Never Ending Story

Man hört das oft hier oben in Ohio, oder in Michigan, in Pennsylvania oder New Jersey: „Wir haben den amerikanischen Traum gelebt.“ Und nun warten sie auf ein Wirtschaftswunder, hier oben in der Region, die einst Manufacturing Belt hieß und heute als Rust Belt verschrien ist. Der Rust Belt ist die älteste und größte Industrieregion der USA. Er erstreckt sich im Nordosten der USA entlang der Großen Seen von Chicago über Detroit, Cleveland, Cincinnati und Pittsburgh bis an die Ostküste zu den Ausläufern der Metropolregionen Boston, Washington D.C. und New York City. Damit umfasst er Teile der Staaten Illinois, Indiana, Michigan, Ohio, Pennsylvania, New York und New Jersey, teilweise wird auch noch West Virginia hinzugezählt, das ein Zentrum des Kohlebergbaus hier oben war.1

Im Rust Belt verrotten leere Fabriken, kann man dem Verfall der Fabrikgebäude buchstäblich zusehen, wie aus den Fenstern der kaputten Industrie-Ruinen Gras, Gebüsch und junge Birken wuchern. Hier liegt Youngstown. Der Ort, der heute fast exemplarisch für den Rostgürtel steht, wird heute von vielen nur noch das Tal der Enttäuschten genannt.

Youngstown, das ist die Messlatte für Donald Trumps Wahlversprechen: „Make America Great Again“, das er nicht nur den Kumpel in den Coal Mines von Kentucky, sondern auch den Stahlarbeitern hier oben an den großen Seen, wo damals viele der Steel Workers ihren Urlaub verbrachten und heute die smarten Jungs der Wall Street ihre Motorjachten liegen haben.
Ja, damals trafen die harten Stahlarbeiter die Männer aus den Kohleminen in Kentucky nach endlosen Fahrten in ihren Straßenkreuzern über die amerikanischen Highways unter der kalifornischen Sonne. Damals, da waren sie noch eine Familie, ein einiges, stolzes Land, das ihnen gute Arbeit und Frei-zeit bot, denn sie alle verdienten damals gut, sehr gut; die Löhne der Miners und Steel Workers lagen 1970 deutlich über denen von 2012, man verdiente damals mehr als heute. Und man sah das an den Autos, Häusern, an den Orten, wo die Väter Urlaub machten und die Söhne und Töchter studierten. Ein Trip mal rüber nach Good Old Europe nach der Hochzeit auf einer der beliebten Karibik Inseln war für die „Next Generation“ nicht selten.

Hier im Rust Belt ist mittlerweile Trumps Kernwählerschaft zu Hause: die frustrierte weiße Arbeiterklasse, die sich vor dem Abstieg fürchtet oder schon darin steckt oder ihn schon hinter sich hat. Viele haben ihr Leben lang Demokraten gewählt, wie es sich eben damals für die „hard working people“ gehörte, die in den Stahlwerken mit harter Arbeit ihr Geld verdienten, die damals noch an die Gewerkschaft glaubten und an einen Staat, der sich um sie kümmert, der den Jungs an der Wall Street Beine macht, wenn etwas mit ihren Pensionsfonds schief laufen sollte. Aber das glaubte damals sowieso keiner beim Anblick dieser blühenden Industrielandschaft, wie es sie nirgend sonst auf der Welt vergleichbar gab. Und man scherte sich wenig um die Wall Street und die smarten Jungs und um den Präsidenten in Washongton D.C., die nichts wussten „about hard work“.

Youngstown symbolisierte einst nicht nur den „American Dream“, hier kochte man ganz konkret durch Hände Arbeit den Stahl für die Traumautos, die drüben in Detroit zusammengeschweißt wurden, die Thunderbirds, die man selber fuhr und die Buiks, die man dem Ausland schickte, damit auch die in Good Old Europe etwa vom American Dream erleben durften.
Youngstown, „Steeltown USA“, wie man es auch nannte, wurde bekannt durch die gleichnamige, traurig-zornige Ballade von Bruce Springsteen, der das Lebensgefühl der Stadt darin einfing, als er sang von den Hochöfen dort, die „heißer als die Hölle“ den Stahl für „die Panzer und Bomben“ lieferten, als die Söhne der Stahlarbeiter auf den Schlachtfeldern von Korea und Vietnam ihr Leben für das Vaterland, das große, unbesiegbare Amerika ließen und sich damals mit vielen anderen Menschen damals auf den Straßen von Washington D.C. immer dieselbe Frage stellten: Warum?

