Schauen wir auf die nächsten Jahre, so sehen wir wie in einem Brennglas die Beziehung zwischen Geld und Macht, die wir als eine Säule der politischen Ökonomie beschrieben haben. Und die bereits seit dem ausgehenden Mittelalter Zug um Zug dicker und stabiler geworden ist (vgl. Erbe der Fugger). Auf dieser Säule des Vertrauensverlustes1 stehen heute weite Teile der Bankenwirtschaft wie der Staatenfinazierung mit erheblichen politischen Folgen eines Vertrauensverlustes in die demokatischen Verhältnisse moderner Industrienationen.
Jede Form der politischen Einflussnahme in die Bankenwirtschaft eines Staates oder eines Wirtschaftsraums wie der EU legitimiert sich durch Verbesserung der Wirtschaftskraft und Abbau von Arbeitslosigkeit. Monetary Transactions(MT) welcher Art und rechtlicher Begrenzung auch immer, sind demnach ökonomische Programme der Art nach keynesianistisch oder illegitim. Illegitim sind sie in Europa, wenn sie den Maastrichts-Vertrag und darin der sog. No-Bailout-Klausel2 selbst in ihrer eingeschränkten Form widersprechen.
Die zwischenzeitlichen Ergebnisse der politischen Ökonomie haben unter dem Strich zwar unter kurzzeitigen Gesichtspunkten zur Abschwächung der Euro-Krise geführt, sind aber eher unterwegs, ein politisches wie ökonomisches Desaster zu kreieren.
Die Euro-Bankenaufsicht(SSM) hat mit den griechischen Bankenvertretern vereinbart, bis ins Jahr 2021 etwa 50 Mrd. Euro an toxischen Krediten aus den Bilanzen abzubauen, damit die Banken sich so weit erholen können, dass sie ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum durch Kreditvergabe ermöglichen. Eine wirkliche Stabilisierung des griechischen Bankensektors ist nicht in Sicht. Abschreibungen, Umschuldungen und der Verkauf fauler Kredite zehren die Kapitalbasis der Institute immer weiter aus. Besonders die Idee einer Umschuldung fauler Kredite in Pakete mit Laufzeiten von über 20 Jahren hat nicht die gewünschten Ergebnisse am Markt erreicht, selbst wenn man mit einer Kerninflationsrate3 von zwei Prozent rechnet.
Die ganzen Bilanztricks haben natürlich auch keine positiven Ergebnisse gebracht; im Gegenteil. So geben die vier griechischen Banken zwar aktuell eine Kernkapitalquote4 von 16 Prozent an, prima vista ein recht guter Wert. Doch damit kann man die Finanzmärkte natürlich nicht täuschen und zum Kauf bewegen. Denn das Eigenkapital der vier Banken von knapp 27 Mrd. Euro ist zu 80% gegründet auf Steuergutschriften durch Verlustvorträge5. So fällt der Wert des Eigenkapitals der Geldhäuser mal soeben von 27 Mrd. auf weniger als 6 Mrd. Euro, der Rest ist dem Verzicht des Staates auf Stewuern geschuldet, die er aus künftigen Gewinnen der Geldhäuser eingenommen hätte, hätten diese einem massiven Schuldenschnitt in 2012 nicht zustimmen müssen.
Die vier Banken waren also massivst unterfinanziert und sind es auch heute noch. Gleichwohl die EZB solchen Bilanztricks billigt, die es übrinds auch in Italien, Portugal und Spanien so gibt und diese Praxis auch nicht als unproblematisch von einigen Mitgliedsländern des Euro angesehen wird, kommt Fall Griechenlands hinzu, dass es angesichts der wie auch immer versierten Verschleierung der Kreditrisiken faktisch völlig offen ist, wann und ob die Banken wieder nachhaltige Gewinne erwirtschaften können; größte Zweifel werden dabei immer öfter angemeldet.
Und die Finanzmärkte fällen täglich ihr Urteil über diese Praxis. Seit Mitte 2018 verlor der Athener Bankenindex FTSEB mehr als 50 Prozent. Beschleunigt wurde die Talfahrt durch die Entscheidung des Finanzdienstleisters MSCI, drei Banken wegen zu geringer Marktkapitalisierung aus dem Index MSCI Standard Greece zu nehmen. Nachdem der Bankenindex binnen einer Woche Mitte November 12,3 Prozent abgegeben hatte, ging er noch einmal an einem einzigen Tag eine Woche darauf um weitere 5,6 Prozent nach unten. Von einer Erholung des griechischen Bankensektors kann also keine Rede mehr sein.
