Investitionen und Steuern

Wo hat man das in Europa gesehen? Die größten US-Konzerne aus der IKT-Branche parken vor dem US-Fiskus Billionen an Dollar und viele davon in ausländischen Steueroasen. Apple, Microsoft, Cisco oder General Electric usw. horten extrem viel Geld im Ausland und entziehen nicht nur ihre internationalen Gewinne so vor den Steuerämtern ihrer Gastländer, sondern auch vor dem heimischen Fiskus. Dort also zahlen sie keine oder kaum Steuern, hier schaffen sie zudem auch keine Arbeitsplätze.
Das amerikanische Modell kommt an seine Grenzen. Und dabei geht es um gigantische Summen an Geld. Die Gewinne, die US-Unternehmen im Ausland vor dem Zugriff des US-Fiskus entziehen, belaufen sich dem Finanzdienst Bloomberg zufolge auf über drei Billionen Dollar. Das ist deutlich mehr als das Bruttoinlandsprodukt von Frankreich oder von Großbritannien.

Sicherlich ist der US-Steuersatz, wie er vor der jüngst Steuerreform bestand, mit 35 Prozent recht hoch; das aber erklärt diesen Zustand nicht. Die Erklärung liegt allein auf der politischen Ebene, die diese asymmetrische Struktur von Kapital und Arbeit, von Verkäufermärkten und Käufermärkten billigt, ja betreibt. Das amerikanische Modell schützt und fördert das Primat der Wirtschaft in einer wirtschaftsliberalen Ordnung mit Verfassungsrang. Kaum vorstellbar, dass Unternehmenslenker wie etwa Apple-Chef Tim Cook öffentlich und unwidersprochen erklären dürfen, er würde die immensen Auslandsvermögen seines Konzerns „liebend gerne“ in die USA übertragen, doch es sei schlichtweg zu teuer.
Konzerne bestimmen also letztlich, wann und wo sie welche Steuern zu bezahlen gedenken.
Passt ihnen der Steuersatz und anderen Marktbedingungen nicht, ziehen amerikanische Konzernlenker es vor, Auslandsgewinne zum Beispiel in Irland oder Bermuda zu verbuchen und zu parken, da, wo sie niedrige oder gar keine Steuern zahlen müssen.

Das amerikanische Modell sah bislang vor, dass internationale Konzerngewinne nur dann in den USA versteuert werden können, wenn diese hier auch anfallen und verbucht werden. Man darf das durchaus als einen Teil eines großartigen Programms interpretieren, mit dem der amerikanische Staat die Bildung internationaler Großkonzerne fördert; auch das ist eine Form der Wettbewerbsverzerrung, die Amerika gerne anderen Volkswirtschaften vorwirft.

Schauen wir auf die Ergebnisse der jüngsten Steuerreform, dann stellen wir fest, dass die Vermögen, die Konzerne bereits im Ausland angehäuft haben, nun mit einer einmaligen Sondersteuer zwischen acht und 15,5 Prozent belegt werden. Künftige Auslandsgewinne sollen von nun an mit rund zehn Prozent besteuert werden, was durchaus als wohlwollend betrachtet werden darf und Aktienanalysten bereits dazu gebracht hat, vor weiteren und neuen Schlupflöchern für Steuervermeidung zu warnen. Gleichwohl die Politik nun Steuern erhebt, ist sie den Großkonzernen doch sehr weit entgegengekommen, denn die Steuern und Abgaben sind in der Summe recht gering und ein Verbot, die Vorteil von Steueroasen auch in Zukunft zu nutzen, steht auch nicht im Raum.

Die jüngste Steuerreform, so zeichnet es sich bereits heute ab, ist ein grandioser Irrtum ihres Erfinders, Donald T.; kann das aber stimmen? Weder war der Präsident der USA der ‚Erfinder‘ noch darf man glauben, die amerikanischen, politischen Institutionen können sich so gewaltig irren, wie das Beispiel Amazon nahelegt. Steuerreform und Steuerschlupflöcher ermöglichten, dass der Onlinehändler aus Seattle, obwohl er einen Milliardengewinn im Jahr 2018 in Höhe von 11,2 Milliarden Dollar erzielt hat und seinen Gewinn  zum Vorjahr verdoppelt hat, aufgrund der Tumpschen Steuerreform sowie zahlreicher Steuerschlupflöcher, beispielsweise gesetzlich zulässiger Steuergutschriften und Steuerbefreiungen beim Handel mit Aktien,  eine Steuergutschrift von 129 Millionen Dollar erhalten hat1. Der weltgrößte Onlinehändler und zugleich eines der wertvollsten Unternehmen weltweit, das an der Börse zwischenzeitlich mehr als eine Billion Dollar wert war, siebenmal so viel wie etwa der VW-Konzern, zahlt als nach Trumps Reform einen Steuersatz von -1%. Amazon zahlt also keinen einzigen Cent zu den amerikanischen Bundessteuern, im Gegenteil, es erhält, laut Berechnungen des Instituts für Steuern und Wirtschaftspolitik (ITEP) in Washington, sogar noch eine Steuergutschrift vom Staat.