Früher fand man auf der Main Street in Youngstown vornehme Kaufhäuser und nebenan gute Schulen an der Glenwood Av. Die Stahlwerke, die sich damals wie Perlen auf einer Schnur entlang des Mahoning River reihten, sind heute genauso Geschichte wie die Banker, die früher den imposanten Wolkenkratzer an der Market Street und die Versicherungsunternehmen nebenan bevölkerten.
Das Mahoning Tal ist Symbol und Mahnmal des industriellen Niedergangs der Stahlindustrie in den USA und das Röhrenwerk, in das der französische Konzern Vallourec Star 2012 eine Milliarde Dollar investiert und General Motors, das nördlich der Stadtgrenze den Chevrolet Cruze baut, sind nur kleine Hoffnungsschimmer im Tal der Enttäuschten. GM hat bereits wieder Absatzprobleme und muss die Produktion zurückgefahren, was auch dem Industrieausrüster CNC Machining nicht bekommt, der hier aber immerhin nur zum zeitweisen Stillstand verdammt ist. Ganz anders der Güter-Transport, der schon seit langem buchstäblich stillsteht. Nicht weit weg von Youngstown auf einem Lokomotiven-Friedhof, stehen rund hundert Lokomotiven auf dem Abstellgleis und wachsen langsam mit Büschen und jungen Birken zu.

Als die Stahlkrise kam, kam der Niedergang in die gesamte Region. Monessen, eine Stadt im Westmoreland County im US-Bundesstaat Pennsylvania, hat mehr als die Hälfte seiner Einwohner verloren. Hier betrieb Pittsburgh Steel drei Hochöfen und und beschäftigte allein 10.000 Arbeiter und war eins das Vorzeigeunternehmen der Stahlbranche in der Vorzeige-Stadt Monessen. 1986 schloss das Stahlwerk, zwei Drittel der Bevölkerung wanderte auf der Suche nach neuen Jobs ab. Vorher, an einem düsteren Septembertag 1977, der auch als das Trauma des „Schwarzen Montag“ in der Region bis heute nachwirkt, an dem das Unternehmen Republic Steel 7000 Stahlwerker auf einmal auf die Straße setzte, begann der fünfjährige Prozess, der der Region mehr als 50.000 Jobs kostete. Fast jeder Vierte hier in der Region hatte plötzlich keine Arbeit mehr.

Das Mahoning Tal gelangte zu dem Ruf, „Ground Zero“ für das Ende der amerikanischen Industriekul-tur zu sein, die einmal die stolze amerikanische Mittelklasse hervorbrachte. Davon hat sich der Nordosten Ohios nie wieder erholt. Auf der Hauptstraße von Monessen, der Donner Avenue, verrotten auch die Gebäude wie in Youngstown und im Dorf Lynch in Kentucky. Dort auf der Donner Avenue stand einst eine Bank, dann kam eine Drogerie, dann eine Ruine. In Monessen wähnt man sich bis-weilen in einer Kriegszone. Das einzige Geschäft an der Hauptstraße ist ein Pasta-Shop, der aber nur mit dem Ausschank von Alkohol überleben kann. Er zeugt von den vielen italienischen Immigranten, die sich im Rust Belt niederließen und bis auf den einen bereits wieder verlassen haben.

Selbst der Pfandleihladen auf der Donner Avenue ist geschlossen. Wohl, weil bereits alles verpfändet, was einmal Wert hatte und die meisten Bewohner, die heute noch hier wohnen, Rentner oder Fürsorge-Bezüger sind, also bis auf die alten Fotos von den Stahlwerken, der Familie und den besseren Zei-ten unter der kalifornischen Sonne nichts mehr zum Pfand haben.
Die drastische Entvölkerung ab den 1980er-Jahren fand im ganzen Rust Belt statt. Heute befinden sich Armutsquoten und Sterblichkeitsraten auf dem Niveau eines Drittwelt-Lands. Seit vierzig Jahren am-tierte kein Bürgermeister mehr für mehr als vier Jahre. Nicht, weil sie das nicht wollten, nein, sondern weil Monessen auf Fehden gebaut ist; und die haben mit dem Niedergang im Rust Belt Amerikas zu tun.

Dieser Niedergang war kein ökonomisches Ereignis allein. Hier ging mehr als eine Industrie, hier ging eine Lebenswelt verloren. Manche Familien siedelt im Mahoning Valley seit sechs Generationen. Die Kinder standen morgens auf und noch bevor sie in den Schulbus stiegen, sahen sie den nächtlichen Himmel feuerrot von den Stahl schmelzenden Hochöfen erleuchtet.