Auch ohne die Target-2 Salden zwischen Deutschland – und die aller anderen Euro-Staaten der EU – und Griechenland zu berücksichtigen, sind die monetären Transfers nach Griechenland und in die Eurozone erheblich. Auf rund 263 Milliarden Euro summieren sich die bisherigen Zahlungen aus den drei Rettungspaketen für Griechenland. Das Geld floss teils in Form direkter Kredite der Euro-Staaten, teils über die Rettungsschirme EFSF und ESM und teils über den IWF.
Hatte der Spread bereits kurz nach dem ersten Rettungspakt für Griechenland wieder das Niveau erreicht, das er auf der Höhe der Griechenlandkrise inne hatte, so ist die wirtschaftliche Situation Griechenlands aus Sicht der Finanzmärkte nach wie vor prekär. Nach und nach verpuffen die Rettungspakete. Nach dem ersten schrumpfe die Wirtschaftsleistung Griechenlands um fünf Prozent, ein Jahr später um mehr als acht und im folgenden Jahr wieder um sieben Prozent; wer spricht da von Erholung? Zwischen den Jahren 2008 und 2015, also in knapp sieben Jahren verlor die griechische Wirtschaft etwa ein Viertel ihrer Leistung, also trotz Rettungspakte durchschnittlich um 3,5%.
Aber Griechenland ist kein Einzelfall des Kalküls der politischen Ökonomie. Nach zwei Jahren katastrophaler Wirtschaftskrise bekam Irland von der EU Hilfen in Höhe von 85 Mrd. Euro. Die dort ansässigen Banken wurden vor der unmittelbaren Insolvenz gerettet um den Preis einer immensen Staatsverschuldung. Und, anders als in Griechenland, führte Irland schier gnadenlos das „bone-crushing-austerity“ Programm durch vor einer erstaunten Öffentlichkeit, die mindestens so heftige Proteste, Streiks und Blockaden wie in Griechenland erwartete; aber nichts davon trat ein.
Und das Ergebnis? Die Rezession, ganz nahe an einer veritablen Krise, verschärfte sich in den folgenden Jahren. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt nach wie vor im zweistelligen Bereich bei etwa 15% und hat sich prozentual sogar noch erhöht, da etwa zehn Prozent der irischen Bevölkerung im Zuge der Krise ausgewandert ist – und dabei sind die Folgen der Brexit-Entscheidung noch nicht berücksichtig. Rezession, Arbeitslosigkeit in einer Generation, die später, also mit enormer Zeitverzögung im Alter erst die wirklichen Folgen ihrer Erwerbslosigkeit spüren wird und Auswanderung lassen sich nicht mehr mauf den Begriff: Euro-Krise reduzieren.
2011 erhält auch Portugal Kredite über 78 Mrd. Euro. Im gleichen Jahr steigen die Anleiherenditen für zypriotische Staatspapiere auf deutlich über 10%. Grund einmal mehr der Bankensektor.
Und Griechenland bekommt aus den zweiten Rettungspaket weitere hundertfünfzig Mrd. Euro. Nachdem die Verhandlungsvertreter der EU mit den privaten Gläubigern Griechenlands, überwiegend Banken und Versicherungen, über einen Schuldenschnitt gesprochen haben, muss auch Frankreich zustimmen, dass im Euro-Raum generell Staatsschulden nicht vollumfänglich gedeckt sind. Staaten können pleite gehen. Und das lernte das weltweite Finanzkapital auch an der Krise, in die Kalifornien zwischenzeitlich geraten war.
Die Finanzkrise der Euro-Staaten war seitdem perfekt. Denn Anfang 2012 mussten die Gläubiger Griechenland auf etwa sechzig Prozent ihrer Forderungen verzichten; das Geld war also weg. Und es lag nicht mehr in der Macht der Regierungen, weder der des Verursachers, noch der „Solidargemeinschaft“, die von der politischen Ökonomie verursachten Krisen selbst wieder zu lösen. So war die einhellige Meinung, Politik kann ihre monetären Probleme autonom lösen; dieser Grundsatz des Vertrauens in parlamentarische Demokratien gilt nicht mehr.