Neben den Steuerentlastungen griff in diesem Fall der Teil der Reform, der seit ihrem Inkrafttreten nicht länger unbegrenzt die Steuer auf das Welteinkommen der Unternehmen anwendet, sondern bestimmte Einkünfte, beispielsweise Dividenden nur, wenn sie aus US-Quellen stammen, besteuert. Wenn Trump also mit seiner Steuerreform die Unternehmen wirklich dazu bewegen hätte wollen, über niedrigere Steuersätze ihren Obolus an den amerikanischen Fiskus voll zu entrichten, warum wurden dann die Steuerschlupflöcher nicht verschlossen? Es wär „simple and good for America (first)“ gewesen. Und diese entgangenen Steuereinnahmen betreffen ja keine Einzelfälle. Auch das Unternehmen Netflix hat laut dem Institut ITEP auf seinen Gewinn aus dem vergangenen Jahr in Höhe von rund 845 Millionen Dollar keine Steuern gezahlt; und diese Art Nachrichten dürfen wir wohl in den nächsten Wochen und Monaten noch häufiger lesen.

Und wie wir bereits am ‚irischen Modell‘ ausführlich beschrieben haben, scheint sich der Ärger in der EU durch die für Europa auf den ersten Blick doch vorteilhafte Reform der amerikanischen Steuergesetze noch deutlich vergrößern, locken weiterhin europäische Steueroasen wie Irland, Luxemburg oder Malta mit niedrigen Steuersätzen und begünstigt durch die US-Reform auf Firmengewinne gerade amerikanische Unternehmen an, ihre Europazentralen in diese Länder zu verlegen. So beschäftigen ausländische Firmen allein in Irland mehr als 150 000 Menschen und es schwierig bleibt, ohne amerikanische Wutausbrüche in Twittertiraden zu provozieren, eine europaweit einheitliche Besteuerung umzusetzen, was das Trockenlegen der europäischen Steueroasen inklusive der britischen Kronkolonien der City of London einschließt, dem amerikanischen Modell, das die EU spaltet, etwas effektiv entgegenzusetzen.

Das Beispiel Apple zeigt recht deutlich, dass es mehr braucht, als ein Tal in Kalifornien, motivierte Start-ups und Wagniskapital-Geber, um ein paar Riesenkonzerne mit weltweiten Wettbewerbsvorteilen hervorzubringen. Ohne eine solche Politik, die den Aufbau von Konzernen auch fiskalisch fördert, die stets das Wohl der Großunternehmen gegen den marktwirtschaftlichen Wettbewerb im Auge hat und so ein marktdominierendes Unternehmen erst ermöglicht, das nun, wie im Falle von IKT- und Plattform-Technologien, einen geschlossenen Verkäufermarkt zu konstituieren in der Lage ist, wäre das amerikanische Modell nicht möglich.

Wir sehen zugleich auch, dass die Rede von den unregulierten Märkten Unfug ist. Das amerikanische Modell ist alles andere, als ein unreguliertes Wirtschaften in unregulierten Märkten. Was wir vorfinden sind Konzerne und Oligopole, die wie in einem politischen Kokon ohne Wettbewerb fürchten zu müssen, gedeihen; sehr gut gedeihen.
Dazu gehört auch, dass die Konzerne, die (einen Teil) ihrer liquiden Vermögenswerte in die USA repatriieren, diese sogleich für Aktienrückkäufe und Dividendenzahlungen benutzen. Einmal, um Alt-Aktionäre zu belohnen und zu halten und um gerade in diesen Zeiten, wo die Zinsen für die Refinanzierung und Finanzierung von weiteren Zukäufen und Fusionen günstig sind, diese zu tätigen. Das macht die Konzerne noch größer und ihre Marktdominanz noch hermetischer.

