Großer Zapfenstreich für den Euro

Kreditfinanzierte Konsumausgaben sind also nicht per se ein Indikator für eine Entwicklung einer Volkswirtschaft, die in einer Schuldenkrise enden muss. Will man denjenigen schelten, der das Geld annimmt von jemanden, der es ihm regelrecht aufdringlich hinterherträgt und dann ausgibt für all die Dinge, die er sich lange Zeit schon gewünscht hat? Sicher nicht, gleichwohl sein Verhalten in mancherlei Hinsicht diskutabel erscheint.
Ist sein Verhalten naiv oder hätte er vorausdenken müssen, was aus diesem Verhalten dereinst sich an Schulden und persönlichen Problemen, gar an Problemen seines Staates entwickeln könnte? Mit Sicherheit auch nicht. Denn sein Verhalten ist wie das des Kreditgebers völlig kongruent mit der Wirtschaftsform, die wir nun einmal haben, der Marktwirtschaft.

So kamen die Geldgeber zu den südlichen Peripherieländern in der Absicht, hier große Gewinnen zu machen und jeder wollte der erste sein, und jeder wollte, dass die jungen Euro-Volkswirtschaften gerade sein Geld nehmen. Die Marktwirtschaft hat ja gerade darin ihren großen Vorteil gegenüber anderen Wirtschaftsformen, dass sie besonders schnell zu den Märkten kommt und natürlich genauso schnell wieder verschwindet, wenn die Märkte keine Gewinne bzw. Renditen für die Geldgeber mehr abwerfen.
Das scheinen viele Ökonomen zu vergessen, wenn sich private und öffentliche Kreditnehmer über die Maßen verschulden. Dann ist ein Diskurs über Verantwortung oft anhängig, der aber übersieht, dass die Ursachen nicht auf einer Seite der Vertragsparteien zu suchen sind, sondern in eben dieser Relation gleichsam untergehen. Mit Schuld und Verantwortung kommt man da wenig weit, stellt man beide Begriffe nicht in einen, in den richtigen, strukturellen Zusammenhang; wir kommen darauf zurück.

Sehen wir also auf die negativen Leistungsbilanzen der überschuldeten Staaten ein wenig genauer, dann müssen wir vorab bedenken, dass Staatsschulden nicht automatisch Auslandsschulden bedeuten. Staatsschulden sind fast ausschließlich durch Staatspapiere verbrieft und die können auch von einheimischen Gläubigern erworben worden sein. Solche einheimischen Gläubiger sind überwiegend einheimische, private Geldinstitute, die man zu den privaten Haushalten und auch zu den ausländischen Instituten, bei denen sich der Staat verschuldet hat, hinzuzurechnen sind.

Will man der Frage nach der Struktur der Staatsverschuldung in Europa nachgehen, dann wird man vor allem bei Italien und Spanien mit einheimischen privaten Geldinstituten als ‚Gläubiger‘ von Staatsschulden konfrontiert. Das aber ist ein Trugschluss. Wir haben kürzlich bereits auf die LTRO1 genannte Form der langfristigen Bereitstellung von Geld der EZB an die Geschäftsbanken gesprochen und dabei festgestellt, dass dieses Programm der Geldbeschaffung empirisch betrachtet zu einem hohen Maß von italienischen und spanischen Banken genutzt worden ist, obwohl es europaweit zur Verfügung steht. Erst vor kurzem wurden neue Langfristkredite durch die EZB beschlossen, die die LTROs ablösen und unter dem eingängigen Titel: TLTRO 3 firmieren.

Wir erinnern uns daran, dass die EZB eigentlich ihr Geschäftsmodell nur einem politischen Mandat verdankt, nämlich über eine gesunde Inflationsrate, die derzeit europaweit bei etwa 2 Prozent veranschlagt wird, eine stabile Währung zu garantieren, unter der die europäische Wirtschaft ein gesundes Wachstum finden kann. Wie wichtig gerade die Notenbank-Zinsen für die Wirtschaft und damit letztlich auch für die Bürger einer Volkswirtschaft sind, darauf haben wir mehrfach hingewiesen, nicht ohne diesen Kausalzusammenhang auch fundamental in Frage zu stellen.
Gleichwohl muss und wird ja die Notenbank-Politik an dieser Kausalität gemessen, dass also ihre Politik auf eine stabile Zinsstruktur von lang- und kurzfristigen Zinsen hinausläuft, mithin auf eine stabile Währung, was im Kern bedeutet, dass die Währungsschwankungen des Euros gegenüber den anderen relevanten Währungen in den Welt, vor allem gegenüber dem US-Dollar moderat bleiben, zumindest das die Währungsrelationen nicht in kurzen Abständen zu großer Schwankungsbreite aufbrechen. Alles dies aber macht nur Sinn, wenn das wirtschaftliche Wachstum mit stabiler Beschäftigung einhergeht, wozu es eine kontinuierliche Geldversorgung der Wirtschaft durch die Banken braucht.

