Angst essen Seele

Turbulenzen erzeugen Angst. Die für die Turbulenzen verantwortlichen Regierungen, hauptsächlich der USA kennen die Angst vor dem Verlust der Wählergunst und also ihrer Machtoptionen nur einmal in einer Legislaturperiode. Das ist vor der Wiederwahl des Präsidenten (eine feminine Deklinationation ist hier noch nicht möglich). Der Leidensweg europäischer Politikerinnen und Politiker an der Spitze einer Regierung ist in vielen Fällen erheblich schmerzhafter und langwieriger. Die Ängste von Regierungen, durch Turbulenzen auf den Geld- und Finanzmärkten ausgelöst, kanalisieren sich überwiegend in zwei Richtungen. Eine, mehr oder weniger stark angetriebene Zinshysterie mit bipolaren Schwankungszuständen. Eine andere, deutlich stärkere Verlustangst, ausgelöst in der Folge der Turbulenzen von Rezessionsphantasien.

Die Zinshysterie wird aktuell von der Fed daselbst inszeniert. Die US-Wirtschaft befindet sich nicht in einer Aufschwungphase, sie boomt. Zehn Jahre nach der verheerenden Finanzkrise und nach etwa 4-5 Jahren der Stagnation, erfreuen sich die Vereinigten Staaten von Amerika über eine bemerkenswert positive Wirtschaftslage, die der Notenbankchef, Jerome Powell, jüngst wie folgt bewertete: „Es gibt wirklich keinen Grund zu der Annahme, dass dieser Zyklus nicht noch einige Zeit fortgesetzt werden kann.“

Und wie immer lauschten die Märkte spitzohrig in die Zwischentöne der Notenbankrede und wie immer war eine minimal-semantische Diskursinvasion, die fast unmittelbar nach der Rede die US-Anleihemärkte auf Talfahrt schickte. Powell sprach weiter den Satz: „Wir könnten über neutral gehen. Aber aktuell sind wir wahrscheinlich noch weit von diesem Punkt entfernt.“ Und meinte damit die Leitzinsen der Notenbank. Selbst kleinste semantische Noten, gerne auch bewusst als „Versprecher“ artikuliert, lassen Boomphantasien zu Rezessionsphantasien degradieren. Denn das Zinsniveau der Notenbank wird von den Finanzmärkten als bremsend, neutral oder unterstützend bewertet und Powell hat in seiner Notenbankrede erstmals durchblicken lassen, dass die Notenbank die Leitzinsen über das sogenannte neutrale Zinsniveau hinaus anheben könnte.

Das neutrale Zinsniveau markiert jene Demarkationslinie, an der die Leitzinsen das Wirtschaftswachstum weder stützen noch bremsen und die liegt nach übereinstimmender Meinung der Märkte bei etwa 3%. Die Leitzinsen der US-Notenbank liegen zwar noch deutlich unter 3%, notieren aktuell zwischen 2,25 und 2,5 Prozent. Doch die subtil formulierte Aussicht, dass die Fed die Zinsen auf ein Niveau heben könnte, welches die Wirtschaft ausbremst, sorgte an den Anleihemärkten für Unruhe. Die Kurse für US-Staatsanleihen brachen Tags darauf ein.
In der Folge kletterte die Rendite für Treasuries mit zehnjähriger Laufzeit auf über 3,2 Prozent – den höchsten Stand seit 2011. Die Rendite für Papiere mit 30-jähriger Laufzeit stieg auf knapp 3,4 Prozent und damit ebenfalls auf ein Mehrjahreshoch. Das sind heftige Marktreaktionen, allein ausgelöst durch subtile Insider-Semantik – wir kommen in anderen Zusammenhängen darauf zurück.

Die Rendite für US-Staatsanleihen waren bereits deutlich angestiegen, getrieben durch die zuletzt glänzenden Zahlen des ISM-Einkaufsmanagerindexes für den Industrie- und Dienstleistungssektor und andere sog. Frühindikatoren. Powell hat diese durchaus positiven Renditeerwartungen der Investoren dann noch ein wenig angeheizt, gewissermaßen überhitzt. Waren die Frühindikatoren selbst schon dabei, die Märkte über die tatsächlichen Verhaltnisse hinaus anzuheizen und ließen Kapital in Strömen in die US-Staatsanleihen fließen, so bewegte Powells Speech den Boom in ein Überhitzungsszenario.
Wie als wäre es eine Tugend der Wirtschafts- und Finanzexperten, folgte dem Chef-Speech die angstgetriebe Warnung vor einem Ende des anhaltenden Konjunkturaufschwungs an seinem Höchstpunkt. Das Boom-Festival der Anleihenmärkte erscheint wie der letzte Tag des „Burning Man“1, wenn positive Erwartungen in einem hysterischen Spektakel untergehen und sich nach dem Taumel die Angst vor der Totenstarre breit macht.

