Roulette mit dem Untergang

Die Marktwirtschaft sitzt am Spieltisch. Amerika ist die Bank. Und die Schwellenländer zahlen einmal mehr die Zeche.
Die währungspolitischen Turbulenzen haben viele Schwellenländerwährungen bereits fest im Griff, zu den aus den 1980ger-Jahren sind einige Staaten noch hinzu gekommen.
Sprechen wir von Währungsturbulenzen, dann sprechen wir von finanzmarkttechnischen Prozessen. Eine technische Entwicklung ist, dass Währungen an Wert verlieren, wenn Kapital aus den Schwellenländern, wo es vorher in einem hohen Maße eingeflossen ist, wieder abfließt. Währungstechnische Gewinne aus der Vergangenheit werden so binnen kurzer Zeitphasen von entsprechenden Verlusten wieder aufgezehrt, ohne, dass dabei fundamentale Wertschöpfung im ökonomischen Sinne am Werke ist.

Das führt zu einer zweiten, währungstechnischen Folge, dass nämlich viele der einstigen Investoren in die Kapitalmärkte der Schwellenländer unter Druck geraten und ihre Positionen dort rasch auflösen müssen. Besonders Positionstrading1 ist sensibel gegenüber turbulenten Währungsschwankung, sowohl auf- wie abwärts, wobei die Abwärtsbewegung in aller Regel mit viel höherer Beschleunigung stattfindet, also auch viel risikoreicher ist; es sei denn, Investoren spekulieren auf Währungsverluste, was für die Emittenten von Staatsanleihen katastrophal werden kann.

In der derzeitigen Situation zeigt sich, dass die betroffenen Schwellenländer gegenüber der letzten Phase der Währungsturbulenzen relativ gut in einem fundamentalen, ökonomischen Sinne da stehen. Zeichneten sie früher in der Regel deutlich negative Salden im Handel von Waren und Dienstleistungen mit dem Ausland, tehen die meisten Schwellenländer heute diesbezüglich ganz solide da.
Wir erkennen also allein daran schon, dass finanzmarkttechnische Prozesse alle anderen dominieren.
An den Schwellenländern zeigt sich, dass der Außenfinanzierungsbedarf kein wirkliches Kriterium für Krisen und Schwankungen abgibt, sondern allein die Renditemöglichkeiten in den Schwellenländern den Zufluss, die Liquidität regeln, und dies gilt unabhängig davon, ob wir es mit einer entwickelten Volkswirtschaft oder nicht zu tun haben.
Natürlich beeinflusst eine steigende Liquidität in diesen Ländern kurz- bis mittelfristig auch die Finanzierungskosten von Investitionen auf breiter Front und lässt dann auch die Renditen, die an den Finanzkosten für Investitionen gebunden sind, tendenziell fallen.

Das wird dann zu einem echten Problem, wenn also Unternehmen wie private Haushalte sich in heimischer Währung verschulden, dann Kapital aus diesen Ländern abfließt und die schwachen Renditen auf niedrig verzinste Investitionen unrentabel für die Investoren werden.

Man muss erkennen, dass diese finanzmarktechnischen Prozesse ganz stark vom US-Anleihemarkt beeinflusst sind. Man sieht also, dass die Dominanz finanzmarktechnische Prozesse häufig ihren Ausgangspunkt in den USA haben, besonders durch fiskalpolitische Entscheidungen und Entscheidungen der amerikanischen Notenbank Fed.
Die Fed gibt Taktik und Tempo vor. Und alle großen Notenbanken folgen, müssen folgen. Europäische und asiatische Notenbanken haben die Märkte mit unglaublicher Liquidität in unglaublicher Menge quasi überflutet und damit ihre Bilanzen enorm ausgeweitet. Bis vor etwa einem Jahr. Seit dem reduziert die Fed ihre Bilanz, indem sie auslaufende Anleihen aus ihrem Bestand nicht mehr ersetzt; zu einem immer größer werden Anteil.

Der Unterschied zu anderen Volkswirtschaften aber ist, dass die Verknappung der Geldmenge sich in der US-Volkswirtschaft nicht bemerkbar macht; die prosperiert trotzdem. Nach Maßgabe der Geldmengen-Theorie sind solche Liquiditätsverknappungen typisch für die Spätphase eines Zyklus‘, dessen Wesen auch ist, dass sich Liquidität in ganz bestimmten volkswirtschaftlichen Regionen konzentriert und damit auch die Schwankungsbreite und -dynamik dieser Märkte stark abnimmt, bis ganz zum Erliegen kommt.
Die Krux dabei aber ist, dass dies, und dies zeigt sich immer deutlicher, für die Region USA mittlerweile nur noch gilt. Galt es Ende der 1980er-Jahre noch für Japan, so sind diese Phasen seit 1999 auf die USA beschränkt.

