Wir haben die Deutsche Verfassung uns angeschaut und festgestellt, dass diese wie fast alle anderen Verfassungen der westlichen Industrieländer spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg juristisch auf dem Privatrecht gründen. Dieses Recht wiederum gründet in der Vorstellung von induvidueller Freiheit als die grundlegende „humanitas“(lat.), das, was das Menschsein also grundlegend ausmacht und von dem aus die von Menschen gesetzten Normen und Verhaltensweisen her begründet sein müssen.
Jene Normen und Verhaltensweisen, die den materiellen Austausch in unserer Gesellschaft regeln, gründen ebenso in dieser Auffassung der individuellen Freiheit des einzelnen Menschen, die mithin ein Grundrecht auch durch staatliche Eingriffe in die Freiheit des Wirtschaftssubjektes nur in begründeten Ausnahmen politisch zulässig sind. Solche Ausnahmen regelt z.B. das Wettbewerbs- und das Kartellrecht, das Handelsrecht wie auch transnationale Abkommen, insofern es den freien Wettbewerb, also die individuelle Entfaltungsmöglichkeit von Unternehmen grundsätzlich sichert und damit auch die Fortwährung der Eigentumsrechte garantiert, die als staatlich garantierte Investitionsicherheit gegen jede Form von Enteignung, auch durch unzulässige Kapitalkonzentration, mithin Konzernbildung, verteidigt.
Letztlich steht auf der Basis eines freien Marktzuganges auch die Realisierung der Wertschöpfung der produzierten Waren durch den Verkauf in diesem gleichen Horizont individueller Freiheit, als weder Zugang noch Waren selbst einer staatlichen Kontrolle unterliegen, es sei denn, es wird auf den Märkten gegen gängiges Recht verstoßen.
Wenn wir in diesen Zusammenhängen vom Staat sprechen, dann allein innerhalb demokratischer Staatsformen, keinesfalls unter staatsmonopolistischen Wirtschafts- und deren vorgängigen, dikatatorischen Staatsformen. Diese Bemerkung ist notwendig um deutlich zu machen, dass marktwirtschaftliche Gesellschaften Überschreitungen der freien Gestaltung wirtschaftlichen Handelns durch Kapitalkonzentration, zu große Marktkapitalisierungen und Kartelle notwendigerweise sanktionieren müssen. Privateigentum, Privatrecht, hohe, rechtsgeschützte, individuelle Gestaltungsfreiheit als privatrechtliche Unternehmer bilden somit die relationalen Begriffe zum Verständnis westlicher Marktwirtschaften.
Wir sind es gewohnt, von Wirtschaftsordnungen, von Wirtschaftssystemen zu sprechen. Kaum ein fachfremder Intellektueller, ja sogar Ökonomen selbst sprechen in großer Zahl heute in systemischen Vokabulars, wenn es um wirtschaftliches Handeln geht. Die Verwendung solcher Begriffe, die systemische Strukturen unter- bzw. vorstellen, sind aber falsch. Sie verkennen die wirklichen Zusammenhänge und den Kern wirtschaftlicher Praxis. Zur Marktwirtshaft gehört im Kern, dass sie eben kein „System“ ist, sondern ein rahmen-geregelter Praxiszusammenhang, eher eine Matrix-, also Mehrlinienorganisation als eine disziplinarische Einlinienfunktion, um einen Vergleich aus der Betriebsorganisatiion zu wählen. Marktwirtschaft hat mehr auch mit Versuch und Irrtum zu tun, als vielen lieb ist und in Führungsetagen zugegeben wird; ein Verweis auf die empirische Psychologie.
Wirtschaftliche Analysen zum Markt oder zu anderen Unternehmen haben eher etwas mit fraktalen Ähnlichkeitsmustern zu tun, als mit mathematischen Modellierungen; Benchmarking war ursprünglich so als Begriff dafür bestimmt. Wenn etwa bei der Grenzkostenanalyse auf kurzfristrige Veränderungen bei gleichbleibender Kostenstruktur abgezielt wird, sind Fragen nach der marktwirtschaftlichen Dynamik per se schon ausgeschlossen. Die aber zeigt sich eben darin, dass sich Produktionsstrukturen ständig ändern, paradoxerweise sogar teils schneller als die schon eng gezogen Zeithorizonte der Grenzkostenrechnung.
Zielen mathematische Modellierungen stets auf exakte Prognosen in der Richtung und Qualität wirtschaftlicher Prozesse, sind alle Fragen unternehmerischer Entscheidung eleminiert. Solche Entscheidungen, die auch nicht immer richtig ausfallen, zeigen aber, dass die Dynamik marktwirtschaftlicher Praxis eben gerade darin besteht, rechtzeitig, schnell und wirksam mit den Markt- und Wettbewerbsunsicherheiten umzugehen. Gäbe es exakte Prognosen und keine fundamentalen Unsicherheiten, bräuchte man die Marktwirtschaft nicht, wäre sie bereits schnell und nachhaltig durch die dann bessere Planwirtschaft ersetzt worden.