Dann beginnt nicht nur die Angst vor den Rezessionsgefahren, in die die amerikanische Wirtschaft hinein zu laufen droht und sie sich mit scheinbar Riesenschritten auf das Ende des Konjunkturzyklus zu bewegt, wenn gleich die Rezessionsgefahren aktuell noch gering sind. Getrieben zwischen Angst und Euphorie, zwischen realen, überdurchschnittlich guten Renditen und einer zukünftig möglichen Rezession, die ja immer eintreten kann, auch ohne semantische Notierung, bleibt scheinbar nur ein Ausweg, die Hysterie.

Starken Marktbewegungen folgen hysterische Reaktionen der Investoren. Die kaufen und verkaufen fast gleichzeitig US-Bonds, was sich einige Zeit die Waage hält, weil die Algorithmen der Hochgeschwindigkeits-Handelsplattformen jeden „Tag“ mitgehen und wenig „Market-Maker“-Optionen haben; man spricht dann bei den Elliot Wellen auch von einem LDT (Leading Diagonal Triangle), das sich ausbildet, bevor die Bonds so richtig auf die Mütze kriegen.

Besonders am langen Zinsende wird die Zinsrevision am deutlichsten. Dies ist viel sensibler gegenüber Veränderungen der Wachstums- und Inflationserwartungen der Marktteilnehmer. Steigen Zisen und Renditen und dies ist regelmäßig der Fall, wenn allein schon Inflationserwartungen zunehmen, dann fallen die Anleihekurse, dann ist das  schlecht für die Anleihemärkte.

Was die Märkte zur Zeit sehen, ist lediglich der Beginn eines Ausverkaufs bei etwas über drei Prozent für Treasuries mit zehnjähriger Laufzeit. Experten warnen, Investoren müssen sich auf Renditen von fünf Prozent und mehr für zehnjährige US-Papiere einstellen. Genau genommen haben wir es dann nicht mit einem Ausverkauf von Bonds zu tun, sprechen lieber von fallenden Kursen im Markt.
Fallen also die Kurse von US-Bonds, treten den Investoren, den Bestandsinvestoren, die Schweißperlen auf die Stirn. Und mit jeder Erhöhung der Zinsen resp. Renditen werden es mehr und am langen Zinsende erscheint die grinsende Fratze von Riesenverlusten. Rette sich wer kann, lautet dann das Motto eines hysterischen Marktes, auf dem es leicht zu Panikverkäufen kommen kann; dann haben wir das Ausverkaufsszenario.

Die aktuelle Situation an den US-Bondsmärkten zeigt einmal mehr, dass ein hohes Zinsniveau die Risiken auf den Finanzmärkten und auch die Ängst vor einem Wirtschaftsabschwung verstärken kann. Und das dies real ist, also in der realen Wirtschaft stattfindet, nachdem die Ängste der (Bestands-) Investoren und die Kurse an den Finanzmärkten dieser vorläufig waren, wollen wir an dieser Stelle notieren2.
Parallel zu diesem Szenario findet man unschwer auch eine Umkehrung im Vorzeichen der Renditen für inflationsindexierte US-Anleihen3. So notiert die Rendite für zehnjährige inflationsgeschützte US-Anleihen auf über einem Prozent. Lange Zeit war es teuer, Geld aus Mangel an Anlagemöglichkeiten gewissermaßen an der Seitenlinie der Finanzmärkte zu parken, bis ein günstiger Einstiegszeitpunkt sich anbietet. Geld verlor dadurch an Kaufkraft, weil der Realzins unterhalb der Inflation notierte und Eigentum verzeichnete damit Wertverlust.
Nun, mit einem positiven Wert von 1% über dem Inflationswert, wird es Investoren möglich, nicht nur zu investieren, sondern auch zum richtigen Zeitpunkt zu investieren, ohne Wertverluste in der Zwischenzeit. Das zieht noch einmal mehr an den Transfers von Kapital aus den Schwellenländern in den Dollarraum, was wiederum den Dollar an sich stärkt, und die Situation der Schwellenländer verschlechtert. Auch ohne weitere politische Kampfansagen der US-Administration reicht die Verlagerung der Kapitalströme schon aus, die schwer erkämpften positiven Wirtschaftseffekte in den Schwellenländern schnell und nachhaltig zu schädigen.

