Wissen steht zum Markt wie der Antiheld zum Krieg. Er trägt Züge des Eskapismus, bleibt aber letztlich doch sehr oft bei der Stange. Er ist keine Figur, mit der man sich identifizieren kann, viel zu ambivalent, zu sprunghaft, zu vielschichtig, um mit dem positiven Helden, dem starken, schönen, tapferen, aber mitunter ein wenig tumben und allzu willfährigen Protagonisten um Gunst und Einfluss zu konkurrieren. Seit seinem Erscheinen am Beginn der Neuzeit war Wissen Sachwalter des Zweifels. Der gute Glaube war dahin. Und die Zeiten mit ihren Erneuerungen und Wechseln wurden schneller und vom Wissen erwartete man rasche Antworten auf alle Fragen, wenigsten gute, sichere Ratschläge in den Krisenzeiten. Und was bekam man vom Antihelden? Zweifel. Abwägungen. Verständnis. So dachte man, dem Wissen können wir nicht trauen, es ist eitel und untreu, anmaßend bis ausweichend.
Mit dem 17. Jhd. eskalierte vormals religiös orchestriertes Wissen ins Privateigentum und Beamtentum. Der Adel, die Aristokratie, die geistigen und die weltlichen Herrscher waren in stummer Aufruhr gezwungen, ob der geistigen Libertinage und ihrer umstürzlerischen Narrative an der freien Verbreitung solcherart Denkgut starke Hände anzulegen; privilegierte Verlage wurden höchst herrschaftlich inauguriert und all zu freie Geister ins Beamtentum gesperrt.
Vor dem 18. Jhd. lebten die meisten Dichter und Schriftsteller von den Zuwendungen des Adels und vom Mäzenatentum meist fürstlicher Provenienz. Honorare für ihre Manuskripte gab es kaum und wenn, spielten sie kaum eine Rolle in der subsistenziellen Versorgung. Wenn damals Dichter, Literaten, Philosophen, Wissenschaftler und Künstler über ihren Kampf um die geistigen Eigentumsrechte erfolgreich ein wenig an ihrer materiellen Lebenssituation verbessern konnten, so haben sie die Folgen der Zugangsbeschränkungen zu den Werken nicht absehen können oder wollen. Und mit den Zugangsbeschränkungen, die das neu geschaffene, freie Schriftstellertum z.B. über die priviligierten Verlage ausübte, untergrub man die Wissens-Allmende und letztlich immer weitere Teile des kulturellen Erbes der Menschheit. Zunächst aber wog die Zugangsbeschränkung den Zuwachs an Verbreitung nicht auf, aber der Geist der Privatisierung und des geistigen Eigentums war aus der Flasche, als sich zum ersten Mal in der Geschichte des Wissens ernsthaft die Frage nach der Vergütung des Künstlers und Literaten durch Buchändler, Verleger und Galeristen stellte.
Man ersann alle möglichen Formen der Vergütung bis hin zu Gewinnbeteiligungen und sogar erste Formen von Lizensierungen wurden bekannt, wonach der Verleger das Recht auf ein Werk oder Manuskript, machen noch bevor sie geschrieben waren, kaufte und vermarktete. Dies konnte natürlich nur geschehen, wenn der Schöpfer künstlerischer Werke auch als Eigentümer derselben auftreten konnte, also die Rechte an den Elaboraten auch auf seinen Namen gezeichnet waren. Damit war das traurige Ende der Wissens-Allmende eingeläutet und geistiges Eigentum erfunden, von dem man seit Jahrtausenden niemals hatte denken können, dass ein gemeinschaftlich erbrachtes Kulturgut einmal einem einzigen Menschen gehören sollte. Stets wusste man, dass Wissen keine Privatangelegenheit ist und sein konnte, dass Wissen mehr Quellen hat als die Natur, mit ihr aber gemein, dass es aus vielen Quellen und Flüssen in die Ozeane der Allmende fließt.
So sehr sich auch für den ein oder anderen Geheimrat, der es übrigens gar nicht nötig gehabt hat, die materielle Lage durch die Privatisierung und Kommodifizierung des Wissens und der schönen Künste auch verbessert haben mag, meist blieb der Poet doch ein armer mit dickem Schal um den Hals im Bett unter dem Schirm beim Funzelschein ein trauriges Schicksal fristend.
Und so viel besser sieht die materielle Lage der meisten freien bzw. freiberuflichen Kulturarbeiter heute auch nicht aus. Ohne Taxijob oder befristeten Lehrauftrag für ein paar Monate sähe ein Leben, allein aus den Einkünften künstlerischer Tätigkeiten finanziert, öde aus.
Daran ändert auch nichts die ubiquitäre Verwendung des Copyrights, die heute vom Passbild bis zum Trinkspruch für Omis Geburtstag alles ziert; es könnte ja jemand damit den großen Reibach zu machen versuchen und dann will man ja dabei sein, wenn die Kasse klingelt; wie naiv und armselig!
Wie überschüssig Aufklärung in diesen ökonomischen Zusammenhängen sein kann bzw. wie leicht sie darin untergehen kann, zeigt Diderots „Lettre sur le commerce des livres“ aus dem Jahr 1763. Dort erreicht die Hybris des Selbstbewusstseins erste Höhen, wenn „der Autor () Herr seines Werkes (ist) oder niemand in dieser Geselllschaft ist mehr Herr über sein Gut.“
Mit Gegensätzen wie Herrschaft und Knechtschaft ist nie viel zu erklären; das musste auch Hegel später erfahren. Aber tiefer noch reicht das Missverständnis als komplexe Zusammenhänge jeweils historisch spezifischer Sachverhalte in einer zu groben Zusammenschau von Wesensbegriffen oder, wie im Falle von Diderot, aus einer gefühlsduseligen Anwandlung zu einer heroischen Figur der Kunst stilisiert werden: „…wenn seine eigenen Gedanken, die Gefühle seines Herzens, der wertvollste Teil seiner selbst, der ihn überdauern und unsterblich machen wird, wenn all diese ihm nicht gehören?“
Dem Anti-Held, dem armen, ehrlichen Poeten, der noch weiß, dass er nicht weiß, tritt bereits im Ausgang des 18. Jhd. die Haltung des Kunst-Heroen, des narzisstisch hybriden, genialen Schöfers ewiger Kunstwerke gegenüber. Nicht, dass dieser damit schon im Reichtum schwelge, aber er beansprucht die alleinige Vertretung eines, seines geistigen Rechtsgutes, falls es denn dann mal zu dessen Verwertung, zu dessen Gang auf den Markt kommt.
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privilegierte Verlage – freiberuflichen Kulturarbeiter – Kunst-Heroen
Denis Diderot (1763). Lettre sur le commerce des livres, in: Oeuvres complètes de Diderot, Édition Assézat-Tourneux, Paris, Garnier Frères, 1875-1877.
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