Marktwirtschaftliche Praxis aber besteht eben darin, schneller auf die realen Unsicherheiten im Markt und Wettbewerb zu reagieren und besser mit ihnen umgehen zu können. Und auch darin, durch Ideen und Risikobereitschaft neue Produkte und Märkte zu erschließen.
Insofern die Neoklassik aber in allen ihren Modellrechnungen, wissenschaftlichen Konstruktionen und Vorstellungen allein mit bestehenden Mögflichkeiten der Produktion, mit Ressourcen und Fixkosten, mit gegebenen Präferenzen im Konsum bestimmter Waren und immateriellen Güter kalkuliert, beschäftigt sie sich einzig mit Tauschmärkten und stellt die entscheidenen Fragen zu den Möglichkeiten marktwirtschaftlicher Produktion überhaupt nicht.
Es scheint, als würden Waren lediglich getauscht, aber nicht produziert. So kann sie natürlich auch keine „Widersprüche“, keine realen Konsequenzen marktwirtschaftlicher Produktion feststellen, gar kritisch hinterfragen. So hat die Neoklassik mit dem Dispenz des Fragehorizontes marktwirtschaftlicher Produktion zugleich auch den des Dissenz zwischen Individuum und Gesellschaft kassiert. Ihr homo oeconomicus ist definiert durch die Vorstellung und Behauptung, dass sich sein (Nutzen-)Interesse, bei gegebenem Wettbewerb, mit dem öffentlichen Interesse deckt. Er sei der Repäsentant individueller Freiheit, die als Staatsverfassung westlicher Gesellschaften dem einzelnen Bürger vorläuft und ihn rahmen-gebend bestimmt. Dieser vorgestellte Konnex aber ist emprisch nirgends einzusehen. Wäre es so, dass der einzelne Mensch von sich aus und in seinem Bestreben das richtige im Sinne kollektiver Wohlfahrt tut, wie sähe unsere gesellschaftliche Wirklichkeit aus? Das Gegenteil ist der Fall. Selbst der konstatierte Zuwachs gesellschaftlichen Wohlstandes verdankt sich einem in hohem Maße „egoistsichen“ bzw. individualistischen Verhalten. So versteht sich auch, dass der gesellschaftliche Wohlstand rechnerisch nichts anderes ist, als die Summe aller einzeln erbrachten Leistungen einer Volkswirtschaft. Betrachtet man aber das BIP unter Verteilungsgesichtpunkten, wird klar, dass nicht nur der Wohlstand im einzelnen betrachtet recht unterschiedlich ausfällt, und die wirtschaftliche Dynamik zumal fortschreitend die materiellen Unterschiede vergrößert, sondern dass jede weitere Frage nach anderen, als den „kollektiven Präferenzen“ der Ökonomik aus diesem Horizont herausfällt und auch nicht weiter gestellt wird.
Wir werden an anderer Stelle deutlicher eingehen auf die Vorstellung der „vollkommene Informiertheit“ des Wirtschaftssubjektes und was dies tatsächlich bedeutet. In der neoklassischen Ökonomik allerdings stellt sich die Frage, ob diese Bestimmung des homo oeconomicus als neben seiner utilitaristischen auch noch unterstellten, epistemologischen Natur etwas einbringt? Denn wenn ein Mensch die Chancen, die sich ihm am Arbeitsplatz wie auf den Märkten ergeben, dort so viel wie möglich zu verdienen, hier so geizig wie möglich zu konsumieren, ergreift, dann hat sich seine Sicht der Dinge weitgehend erfüllt, jedenfalls, was seine materielle Reproduktion betrifft. Welchen Zugewinn nun seine vollkommene Informiertheit ihm zusätzlich noch sichert, die Frage ist unbeantwortet.
Und wenn der homo vollkommen informiert ist, dann ist es auch die Wirtschaft und damit wäre sie planbar. Und da, wo sie planbar ist, wird ja auch geplant, wo sie berechenbar ist, wird gerechnet, selbst in einer Marktwirtschaft. So sie aber nicht planbar und berechenbar ist, muss wirtschaftliches Handeln schnell und effizient, teils spontan und riskant reagieren, besonders auf die „Unfälle“, die Krisen, Veränderungen und Erschütterungen – von denen Keynes spricht, dass hier die staatlichen Interventionen notwendig seien.
In Bezug auf den Bereich der Information hat sich gezeigt, dass zentralistische Informationverarbeitung dezentralen Informationsprozessen auf unterschiedlichen Informationsmärkten weit unterlegen ist. Und wir erkennen heute, wie Informationsverarbeitung stark informelle Züge annimmt, gleichwohl allerorts die Bemühung der Einhegung der informellen Selbstbestimmung zunimmt.
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zentralistische vs. dezentrale Informationverarbeitung
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