche Daten über Finanztransaktionen an US-amerikanische Behörden, laut Presseberichten die unglaubliche Menge von mehr als 20 Millionen p.a. seitdem. Diese Datenweitergabe wird heute überwiegend als illegal angesehen, ihr Rechtsstatus ist aber für uns von keiner herausragenden Bedeutung, nicht so sehr, wie das Faktum selbst, das auch durch keine Rechtfertigung, wie die der damaligen Bush Administration als „Krieg gegen den Terror“ zu legalisieren ist. Und die weiteren Folgen im Zusammenhang mit der digitalen Plattform für den internationalen Zahlungsverkehr lesen sich wie eine Agentenstory2.

So wurde im Jahr 2006 enthüllt, dass das angeblich unabhängige Beratunsunternehmen von SWIFT, einst eine mittelgroße Personalberatung, in ihrer Geschäftsführung so illustre Geheimdienstler wie den Ex-CIA-Chef James Woolsey und den Ex-NSA-Direktor John Michael McConnel beschäftigt, die nicht sonderlich überraschend und erwiesenermaßen riesige Mengen an Daten des SWIFT-Systems an die CIA übermittelt haben.
Im Jahr 2010 wurde ein Abkommen unterzeichnet, das die Kontrolle der Auswertung der SWIFT-Daten durch EU-Beamte solang regeln soll, bis ein eigenes europäisches System zur Überwachung der Zahlungsdaten eingeführt worden ist, um den USA künftig nur noch eigene Fahndungsergebnisse zu übertragen3. Eine Überprüfung der Einhaltung des Abkommen ergab Anfang 2011, dass die Datenschutzanforderungen nicht erfüllt wurden und deshalb ernsthafte Bedenken bezüglich der Einhaltung von Datenschutzrichtlinien bestehen4.

Auf dem Gipfel des Agententhrillers, am 17. März 2012, wurde der Iran aus dem SWIFT-System genommen, worauf hin dessen Außenhandel fast völlig zusammenbrach. Da SWIFT der wesentliche Knotenpunkt ist, mit dem sich Banken international vernetzen, können europäische Banken ohne SWIFT seitdem keine Verbindung zu den wichtigen iranischen Kreditinstituten mehr herstellen.
Und, obwohl die EU an dem Atomabkommen mit dem Iran festhalten will, können Unternehmen aus der EU keine von der US-Administration nicht beobachteten und sanktionierten Geschäfte mehr mit dem Iran durchführen; die Geschäftsbeziehungen mit dem Land der Ayatollahs sind damit faktisch blockiert.
Das alles ist letztlich der Erfolg von Daniel Glasers, der als Assistant Secretary (Terrorist Financing) in der Abteilung für Terrorism and Financial Intelligence des Finanzministeriums der USA für den „Krieg mit den Mitteln des Finanzmarktes“ zuständig ist.

Aufgrund der NSA-Spähaffäre hat das Europäische Parlament am 23. Oktober 2013 verlangt, das SWIFT-Abkommen mit den Vereinigten Staaten auszusetzen5. Aus Dokumenten des Whistleblowers Edward Snowden ging hervor, dass die US-Geheimdienste das Swift-Netzwerk gleich auf mehreren Ebenen heimlich „angezapft“ hatten. Wie weit also der „Krieg“ geht und mit welchen Mitteln bzw. Waffen er geführt wird, nämlich „mit den Mitteln des Finanzmarktes“, hat sich in dieser machtpolitischen Affäre nur allzu deutlich gezeigt.

Wir haben deshalb an dieser Stelle darauf besonderes Augenmerk gelegt, weil es zeigt, wie wichtig, gerade weil für Europa keine militär-strategische Option bleibt, eine weitgehende Autonomie in der Geldpolitik neben der Notenbankpolitik ist. Dabei ist die aktuelle Diskussion um das sog. Special Purpose Vehicle (SPV), die von Frankreich, Großbritannien und Deutschland gegründete Finanzgesellschaft zur Abwicklung europäischer Geschäftsvorgänge mit dem Iran ohne Zugriff vonseiten Amerikas über das SWIFT-System, nicht so wichtig; es kommt zu spät und generell sind die Europäer derzeit relativ machtlos in Hinblick auf die Kontrolle der internationalen Banktransfers. Aber das muss und sollte mittel- bis langfristig nicht zwangsläufig so weitergehen.

Im „Krieg mit den Mitteln des Finanzmarktes“ kann Europa aber durchaus Grundlagen aufbauen, die mittel- und langfristig greifen und Europa unabhängiger von amerikanischer Kontrolle und politischen Entscheidungen für Sanktionen auf den Geldmärkten werden lässt. Die neue Handelsplattform soll also das Iran-Geschäft vom globalen Finanzsystem SWIFT abkoppeln. Forderungen und Zahlungen könnten dort miteinander verrechnet, Finanzflüsse anonymisiert, ja größtenteils sogar überflüssig und somit Europa unabhängiger vom Dollar machen.
Wenn die Diskussion um das Atomabkommen und darum, dass die Exporte in den Iran, die hauptsächlich aus humanitären Gütern wie Medikamenten, Lebensmitteln und Konsumgütern bestehen sollen sich dreht, sieht man diesen „Fall“ durchaus auch als eine Fingerübung für einen neuen Umgang mit den USA, der Europa in Wirtschaftsangelegenheiten unabhängiger und zugleich auch selbständiger machen soll.

