Im Fortgang der bisherigen Themen wäre es nicht inkonsequent, würden wir jetzt uns näher mit den Präferenzen des homo oeconomicus beschäftigen. Wir müssten dazu eingehen auf die einschlägigen Theorien der Entscheidungsfindung und auf die Beziehung bzw. die Stellung, die der homo oeconomicus in der Welt der Wirtschaft einnimmt; allein wir glauben nicht, dass dieser vermeintlich fortschreitende Gedankengang schon den richtigen Weg gefunden hat. Fragen nach der Wirtschaft in einer sozialen Welt oder nach der Stellung des „Wirtschaftssubjektes“ in der Gesellschaft sind aufdringlich, deshalb aber allein noch nicht richtig begründet.
Wir haben kurz angedeutet, dass wir den homo oeconomicus in seiner theoretischen Grundverfassung für nichts mehr als ein „Residualsubjekt“ halten und dies damit für uns wenig geeignet erscheint, irgend etwas maßgebliches zu begründen. Dann haben wir darauf hingewiesen, dass mit dem Begriff der Wohlfahrt eine gesellschaftliche Ordnung unter dem Primat geld- und besitzgetriebener Verkehrsformen vorgstellt wird, deren Ordnungscharakter wie deren inhärenten Systematik uns nicht nur wenig behagt, sondern auch wissenschaftskritisch opponieren lässt.
Die modellhafte Darstellung und die Begrifflichkeiten der Ökonomik, besonders wie wir sie in der Neoklassik kennen gelernt haben, erschweren eher das Verständnis, als dass sie es erleichtern, verschleiern eher Zusammenhänge, als dass sie sie aufklären. Das Problem der Ökonomik ist nicht die Erfassung der ökonomischen Zusammenhänge, denn die könnte sie weit mehr als augenscheinlich überall in den Blick nehmen. Ihr Problem, ihre Orthodoxie, ist die modellhafte Darstellung der öknomischen Prozesse und Zusammenhänge und das mit der Darstellung verbundene systemische Vokabular.
Die Frage, ist ein Modell sinnvoll, wenn es die Komplexität der Realität so reduziert, dass die wesentlichen Aspekte von den unwesentlichen getrennt werden, ist bereits eine abgeleitete, eine sekundäre Frage. Denn die Frage an die Ökonomie ist, warum ist ein Modell zum Verständnis ökonomischer Vorgänge überhaupt notwendig?
Und so ist es auch mit dem Wirtschaftssubjekt, dem homo oeconomicus. Dass er unserer Meinung nach und dies nicht ganz unbegründet in der Ökonomik die Existenz eines Residualsubjekts fristet und seine Beschreibung der eines Konsumenten entspricht, welcher am besten voll informiert ist, dazu noch mit den entsprechenden Mitteln der Markenkommunikation seine Entscheidungen für oder gegen den Kauf eines Produktes trifft, der diesen Kauf also einigermaßen nutzenorientiert trifft, nicht zu teuer, nicht zu schlecht oder schädlich, einigermaßen gut gemacht, besser „made in Germany“ etc. also ein Konsument mit vor-aufgeklärter Warenkenntnis und Medientreue, mag seinen Stellenwert für die Ökonomik belegen.
Auch wenn der homo oeconomicus heute in den neueren Modellen mitunter etwas besser wegkommt, besonders, wenn von ihm in soziologischer Hinsicht und Methodik gehandelt wird, so ist und bleibt er doch jener tumbe, wenig von seinen Erfindern geliebte Theorie-Kumpan, dessen sprunghaftes, emotionales Wesen, dessen zeitweise wenig nutzenorientierte Entscheidungsfreiheit mit den Randthemen der Ökonomie, der Absatzwirtschaft und Kommunikation beizukommen sein sollte, dass das verhaltenstheoretische Bild vom konsumierenden Menschen auch weiterhin ins Modell passt.
Auch hier stellt sich aber die Frage, warum und wofür man überhaupt zur Theoriebildung ein Menschenbild braucht? Selbstverständlich werden wir auch weiterhin die Theoriebildung danach abklopfen, welches Modell und welches Menschenbild ihr unterliegen, hat sie doch beides. Damit ist aber nicht zugleich gesagt, dass jede Theoriebildung beides notwendigerweise braucht, schon gar nicht in jeder erdenklichen Weise.
