Dort, wo mit einmal eine Geldwirtschaft blüht, sind die Egoismen der Macht nicht weit. England war im 17. Jhd. eine rasant aufstrebende Konoliamacht und nur zu gerne bereit, das Erbe der Fugger und der Bankiers der ersten Stunden fortzuführen. Als oberster Repräsentant des Staates England war König Karl (Charles) I. genau so glaubwürdig in Sachen Geld wie die früheren Bankiers, so meinten seine vermögenden Untertanen; aber da hatten sich die wirtschaftlich erfolgreichen Bürger und Händler jener Zeit schwer geirrt. Sie wähnten ihre Vermögen nirgendwo sicherer als im Londoner Tower, über den der König und die Kolonialmacht England wachten.
Damit war es vorbei im Jahr 1640 n. Chr. Charles brauchte dringend Geld für seinen Krieg gegen Schottland. Als die Schlacht geschlagen und die Söldner bezahlt, waren die Vermögen perdu, so auch das einstige Vertrauen in Tower, Staat und König. Was dann noch übrig war von all‘ dem schönen Gold, landete gegen eine kleine Depotgebühr bei den ansässigen Goldschiedebetrieben zur Aufbewahrung. Das Gold wurde quittiert und damit waren die Goldsmith-Notes und, wie der Schweizer Ökonom Mathias Binswanger trefflich notierte: das „Geld aus dem Nichts“1 erfunden. Die Goldsmith-Notes waren also die Geburtsurkunde der Bank of England.
Gut zu wissen, dass der Staat, wenn er einmal seine Finger am Geldvermögen seiner Untertanen, dies gilt auch für Bürger in demokratischen Verfassungen, hatte, dies in einer Skrupellosigkeit tut und stets bereit ist, zu wiederholen, natürlich zum Wohle aller, die ihres gleichen suchte und sucht. Was sollen dann auch die Londoner Goldschmiede tun, als weiter Papier zu bedrucken. Papier, auf dem nun die Kreditsumme als eine Zahl steht, und damit hat es sich.
Aus den Goldsmith-Notes wurde das neue Geld, dem kein Gold mehr als ‚Sicherheit‘ hinterlegt war und wenn schon, hatte doch der König selbst der Evidenz Vorschub geleistet, dass die wahren Langfinger in Buckingham Palace oder auf sonstigen Regierungsbänken sitzen. So notiert Binswanger weiter, dass „der Ursprung der modernen Geldwirtschaft“ genau hier in London gefeiert werden sollte wie die Londoner Goldschmiede als die „großen Innovatoren der Menschheit“. Damals stiegen keine Feuerwerke auf in den Himmel zur Feier dieses weltbewegenden Anfangs einer bis heute andauernden Innovation, deren technische Erfordernis gering, deren Bedeutung um so größer war.
Auch heute findet sich kein Anlaß, die Feier nachzuholen oder die ‚Rettung des Euros‘ zu feiern, oder gar die von Griechenland. Damals wie heute haftet am Papiergeld der strenge Geruch des Betrugs. Damals begann seine Geschichte mit einem immensen Betrug an den Bürgern und Händlern des von Gottes Gnaden eingesetzten Machtinhabers und des Staates als dessen willfährigen Erfüllungsgehilfen. Und auf dem Raub folgte eine umfassende Verschleierung und Manipulation, die bis heute das große Misstrauen der Bürger in die politischen Machthaber und deren geldwirtschaftliche Organisationen wie etwa die Notenbanken begründet. All zu oft haben sich Macht und ihre Herrschergehilfen am Vermögen wie am Privateigentum vergriffen oder auf Kosten nachfolgender Generation ihre Selbsterhaltung finanziert.
