Steuern und Realinvestitionen

Der Zusammenhang zwischen Steuerpolitik und realer Investitionstätigkeit ist in den letzten Jahrzehnten immer schwerer zu verstehen. Aber es gibt einen Zusammenhang. Das dieser so schwer zu verstehen ist, hat mit der Entwicklung der Finanzmärkte zu tun und ist eins der wichtigsten Merkmale der Transformation der Marktwirtschaft von einer Realwirtschaft in eine Finanzmarktwirtschaft.

Betrachten wir die jüngst Steuerreform in den USA in Hinblick auf die Frage, ob sie eine Auswirkung auf die Direktinvestitionen und also eine Belebung der Wirtschaftstätigkeit oder gar eine Steigerung der Produktivität nach sich gezogen hat, immerhin das stärkste Argument einer politischen Staatsführung, eine Steuerreform überhaupt durchzuführen.

Erste Auswirkungen der Reform werden sichtbar. Die Repatriierung ausländischer, liquider Vermögenswerte von US-Unternehmen ergab sehr schnell eine Summe von etwa 300 US-Dollar, die zurück in den Wirtschaftskreislauf der USA geflossen sind. Interessant, woher diese Gelder kamen: aus den Niederlanden, der Schweiz, aus Irland, allesamt bekannte Steueroasen in Europa, keine nahmhaften Geldflüsse zwischen Deutschland und den USA konnten dagegen festgestellt werden, ebensowenig aus Luxenburg, ´was, prima vista, doch sehr verwundert.
In diesen Ländern reduzierte sich also der Bestand an ausländischen Direktinvestitionen (FDI1), in denen statistisch Dividenden, bei denen es sich um zuvor im Ausland erwirtschaftete und reinvestierte Gewinne handelt, enthalten sind.
Der Betrag ist hoch, hatte er in den vergangenen Jahren stets bei etwa 100 Mrd. Dollar gelegen, und scheint so die Wirkung der Steuerreform zu bestätigen,die den Satz für repatriierte Gewinne von 35 auf 15,5 Prozent gesenkt hatte. Genau genommen gilt dieser Steuersatz für Bargeldbestände, während nur noch 8 Prozent auf alle anderen im Ausland akkumulierten Einkünfte fällig werden (EY, 20182).

Da die Repatriierung selbst steuerfrei bleibt, gibt es auch keinen steuerlichen Anreiz mehr, die Gewinne im Ausland zu belassen, was wiederum auf den ersten Blick vernünftig und sinnvoll erscheint. Schaut man auf das Gesamtverhältnis, dann haben US-Unternehmen über siebzig Prozent der gesamten US-Auslandsinvestitionen in den vergangenen Jahrzehnten auf diese Weise im Ausland behalten, man spricht auch von geparkt, was darauf hindeuten soll, dass erhebliche Kapital- bzw. Geldsummen sowohl den Wirtschaftskreisläufen der USA wie den auslandischen entzogen worden sind.

Auf den ausländischen „Parkplätzen“ ginge es also nur darum, erwirtschaftete Gewinne einer Besteuerung zu entziehen, allein es bleibt die Frage, warum man in den USA dem Kapital diese Fluchtmöglichkeiten vor dem Fiskus überhaupt und über so lange Zeiträume gewährt hat? Die Antwort wird klar, bezieht man die Ziele von Direktinvestitionen im Ausland von US-Unternehmen mit in die Überlegungen ein. Nach der OECD Analyse von 20084 sind die Ziele ausländischer Direktinvestitionen amerikanischer Unternehmen natürlich nichts anderes als die Kontrolle oder über Minderheitsbeteiligungen eine substanzielle Teilkontrolle über die Unternehmen, in die investiert wird, zu erlangen. Und dies bewerkstelligen amerikanische Investoren so, dass sie Direktinvestitionen nicht für Sachinvestitionen vergeben, sondern in Form von Holding-Kapital, das mehr als die Hälfte aller Investments ausmacht.

Und ein nicht unbedeutender Aspekt kommt dem noch hinzu. Dieses US-FDI, das in Holdings angelegt ist, dort verwaltet oder in weiteren Holdings expandiert wird, floß oder fließt in Gesellschaften, die ihren Sitz vornehmlich in Luxemburg, den Niederlanden und den Inseln der britischen Kronkolonie, vor allem auf den Bermudas haben. Wir werden den Aspekt, dass mit Luxemburg und den Niederlanden zwei Staaten der EU hierbei mit an Bord sind, gesondert in unseren Überlegungen zum europäischen Modell betrachten. Aber wie wir bereits am Beispiel Irlands dargelegt haben, erkennt man, dass das Narrativ von den realen Wirtschaftseffekten durch Direktinvestitionen so kaum zu halten ist.