Und dabei ist die Zahlungsabwicklung das größte Hindernis, das es zu beseitigen gilt. Letztlich geht es bei dem Plan der EU-Kommission darum, wie Europa die Dominanz des US-Dollars auf ein erträgliches Maß minimieren kann, wie mehr an transnationalem Güterhandel in Euro abgewickelt werden kann und somit der Einfluss der USA auf die europäische Autonomie in Wirtschaftsangelegenheiten sinkt. Die SPV-Initiative ist ein erster Schritt, ein Zahlungssystem wie SWIFT dann für Europa zu etablieren, was den Einfluss Washingtons auf den Welthandel deutlich begrenzen würde und eine Reihe von Optionen in der europäischen Geldpolitik eröffnen würde; mit Sicherheit kommt einiger Unmut derzeit aus dem Oval Office wegen dieser Angelegenheit, weniger aus der engeren Bedeutung des Handels zwischen der EU und dem Iran, der vom Volumen her recht klein ausfällt6.

Vor diesem Hintergrund sind auch die schwierigen, EU-internen Verhandlungen über die Vollendung der europäischen Bankenunion zu sehen. Bei dem Thema Bankenunion wird in der Öffentlichkeit in Deutschland vor allem das Thema der Einlagensicherung fokussiert. Dass aber Banken schon in Zeiten vor der Digitalisierung ihrer Geschäftsprozesse gewissermaßen analoge Plattformökonomien waren, hätte spätestens beim Ausbruch der Finanzkrise 2006/07, die ja anfangs eine Bankenkrise war, bemerkt werden müssen.
Banken sind Netzwerke, waren seit ihrer Entstehung immer schon hochgradig untereinander vernetzte Institute und diese vernetzten Geschäftsbeziehungen beschränkten sich keineswegs nur auf Bankdienstleistungen; daran sei hier erinnert.

Für das europäische Experiment ist es von ganz fundamentalem Interesse, eine europaweite Vernetzung europäischer Banken derart sicher zu stellen, dass durch die Vernetzung mit etwa Banken aus Nicht-EU-Staaten keine Einschränkung bzw. keine Aussetzung oder Unterbindung von Vorgängen, ohne die Zustimmung vonseiten der EU stattfinden kann. Die Sicherung der europäischen Geldautonomie tangiert also nicht die internationalen Kooperationen der Banken untereinander oder von wechselseitigen Beteiligungen und unterschiedlichen Mehrheiten bzw. Eigentümerstrukturen.
Sie tangieren allein den Bereich der Autonomie von Entscheidungen, ihre strukturelle wie technologische Fundierung.

Solche Entscheidungen können auch auf einer politischen Ebene liegen und also die Autonomie der politischen Institutionen in Europa betreffen. Wie das Beispiel der Aufkündigung des Atomabkommens mit dem Iran einseitig und ohne Zustimmung der am Vertrag beteiligten EU-Staaten durch die USA gezeigt hat, kaskadieren im Bankenbereich z.B. über das SWIFT-Abkommen politische Entscheidungen in den gesamten ökonomischen Bereich, können wie in diesem Fall alle Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und dem Iran sanktionieren. Gegen diesen durch die USA geführten „Krieg mit den Mitteln des Finanzmarktes“ hat die EU bislang keine Mittel, eine politische Einigung mit den USA auf ihre zu verzichten erscheint naiv.

Wenn also keine politische Einigung zwischen der EU und den USA in Aussicht steht, würde eine solche ja eine einseitige Einschränkung der politischen Möglichkeiten der USA bedeuten, bleibt der EU wenig, als die finanzielle Integration des Euro-Raumes anzustreben; in wie weit Großbritannien nach dem Brexit noch ein Teil dieser Integration sein kann, ist nicht deutlich geworden bislang. Dass GB aber wohl ein Teil Europas bleiben wird, steht wohl selbst mittlerweile bei den bislang phantasielosen Hardlinern des Brexits außer Frage.

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Subprime Markt


1 Die Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication, abgekürzt SWIFT, ist eine 1973 gegründete, in Belgien ansässige Organisation, die den Nachrichten- und Transaktionsverkehr von weltweit mehr als 11.000 Banken über sichere Telekommunikationsnetze (das SWIFT-Netz) standardisiert. Sie ist eine Genossenschaft im Besitz der Banken und dem EU-Recht unterworfen. (Wikipedia)
2 Siehe Beraterfirma von SWIFT als Sicherheitsloch FutureZone (ORF), 3. Oktober 2006.
Eric Lichtblau: Europe Panel Faults Sifting of Bank Data. In: New York Times, 26. September 2006.

3 SWIFT: Europäisches Parlament lehnt Interimsabkommen mit den USA ab. Memento des Originals vom 13. Februar 2010 im Internet Archive.
4 Report on the Inspection of EUROPOL’S Implementation of the TFTP Agreement, conducted in November 2010 by the Europol Joint Supervisory Body. Memento des Originals vom 13. März 2011 im Internet Archive.
5 Reaktion des EU-Parlaments auf NSA-Aktion – Wird SWIFT-Abkommen ausgesetzt? Tagesschau.de, 23. Oktober 2013.
6 Die EU-Staaten exportierten im ersten Halbjahr 2018 Waren im Wert von über sechs Milliarden Euro in den Iran. Die Importe von dort betrugen rund 4,5 Milliarden Euro.
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