Wir erkennen schon bis hier hin nur, dass ein großer Irrtum wäre, Privatvermögen, Staat und Geldwirtschaft in einen Topf zu werfen. Mögen auch alle den Schein erwecken, zusammen zu gehören, es stimmt nicht. Schon gar nicht unter einem Begriff wie der des Kapitalismus‘. Im England des 17. und 18. Jahrhundert, das auch Smith und Marx vor Aufen schwebte, vollzog sich ein Wandel, der beachtet werden will. Wirtschaft und Geldwirtschaft traten nämlich auseinander, das einst bis zum Tode verbundene Paar wurde eine lockere Lebensgemeinschaft, ja sogar ein ‚Single Haushalt‘.
Verstand man bis dato Wirtschaft als eine Form der Haushaltsführung, indem jeder sein Vermögen aufbaute, sicherte und verwaltete bzw. verwalten ließ, so war das Vermögen immer verbunden mit der wirtschaftlichen Tätigkeit eines Bürgers bzw. eines konkreten Händlers. Es mehrte sich aus dieser Quelle, aus der es ursprünglich geschöpft wurde. Mehr Handel, mehr Tausch und Geldwirtschaft im ursprünglichen Sinne hieß prinzipiell mehr Vermögen; meist auch tatsächlich.
Das alte System bedeutete, mehr Güter gleich mehr Werte. In dem aufkommen neuen System der Geldwirtschaft löst sich diese Verbindung. Mehr Werte waren nicht mehr notwendig und symmetrisch an mehr Güter gekoppelt. Die Entkoppelung der Wirtschaft von bereits Vorhandenem, den Gütern und Märkten, erzeugte ein System von Möglichkeiten, Erwartungen und Wahrscheinlichkeiten, dem die Banken immer mehr und immer schneller als Grundlage dienten. Alles Geld, so Binswanger, ist seither nichts weiter als „eine Schuld der Banken (…). Die finanzielle Revolution ging der industriellen Revolution voraus.“
Die neue Geldwirtschaft erschien als ein System, mit dem man bilanziell wie real Werte schaffen konnte, ohne das zu verkaufen bzw. in ein Handelssystem zu geben, was defacto auch da war. Und die neue Geldwirtschaft als ein eigener Wirtschaftsraum machte möglich, ohne Vermögen anzusparen zu investieren. Es hatte also diesen entscheidenen Zeitvorteil, in ein Wachstum zu investieren, welches allein auf dem Boden des Möglichen wie des Wahrscheinlichen, also rein virtuell existierte, auf dem die Erwartungen an zukünftige Renditen gründeten und auf dem Banken ihre enormen Geschäftschancen identifizierten.
Mit diesen Geschäftschancen der Banken stieg die Anzahl der Quellen für eine Staatsfinanzierung enorm, zumal im Mittelalter die Quelle der Lohnsumme noch nicht sonderlich erwähnenswert war und die Finanzierung von Kriegen weiter wuchs. Geld war da und so folgte Krieg auf Krieg. Auf den anglofränzösischen, auch Hundertjähriger Krieg genannt, zwischen 1337 bis 1453, folgte der Dreißigjährige Krieg, in dem gemeinsam mit ihren jeweiligen Verbündeten im Reich die habsburgischen Mächte Österreich und Spanien ihre dynastischen Interessenkonflikte mit Frankreich, den Niederlanden, Dänemark und Schweden
austrugen.
Infolgedessen verbanden sich eine Reihe weiterer Konflikte mit dem Dreißigjährigen Krieg: der Achtzigjährige Krieg (1568–1648) zwischen den Niederlanden und Spanien, der Französisch-Spanische Krieg (1635–1659) und der Torstenssonkrieg (1643–1645) zwischen Schweden und Dänemark, um nur an die bekanntesten zu erinnern und ohne den „Schwarzen Tod“, die Pest, zu vergessen. Kriege und Pest hatten weitreichende Folgen auf das Menschenbild und die Wirtschaft in Europa; ein kurzer Exkurs erinnert daran.
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1 Binswanger(2015)
Mathias Binswanger (2015). Geld aus dem Nichts. Wie Banken Wachstum ermöglichen und Krisen verursachen. Wiley-VCH, Weinheim. ISBN 978-3-527-50817-4
Mathias Binswanger (* 10. Oktober 1962 in St. Gallen)
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