Beginnt diese Phase der finanzmarkttechnischen Turbulenzen mit einem Zufluss an Kapital und bewegt sich weiter parallel zur Verminderung der Liquidität durch die US-Notenbank, dann endet dieser Prozess aber nicht lehrmeinungs-adäquat im Zustand der Ausgewogenheit zwischen Kapitalzufluss und Liquiditätsverringerung im Wirtschaftsraum der USA. Denn die Notenbankpolitik steht nun vor der Aufgabe, bedingt durch das langanhaltende „Quantitative Easing“ (QE), weiter Anleihen aus ihren Beständen den Märkten zurück zu führen. Es kommt in der Folge dann dazu, dass irgendwann aber das, was die Fed an Kapital absorbiert, größer ist als das, was dem Land an Kapital von außen zufließt.

Und die Fed gerät schnell in die nächste Eskalationsstufe, dann nämlich, wenn es zu den unvermeidbaren Schwankungen an der US-Börsen kommt, die leicht und schnell zwanzig und mehr Prozentpunkte erreichen können. Stoppt die Fed dann den Zinsanstieg, hilft das den Schwellenländern zunächst wenig, denn ersten reagieren die Märkte dann doch nicht so schnell und zweitens bleibt ja eine satte Zinsdifferenz zwischen den US- und den Schwellenländer-Anleihen bestehen.

Maßgeblicher aber ist, dass Finanzmärkte nicht nur abgekoppelt von den fundamentalen Wirtschaftsprozessen sich entwickeln, sondern dass die technischen Prozesse durchaus in einem komplementären Verhältnis zu diesen stehen. Eine Transformation in die fundamentalen, marktwirtschaftlichen Prozesse findet so statt, dass die in den Kursen eingepreisten, den marktwirtschaftlichen Prozessen also zeitlich asynchron vorlaufenden Prozessen, durch die Zinsrevision der US-Notenbank und der daraus sich ergebenden Währungsrevision, also einem Absinken des Dollarkurses den Abwärtstrend besonders exportorientierter Schwellenländer bremsen kann.

Wir verwenden die sprachliche Möglichkeitsform deshalb, weil selbst auf den Geldmärkten kein Determinismus in Richtung fundamentaler, also mikro-ökonomischer Prozesse, stattfindet. Deshalb nicht, weil in die Beziehung von steigenden Aktienmärkten, mithin steigender Marktkapitalisierung der Unternehmen und sinkender Liquidität bzw. Geldmenge die o.g. fiskal-, handels-, und geldpolitischen Maßnahmen in ihrer technischen Gesamtheit zu starke Einflüsse ausüben.
Sinkt also die von der US-Notenbank zur Verfügung gestellten Geldmenge, sprich Liquidität, dann wär das Bewertungsniveau der Aktienkurse bzw. der Marktkapitalisierung der Unternehmen nur dann gerechtfertigt, wenn auch die Unternehmensgewinne stiegen; so jedenfalls die klassische Ökonomik.

Sehen wir aber hin auf diese Bewertungen aun den Grad an Produktivität, dann sehen wir, das dem nicht der Fall ist. Es wäre zu schön gewesen, wenn die Unternehmen das „billige Geld“ allein zur Verbesaserung der Produktivität verwendet hätten; mithin ein stets frommer Wunsch und ein schon klassisch anmutende Diskursverschleierung der politischen Ökonomie.
Die mikro-ökonomische Situation der Unternehmen in den USA entspricht nicht einem Verhältnis von Geldmenge, Marktkapitalisierung und Produktivität. Im Gegenteil, die amerikanischen Unternehmen haben das überbordende Kapital vor allem dazu verwendet, Aktien zurückzukaufen, und so ihre Verschuldung erhöht und ihre Produktivität allenfalls gehalten. Viele von ihnen „profitieren“ hauptsächlich von handelspolitischen Marktmanipulationen wie z.B. durch das neue Handelsabkommen zwischen USA-Mexiko-Kanada (USMCA), hier vor allem die amerikanische Milchwirtschaft, die amerikanische Sojawirtschaft durch das entsprechende Abkommen der USA mit Europa, das auch die Edgaslieferung nach Europa und die Einfuhr von Aluminium etc. durch Zölle zugunsten der USA reguliert.

Wie hoch die „Einmischung“ der politischen Ökonomie in die Mikro- und die Geld- und Finanzökonomie ist, erkennen wir nicht nur an der disreziproken Auswirkungen der Liquiditätszuflüsse zur Produktivität und Eigenkapitalrate der Unternehmen. Auf verschlungenen Umwegen, teils über Monate und Jahre anhaltende Wirkzusammenhänge kommen die transformativen technischen Prozesse in den Unternehmen und Haushalten der USA, aber auch in weiten Teilen der Weltwirtschaft und damit weit über die Schwellenländer hinaus, an.

Mit dem fiskalischen Harakiri hat die US-Regierung unter Donald Trump, ohne Not, trotz guter Konjunktur das bereits bestehende, deutlich zu hohe Haushaltsdefizit mitteles eines Konjunkturprogramms, wie es die letzten Jahrzehnte nicht einmal in den USA möglich war, noch einmal signifikant erhöht; übringens wäre Keynes wohl schon vor Jahrzehnten aber spätestens im Jahr 2018 gerne aus seinem Sarg der amerikanischen Administration direkt ins Gesicht gesprungen, hätte er gekonnt (schade!).