Von dem von der EZB gewünschten Wert von etwa 2 Prozent Inflation, der ein gesundes Wirtschaftswachstum unterstützen soll, sind wir allerdings nach wie vor weit entfernt (2019). Da zur Erreichung dieses Inflationszieles eine gute Kreditvergabesituation durch die Privatbanken an die Wirtschaften der Eurozone notwendig ist, kann die EZB darauf schließen, dass, weil das Inflationsziel nicht erreicht wurde, auch nicht genug Geld den Wirtschaftskreislauf über die Banken erreicht hat. Wenn daher die Kausalität stimmt, stimmen auch diese Schlussfolgerungen, die die EZB aus ihren zur Verfügung stehenden, statistischen Daten anstellt. Wenn diese Kausalität nicht stimmt, was dann? Schauen wir uns die Fakten weiter an.

Und wie oben angemerkt, ordnet dieses Kausaldenken auch Bürger und Unternehmen einander zu, als mehr Geld im Wirtschaftskreislauf auch zu mehr Investitionen und mehr Konsum führen und somit die gesteigerte Nachfrage auf den Märkten zu einer höheren Produktion zur Befriedigung dieser Nachfrage führen muss; das meint wirtschaftliches Wachstum. Hat die Geldpolitik der EZB in den europäischen Volkswirtschaften zu mehr Wachstum geführt? Nominell kann man von einem gesunden Wachstum in Griechenland, Belgien, Frankreich, Italien und Portugal wohl kaum sprechen.

Wachstum hat in diesem Denkmodell kausal auch zur Folge, dass neue Jobs entstehen. Denn Wachstum erfordert mehr Menschen, die die anfallende Arbeit bewältigen und im günstigsten Fall, wenn das Wachstum länger anhält, werden aus Beschäftigungslosen Erwerbstätige, was einerseits die Sozialkassen entlastet und gleichzeitig die Steuereinnahmen erhöht. Ergo, nach dieser Kausallogik folgend, verbessern sich auch die Wohlfahrtssysteme, denn über Steuern und Abgaben können dann die öffentlichen Strukturen und die sozialen Sicherungssysteme verbessert und bezahlt werden. Und am Ende stehen weniger Erwerbslose einer steigenden Menge an vollzeit-beschäftigten und auch gesünderen Erwerbstätigen gegenüber; die Gleichung: wirtschaftliches Wachstum ist zugleich wachsender Wohlstand und wachsende Wohlfahrt ist aufgegangen.

Leider verharren nach wie vor die notleidenden Staaten und Volkswirtschaften auf einem Niveau, dass man fragen darf, ob denn die Situation, ohne die Eingriffe der EZB wirklich schlecht verlaufen wäre, als mit diesen. Wir konstatieren, dass Banken einerseits sogar Strafzinsen für bei der Notenbank geparktes Geld zahlen, als es in die Wirtschaft zu geben. Und dies sogar bei einem Zinssatz, der seit September 2016 bei -0,4 Prozent liegt. Und dieser Strafzins hätte doch die Banken deutlich motivieren sollen, das Geld eben nicht bei der EZB anzulegen, sondern bei ihren Kunden und zwar in Form von Krediten.

