Homo ludens oeconomicus

Spielende Kinder kooperieren nicht. Der Begriff des homo ludens blieb deshalb dem Spiel vobehalten, weil man davon ausging, dass Kinder im Spiel komplexes menschliches Verhalten wie z.B. Kooperation lernen, es also zunächst in der ganz frühen Entwicklung nicht beherrschen. Die entscheidene, spieltheoretische Frage dabei war auch schon bei Schiller, wie der Übergang vom kindlichen Spiel zum Verhalten von Erwachsenen funktioniert.
Betrachtet man dieses Phänomen aus einem reduktionistischen Zusammenhang, dann müsste das Spiel vollständig im intentionalen Verhalten enthalten sein wie umgekehrt. Auch auf einer schwächeren Basis der Reduktion, der sog. empirischen Reduktion, müssten die empirischen, also verhaltensspezifischen Eigenschaften von Spiel und intentionalem Verhalten der Form nach identisch sein.

Der Physikalismus als die prominenteste Form des Reduktionismus und die vielleicht größte Hybris der Naturwissenschaften, behauptet ja nun generell, dass alle Wissenschaften auf Physik zuruckzuführen sei. Gleichwohl es bislang lediglich gelungen ist, Teile der anorganischen Chemie auf Physik zu reduzieren, hält sich hartnäckig der physikalische Reduktionismus auch heute noch in den akademischen Instituten, obwohl schon die Rückführung der Biologie auf die Physik vor enorme Schwierigkeiten stellt; ganz zu schweigen von den Geistes- und den Kulturwissenschaften.

Zwei Disziplinen der psysikalischen Reduktion haben sich gehalten, eine mit großen Erfolg, die Science-Fiction, die andere, nicht ganz so effizient, aber durchaus überlebensfähig, die nicht-kooperative Spieltheorie. Jene findet in der Informatik einen hochgradig geeigneten Anwedungsbereich der kooperativen Spieltheorie, wo mit Hilfe von Suchstrategien und Heuristiken, allgemein gesprochen mit Techniken der ‚Kombinatorischen Optimierung‘ und ‚Künstlichen Intelligenz‘ die Welt als ein Spiel von Informationen und Entscheidungen reduziert auf physikalische Vorgänge vorgestellt wird.
Diese, die nicht-kooperative Spieltheorie1 findet zunehmend ihre Lust und Freude auf den Spielfeldern der Politik und der politischen Ökonomie. Und da wir uns im Bereich der Politik und der politischen Ökonomie befinden – die koopertiven Theorem verschieben wir ein wenig auf späteres – betrachten wir diese zuerst.

Es war im Rückblick nicht verwunderlich, dass Syriza zu den Gesprächen mit der EU über Liquiditätshilfen einen Finanzminister, der zugleich ein ausgewiesener Spieltheoretiker war, Gianis Varoufakis, nach Brüssel mitbrachte, ging es doch um Verhandlungen, die abseits bestehender Verträge geführt werden mussten. Natürlich wusste die griechische Verhandlungsgruppe wie auch die EU-Vertreter, dass die Rettung Griechenlands vor der Staatspleite auch nach Abschluss der Verhandlungen sich nicht in bindenden Verträgen niederschreiben lassen würde. Die gesamten Elemente der europäischen Austeritätspolitik waren Griechenland in einer Art self-enforcing Politik „aufgezwungen“ worden, ohne institutionelle Sanktionierung durch die EU. Das griechische Parlament musste stets die Beschlüsse der sog. „Troika“ in pseudo-demokratischen Abstimmungen als eigene Entscheidungen und rechtlich bindende Gesetze und Beschlüsse bestätigen. So sind sie natürlich auch vom griechischen Parlament jederzeit auf dem gleichen Weg per Prlamentsmehrheit und -beschluss zu revidieren.

Die griechischen wie die EU-Verhandler agierten wie Spieler, die eine nicht bindende Vereinbarung anstreben, die sich aus den Eigeninteressen beider Seiten ergeben. Die „Währungen“, die dabei als Einsatz wie als Auszahlung im Spiel waren, waren einerseits die politische Währung der „Wähler-Stimmen“, und zwar sowohl als politische Legitimation der Syriza wie der jeweiligen Mehrheitszustimmungen der europäischen Parlamente, als auch eine ökonomische Währung, die in der Zustimmung zu den Rettungsschirmen2 durch die Parlamente lag. Wir sehen auch hier, wie eine politische Ökonomie als eine Art self-enforcing politics aus ihren legitimen Geltungsbereichen ausgreift in ökonomische Zusammenhänge, für die es weder ein echtes politisches Mandat gibt, noch eine ökonomische Vernunft spricht. Nicht einmal die „Auszahlung“ für die Entscheidung in Wähler-Stimmen hat sich letztlich gelohnt. Und wie es um den Zusammenhang von Austerität und Wirtschaftsentwicklung steht, sehen wir ein wenig weiter.