Steht das Bild des homo oeconomicus für ein Modell menschlichen Verhaltens in der Ökonomik, dann lässt es sich einfach beschreiben, wenn man auf die impliziten Verhaltensannahmen fokussiert, mit denen die Ökonomik menschliches Verhalten zu erklären und, theoretisch wichtiger noch, vorherzusagen versucht. Wir sehen, die eigentliche Implikation, nämlich die prinzipielle Vorhersagbarkeit menschlichen Verhaltens, ist weder begründet noch ausreichend prblematisiert.
Grenzen wir das Handlungsmodell auf jene Grundannahmen ein, die einen Konsumenten im Wirtschaftsprozess kennzeichnen und überprüfen wir, ob dann die Annahmen zu mehr Erklärung und Begründung führen, müssen wir aber auch hierbei die gleiche Implikation im Auge behalten, nämlich dass Konsumentenverhalten prinzipiell vorhersagbar ist. So zählen verschiedene, untergeordnete Implikationen zum Handlungs bzw. Entscheidungsmodell eines Konsumenten1.
Zuerst haben wir die Selbstreferenzialität der Nutzen- bzw. Präferenzfunktion als handlungs- und entscheidungsleitend moniert. Ein Bezug dieser Funktion auf soziale und kulturelle Einflüsse bestünde nicht.
Dann kritisierten wir die Einschränkung der Entscheidungsfunktion auf eine rein auf die Wahl bzw. Kaufentscheidung bezogenen rationale Problemorientierung. Die unterstellt, dass der homo oeconomicus seine Präferenzen wie die gesamten Wahl-Alternativen, die für seine Entscheidung relevant sind, immer und rechtzeit, also nahe am Entscheidungspunkt kennt, weil er sonst seine Wahl weder richtig treffen könnte, noch diese Wahl als für ihn richtig bewerten könnte.
Drittens trennt die Volkswirtschaftslehre strikt Präferenzen von Restriktionen. Präferenzen, also die konsumleitende Nutzenüberlegung, steht immer in einem Handlungsumfeld, das die Wahl im Kaufprozess beeinflusst. Aus diesem Zusammenspiel von Wünschen und Restriktionen bzw. den aktuellen Bedingungen der Wunscherfüllung, muss der Konsument seine Wahl treffen und zwar eine optimale Wahl, da er sonst à la longue Pleite geht oder bedrohlich frustriert ist. Wenn nun die Theorie Änderungen im Konsumentenverhalten beobachtet, dann werden diese Änderungen einzig und allein auf veränderte Bedingungen zurückgeführt. Wie wir sahen, muss im Sinne der Theoriebildung die Nutzenfunktion als stabil angesehen werden. Wenn jemand heute weniger fettes Fleisch und weniger Zucker als früher kauft, dann erklärt das die Theorie durch eine Erhöhung der Fleisch- und Zuckerpreise (Änderung der Restriktionen) und nicht durch ein, möglicherweise gewachsenes Gesundheitsbewusstsein des Konsumenten (Änderung der Präferenzen).
Wie also Präferenzen entstehen und sich im Laufe der Zeit oder sogar spontan wandeln, interessiert die Ökonomik in der Regel nicht, weil ihre theoretische Modellierung bzw. empirische Immunisierung des Konsumentverhaltens dann nicht mehr funktionieren würde.
Den höchsten Grad an Immunisierung gegen jede noch so alltägliche empirische Erkenntnis ist die Implikation, dass der homo oeconomicus seine Wahl bzw. Entscheidungen rational trifft. Eine Entscheidung zwischen Alternativen mit optimaler, nutzenrationaler Orientierung wäre dann einigermaßen möglich, wenn das Individuum überhaupt erst einmal über solche rationalen Möglichkeiten verfügt, mehr aber noch, wenn Lügen, Beeinflussungen, Manipulationen, Vertragsbruch, Betrug und andere Regelbrüche, die durchaus alle zu erheblichen, persönlichen Vorteilen führen können, nicht stattfinden. Und auf alles dies soll der Konsument sich spontan oder antzipierend einstellen können, was eine Spreizung seiner geistigen, sozialen wie psychischen Fähigkeiten voraussetzt, die wohl jeden auseinander reissen würden wie auch die Theorie, nähme sie diese dissozialen Bedingungen in ihr Handlungsfeld konsumatorischer Entscheidungsprozesse mit auf.