Strafzinsen sind ja vermeintlicher Weise ein effektives Mittel, um genau diesen Effekt zu vermeiden und trotzdem ist die Kreditvergabe nicht auf dem von der EZB und der Politik öffentlich erwünschten Niveau. Gerade die Kreditzinsen im Bereich der Privatkredite haben sich im vergangenen Jahr kaum verändert. Aber bleiben wir noch bei der allgemeinen Situation.
Günstige Kreditzinsen der EZB an die Banken stehen unter der Hoffnung, dass diese die niedrigen Zinsen an die Wirtschaft weitergeben und sind damit bereits ein Konjunkturprogramm. Und damit dies auch schnell funktioniert, hat man quasi als eine Peitsche den Strafzins herausgeholt. Aber das alles hat offensichtlich wenig genützt und da die LTRO Programme I und II im Jahr 2020 auslaufen und auf die Mindestlaufzeit von einem Jahr zulaufen – dieser Sperrzeitraum wurde gesetzt, um die Langfristigkeit von der Kurzfristigkeit der Zinsen zu markieren – bietet das neue Programm TLTRO 3 nun den Banken einen Wohlverhaltens-Bonus, ohne den anscheinend bei den Geldinstitution schlichtweg gar nichts mehr zu laufen scheint.

Aber dieser Bonus war schon Kern des LTRO II Programms und hat wie gezeigt, wenig bewirkt, jedenfalls nicht da, wo die Wirkung gerne gesehen worden wäre, bei den Unternehmen. Der Bonus belohnt Banken und Sparkassen, wenn sie mehr Kredite vergeben. Nicht nur, dass Banken also das Geld zu Null-Prozent ausleihen können, was nicht selbstverständlich ist, sie bekommen sogar noch einen Bonuszins bei Wohlverhalten hinzu. Spätestens an dieser Stelle muss man das Mandat der EZB aber als überschritten sehen.
Und die EZB verhält sich nicht einmal wie eine Bank, die sie aber ist. Denn Geld zu verleihen, ohne Zinsen dafür zu nehmen, ist nicht nur untypisch für eine Bank, sondern zugleich auch ein hoch problematisches Geschäftsmodell, welches übrigens bei keiner Wettbewerbsbehörde der Welt ihren Segen finden würde. Und dann noch Geld beim Verleih oben drauf zu legen käme wohl keinem Banker dieser Welt in den Sinn. Dennoch ist es genau das, was die EZB seit Jahren tut. Da stellen sich natürlich sofort zwei Fragen: Warum macht sie das? Und was wird dieses Verhalten wem kosten?

Die Frage wem ist schnell beantwortet: den Steuerzahler. Wieviel die Programme kosten, beantwortet die EZB weise ausweichend: „Das können wir heute noch nicht berechnen. Die EZB will die Kreditvergabe und damit die Wirtschaft ankurbeln und nicht selbst Geld verdienen. Erfolgreichen Banken wird etwas von der Last abgenommen, die sie durch den negativen Einlagenzins haben“, so ein Sprecher der EZB im Jahr 2016. Das Zitat zeigt, wie wenig die Bank mit denen, die die Zeche ihres Handelns zu zahlen haben, bereit ist, in den Dialog zu treten.
Wenn irgendein Unternehmer dies seinen Gläubigern so sagen würde, der hinge schnell am nächsten Baum.

Kommen wir also zu der wichtigen Frage, warum die EZB solche Programme auflegt? Wir haben gesagt, der Termin ist sehr nahe, an dem die Frage sich entscheiden muss, gibt es ein nachfolgendes Programm zur langfristigen Finanzierung von Geschäftsbanken, oder lässt man das Programm auslaufen? Der Entschluss, ein neues Programm aufzulegen, wurde durch die Situation der Banken in Italien und Spanien provoziert, also jene beiden Länder, die bislang die Hauptnutznießer der Vorgänger-Programme waren. Rein zufällig fallen die Termine des Abschieds von Notenbankpräsident Draghi und Programmende zusammen, sonst könnte man meinen, Draghi wollten zum Abschied den beiden Staaten Spanien und Italien, vor allem Italien noch einen Dienst erweisen; aber die terminliche Koinzidenz ist ja rein zufällig.

Ob der Dienst überhaupt einer ist und wenn nicht sogar ein Bärendienst, werden wir noch etwas weiter nachspüren. Ein Indiz könnte sein, dass mit dem neuen Programm flexible Zinsen verbunden sind, also eine Abkehr vom festen „Null-Zinssatz“ hin zu marktnäheren Zinsen. Wenn aber die Zinsen, die die Banken zu zahlen haben, unterhalb der tatsächlichen Zinsen liegen, wenn also die neuen Kredite variable Konditionen haben, um zu verhindern, dass die Banken bei steigendem Zinsniveau zu billig mit Geld versorgt werden, dann sind die Banken per factum wenig daran interessiert, dass die Zinsen steigen. Und sie verhindern das am besten, wenn sie inflatorisch nicht tätig werden, also so wenig wie möglich Kredite an die Unternehmen ausreichen; honi soit qui mal y pense.