Die politische Vernunft der Rettung Griechenlands hinterläßt als eine „Ewigkeitsaufgabe“ nun die Quadratur des Kreises, oder wie der tragische Wotan im Rheingold feststellen musste: Der Vertäge Herr nun Knecht ich bin. Verträge, das weiß jeder Kaufmann, sind nur dann gute Verträge, wenn sie in Schubladen vergilben und nicht zur juristischen Auseinandersetzung kommen. Verträge und Vereinbarungen, die wie im Falle der EU und Greichenland auf der Grundlage nicht-kooperativer Verhaltensweisen eines Spielers, hier Griechenlands, geschlossen werden, zahlen natürlich über kurz oder lang auch in politischer Währung zurück.
Es verwundert natürlich überhaupt nicht, wenn Italien sich nun auf eben diese Verhaltensweisen beruft und andere Staaten bald nachziehen werden. Doch eins bleibt dabei immer unbedacht oder zumindest ausgesetzt, nämlich der Bruch der Maastricht-Verträge durch Griechenland und Italien, wobei man daran erinnern muss, dass es Deutschland und Frankreich zuerst waren, die vertragsbrüchig geworden sind.

Bleiben wir bei der „Logik“ der nicht-kooperativen Spieltheorie, dann sehen wir, dass bei der EU-Griechenland Vereinbarung aktionsorientierte und strategieorientierte Verhaltensweisen dominieren, wie man sie sonst aus der Mikroökonomik kennt, nur dass eben das Feld der politischen Ökonomie ein ganz anderes ist, als das der Mikroökonomik. Dabei wird man an den historischen Ausgangspunkt der Spieltheorie3 im Jahr 1928 und an John von Neumann erinnert, der mit seiner Entdeckung des sog. Min-Max-Theorems den Übergang in die Mikroökonomik und zur Fragestellung nach einem vergleichbaren Verhalten von personalen Wirtschaftssubjekten gefunden hat.

Fast wie eine anthropologische Eigenschaft entwickelte sich in der Ökonomik und der Politik der Gedanke von einer ‚besten‘ Entscheidung, wenn beide beteiligten Personen die Minimierung der gegenerischen Maximalauszahlung (Nutzen) betreiben. Als „Hauptsatz für 2-Personen-Nullsummenspiele“4 bezeichnet, wirkte das Min-Max-Theorem in beide gesellschaftlichen Praxiszusammenhänge hinein und auch dort als eine Art self-enforcement, denn mit der Minimierung des gegnerischen Nutzens verbunden ist ja zugleich auch die Minimierung des eigenen, möglichen Schadens und so die Maximierung des eigenen Nutzens.

Im Alltag der ökonomischen Entscheidungen betreibt eben diese Vorstellung dominant das Spiel des homo oeconomicus, mittlerweile, ohne jegliche Reflexion auf die nicht unmittelbaren Auswirkungen des Zwei-Personen-Nullsummenspiels (natürlich gilt diese Vorstellung auch in einem Spiel mit mehr als zwei Beteiligten).
Wir haben diese Vorstellung bereits auf der Ebene des Marktes als die Vorstellung vom vollkommenen Marktes reflektiert. Und wir haben festgestellt, dass der vollkommene Markt und die Fiktion einer vollkommenen Informiertheit genau das Problem, das die marktwirtschaftliche Ordnung am effizientesten löst, eliminiert: die Unsicherheit in den dynamischen Prozesse auf den Märkten.

Sind wir einmal tatsächlich vollkommen informiert, dann brauchen wir keine marktwirtschaftliche Ordnung, dann ist die Planwirtschaft um Meilen überlegen. Wenn man etwas planen kann, dann ist es besser, man plant es. Wenn man etwas nicht planen kann, dann ist es am besten, man hat ein System, dass es erlaubt, auf Fehler schnell zu reagieren. Geht man allerdings von vollkommener Information aus, dann kann man planen. Nach dieser Logik würde die marktwirtschaftliche Ordnung ein Problem lösen, das überhaupt nicht existiert.

Wenden wir dies nun auf die Beschlüsse der EU hinsichtlich der Finanzkrise Griechenlands an, dann haben wir bei der Fokussierung auf die griechischen Staatsfinanzen bereits die Staatskrise, also die politische Seite der Überschuldung aus unseren Blicken eliminiert. Wir haben dann darüber hinaus den Fall eines politisch institutionalisierten Marktes, bei dem das Marktgleichgewicht durch eine entsprechende politische Organisation herbeigeführt wird. Das ist der Fall, den die Spieltheorie ihren Analysen zugrunde legt und dieser Fall ist im Kern und im Wesen nicht typisch für marktwirtschaftliche Ordnungen. Und drittens, damit verbunden, Austeritätspolitik ist einseitig auf die Ausgabenseite des Staates fokussiert, als ökonomische Sichtweise, die nicht nur die Gründe wie die Beseitigung der Staatsschulden in den Blick nimmt, fehlt ihr gewissermaßen der Blick auf die Einnahmeseite der griechischen Wirtschaft, auf die Kräfte, die einen Aufschwung tragen könnten.
Und auch hier gilt, was wir im Umkehrschluss festgestellt haben. Die politische Ökonomie insistiert auf der einen Seite auf die Stärkung wirtschaftlicher Kräfte und führt zu gleicher Zeit eine Situation herbei, die eine Entfaltung ökonomischer Kräfte strukturell unterbindet.

