Mit dem Ende von Bretton-Woods gingen auch alle klassischen Werttheorien zugrunde. Die schöne Formel: Ware-Geld-Ware hatte ausgedient. Der Dreh- und Angelpunkt nach Bretton-Woods war nicht länger mehr die traditionelle Geldpolitik mit einem Referenzpunkt oder allgemeinen Wert-Äquivalent für die Wirtschaft, das sauber Guthaben von Schulden oder eine absolute Wertgrenze zwischen Waren und Geld bestimmte, sondern allein der Prozess der Veränderung der globalen Wirtschaft.
Als Lyndon B. Johnson die Axt an den Goldstandard legte war die VR China noch ein von den westlicher Marktwirtschaften abgeschotteter Wirtschaftsraum, rückständig, von bäuerlicher Landwirtschaft geprägt, arm, weltpolitisch und ökonomisch bedeutungslos. Keine zehn Jahre später musste man Chinas Wirtschaft bereits als einen entscheidenden, einen bestimmenden Faktor der Globalisierung erkennen.
Besonders die VR China und die sog. Tigerstaaten Südkorea, Taiwan, Singapur und Hongkong begannen in den achtziger Jahren billige Waren zu liefern. Und plötzlich stand ein Heer von Hunderten von Millionen billigen Arbeitskräften der Wirtschaft zur Verfügung, von einst bäuerlichen Landsklaven, für die der Schritt zu einem städtischen Tagelöhner bereits ein attraktiver Sprung in eine materiell deutlich bessere Welt bedeutete.
Keine vierzig Jahre später liefert China fast jede auf dem Weltmarkt geforderte Ware in jeder Menge zu jeder Zeit. In China wurden aufgrund der großen Arbeitskapazitäten mit entsprechend geringen Preisen in fast jeder Produktionsbranche gigantische Überkapazitäten aufgebaut und bestehen so heute noch. Hier liegt auch der wichtigste Faktor für die geringe globale Geldentwertung, die in den vergangenen Jahrzehnten auf ein nie da gewesenes Minimum bei gleicher oder ähnlicher Voraussetzung zurück gegangen ist.
Obwohl die Geldmenge in den USA in der gleichen Zeit dramatisch angestiegen ist, blieb die Inflation konträr dazu gering. Setzt man beide Größen in Relation, dann ist die Geldmenge seit 1960 um mehr als das Sechsfache gegenüber den Preisen gestiegen. Während also die Geldmenge um 4600 Prozent anstieg, vollzogen die Preise lediglich einen Anstieg um 730 Prozent. Es war also Geld in Unsummen vorhanden und diese Geldsumme stieg und steigt auch heute immer weiter an.
Die Frage ist: wo ist dieses ganze Geld geblieben? Es liegt in Peking in einem Gebäude mit graubrauner Steinfassade, das „Staatliche Devisenamt“, auch „Safe“ genannt. Aber nicht wie in Fort Knox Gold hortet Chinas Behörde dort US-Staatsanleihen.
Richard Duncan beschreibt 2016 diese neue „artfizielle“ Wirtschaftsform, als „die größte ökonomische Blase aller Zeiten, bei Weitem das übertreffend, was in den 1920iger Jahren geschehen ist.“1
Die Devisenbewirtschaftung durch die Chinesische Volksrepublik ist seiner Meinung nach der am weitesten unterschätzte Faktor der Transformation der Weltwirtschaft in den vergangenen zwanzig Jahren. Die Krux dabei ist, dass China und auch andere ostasiatische Länder die Dollar, die sie durch den Handel mit den USA einnehmen, nun nicht wieder für Waren ausgeben, schon gar nicht für Waren aus den USA. Diese Handelsüberschüsse werden in diesen Ländern als US-Dollar Währungsreserven in ihren Notenbanken eingebucht.
Die Summe dieser Buchungen hat mittlerweile einen Wert erreicht, der die Wirtschaftsleistung der USA in einer Höhe von über dreißig Prozent zum „Eigentum“ dieser Länder werden ließ. Würden diese Länder ihr Eigentum einfordern, wären die USA pleite und müsste mindestens ein viertel Jahr lang auf jegliche Lebensmittel verzichten, also verhungern.
Das nützte niemanden, also fordern die asiatischen Länder den Gegenwert ihrer Devisen nicht ein, sondern legen die Überschusseinnahmen in überwiegend US-Wertpapieren an. Und davon profitieren sowohl die Wirtschaft wie die US-Regierung in einem hohen Maße gemeinsam. Pleite und fast verhungert kaufen die USA aber fleißig weiter Waren in Asien mit Dollar, die sie ebenfalls aus Asien bekommen und zwar in Form von US-Staatsanleihen. Der neue, „artifizielle“ Wirtschaftskreislauf ist geschlossen.