Aber nicht nur die Bondsmärkte zeigen Zeichnen hysterischer Rotation. Zunehmend drehen Investoren auch von Aktienmärkten in scheinbar festere Anleihenmärkte, besonders nun in kurzlaufende, etwa zweijährige US-Staatsanleihen, deren Rendite mittlerweile die durchschnittliche Dividendenrendite des US-Leitindexes S & P 500 übersteigt. Investoren reagieren damit auf die zu erwartenden Rückschläge an den Aktienmärkten, meiden langlaufende zugunsten kurzlaufender Bonds der US-Regierung.

Wir halten also fest, dass das Verhalten der Investoren an den US-Finanzmärkten aus aktueller Sicht auf zwei ganz wesentliche Erscheinungen hinweist, dass der Realwirtschaft, sowohl in den Schwellenländern aber auch in Europa erhebliche Mühen bereitet. Die Dominanz der amerikanischen Finanzmärkte wäre nicht so ausgeprägt, ohne den Dollar als weltweite Leitwährung. Zweitens: fiskal- und handelspolitische Entscheidungen der US-Administration beeinflussen über die Maße hinaus die Kapitalmärkte außerhalb der USA sowie die mikroökonomischen Prozesse in diesen Ländern selbst.

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[title]Begriffe – Anmerkungen – Titel – Autoren[/title]

neutrales ZinsniveauTreasuriesLDT (Leading Diagonal Triangle)inflationsindexierte US-Anleihen


Burning Man

Aaron Logan (CC 2.0)

1 Burning Man ist ein jährlich stattfindendes Festival im US-Bundesstaat Nevada in der Black Rock Desert. Das Festival dauert acht Tage und endet traditionell am ersten Montag im September, dem US-amerikanischen Labor Day. Seine Kernveranstaltung ist das Verbrennen einer sich jährlich verändernden menschlichen Statue – der Burning Man – am sechsten Festivaltag.
2 Wir haben an anderer Stelle bereits daruf hingewiesen, dass wir Heinsohn, Steiger grundsätzlich im Gedanken folgen, dass Zinsen direkt mit Eigentum verbunden sind. Wir folgen den Autoren aber nicht – wie auch bereits vermerkt – dass Zinsen in jegweder Höhe einen „postiven“ Effekt auf das Eigentum der Investoren über den Eigentumserhalt hinaus haben.
Ebenso verfängt an dieser Stelle auch der grundsätzliche Gedanke von der generellen Gewinnmaximierung des Wirtschaftssubjekts – wie wir sehen werden.

3 Eine inflationsindexierte Anleihe bietet dem Investor Schutz vor dem Inflationsrisiko und ähnelt bezüglich ihrer Zinsausschüttung einer variabel verzinslichen Anleihe, mit dem Unterschied, dass zusätzlich auch die Kapitalrückzahlung je nach Inflationsentwicklung unterschiedlich hoch ausfallen kann. Bei Inflation steigt die Zinsausschüttung an, bei Deflation fällt sie, sofern in der Konstruktion der Anleihe für diesen Fall keine Sondervereinbarung getroffen ist.
Der Kapitalschutz gilt nur für das Ende der Laufzeit. In der Zwischenzeit kann die Kursnotierung schwanken und auch unter den Nennbetrag der Anleihe fallen. Zudem unterliegen die Inflationsanleihen nicht der Einlagensicherung, wodurch sie bei Insolvenz nicht geschützt sind. Experten kritisieren auch die Undurchsichtigkeit der Inflationsanleihen, weil hier leicht versteckte Kosten entstehen können.
Das früher in Deutschland bestehende Indexierungsverbot wurde mit der Euro­einführung aufgehoben (vgl. Wikipedia)
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