Nach dem weltweit größten Schuldenschnitt aller Zeiten in Griechenland zeigte sich immer deutlicher, nun natürlich durch die sensibilisierten Finanzmärkte offengelegt, dass das eigentliche Problem im Euro noch gar nicht virulent war. Auch noch im Jahr 2012 bittet die Regierung Berlusconi den IWF ins Land, die Spreads auf italienische Anleihen steigen deutlich, Italiens Jugendarbeitslosigkeit6 hat sich binnen vier Jahren verdoppelt und Angstschweiß bildet sich auf der Stirn von Europas Regierungen: to big to save it macht die Runde und erschüttert den einst so stablilen Konnex von Macht und Geld. In diese Verunsicherung tritt der europäische Nationalismus, der spürbar an Aufschwung gewinnt, vor allem in Frankreich, je weniger die europäischen Institutionen die Staatsschuldenkrisen in den Griff bekommen.
Der spanischen Regfierung gelingt es in 2012 nicht, ohne eine Hilfe über 20 Mrd. Euro das Schlimmste in ihrem Bankensektor zu vermeiden. Das Schlimmste, eine Pleite des Sektors, der die Staatsfinanzierung entscheidend mitträgt, lässt sich immer weniger verbergen. Die Gutgläubigkeit der Bürger und das Vertrauen der Märkte für Staatsfinanzierungen in die Handlungsfähigkeit der politischen Ökonomie wird zusätzlich noch überstrapaziert durch die simple Vertuschungsmasche der Stresstests für den Bankensektor. Jene Regulierungsbehörden, die jahrelang die zunehmenden Schieflagen des Sektors vertuscht haben, führen nun nach Talmimaßnahmen der Bankenregulierung Stresstests bei Banken durch und kommen zu überraschend positiven Ergebnissen. Und die internationalen Finanzexperten lachen sich derweil genauso schief, wie die Kapitalsituation der irischen, zyprischen und spanischen entgegen den positiven Urteilen der Stresstests wirklich ist. Alle drei Länder müssen noch im selben Jahr um finazlielle Hilfen bitten.
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[title]Begriffe – Anmerkungen – Titel – Autoren[/title]
Monetary Transactions – No-Bailout-Klausel – Kerninflationsrate – Kernkapitalquote
1 Natürlich kann keine Säule aus etwas Abwesendem stehen. Hinter dem Vertrauensverlust steht das, was wir mit dem Ausdruck: Neue Quellen für Staatsausgaben umschrieben haben, als die Ära des Aufkommens dieses neuen Zweiges der Staatswirtschaft, die mit den sog. Goldsmith Notes als Grundlage der modernen Bankenwirtschaft begann (siehe Erbe der Fugger).
2 Die Nichtbeistands-Klausel (auch No-Bailout-Klausel) bezeichnet eine fundamentale Klausel der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU), die in Art. 125 AEU-Vertrag festgelegt ist und die Haftung der Europäischen Union sowie aller Mitgliedstaaten für Verbindlichkeiten einzelner Mitgliedstaaten ausschließt. Als Teil des Vertrags von Maastricht wurde die Nichtbeistands-Klausel als Art. 104b in den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag) aufgenommen. Im Laufe verschiedener Vertragsreformen wurde die Klausel durch den Vertrag von Amsterdam zunächst in Art. 103 EG-Vertrag und schließlich durch den Vertrag von Lissabon in Art. 125 AEUV übertragen, der Wortlaut blieb jedoch weitgehend erhalten. Durch die Ergänzung des Vertrags von Lissabon um einen 3. Absatz zu Art. 136, der die Schaffung eines Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ermöglicht, wurde die Nichtbeistands-Klausel eingeschränkt.
3 Die Kerninflationsrate schließt die Preise für Lebensmittel und den Energiesektor aus der Berechnung aus, da diese in stärkerem Maße Schwankungen unterworfen sind, deren Ursachen nicht innerhalb der betrachteten Volkswirtschaft zu finden sind. (Wikipedia)
4 Die Kernkapitalquote ist im Kreditwesen eine betriebswirtschaftliche Kennzahl, die den Anteil der durch Eigenmittel gedeckten, anrechnungspflichtigen und risikotragenden Risikopositionen in einer Bankbilanz angibt, insbesondere den Anteil des Aktivgeschäfts.
5 Gewerbesteuerrecht: Ein negativer Gewerbeertrag kann in den nächstfolgenden Erhebungszeitraum vorgetragen werden und im aktuellen Jahr mit einem positivem Gewerbeertrag verrechnet werden. Eine Verrechnung ist jedoch nur möglich, wenn und insoweit der positive und negative Gewerbeertrag vom gleichen Unternehmen und vom gleichen Unternehmer erwirtschaftet wurde.
6 Europäische Union: Jugendarbeitslosenquoten in den Mitgliedsstaaten im September 2018
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