Strukturwandel der Marktwirtschaft?

Der Kunstmarkt ist also im eigentlichen Sinne und Selbstverständnis der Marktwirtschaft kein Markt. Und trotzdem funktioniert er wie ein Makt, wie ein Quasi-Markt. Natürlich muss an dieser Stelle die Frage gestellt werden, ob die Unterschiede zwischen dem Kunstmarkt und den ’normalen‘ Märkten auf etwas hindeuten, was vielleicht einen Strukturwandel innerhalb der Marktwirtschaft bedeuten kann, oder ob diese Unterschiede gewissermaßen die ganze Bandbreite der Marktwirtschaft ausmessen?

Die Marktwirtschaft hat eine große Flexibilität, ihre Stärke ist also ihre Anpassungsfähigkreit an unterschiedlichste Bedingungen und Situationen, politische, geografische ebenso wie sozio-kulturelle. Anpassungsfähigkeit ist vom Kunstmarkt nicht zu erwarten. Nun ist aber die Marktwirtschaft eben so wenig eine feste Größe – zum Leidwesen der Ökonomik und anderer Ideologien – ständig im Wandel. Wandelbarkeit und Geschichtlichkeit gehören zur Marktwirtschaft wie deren Eigenschaft, sich auszudehnen, sich in andere kulturelle Zusammenhänge, andere sozio-ökonomische Bedingungen einzumischen; dies hat die Marktwirtschaft mit dem Kunstmarkt gemeinsam.

Würde man die Marktwirtschaft, wie dies üblicherweise getan wird, als eine Ansammlung oder Versammlung von Marktmechanismen, Marktgesetzmäßigkeiten und Marktstrukturen substanzialisieren, würde man ihre Dynamik schlicht übersehen, die prinzipiell allein dadurch schon gegeben ist, dass Marktwirtschaft ja nichts anderes ist, als eine Form menschlicher Praxis.
Und zu glauben, diese Dynamik wäre verankert in einem menschlichen Bestreben, dem homo oeconomicus, indem auf der einen Seite, der Seite der Käufer, das Bedürfnis nach immer mehr Nutzen zu immer geringeren Preisen besteht, und auf der anderen Seite den Menschen bzw. das Unternehmen sieht, dessen Ziel es ist, eben dieses Marktbedürfnis so gut, effizient und schnell zu befriedigen wie möglich, was man mit Gewinnstreben bzw. Gewinnsucht als einen, sich längst verselbstständigten Prozess beschreibt, dann hätte man nicht die leiseste Idee, warum sich dieses in sich konsistente und fast schon in einem harmonischen Gleichgewicht sich befindende Marktmodell überhaupt noch entwickeln sollte?

Aber es entwickelt sich. Seine Expansivität erkennt man am Handel, der sich zu einer globalen Praxis entwickelt hat. An den Finanzmärkten, an der Entwicklung der Daten- und Kommunikationstechnologien, angefangen etwa beim Telegrafen bis hin zum Internet u.a.m. Die Marktwirtschaft also ist missverstanden, sieht man in ihr nur ein selbstreferenzielles System in einem konsistenten ‚Raum‘, einem Raum, den wir als ein Ordnungssystem beschreiben und verstehen können.

Natürlich ist Marktwirtschaft dies alles. Und Marktwirtschaft ist auch eine Form des Zusammengehens, der Kooperation und von Allianzen zwischen Politik und Ökonomie. Aber wie mit der Marktwirtschaft, so ist es auch mit der Politik. Sie ist, auch wenn vieles empirisch darauf hindeutet, eben kein sich selbst erhaltendes, autopoetisches System, also ständige Machtabstimmung zwischen Politik und Ökonomie. Die letzen Jahre haben gezeigt, dass Politik dies nicht ist, dass Politik, manchmal auch um der Aufgabe der letzten Vernunft zu sich selbst inkonform ist.

Inmitten der Politik, die um Konformität tagtäglich ringt, ist Politik auch der Versuch, Inkonformität durchzusetzen. Wir sprechen bewusst in diesem Zusammenhang nicht von alternativen politischen Ansätzen, von einer geplanten, gezielten politischen Aktivität, also von Non-Konformität. Die kann man tatsächlich weder in Europa noch in den USA zur Zeit erkennen. Wir sprechen lediglich über grundsätzliche Phänomene der Negativität, wie etwa über Disruption im ökonomischen, oder über Inkonformität im politischen Bereich. Über Dissemination, wenn es um Strukturen geht, über Inkonsistenz, wenn es über die Zusammensetzung, Art, Beschaffenheit von Systemen geht. Hier erkennen wir deren relative Stabilität in deren Verformbarkeit und Veränderbarkeit. In der Disruption die grundsätzliche Störanfälligkeit jeder ökonomischen Praxis, sei sie mikro- oder makroökonomisch bedingt.