Youngstown wuchs mit der Stahlindustrie zu einer wohlhaben Stadt mit über 150.000 Einwohnern und da war kein gottverlassener Ort irgendwo, nein, Frank Sinatra und Dean Martin gehörten neben den vielen, bekannteren, unbekannten und Newcomern zu den damals schon absoluten Weltstars, die hier regelmäßig Station machten. Das waren Zeiten, als Frank Sinatra in Youngstown Playhouse On opening night of „My Way, A Musical Tribute“ gab. Da saßen nicht nur die Leute aus Youngstown, da saß ganz Amerika, ein geeintes, großes Amerika vor der Bühne oder am TV und niemand hatte Angst, sich Sorgen um seine und die Zukunft seiner Kinder zu machen.

Die, die heute noch hier in Youngstown leben, klagen über die Last der Hypothek, die sie auf ihre abbezahlten Häuser aufgenommen haben, um die Ausbildung ihrer Kinder zu finanzieren, die dann, wenn sie ihr Studium abgeschlossen haben werden, trotzdem mit einem Haufen Schulden ins Berufsleben starten, wenn überhaupt. Damit es reicht, schnallen die Väter und Mütter ihre Gürtel enger und verzichten ganz auf ihren Urlaub. Nicht den unter Kaliforniens Sonne, sondern ganz und gar auf Ur-laub.

Und dann ist es immer dasselbe. Sehen sie die Ruinen ihres American Dream, steigt die Wut in ihnen hoch. Bleiben sie lange arbeitslos, erdrücken sie die Hypotheken- und Kreditzinsen, finden die Kinden auch keine Arbeit und gleiten in eine Parallelwelt aus Drogen, Gangs und Kriminalität ab, wandelt sich die Wut in Verzweiflung. Dann kommt der Hass und die Gewalt, wenn man ihnen erklärt, dass die Einwanderer, „die sich hier reinschleichen und auf unsere Kosten leben“, die „Gewalt, Drogen und Kriminalität nach Amerika“ bringen, aus Mexiko oder Honduras oder sonst wo her. Es ist immer dasselbe: Wut, Verzweiflung, Hass, Gewalt. Und dabei stört nicht, dass seit der Sozialstaat-Reform Bill Clintons nicht einmal legale Einwanderer innerhalb der ersten fünf Jahre in den USA irgendwelche Leistungen vom Staat in Anspruch nehmen können; das ist egal, wenn einmal der Hass die Regie in den Menschen, in einer ganzen Region übernommen hat.

Dann brodelt es wie in den Hochöfen damals vor dem Anstich, dann wird das Gemisch aus grenzenlosem Reichtum und hoffnungsloser Armut zu einem gefährlichen Gemisch, das zu explodieren droht. Die Spaltung Amerikas ist auch eine Spaltung der Menschen. Arm und Reich, die Komplementäre der liberalen Marktwirtschaft greifen nach den Seelen der Miners und Steel Workers und zerreißen sie.
Die politische Spaltung der USA, die wir heute dramatisch erleben in der wechselseitigen Blockade der Demokraten und Republikaner und die im Shut Down ihr augenfälligstes Zeugnis gerade ablegt, begann in den 80er Jahren unter Ronal Reagan und seinem Anti-Programm eines Laissez Faire Capitalism. Weniger Regierung, weniger Steuern, weniger Sozialstaat, weniger Regulierung, mehr Wirtschaft war und ist das Credo der Wirtschaftsliberalen.

Wenn es funktioniert, dann kann man den „Opportunities“ hinterziehen. Wer bleibt, ist abgehängt. Die im Dauer-Movement haben sogar noch den Vorteil, dass der Arbeitsstress erst mit Verzögerung am neuen Ort ankommt. Die im Job erleben den Wettbewerb, das neue Gedränge aus Schnelligkeit von Veränderungen im Job, Anpassungsdruck und Knappheit der Arbeit, mit zunehmender Wucht.
Die Spaltung Amerikas in arm und reich hat bereits die untere Mittelschicht mit abgehängt, ob farbig oder weiß an Hautfarbe. Und in diesem Land, das ein auf Abstammung fokussiertes Land immer war und auch heute wieder ist, breiten sich die spaltenden Prozesse über die Rassen aus. Rassismus nimmt zu wie Extremismus und Faschismus in den Niemandsländern des Rust Belt und Kentuckys. Familien, die unter der Entlassungswelle in der Kohle- und Stahlindustrie leiden, glauben nicht mehr an den Zyklus, der Kohle und Stahl wie mit einer unsichtbaren Hand wieder zurückbringt und die Suche nach den Schuldigen bei den Migranten und nicht weißen Rassen beendet.