Weder handelt der Mensch immer rational, noch ist er nach Kräften bemüht, dies primär zu tun, sonst würde er nicht ständig wider jede Rationalität und aus Gewohnheit oder Markentreue Waren trotz deutlicher Preiserhöhungen in der gleichen Menge wieder kaufen. Hinzu kommt, dass dem Konsumenten in der Regel die Konsequenzen seiner Entscheidungen selten bewusst sind und damit jede „interne“ Grundlage zur Entscheidungskorrektur mit Lerneffekt fehlt.
So sehr der homo oeconomicus auch ein subjektivistisches Konstrukt, eine idealtypische Fiktion oder ein Simulacrum ist, so sehr widerspricht sein Verhalten situativ. Um dem zu entgehen, hat die Ökonomik heute auf den homo oeconomicus als eine strikte wie tatsächliche Annahme verzichtet und ist übergegangen, auch von ihm als eine Form wahrscheinlichen Verhaltens, also eines dehnbaren Musters zu sprechen. Aber was ist damit gewonnen, dass man nun nicht mehr vom Konsumenten ein tatsächlich rationales Verhalten erwartet, sondern nur noch ein tendenziell rationales Verhalten, welches sich in der Betrachtung aller Verhaltensweisen dann als dominantes Verhalten herausstellt? Im Kern nichts.
Das rationale Verhalten muss, abgesehen vom Einzelfall, nun im Durchschnitt wahrscheinlich deutlich dominant sein, wenn die Ökonomik ihre Erklärungs- und Prognosekraft für die Praxis nicht verlieren will. Sonst wäre eine idealtypische Beschreibung ein wertloses Simulacrum, wenn nicht angenommen werden könnte, dass das menschliche Verhalten tatsächlich mit einer gewissen Häufigkeit diesem Modell auch entspricht. Man kommt einfach nicht um das Modell herum.
Dann haben wir uns eingehend mit dem methodischen Individualismus beschäftigt und gesehen, dass der auch eine Implikation für den homo oeconomicus abgibt. In der Folge des methodischen Individualismus haben wir pointiert, dass es darin keine Art der Beziehung zwischen politischen und nicht-politischen Institutionen, Unternehmungen, sozialen Gruppen und Formen semi-soziologischer Beziehungen geben kann, nicht einmal familiale Einflüsse auf das Verhalten von Individuen, im Gegenteil. Nur Individuen werden betrachtet als Subjekte, also als Menschen, von denen Handlungen ausgehen. Nur Individuen also haben Ziele, Strategien, Interessen. Von strukturellen Zusammenhängen in Institutionen z.B., von Geschichte und Kultur, von impersonalen Normen und Gesetzen, von einem Unternehmen im Wettbewerb als kostitutiver Gesamtzusammenhang wirtschaftlicher Praxis u.v.a.m. will die Ökonomik wenig wissen.
Was sie fokussiert ist, dass der homo oeconomicus sein Ziel, welches darin besteht, den größtmöglichen Nutzen aus seinem wirtschaftlichen Verhalten zu ziehen, auch in einer restriktiven Umgebung zu erreichen versucht. Indem er sich diesen Restriktionen und deren möglichen Veränderungen ständig auf’s Neue anpasst. Stets wird er den höchsten, materiellen Nutzen aus den sich ihm bietenden Alternativen anstreben.
Nur eine Einschränkung macht die moderne Ökonomik, die Abwesenheit von Diktaturen bzw. diktatorischen Prozessen wird vorausgesetzt.
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1 Vgl. Elisabeth Göbel: „Unternehmensethik. Grundlagen und praktische Umsetzung“. 3. Auflage, UVK Lucius (2006).
Elisabeth Göbel (1956)
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