Das Chart3 zeigt einmal mehr, aus welchen „Ländern“, so man die Bermudas und die Kaimans hier dazuzählen möchte, seinen Weg zurück in die USA findet. Die Bestandsveränderungen, auf den Bermudas immerhin fast ein Drittel, sagen noch nichts darüber aus, wie dieser Prozess weitergeht, ob in der Summe auch demnächst mehr Kapital aus den USA ins Ausland als zurück fließen wird, oder nicht. Bestehen bleibt natürlich, dass die Niederlande, die Schweiz und Irland auch weiterhin klassische Standorte für Holdingstrukturen von US-Konzernen bleiben, so die EU oder diese Länder keine entsprechenden Maßnahmen treffen. Am irischen Modell im Verein mit dem britischen haben wird bereits gezeigt, welch hohen Stellenwert diese „Sonderwege“ den ausländischen Kapialflüssen eingeräumt wird und mit dem Brexit wird sich dies kaum ändern.

Warum aus Luxemburg keine nahmhaften Kapitalverschiebungen durch die Steuerreform zu verzeichnen sind, ist schwer zu beantworten, leichter schon, warum Deutschland in dieser Liste bis auf eine Marginale unter zwei Prozent fehlt. Wie gesagt, weder direkte Kapitalverschiebungen noch solche, bei denen vorher reinvestierte Gewinne als Dividenden ausgewiesen werden, bewirken nach einer Repatriierung bei einer Quoto von unter fünfzig Prozent überhaupt die Möglichkeit, im Wirtschaftskreislauf wertschöpfend investiert zu werden. Aber neben den realen Investitionen besteht ja auch ein viel größerer und teils lukrativerer Markt der Aktien und Investmentfonds, in den US-Gelder gerne fließen.

Hierbei geht es weniger um die Kontrolle über das Investmentobjekt, sondern um gute Anlagebedingungen, die die bereits nur im ersten Quartal 2018 ins Ausland transferierten Vermögen von etwa 240 Mrd. US-Dollar, immerhin laut der Studie des Bureau of Economics5 höchste in den letzten zwanzig Jahren gemessene Wert, in Deutschland nicht vorfinden.
Der Steuereffekt ist aber in den USA, soweit es um dortige Investitionen repatriierten Kapitals geht, schlicht verpufft. Es gibt keinen noch so geringen Anstieg bzw. kein Wachstum inländischer Realinvestitionen und also liegt der Schluss sehr nahe, dass diese Gelder eben für ausländische Kapitalanlagen vornehmlich genutzt werden, was auch wenig verwundert.

Was fehlt, ist also der realwirtschaftliche Effekt der Steuerreform. Dagegen erkennen wir eine Umfirmierung von FDI-Kapital in Portfolioinvestitionen. Nicht die Realwirtschaft hat etwas von der Reform,, insofern durch Sachinvestitionen wirtschaftliches Wachstum und Jobs geschaffen werden, im Gegenteil. Steuereformen sind in der Regel Steuersenkungen auf Kosten der lebenden und nachwachsenden Generationen von Bürgern eines Staates. Diese Bürger sind keine Nutzniesser der erheblichen Umschichtungen von gesellschaftlichen Vermögen zugunsten einer Minderheit an eher wohlhabenden Bürgern. Wird also das Geld aus der Reform nicht in Jobs oder in inländisches Wirtschaftswachstum investiert, verlieren die Bürger doppelt, denn so geht die Schere zwischen Arm und Reich weiter auf und vergrößert sich der Einfluss marktbestimmender bzw. beherrschender Unternehmen, womit zugleich auch der Abstand zu Käufermärkten weiter vergrößert wird.

Die Vorteile der Steuerreform liegen also auf der Hand und auch in denen von aus Steueroasen reingewaschenen Kapitaleigentümern. Was sonst noch zu erwähnen bleibt, ist die Tendenz, dass auch durch die jüngste Steuerrefom in den USA die Finanzierung von Realinvestitionen mehr aus auslandischen Quellen fließt, als durch die Repatriierung veranlasst. Gewiss müssen die nächsten Monate noch abgewartet werden, um ein einigermaßen abschließendes Urteil diesbezüglich fällen zu können. Aber warum sollte es diesmal anders sein, als viele Male zuvor?
Für US-Unternehmen, ganz im Sinne des amerikanischen Modells, lohnt es sich weniger, repatriiertes Kapital in ökonomische Aktivitäten im Innland umzuleiten, zumal wenn ausländische Unternehmen und andere Investoren die Investionslücke durch Transfers nach Amerika für sie lukrativ schließen können.