Dissemination ist ein immanentes Strukturelement, quasi eine „Contradictio in adiecto“ in der ursprünglichen Bedeutung, die der Mathematiker Kurt Gödel in seinem Werk: „Über formal unentscheidbare Sätze der Principia mathematica und verwandter Systeme“ vorgestellt hat. Demnach ist es unmöglich, ein „vollständiges System“ zu konstruieren und dieser Versuch, dieses gedankliche Phantasma hat Gödel eine „Contradictio in adiecto“ genannt und ging als ‚Gödelscher Unvollständigkeitssatz‘ in die Mathematik ein. Unabhängig von jeder Art Fortschritt, sei dieser technischer oder wissenschaftlicher Art, wird der homo oeconomicus niemals sein Ziel erreichen, alles wissen und beherrschen zu können, so dass ein vollständiger Markt am Ende herauskommt.

Diese Zielvorstellung baut auf Projektionen, über die man, so man sie hat oder formuliert nie entscheiden kann, ob sie eintreten werden oder nicht, oder, anders gesagt mit den Wort der Logik, wird es immer formale Sätze geben, von denen wir – apriori – nicht wissen, ob sie wahr oder falsch sind1.

Wenn nun der Kunstmarkt auf einen möglichen Strukturwandel innerhalb der Marktwirtschaft hinweist, wie müssten dann die markanten und ja offensichtlichen Unterschiede zu anderen Märkten grundsätzlich erst einmal bestimmt werden?
In der klassischen Ökonomie hat das Wirtschaftssubjekt ein ganz zentrales Interesse, nämlich Verschwendung zu vermeiden, Einsparungen zu ermöglichen. Auf dem Kunstmarkt sahen wir das Gegenteil dessen am Werke.
Schaut man hinüber zum sozialen Aspekt des homo oeconomicus, dann käme der Erwerb von Kunst einem Bekenntnis zu einem Werk oder einer Kunstrrichtung bzw. einem Stil gleich. Vielleicht motiviert auch durch ein Bedürfnis der Förderung bzw. Unterstützung von Kunst bzw. von lebenden Künstlern oder durch ein subjektives Bedürfnis sichtbar unterscheidbarer Individualität, sich aus einer ‚Masse‘ herauszuheben, mit dem Besitz bzw. dem Eigentum an Kunst ein Statussymbol zu assoziieren, das einen souveränen Geschmack, eine überlegene Bildung sowie eine überlegene soziale Stellung an der Schwelle zur Autonomie demonstriert.

Warum bleiben viele Sammler und Sammlungen dann anonym und vor der Öffentlichkeit verborgen? Warum treten Agenten als Telefonanbieter anstelle von Käufern auf? Teure Uhren, Luxusautos, Yachten, Villen werden nicht durch Telefonagenten gekauft. Vielleicht; wahrscheinlich liegt die Motivation des Kunstinvestors genau am anderen Ende der Persönlichkeitsskala. Mag sein, dass es einen „ehrbaren“ Kunstmarkt gibt, aber wenn man den Kunstamrkt als Ganzes betrachtet, sind ehrbare Motive in der Minderheit. Und was treibt all die zwielichtigen Marktteilnehmer? Die mit den Schwarzgeldern, die Steuer- und anderen Kriminellen, die, die die Kunst benutzen, um große Summen Geld zu parken, weil keine seriöse Bank für eine, die grundlegende Dienstleistung, nämlich die Aufbewahrung von Geld für sie mehr bereitsteht? Und zudem noch mögliche Spekulationsgewinnen einstreichen, was aber meist nicht zur ersten Motivation zählt.

Ein Persönlichkeitszug des homo oeconomicus auf dem Kunstmarkt könnte sein, dass er, wie dem Wesen des modernen Krimininellen entsprechend, die Aufgabe von Subjektivität zu seiner Subjektivität gemacht hat. Wenn die Bejahung von Subjektivität im ökonomischen Sinne der Nutzen sei, dann aber nur im Paket mit dem Risiko, was gerne von der Ökonomik unterschätzt wird. In der Marktwirtshaft bekommst du nichts, ohne Risiko. Kein Nutzen, ohne die Gefährdung. Kein Erfolg, ohne Zweifel.
Denn ökonomisch klug ist in der Marktwirtschaft nicht effizienzversessen zu investieren; gegen die flurläufige Meinung der Wirtschaftsinstitute in Europa und den USA. Effizienzversessene Investment wären Investments, bei denen man mit seinen Ausgaben geizt; das Gegenteil verspricht Erfolg.

