Schon in einer ersten, essayistischen Zusammenschau wird deutlich, welche außerökonomischen Faktoren direkten Einfluss nehmen auf die Geldwirtschaft und die Ökonomie in der Antike nahmen. Wesentlich dabei ist, dass diese Faktoren als konstitutive Faktoren historisch in ganz bestimmten gesellschaftlichen Formationen entstanden und sich entwickelten, aber in keiner identifizierbaren ‚endogenen‘ Eigenentwicklung, also einer ökonomischen Entwicklung aus der Ökonomie selbst heraus.
Die Geschichte der Ökonomie ist also eine Geschichte der ökonomischen und außerökonomischen Produktivkräfte. Außerökonomische Produktivkräfte stehen dabei in einem komplementären Verhältnis zu ökonomischen, bedingen diese, verändern sie, bringen ökonomische Strukturen in Krisen. Eine dieser komplementären Kräfte, die ganz entscheidend die Geldwirtschaft bedingt und dynamisiert hat, ist der Wechsel. Und der Wechsel ist ohne die Entwicklung eines zunehmend selbst bestimmten Bürgertum, speziell die großen Handelsunternehmer wie sie sich von Italien und den Hansestädten aus im 12. und 13. Jahrhundert entwickelten denkbar.
Die frühen Formen der bürgerlichen Selbstbestimmung gelangen also über Handelshäuser, die die Geldwirtschaft zu nutzen und einzusetzen wussten. Und die sie im praktischen Umgang weiterentwickelten. So waren die ersten Wechsel bereits eine Vorform von Warentermingeschäften, in ddenen sich zwei Handelspartner verpflichteten, einen bestimmte Summe, zu einer gegebenen Zeit an einem terminierten Ort einer bestimmten Person zu zahlen und dafür im Gegenzug Waren zu erhalten.
Wechsel wurden erfunden, um für Handelsgeschäfte ein praktikables Zahlungs- und Kreditmittel zu haben mit dem Vorteil, dass der Wechsel auch noch übertragbar war. Auf See lauerten den Händler Piraten, an Land Schurken und auf den Märkten, besonders den Kreditmärkten Halsabschneider auf. Mit dem bargeldlosen Wechsel, den ein Händler nach einem großen Tuchgeschäft in Norditalien erhielt, ließ es sich wesentlich angenehmer wieder zurück über die Alpen nach Ulm reisen, als mit einem Sack voll Gold unter dem Wanst.
Räuberbanden gingen leer aus und die sich um die großen Handelsmärkte ausbreitenden Geldwechsler, also jene, die Gold in Geld tauschten, konnten ihre teils unverschämten Umtauschkurse nicht mehr durchsetzen. Gegen beide, Räuber und Wucherer behauptete die Erfindung des Wechsels sich als äußerst vorteilhaft, nicht nur für Leib und Leben, sondern für das Handelssystem insgesamt.
„Der Kaufmann befasste sich fortan vornehmlich mit den rechtlichen und finanziellen Aspekten des internationalen Handels: Dem Wechsel des Eigentümers der Güter und des Geldes, das dafür in Empfang genommen wurde, und der finanzmathematischen Aufgabe, die in einer bestimmten Währung erhaltenen Einnahmen mit den Ausgaben in einer anderen Währung auszugleichen. Die lästige Arbeit, die Waren von einem Ort zum anderen zu schaffen, wurde an eine unbedeutendere Gruppe von Unternehmern ausgelagert.“1
Mit der Erfindung eines Systems von Guthaben und Schulden waren die Wertbestände also besser geschützt, die Geldwirtschaft wesentlich flexibler, also anpassungsfähiger an die jeweilige Situation im Handelsverkehr, die Situation des Händlers als Unternehmer hatte sich verbessert, da nun nicht mehr er selbst sich Gefahren und Zeitverlust durch lange Handelsreisen zu immer weiter entfernten Märkten aussetzen musste. Und durch die Arbeitsteilung zwischen Transport der Waren und Konversion in Bilanzvermögen konnten Transportlogistik effizienter und durch den Wettbewerb der Transporteure auch preiswerter erbracht werden.
Gold wurde damals schon nicht mehr als Wertäquivalent in den Handelshäusern hinterlegt; das war überflüssig geworden. Eine andere, außerökonomische ‚Währung‘ wurde wichtiger, dominant: Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Im Sinne von einer sozialen Technik, man könnte auch von einer Form von Institutionalisierung sprechen, waren Vertrauen und Glaubwürdigkeit im Mittelalter noch nicht grundsätzlich individualisiert, also Privatpersonen und Unternehmen nicht zugeschrieben. So musste der Geldwirtschaft eine institutionelle Grundlage für Vertrauen und Glaubwürdigkeit geschaffen werden, die man im Bankenwesen erfand.