Das ist das Dilemma der politischen Ökonomie – nebenbei vermerkt, war die Politik nie, nicht einmal in einer Planwirtschaft von großem wirtschaftlichen Geschick, Kompetenz und Erfolg gesegnet – dass sie zwar wie im Fall der europäischen Finanz- und Staatskrisen über alle Informationen verfügt, auch über Institutionen, über Geld en masse via EZB und Rettungsschirme, und dass sie nicht einmal vom sog. Nash-Gleichgewicht irritiert ist, dennoch oder gerade deswegen zu keiner, nicht einmal zu einer pereto-optimalen Lösung finden kann.

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Die Spieltheorie analysiert optimale Entscheidungen in Situationen, in denen das Ergebnis von den Entscheidungen mehrerer interagierender
Wirtschaftssubjekte abhängig ist: “Strategische Interaktion”.
Die Spieltheorie ergänzt die traditionelle (individuelle) Entscheidungstheorie. Sie wird auch “interpersonelle Entscheidungstheorie” genannt.
In der politischen Ökonomie findet die Spieltheorie Anwendung bei:
Politischer Interaktion, Wettbewerb und Kooperation verschiedener Regierungen oder Zentralbanken in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum (Geld-, Steuer-, Außenhandelspolitik).

1 John von Neumann, Oskar Morgenstern: Theory of games and economic behavior, Princeton 1944. Und John von Neumann, Oskar Morgenstern: Theory of Games and Economic Behavior. University Press, Princeton NJ 2004, ISBN 0-691-11993-7 (Erstveröffentlichung 1944, gilt als erste systematische Veröffentlichung zur Spieltheorie). Siehe auch Gabler Wirtschaftslexikon Spieltheorie.
2 Europäischer Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) und Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF). Die Verordnung des EFSM durchbricht den Grundsatz, dass sich die Europäische Union nicht selbst verschulden darf. Das Risiko eines Zahlungsausfalls liegt bei allen Mitgliedstaaten, nicht nur bei den Staaten der Euro-Zone, weil die Kommission den Haushalt der Europäischen Union als Sicherheit verpfändet und die Mitgliedstaaten bei einem Zahlungsausfall Nachschüsse leisten oder auf Zahlungen aus den Agrar- und übrigen Programmen verzichten müssten.
3 Die ersten spieltheoretischen Analysen von Bernoulli, Bertrand, Cournot (1838), Edgeworth (1881), von Zeuthen und von Stackelberg waren Antworten auf spezifische Fragestellungen der Mikroökonomik bzw. der Bestimmung des homo oeconomics als rational entscheidendes Wirtschaftssubjekt, ohne dass damals aus den Ergebnissen der Analysen bereits eine allgemeinere Theorie zur Analyse strategischer Interaktion entwickelt worden wäre. Die ersten allgemeinen Überlegungen stellte Émile Borel 1921 an.
Erst die formalisierte Analyse von Gesellschaftsspielen und der Beweis des Min-Max-Theorems durch John von Neumann im Jahr 1928 legte die Grundlage der modernen Spieltheorie. PDF SUB Göttinger Digitalisierungszentrum

4 Hans Bühlmann, Hans Loeffel, Erwin Nievergelt: Entscheidungs- und Spieltheorie, Springer Verlag, Berlin , 1975, S. 182.


John von Neumann, Oskar Morgenstern: Theory of games and economic behavior, Princeton 1944. Und John von Neumann, Oskar Morgenstern: Theory of Games and Economic Behavior. University Press, Princeton NJ 2004, ISBN 0-691-11993-7
4 Hans Bühlmann, Hans Loeffel, Erwin Nievergelt: Entscheidungs- und Spieltheorie, Springer Verlag, Berlin , 1975


Félix Édouard Justin Émile Borel (* 7. Januar 1871 in Saint-Affrique, Département Aveyron, Region Midi-Pyrénées; † 3. Februar 1956 in Paris)
Oskar Morgenstern (* 24. Januar 1902 in Görlitz, Provinz Schlesien, Preußen; † 26. Juli 1977 in Princeton, USA)
John Forbes Nash, Jr. (* 13. Juni 1928 in Bluefield, West Virginia; † 23. Mai 2015 nahe Monroe Township, New Jersey)
John von Neumann (* 28. Dezember 1903 in Budapest, Österreich-Ungarn als János Lajos Neumann von Margitta; † 8. Februar 1957 in Washington, D.C.)

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