Da, wo der Teufelskreis von arm und reich beginnt, wo keine Bildung, keine Arbeit, keine Kranken-versicherung, keine Hoffnung sich wechselseitig ablösen, den Staffelstab des sozialen Abstiegs zur Armut zwischen den Generationen der Arbeiterfamilien untereinander herumgereicht wird, ist nicht nur der amerikanische Traum ausgeträumt, sondern hinterlässt die entflogene Illusion ein gefährliches Vakuum für jede Art von ideologischen Extremismus und ist vor allem das Einfallstor für gläubige Südstaatler, die semantisch ins Feld ziehen gegen jede andere Glaubensgemeinschaft.

Glaubensextremismus hat es nicht weit bis zum Glaubenskrieg. Im Norden, wo der Teufelskreis der Armut eher den Ausweg in die Drogen sucht, herrscht bereits Krieg, der Krieg der Gangs „on the Streets of Philadelphia“, um einmal mehr eine traurige Ballade von Bruce Springsteen zu zitieren. Sie besingt eine Kultur voller Stress, der nicht aus der Arbeit, sondern aus der Arbeitslosigkeit kommt, und das Lebensgefühl und die Lebenswelten der Schichten der Abgehängten vorstellt.

Die Vorstellung dieser Schichten zielt auf ein Amerika, in dem der politische Traum ein Traum fester Beziehungen unter Menschen ist mit Amerika an der Spitze der Menschheit. Die Transformation von einer Gesellschaft unter dem Primat der liberalen Marktwirtschaft in Bereichen der amerikanischen Zivilgesellschaft, wo man nicht mehr an die berufliche Karriere, die Familie, das soziale Umfeld, Kirche und Vereine, sondern in Rassen, Gender, regionalen und lokalen Gruppierungen bis zu den Straßen-gangs und den Blocks denkt, worin Rassismus, Chauvinismus und Sexismus aufblühen wie Stiefmüt-terchen in der Morgensonne zeigt aber nur, dass Amerika seinen Traum von einer Wirtschaft für alle ausgeträumt hat und keine Vision an dessen Stelle getreten ist.

Wenn gleich der amerikanische Traum für viele immer schon nichts anderes war, als eine unerreichbare Vorstellung, eine Illusion, dann ist ein Land wie Amerika, ohne eine Vision ein gefährlicher Prozess der Zersplitterung, die gerade in diesem historischen Moment noch von einer schädlichen Polarisierung aufgehalten wird. Der Populismus der Macht vereint noch einen großen Teil der Bevölkerung, je nachdem ob demokratisches oder republikanisches Lager. Er ist Ersatz für eine identitätslose Gesellschaft, die allein in diesen Lagern noch eine Illusion einer nationalen Identität erblickt, ihren Parolen wie blinde, blöde Schafe folgt.
Die drastisch gesunkenen Haushaltsnettoeinkommen weiter Schichten können sie nicht ändern, so wenig wie die sich ausbreitende Schichtendurchlässigkeit, die durch unfaire Bildungschancen zementiert wird. Und über den Charakter der politisch-institutionellen Strukturen der amerikanischen Ökonomie wollen Populismen gleich welcher Couleur schon nicht sprechen.

Der Populismus der Macht ist ein Diskurs. Der begründet die Grundlagen der staatlich-strukturellen, also kurz der institutionellen Macht in einem Beziehungsgeflecht von gesellschaftlichen Gruppen und Mandatsträgern. So wird dann scheinbar ein Land wie die USA mit so vielen unterschiedlichen Regionen, Kulturen, Politiken, das eigentlich unregierbar ist, zu einer politischen Einheit.
In Kentucky, wo ein einziger überregionaler TV Sender, Fox News, existiert, der, leidenschaftlich blind Trump anhängend, tagtäglich apokalyptische Bilder von Migranten, Europäern und Chinesen entwirft, die das amerikanische Modell mit Füßen treten, es ausbeuten für den eigenen Wohlstand, vereinen sich in diesem Diskurs mittlerweile 80 Prozent der Bevölkerung als glaubenstreue Evangelikale und Trump-Anhänger. Ihre Stimmen wie die der Wähler in Ohio, einem der traditionellen Swing States, oder der in Pennsylvania haben letztlich den Ausschlag für Trumps Wahlerfolg gegeben.

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Sozialstaat-Reform Bill Clintons


1 Vgl. Rust Belt Wikipedia)

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