Alt-Aktionäre und frische Investoren gleichermaßen erfreut das und bringt bei Apple, Microsoft oder der Google-Mutter Alphabet mit ihren enormen Cash-Reserven das Übernahmenkarussell erst so richtig in Gang. Hinter der politischen Agenda der Repatriierung ausländischer Vermögenswerte von US-Unternehmen steht also nichts anderes, als die immer gleiche Story: wie schaffe ich Großkonzerne und Märkte, die vor dem zunehmenden, globalen Wettbewerb weitgehend abgeschottet sind und die zugleich durch ihre immense Marktkapitalisierung die US-Börsen und Märkte für Unternehmensanleihen zugleich befördern? Denn der Wertzuwachs der Unternehmen an den Börsen ist ungleich höher, als in der Realwirtschaft zu erreichen wäre. Das ist dann insgesamt gesehen auch gut für den Dollar, der seine Stabilität und Unverzichtbarkeit als Weltwährung auf diese Weise auch zukünftig behaupten kann.

In letzter Konsequenz geht es im amerikanischen Modell der Marktwirtschaft darum, den Aufbau und Einfluss von Käufermärkten da, wo es möglich und angebracht erscheint, zu verhindern. Käufermärkte, so haben wir gesehen, sind letztlich das Ende von Großkonzernen, zumindest erschweren sie deren Wachstum. Gerade aktuell hat die europäische Wettbewerbshüterin, Margrethe Vestager, die Fusion der Bahnsparten von Siemens und der französischen Alstom verhindert unter Anwendung der strengen Regeln der EU zum Schutz des freien Wettbewerbs.
„Unsere Untersuchungen zeigen, dass Siemens und Alstom bei Weitem die größten Anbieter von Signaltechnik und Hochgeschwindigkeitszügen wären und kaum noch Wettbewerb zulassen würden.“

Dabei ist zu bedenken, dass die Wettbewerbskommisarin Vestager einer europäischen Institution vorsteht, der Generaldirektion Wettbewerb2, die weder ein politisches Mandat hat noch politisch abhängig ist vom EU-Ministerrat. Die DG COMP berichtet einmal jährlich dem Europäischen Parlament und ist weitgehend unabhängig für die Einhaltung der Wettbewerbsvorschriften des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zuständig. Wie sehr die Politik im Amt des aktuellen Wirtschaftsministers Altmaier versucht hat, Einfluss auf die DG COMP bezüglich dieser Bahnfusion zu nehmen, war nur allzu deutlich.
Vestager geht es laut Wettbewerbsvorschriften der EU um Produkte, die von vielen Verbraucherin der EU genutzt werden, darum, gerade auf den europäischen Verbrauchermärkten die Bildung von Monopolen und Oligopolen und damit von marktbeherrschenden Unternehmen, die letztlich Preise und Produktions- wie Marktbedingungen nach ihrem Nutzen gestalten bzw. bestimmen können zu verhindern.

Das Argument der beiden Bahnkonzerne und des deutschen Wirtschaftsministers, man müssen wie die USA und China Großkonzerne fördern, um nicht im Wettbewerb mit jenen wie etwa dem chinesischen Bahnkonzern CRRC, der auf seinem chinesischen Heimatmarkt es zu mittlerweile 90 Prozent Marktanteil gebracht hat, zerrieben zu werden, ließ die Kommissarin nicht gelten; zu Recht. Denn es geht nicht um den Wettbewerb allein. Es geht nicht einmal allein um asymmetrische Märkte, die den Unternehmen Dominanz über Preise etc. ermöglichen. Es geht um die Transformation einer Wirtschaftsordnung, die Konzerne als verlängerten Arm der politischen Ökonomie installieren mit weitreichenden Folgen.

Eine Folge und ein neues, machtpolitisches Kalkül im amerikanischen Modell ist die staatliche Schuldenpolitik. Hohe Schulden sind beileibe keine reine Geldangelegenheit. Hohe Schulden in bestimmten Bereichen der politischen Ökonomie blockieren auf Jahre hinaus bei einem Politikwechsel die Möglichkeit, solche Bereiche politisch oder wirtschaftlich zu verändern. Es ist das Erbe der politischen Ökonomie, auf Jahre und Jahrzehnte hinaus die amerikanischen Gesundheits- und Rentensysteme, das Bildungssystem, das Militär, die Energiewirtschaft etc. strukturell und nachhaltig verändern zu können. Sei es, dass diese Bereiche strukturell keine Veränderungen zulassen oder Veränderungen durch die staatlich Schuldenpolitik erschwert, wenn nicht gar unmöglich ist. Wenn kein Geld vorhanden ist, sind Veränderungen nur schwer zu realisieren.

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unregulierte Märkte


2 engl. Directorate-General for Competition, DG COMP
1 Vgl Artikel in Whashington Post, die witzigerweise von Jeff Bezos, den Chef von Amazon, gekauft worden ist.

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