Fassen wir zusammen, dann imponiert eine auf Schulden gebaute, gute US-Konjunktur mit einem Defizit im Haushalt und in der Leistungsbilanz, also im Handel von Waren und Dienstleistungen mit dem Ausland in der Größenordnung von für das nächste Jahr prognostizierten achteinhalb Prozent der Wirtschaftsleistung; das kann sich kein Land der Erde sonst erlauben. Aber, solange der Dollar die weltweite Leitwährung ist, können sich die USA fast unbegrenzt verschulden, gewiss nicht ohne ein ebenfalls in dieser Größenordnung existierenden Risikos, nur, dass dieses Risiko nicht nach dem Verursacherprinzip allein den USA zufällt, wie wir durch die Finanzkrise 2007/08 erfahren durften.

Denn der Speilraum der US-Schulden ist ganz wesentlich abhängig davon, wieviel Kapital aus dem Ausland in die USA fließt, um den Lebensstandart seine Einwohner und die Ambitionen seiner Wirtschaft und seines Militärs zu refinanzieren. Und diese Kapital kommt nicht nur wie im Moment aus den Schwellenländern, sondern auch aus Europa. Für etwa 1Billion US-Dollar haben Europäer in den letzten Jahren US-Unternehmensanleihen gekauft. So viele, dass die Portfolios geradezu nach risiko-minimierender Dis-Allkokation schreien. So vollgestopft mit US-Dollar sind diese europäischen Portfolios hochsensibel für Währungsschwankungen. Gerne nimmt man steigende Dollarkurse zu den Kurssteigerungen der Staatspapiere mit, fällt aber der Dollarkurs, wird es brenzlig.

Wir sehen bereits heute, dass die US-Finanzmärkte hochgradig überkauft sind und Tagesschwankungen von 2-3 Prozent in den Indizees zunehmen. Schulden, Aktienrückkäufe, Zinsverläufe spielen ab einem gewissen Zeitpunkt ihre eigene Gesamtregie und die ausländischen Investoren, von nervöser Natur per se, drehen schnell am Startknopf für die „Repatriierung“ ihres Kapitals.
Was macht dann die Fed, wenn die Europäer ihr Kapital aus den USA wieder zurückholen, wenn die Handelsstrategie und die – wieder schuldenfinanzierte – Stärkung der US-Binnenkoinjunktur zudem nicht greifen; ja eigentlich nach der Lehrmeinung auch nicht greifen können?

Die Defizitfinanzierung lässt dann nur noch ein Türchen offen, die USA müssen den Investoren höhere Zinsen bieten. Doch gibt die US-Wirtschaft diese Zinsen, ohne eine deutlich höhere Produktivität überhaupt her? Eher, nein.
Gleichzeit schlüpft durch dieses Zinstürchen auch noch der Dollarkurs, genau genommen der Wechselkurs des Dollars zu den Währung der ausländischen Investoren. Die wiederum sehen einem besseren Wechselkurs mit einem schwächeren Dollar gerne entgegen, werden ja dadurch die Investments billiger. Doch auch der Dollar hat zwei Seiten. Fällt er gegenüber dem Euro, Yen und Remnimbi2, werten also diese Währungen gegenüber dem Dollar auf, um den Kapitalzufluss nicht überborden zu lassen, verstärkt dies noch den Mittelabfluss aus den USA und die Risiken in Form von Schwankungen an den US-Märkten steigen. Eine zu große Volatilität der Finanzmärkte aber befällt auch die USA mit dem Dollar als weltweite Leitwährung à la longue.

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finanzmarkttechnische ProzessePositionstradingLiquiditätsverknappungenZinsrevision


1 Position Trading, auch Long-Duration-Trading genannt, ist eine Handelsstrategie, die über einen längeren Zeitraum verfolgt wird. Anleger setzen mit dem Position Trading auf übergeordnete Trends und versuchen, von diesen mit CFDs in vollem Umfang zu profitieren.
Im Gegensatz zum Day- und Swing Trading, bei dem Investoren mit CFDs auf Intraday-Bewegungen oder einige Tage bis Wochen setzen, beträgt der Anlagehorizont beim Position Trading mehrere Wochen, Monate oder sogar ein Jahr. Der Position Trader versucht, Werte wie beispielsweise Einzelaktien zu identifizieren, bei denen sich eine stärkere Kursbewegung nach oben – oder beim Shortselling entsprechend nach unten – andeutet. Dazu nutzt der Anleger die klassische technische Analyse, oft ergänzt durch Fundamentalanalysen. (vgl. finanzen.net)

2 Yuan oder Remnimbi? Der Begriff Renminbi wird benutzt, wenn es um die Währung als solche geht, sei es an der Börse oder bei Gesprächen der G 20.
Das Wort Yuan nutzt man dagegen, um eine Summe zu beziffern. Wer in einem Pekinger Restaurant um die Rechnung bittet, wird vom Personal aufgefordert, eine entsprechende Summe Yuan zu bezahlen, nicht Renminbi. Dabei halten die Chinesen wohl an alten Gewohnheiten fest. Denn zwischen 1889 und 1949 hieß die Landeswährung tatsächlich Yuan.


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