Hanse und Fugger wuchsen einander zu. Die Augsburger Bankiers finanzierten die Entwicklung der Hanse wie den Warenverkehr im engeren Sinne. Und sie standen nicht als Person oder Unternehmer selbst im Kontext der Handelsgeschäfte der Hanse, sondern scheinbar unverbunden damit als deren Finanziers auf einer eigenen Geschäftsebene; sie waren gewissermaßen Geldmittler und Clearing House in einem.
Eine direkte Verbindung von Bankiers und kaiserlicher Macht, die gerne und allerorts heute behauptet wird, gab es damals nicht. Der Übergang in die Neuzeit war noch nicht vollzogen, dazu bedurfte es noch Jahrhunderte. Die Blüte der Hanse und von Venedig, die durch Handel und Geldwirtschaft, neben dem Handwerk, Wissensarbeit, Verwaltung und Kultur ihre produktivsten Kräfte entfalten konnten, wären ohne Bankiers also nicht möglich gewesen – der sog. militärische Komplex wird hier vorübergehend vernachlässigt.
Die Geldwirtschaft der damaligen Zeit berechtigt nicht, von einer frühkapialistischen Form zu sprechen. Das verwechselt Vermögen mit Kapital als im wirtschaftlichen Prozess wirkende Produktivkraft und übersieht, dass erst mit der Liquidierung von Vermögen diese Kapitalform historisch möglich wurde. Wir sind also noch weit entfernt von den Anfängen kapitalistischer Geldwirtschaft, gleichwohl wir bereits Gläubiger-Schuldner-Kontrakte in Form von Wechseln erkennen.
Glaubwürdigkeit und Vertrauen erfordern eine, von Personen und Unternehmen unterschiedene Form. Eine Form, die als eigenständige, wirtschaftliche Praxis realisiert wird. Banken haben zu Fuggers Zeiten diese auf Glaubwürdigkeit basierende Wirtschaftsform erstmals erfunden, als Geschäftsmodell. Nur ein Geschäftsmodell, welches Glaubwürdigkeit zu einem transpersonalen Prinzip erhebt und selbst nicht als ein Unternehmen direkt an den Handelsprozessen beteiligt ist, kann Glaubwürdigkeit in seinen Interessen garantieren. Also ist Glaubwürdigkeit als Geschäftsmodell, nach dem sich alle Handlungen der am Geschäftsmodell und seiner Umsetzung Beteiligten richten müssen, für einzelne Händler, Handelsunternehmer und direkt wie indirekt daran Beteiligter garantiert.
Es wäre zu einfach, jetzt davon zu sprechen, dass die Fugger durch den Verzicht auf direkte Beteiligung am Handel quasi als eine Art Entschädigung die Geldgeschäfte übernehmen durften; diese Art der Beschreibung erklärt wenig und ist obendrein Unfug. Als Bankiers verdienten die Fugger an jedem Handelsgeschäft und ebenso evident war ihr Vorteil, dass sie natürlich auch an allen Geldgeschäften außerhalb der Handelsgeschäfte, die die vermögenden Händler und eine zunehmende Zahl an gut situierten bis vermögenden Bürgern vor allem in den aufstrebenden Städten und Handelszentren tätigten. Ein Vielfaches an Geschäftstätigkeiten war also mit diesem Geschäftsmodell verbunden, war es glaubwürdig, also im Dienste der Sache selbst und im umgekehrten Fall sogar (selbst-) schädlich für eine Bank.
Mit jedem Geschäftsvorfall, den die Fugger als Bankiers tätigten, bewies sich ihr Geschäftsmodell nicht nur als glaubwürdig, sondern ihre Entscheidungen auch für den einzelnen Geschäftspartner bzw. einzelnen Bankkunden als nachvollziehbar und somit vertrauenswürdig. Die Bank stand nicht gegen die Bedürfnisse ihrer Kunden, sondern als Vermittler zwischen den Geschäften, die Kunden mit Kunden und Kunden mit sich selbst, also als Privatkunden tätigten. Von einer Allianz der damaligen Banken und dem Staat konnte keine Rede sein, sah das Geschäftsmodell diese Form der ‚Beteiligung‘ ja auch gar nicht vor. Aktien bzw. Anleihen auf die Betriebsvermögen der Fugger und andere Banker waren noch lange nicht emittiert, Börsenplätze unbekannt.
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Außerökonomische Produktivkräfte – Wechsel – soziale Technik – Glaubwürdigkeit und Vertrauen
1 Der britische Ökonom und Altphilologe Felix Martin (2014) spricht in diesem Zusammenhang von einer „Sozialen Technologie“, die weit über eine reine ökonomische Betrachtungsweise hinausgeht.
Felix Martin (2014): Geld, die wahre Geschichte. Über den blinden Fleck des Kapitalismus, Deutsche Verlags-Anstalt. Aus dem Englischen von Thorsten Schmidt. Originaltitel: Money: The Unauthorized Biography. Originalverlag: The Bodley Head.
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