So ist etwa aus deutscher Sicht der Nettowert der in die USA geflossenen FDI im ersten Quartal des Jahres 2018 mit knapp 15 Milliarden Euro so hoch gewesen wie zuletzt vor mehr als zehn Jahren; so wirkt aber weniger die Steuerreform allein, denn Reform plus gute Anlagebedingungen zusammen ergeben dieses gute Ergebenis. Und zu den guten Anlagebdingungen gehören zuallererst die Entwicklung der Notenbank-Zinsen und die auf den US-Aktienmärkten. Es gibt keine kausale Beziehung somit zwischen dem Kapitalabzug von US-Unternehmen aus den o.a. und sicherlich noch weiteren Steueroasen und höheren ausländischen resp. deutschen Direktinvestitionen in den USA. Das mag Donald T. mittlerweile mit durch ständiges Wiederholen erzeugten Schaum vor dem Mund weiterhin behaupten, allein es stimmt nicht.
US-Steuereformen hatten auch in der Vergangenheit nicht die Wirkung, das tatsächlich auch nachweisbare und nachhaltige Veränderungen der Kapitalströme, die von der US-Administration ausgehen sollten, auch empirisch nachweisbare Effekte in der Realwirtschaft der USA zeigten; dieses polit-ökonomische Narrativ reicht allenfalls noch, um Kinder in den Schlaf zu erzählen.

Viel schwerer wiegt daher die Tatsache, dass auch in der hoch gelobten, mit Preisen nur so überschütteten amerikanischen Ökonomik eine theoretische Grundlegung der amerikanischen wie auch jeder anderen Form von liberaler oder sozialer Marktwirtschaft aus den übergreifenden und hoch liquiden Kapitalmärkten sowie der Geldpolitik der Notenbanken bislang fehlt. Und wo sie vorhanden ist, spielt sie doch noch eine residuale Rolle. Aber selbst eine monetäre Gesamtmarkt-Theorie lässt die Dimension der Finanzmärkte unterbelichtet. Die Fähigkeit der Notenbanken in einem Krisenfall im Prinzip unbegrenzt Geld schöpfen zu können, wird in den meisten Lehrbüchern der Ökonomik auch heute, mehr als zehn Jahre nach der Finanzkrise von 2007/08 weitgehend ignoriert.

Das mag daran liegen, dass die „Logik“ der Finanzmärkte so gar nicht nach der der Ökonomik funktionieren will. Aber es reicht heute nicht mehr aus, Beschäftigungseffekte sowie  Wachstum und Produktivität allein aus arbeitsmarkt-, steuer- und fiskalpolitischen Bedingungen zu erklären. Gerade die Finanzkrise und die direkt nach deren Einbruch auftretenden Beschäftigungseffekten inmitten einer Rezession hätten zu denken geben müssen, ja, das Denken in traditionellen ökonomischen Kategorien nachhaltig verändern müssen; aber das scheint nicht geschehen zu sein.

Aber wie wir am amerikanischen Modell gesehen haben, sind Reflexionen grundsätzlicher Art von absoluter Wichtigkeit, um wirtschaftliche Verhaltensweisen und zwar sowohl aus volkswirtschaftlicher wie aus globaler Sicht einigermaßen adäquat zu beschreiben. Daber folgt der Blickwechsel, ausgehend von globalen Prozessen der Wertschöpfung und des Wettbewerbs sowie des Anlageverhaltens von Investoren auf den internationalen Finanzmärkten zu den nationalen, ökonomischen Vorgängen den Transformationsbewegungen der Marktwirtschaft weltweit.
Asymmetrische Märkte sind dabei entweder Märkte, deren asymmetrische Strukturen bereits seit langem, man könnte sagen, von Beginn an bestehen wie etwa im amerikanischen Modell gezeigt, und vorab durchaus schon als „chinesische“ Variante der Marktwirtschaft antizipiert werden können.

Asymmetrische Märkte aber entstehen nicht aus der inneren Dynamik der verschiedenen Formen der Marktwirtschaft. Sie sind, ohne eine angemessene Theorie der politischen Ökonomie in unserem Sinne, einer Politik also, die direkten Einfluss auf ökonomische Vorgänge nimmt und dabei ihr politisches Mndat weit überschreitet, nicht denkbar. Der Einfluss der Politik, die wir als politische Ökonomie beschreiben, führt geradewegs zu den Notenbanken, deren Unabhängigkeit weder in den USA, in Europa nicht mehr, in China sowieso nicht gegeben ist. Notenbankpolitik ist im Kern Staatsökonomie. Und die ist, konträr zur Idee der Marktwirtschaft, fatal.

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Subprime Markt


1 Ausländische Direktinvestitionen; englisch foreign direct investment, FDI.
2 EY, 2018, Die US-Steuerreform und ihre Folgen für Unternehmen in Deutschland, Ein Positionspapier des Wissenschaftlichen Beirats Steuern von EY, Tax & Law Special, Stuttgart
3


4 OECD, 2008, OECD Benchmark Definition of Foreign Di-rect Investment, 4. Auflage, Paris
5 Bureau of Economic Analysis, 2018b, U.S. Direct Invest-ment Abroad: Country and Industry Detail for Financial Transactions, 9.7.2018.

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