Das neue Programm TLTRO III aber hat noch einen anderen Hintergrund, einen, der viel wichtiger ist und wesentlich zugleich. Anfang des Jahres 2018 sprach vieles dafür, dass die Banken, die sich besonders stark an den Vorgängerprogrammen I und II beteiligt hatten, erneut in Zahlungsschwierigkeiten kommen werden. So standen bei den Banken z.B. noch erhebliche, nicht refinanzierte Summen in den Büchern2. Vergleicht man die Summen, dann sieht man, dass Italien fast die dreifache Summe ausgegeben hat wie Deutschland. Aber Deutschlands Wirtschaft verlief im Gegensatz zu der Italiens nicht rezessiv; wofür also hat Italien, wenn nicht für Unternehmenskredite dann das Geld verwendet?

Die EZB begründet die Neuauflage der Programme mit den deutlich gesunkenen Prognosen für Wachstum und Inflation. Hätte die EZB also die alten Kreditprogramme ersatzlos auslaufen lassen, so die Argumentation des Instituts, wäre das einer geldpolitischen Straffung (QE) gleichgekommen. Dies wollte die EZB unbedingt vermeiden. Klügere Geister allerdings sehen den Grund für die Erneuerung der Programme darin, dass die Banken die neuen Mittel dafür nutzen, einheimische Staatsanleihen zu kaufen und gerade solche, die den Fortbestand der Staatenfinanzierung von Italien und Spanien weiter garantieren, wodurch sich also die von uns eingehend beschriebene, fatale Verbindung von Staaten und Privatbanken prolongiert.

Unserer Auffassung nach war aber gerade diese Beziehung von Privatbanken und Staaten, die einen wesentlichen Anteil an der Entstehung der Euro-Krise hatte und deren Dynamik auch noch wie ein Beschleuniger, eine immer schneller sich drehende Abwärtsspirale gewirkt hat. Bei den neuen Programmen haben wir es mit keiner direkten Staatenfinanzierung zu tun; das wäre durch kein politisches Mandat bzw. laut Satzung der EZB gedeckt. Aber mit einer indirekten, und die funktioniert so gut wie eine direkte Staatenfinanzierung. Denn wenn die EZB große Summen zu günstigen Konditionen bereitstellt, die genutzt werden können (nicht müssen) bzw. es nicht verboten ist, sie für Käufe von Staatsanleihen zu nutzen, somit also Geld über Privatbanken an Staaten fließt, ist zwar oberflächlich betrachtet der Geschäftsordnung Genüge getan, in der Sache aber ist und bleibt es eine indirekte Staatenfinanzierung.

Auch der EZB, zumal die ja auch Aufsichtsbehörde für die europäischen Privatbanken ist, dürfte bekannt sein, dass ganz generell eine Riesenkluft besteht zwischen der Kreditvergabe der Banken an Unternehmen und Haushalten und dem Kauf von Staatsanleihen3. Auch dürfte dem Institut bekannt sein, dass die Nettokäufe von Staatsanleihen in Italien im Vergleich zum Euro-Raum gerade in den letzten beiden Jahren sich konträr zueinander entwickelt haben4. Und ganz sicher ist auch bekannt, dass es eine erhebliche Divergenz bei der Ausreichung von Bankkrediten an den privaten Sektor im Vergleich zwischen Italien und Spanien mit der Eurozone insgesamt gibt5.

Jetzt, da die Fakten offensichtlich geworden sind und Draghis Zeit als Notenbankpräsident zu Ende geht, werden auch die Stimmen lauter, die die Notenbankpolitik auch als eine Politik der Unterstützung der Finanzierung maroder Staatshaushalte und damit einer geldverschwenderischen Haushaltspolitik anklagen. So äußert sich der Ökonom Heinemann und wird auch vom Bundesbankpräsident Weidmann zitiert und bestätigt: „Banken, die in einem von der Insolvenz bedrohten Land wie Italien sitzen, können sich nur zu hohen Strafzinsen am Markt refinanzieren. Die EZB springt hier nun erneut in die Bresche und hält diese Banken und letztlich auch das Finanzierungsmodell dieser Staaten am Leben.“ Gemeint ist hier das neue Programm TLRO 3.
Die EZB sei „erpressbar“ geworden und könne sich „nicht mehr auf ihr geldpolitisches Mandat beschränken“. Sie werde „immer mehr zum permanenten längerfristigen Kapitalgeber von fragilen Banken mit verantwortungslosen Anlageportfolios in Südeuropa“6.