Deshalb fordert eine ökonomische Intelligenz auch heraus Risiken einzugehen, von deren Erfolg niemand sicher ausgehen kann. Jedes Investment kann sich auch als eine Geldverschwendung herausstellen. Jedes investive Engagement ist eine Wette, ein Spiel, dessen Erfolg sogar, wenn dieser eintritt, zweifelhaft bleiben muss, weil er öffentlich und also im Wettbewerb stattfindet.

Damit verglichen ist der Kunstmarkt also eine contradictio in adjecto, die, wie Nietzsche im „Deutsche(r)n Geist als eine fast schon schmerzhafte Assoziation zwischen Geist und Militär beschreibt2, so gehen auch Kunst und Markt einfach nicht zusammen. So ist auch der Künstler heute nach Jahrzehnten seiner „Marktgängigkeit“ nicht unaffiziert von diesem Hiatus zwischen einem Mythos und dessen gnadenlosen Gegenspieler, zwischen dem Glauben des Künstlers an eine Marktresistenz seiner Werke und der Wirklichkeit deren mittlerweile bedingungsloser Marktaffininität.

Walter Benjamin hat bereits in seinem großen und doch unvollendetem Passagenwerk3 die monomanisch an einer vermeintlichen Integrität festhaltenden Künste „auf der Schwelle“ beleuchtet. An der Schwelle zur Selbstvermarktung zögern die Künste noch ein wenig eitel, haben aber die Schwelle zur totalen Vermarktung ihrer Werke durch ihre „Agenten“ und viele auch ihrer selbst als Künstler längst überschritten. Aus, unterstellen wir mal Echtheit der emotionalen Selbsterfahrung, Trauer über die eingetretene, vollständige Marktaffinität inszenieren die Künstler-Stars in ihrer Selbstvermarktung eine fadenscheinige Marktresistenz, die nicht müde wird, zu behaupten, zumindest so zu tuen, als möchten sie das Geschehene am liebsten wieder rückgängig machen.

In der Psychologie nennt man das Verleugung eines Geschehens wie etwa den Tod oder Verlust einer geliebten Person und hier wie dort wird eine Integrität simuliert, die nie bestand.
Jene inszenierte Integrität verleugnet die faktische Korrumpierbarkeit von Kunst und gibt sich als scheinbare Signatur eines offenen Weltkontaktes mit der transzendenten Potenz der Veränderung und Erneuerung. Solcherart „Genies“ bzw. „Heroen“ bleiben also nicht selten ein Leben lang monomanisch am „Passagenmythos“, weil ihr ganzes Denken selbst eine Passage des Mythos ist.

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Wandelbarkeit und GeschichtlichkeitInkonformitätDisseminationInkonsistenzAufgabe von Subjektivität


1 Kurt Gödel: Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und verwandter Systeme I. In: Monatshefte für Mathematik und Physik. 38, 1931, S. 173–198
2 „Deutscher Geist: seit achtzehn Jahren eine contradictio in adjecto.“ (Friedrich Nietzsche: Götzen-Dämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophiert, 1889, Sprüche und Pfeile, Aphorismus 23). Nietzsche bezieht sich hier auf die Gründung des Deutschen Kaiserreiches im Jahre 1871, eine direkte Folge der Niederlage Frankreichs im Deutsch-Französischen Krieg. Das Militär hatte eine nach heutigen Maßstäben extrem große Bedeutung im Kaiserreich.
3 Walter Benjamin: Das Passagen-Werk. In: Gesammelte Schriften. Band V in zwei Teilbänden; herausgegeben von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, unter Mitwirkung von Theodor W. Adorno und Gershom Scholem. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main 1982, ISBN 3-518-28535-1.


Walter Bendix Schoenflies Benjamin (* 15. Juli 1892 in Charlottenburg; † 26. September 1940 in Portbou)
Kurt Friedrich Gödel (* 28. April 1906 in Brünn, Österreich-Ungarn, heute Tschechien; † 14. Januar 1978 in Princeton, New Jersey, Vereinigte Staaten)

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