Das im „Safe“ gehortete Anleihenkapital ermöglicht also, den Warenbedarf der USA, deren Importe also, zu decken, womit sich aber ihre Handelsdefizit weiter vergrößert. Ähnlich wie bei dem europäischen Target-Salden-System, das besonders in der deutschen Notenbank zu erheblichen Summen sich aufgetürmt hat und die Exporte in die EU-Staaten wie geschmiert weiterlaufen lässt, obwohl Staate wie Griechenland und Italien, aber auch Spanien und andere sich ihre Importe ohne dieses künstliche Guthaben gar nicht finanzieren könnten, so funktioniert diese Art der Devisenwirtschaft. Denn die Dollar, mit denen die USA Importe, also Waren aus Asien bezahlen, kommen durch die Anleihenkäufe, die die asiatischen Staaten in Amerika wiederum tätigen auf diesem Weg als liquides Kapital in die USA zurück und halten dort die Wirtschaft auf hohem Niveau in Schwung.
Was also einmal eine Formel: Ware-Geld-Ware war, die die Grundlage der traditionellen Werttheorie Marx’scher Provenienz bildete, ist heute zu einer irrationalen Erkenntnis der Ökonomie aufgestiegen: ein Handelsdefizit, welches nicht arm, sondern, im Gegenteil, reich macht. Spätestens hier an dieser Stelle müsste jedem einleuchten, dass eine Volkswirtschaft, zumal im internationalen bzw. globalen Geschäftsverkehr etwas völlig anderes ist, als der Haushalt einer schwäbischen Hausfrau oder das ökonomische Verhalten eines Privatmenschen.
Privatmenschen legen, wenn sie mehr verdienen als sie ausgeben, ihre Überschüsse an, auf Festgeld- oder festverzinslichen Sparkonten, in Immobilien oder Wertsachen.
Handelsüberschüsse kann ein Staat nicht auf solche Konten legen. Japan, China, Deutschland u.a. nutzen den Kapitalverkehr. Devisen können nicht als Bargeld gelagert werden, besser und sicherer scheint es, wenn Staaten Devisenüberschüsse in Anleihen anderer Staaten anlegen. Deshalb sind die drei o.g. Staaten nicht nur die mit den höchsten Exportüberschüssen, sondern zählen auch zu den größten Kapitalexporteuren weltweit. Gleichzeitig, und dies wird später für uns von Bedeutung sein, haben diese Staaten nicht nur faktisch bereits einen hoher Grad an Durchgriffsmöglichkeiten zu den Vermögen ihrer Bürger, sondern auch ein vitales Interesse an der Abschaffung des „Bargeldes“.
Der chinesische Aufkauf von US-Staatsanleihen finanziert also den defizitären US-Außenhandel und damit auch den US-Haushalt in nicht unerheblichen Maße mittlerweile. Nebenbei ist er auch zu einem Teil dafür verantwortlich, dass die Kurse an den US-Börsen seit über zehn Jahren eine Hausse nach der anderen erleben. Die Devisenwirtschaft funktioniert so, wie wir die Marktwirtschaft insgesamt beschrieben haben; warum auch anders?
Auch die globale Wirtschaft lebt gut mit dieser Form der Devisenwirtschaft. Deren endlose Geldströme sind die Grundlage der Globalisierung. „Die Weltwirtschaft wäre ohne diese Entwicklung viel kleiner“, kommt Duncan zum Schluss, dessen Folgen er im Stile eines „Bären-Propheten“ mit Endzeitszenarios ausdenkt2. Richtig ist, dass die privaten Investitionen – gemeint sind hier das private Konsumverhalten, die Spareinlagen und die Hypothekenkredite – das Niveau von 2% jährlich weder in den USA noch in Europa oder Japan aufzubringen in der Lage sind, um eine spürbare Rezession zu verhindern. Das Wirtschaftswachstum muss also aus den Kapitalmärkten gespeist werden und der Regierungssektor, also die staatlichen Investitionen werden dabei einen immer größeren Raum einnehmen müssen. Das sehen wir bereits seit vielen Jahren.
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Tigerstaaten – Währungsreserven – artifizieller Wirtschaftskreislauf – Handelsüberschüsse – private Investitionen
1 Gastbeitrag Richard Duncan: Das einzige Entkommen vor einer globalen Depression.
2 Ebenda. Für Duncan ist der „Privatsektor“ nicht der Sektor privatwirtschaftlicher, sondern „privater“ Investitionen.
Richard Duncan (*1960)
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