Wenn gleich Weidmann dem Ökonomen nicht in jeder seiner deutlichen Aussagen zustimmen will, auch Weidmann stimmt im Kern zu, „dass die Glaubwürdigkeit der Fiskalregeln angeschlagen ist und ihre Bindungswirkung dringend gestärkt werden muss.“ So schön der Ausdruck: Bindungswirkung auch sein mag, dahinter steht eine mangelnde, wenn nicht sogar gar keine Haushaltsdisziplin bei bestimmten Regierungen. „Zum Beispiel beträgt der Anteil heimischer Staatsanleihen an der Bilanzsumme italienischer Banken aktuell etwa 10 %. Sie übersteigen dort sogar das Eigenkapital“.

Staaten nutzen damit die Tatsache, dass Banken große Bestände an heimischen Staatsanleihen in ihren Büchern halten können, ohne diese mit ausreichend Eigenkapital unterlegen zu müssen, so, als wäre eine Staatspleite nicht möglich; man denke an Griechenland, für sich aus. Wenn aber Staatspleiten möglich sind, ist das Risikoprofil der Privatbanken auch gekoppelt an die Solvenz des Staates, von dem sie Anleihen kaufen und also müsste das im Eigenkapital auch seinen Niederschlag finden, was es nach wie vor nicht tut. Umgekehrt müssten Staaten auf den internationalen Finanzmärkten viel höhere Abschläge bezahlen, damit ihre Titel am Markt auch Käufer finden.
So im Verein von maroden Staaten und unsolide geführten Banken gehen beide in eine für sie günstige Win-Win-Situation auf Kosten ihrer Bürger, Steuerzahler und Investoren; eine Menge an möglichem Schaden somit einkalkuliert.

Hinzu kommt, dann nicht nur das Feld der Anleihen bei den hoch verschuldeten Staaten zu Buche schlägt. Auch die Seite der privaten Kredite ist in deren Büchern unter jede Risikogrenze gesetzt. Wenn in Europa die Quote an notleidenden Krediten seit 2014 auch deutlich gesunken ist, so heißt das nicht, dass nicht einige Länder davon nach wie vor betroffen sind. Bei jedem dritten Staat liegt die Quote fauler Kredite immer noch über 5 Prozent, bei einigen davon sogar noch deutlich darüber. Auch in diesem Punkt hat die Notenbank-Politik wenig bewirkt, kann sie auch nicht. Die Geldpolitik kann allenfalls und für den Normalfall die Konjunktur ein wenig stimulieren oder eine Überhitzung abkühlen, wenn es für stabile Preise auf mittlere Sicht erforderlich ist. Damit beeinflusst sie aber nur die zyklischen Schwankungen um den gegebenen Wachstumstrend herum.

Vergleicht man die Quote der notleidenden Kredite der Euro-Zone mit denen der USA und Japan, dann wird man feststellen, dass sie in beiden Ländern bei lediglich etwa 1 Prozent liegt, also deutlich unterhalb der Euro-Zone. Das ist nicht gerade förderlich für die Stabilität der Währung, um die sich die EZB ja so mühsam und über Jahre hinweg bemüht haben mag.

Wendet man den Blick auf die deutsche Volkswirtschaft, bleibt eine technische Abschwächung der Wachstumsrate von wahrscheinlich deutlich unter 1 Prozent für 2019, kommend von einem deutlich höheren Niveau. Ein Einfluss der EZB gleich in welcher Richtung auch kann also nicht festgestellt werden; ist Deutschland ein Sonderfall? Natürlich nein, denn Ähnliches gilt ja auch für andere Volkswirtschaften im Euro. Für diese darf festgehalten werden, dass sie auf einem soliden Fundament von günstigen Finanzierungsbedingungen auf den internationalen Finanzmärkten, auf Wachstum und zunehmender Beschäftigung sowie aufsteigenden Löhnen basiert.

Bleiben wir weiter auf dieser Seite dieser Bilanz der Nationaleinkommen, dann sehen wir nicht nur eine Stärkung der Binnenwirtschaft in den einzelnen Ländern durch zusätzliche Impulse aus einer Lockerung der Fiskalpolitik, aus zunehmender Knappheit am gesamten Arbeitsmarkt und in ganz bestimmten Sektoren überproportional, was auch in deutlichen Lohnerhöhungen und sprudelnden Steuereinnahmen sich niederschlägt. Ein Effekt davon wird aller Wahrscheinlichkeit nach ein durch die Binnenwirtschaft getragener Preisanstieg sein, der, mit Ausnahme im Immobiliensektor zu einer strukturell positiven Gesamtentwicklung bei den Faktoren Arbeit und Kapital führen sollte.

Das heißt, wahrscheinlich wird der Binnenkonsum anziehen, ob aber zugleich auch die Investitionstätigkeit zunehmen wird, bleibt abzuwarten, ist wahrscheinlich, aber nicht kausal bedingt. Interne, aber vor allem die derzeitigen externen Faktoren: Brexit und Handelsstreit zwischen China und den USA, sowie die Unsicherheiten der chinesischen Wirtschaftspolitik mit den hohen Schuldenständen, den Konflikten im Handels- und Wettbewerbsrecht usw. haben Einfluss auf die Finanzmärkte und auf die reale Produktion in den europäischen Volkswirtschaften und weit noch darüber hinaus.

Das Mandat der EZB ist es, Zins- und Preisstabilität so weit wie möglich zu gewährleisten. Tritt aber der Fall ein, dass aufgrund von internen und externen Faktoren das Wachstum nicht in einer technischen, sondern in einer konjunkturell unerwarteten und weitreichenden Weise einbricht, ist der geldpolitische Handlungsspielraum der EZB durch die Politik der letzten Jahre so eng geworden, dass sie diese krisenabwehrende Funktion nicht mehr auszuüben in der Lage ist. Im Vergleich mit den USA, die die geldpolitische Straffung bereits vor zwei Jahren eingeleitet haben, ist nicht einmal die Normalisierung der Geldpolitik der EZB in Sicht.

Für eine dauerhafte Belebung des Wachstums müssen neben der Geldpolitik aber auch die Weichen in der Wirtschafts-, Sozial- und Steuerpolitik rechtzeitig und richtig gestellt werden. Aber bei den Schuldenstaaten, besonders im Falle von Griechenland, geht die Diskussion diesbezüglich in zwei ziemlich konträre Richtungen. Einmal in Richtung Austeritätspolitik bzw. deren Aufrechterhaltung, andererseits einer Lockerung der Austeritätspolitik, was auf nichts anderes hinausläuft als auf eine Vergrößerung der Staatsschulden. Generell heißt das, in Europa sind zunächst die einzelnen Regierungen gefordert, in ihren Ländern die Wirtschaftsstrukturen wettbewerbsfähig zu gestalten.

Das ist eine Daueraufgabe, der sich alle Staaten stellen müssen, auch in Deutschland. Oder man akzeptiert eine Schuldenpolitik als autonome Entscheidung der einzelnen Staaten und öffnet der jeweiligen Wirtschaftspolitik den Weg zum Investivkapital, wobei dieser Weg ein ungeregelter Weg ist, von dem niemand genau weiß, welche Richtungswechsel er wann und warum genau nehmen wird.

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TLTRO 3Wohlverhaltens-Bonus


1 LTRO. Kurz für englisch „Long-term refinancing operation“. Langfristige Geldbereitstellung der EZB an die Geschäftsbanken für einen vergleichsweise günstigen Zins. Vorrangiges Ziel dabei ist, die Kreditvergabe der Banken anzukurbeln.
2 Das waren z.B. in Italien 251 Milliarden Euro, in Spanien 170 Milliarden Euro, in Frankreich 114 Milliarden Euro und in Deutschland 94 Milliarden Euro.
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Handelsblatt print: Nr. 053 vom 15.03.2019 Seite 026

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Handelsblatt print: Nr. 053 vom 15.03.2019 Seite 026

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TLRO3
Handelsblatt print: Nr. 053 vom 15.03.2019 Seite 026

6 Vgl. Handelsblatt print: Nr. 053 vom 15.03.2019 Seite 026 / Finanzen & Börsen sowie Jens Weidmann: Die Zukunft der Europäischen Währungsunion. Rede bei der Jahresauftaktveranstaltung der IHK Rhein-Neckar vom 31.01.2019

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