Marktversagen und Wohlfahrtsanomalien

Othodoxie vs. Heterodoxie; beides sind Glaubensrichtungen wissenschaftlicher Diskurse. Die eine glaubt an das Primat des bĂŒrgerlichen Wirtschaftssubjekt, die andere an den Primat staatlich geregelten Wirtschaftens. Der Wohlfahrtsgedanke ist demnach entweder eine Verteilungsfunktion oder eine im Tausch selbst natĂŒrliche Funktion, die bereits Adam Smith mit seiner „geheimnisvollen Hand“ zitiert hat. Diese geheimnisvolle, fast göttliche Hand, ein humanes Ordnungsprinzip, welches der Tauschwirtschaft inhĂ€rent sei, wird auf die unterschiedlichste Art und Weise in der Neoklassik vermessen, vornehmlich auf der Grundlage mathematischer Gleichungen wie wir sahen. Hier ist allein der Preisbildungsprozess auf TauschmĂ€rkten von analytischer Relevanz. Warum es aber ĂŒberhaupt einen Markt bzw. eine Marktwirtschaft gibt, diese Frage wird nicht gestellt. Stillschweigend geht ein vermeintlicher Konsens dem einher, der Mangel, der uns Menschen zwingt, Waren zu tauschen.
Über den Mangel haben wir bereits an verschiedenen Stellen gehandelt, hier haben wir gezeigt, dass der Mangel als mĂŒhsam eingefĂŒhrte Triebkraft des Wirtschaftens in den mathematischen Formeln vom Gleichgewicht fluchs wieder verschwindet. D.h. er taucht aus diesen Gleichungen wieder auf als Ungleichgewicht, als Marktversagen und Wohlfahrtsanomalien.

Hat der MonetĂ€rkeynesianismus zumindest ein VerstĂ€ndniss von der Unterschiedlichkeit von MĂ€rkten, die er sogar in eine Art Hierarchie zu bringen versucht, wonach etwa VermögensmĂ€rkte WarenmĂ€rkten „ĂŒberlegen“ sind, so herrscht ganz grundsĂ€tzlich aber auch im MontĂ€rkeynesianismus das Paradigma vom Tausch und verhindert so zugleich, die unterschiedlichen KrĂ€fte und Dynamiken auf den verschiedenen MĂ€rkten offen zu legen; im Gegenteil, Verschleierung ist die Folge dieser Blickrichtung weg von den wahren Bedingungen einer Marktwirtschaft.

In die Richtung des Neokeynesianismus formuliert ist die Marktwirtschaft eben nicht von dem Streben, von einer inhĂ€renten Kraft des Ausgleichs zum Gleichgewicht hin getrieben. Marktwirtschaft funktioniert gerade im Ungleichgewicht, funktioniert durch Unberechenbarkeit, funktioniert trotz extensiver DysfunktionalitĂ€t; das macht sie ĂŒbrigens so interessant, verleiht ihr des Charakter eines Spiels, das nicht der gewinnt, der die Regeln am besten beherrscht, sondern der, der in der richtigen Situation mit einer Karte ĂŒberrascht, die eine neue Öffnung in das Spiel bringt.

NatĂŒrlich ist Marktwirtschaft kein Spiel, gleichwohl viele Situationen ĂŒberraschende, nicht vorhersehbare Handlungen und VorschlĂ€ge erfordern; ohne Risiko keine Beteiligung am „Spiel“. Unser Beispiel ist auch kein Vergleich, lediglich eine Verdeutlichung, wie weit entfernt Marktwirtschaft von mathematischer Gleichmacherei, also einem Spiel mit Zahlen ist. Das Spiel mit Zahlen, also die Reduktion von wirtschaftlichen HandlungszusammenhĂ€ngen auf Tauschhandlungen und die Abstraktion von GlĂ€ubiger-Schuldner-VerhĂ€ltnissen, resp. unterschiedlicher EigentumsverhĂ€ltnisse auf eine reine Tausch-Preis-Ebene gehen völlig an der Wirklichkeit vorbei.

EigentumsverhĂ€ltnisse haben, nota bene, lassen sich nicht in GeldverhĂ€ltnissen ausdrĂŒcken. Sie reprĂ€sentieren nicht-pekuniĂ€re, außerökonomische VertragsverhĂ€ltnisse, kein Geld, kein Geldvermögen. SpĂ€testens bei Versteigerungen z.B. merkt man, dass immer der zum Abschluss kommt, der nicht das grĂ¶ĂŸte Vermögen, sondern ĂŒber die grĂ¶ĂŸte liquide Summe Geld verfĂŒgt. Des weiteren sind sogar die ordinnale Nutzenmessung in Geldwerten ĂŒber den Preis nicht vereinbar, denn der im Preis ausgedrĂŒckte Nutzen hĂ€ngt von etwas in dieser Messung nicht vorhandenem ab, dem Einkommen bzw. den Einkommensunterschieden.

Je höher das Einkommen, desto geringer ist der Nutzenverlust, wenn ein Preis fĂŒr eine Ware bezahlt werden muss. In dem Modell von Walras wird faktisch der Nutzen nicht interindividuell verglichen und somit schlagen auch Einkommensunterschiede in seinen Gleichungen nicht zu Buche. Entscheidend in Walras‘ Gleichgewichtstheorie sind solche interindividuellen Nutzenvergleiche nicht. Sie werden sprichwörtlich selbst theoretisch substituiert durch die theoretisch und praktisch entscheidende Substitutionsrate1 zweier GĂŒter, die jeweils unterschiedlich sein kann, weil der Nutzen eines Gutes individuell verschieden ist, aber in der Gesamt- bzw. Grenznutzenkalkulation keinen Bruch mit dem Berechnungssystem selbst bedeutet, sondern logisch immanent bleibt.

Wir haben bereits aufgezeigt, dass man im Betrieb meist von sinkenden Grenzkosten ausgeht, da sich die Herstellung von großen Mengeneinheiten fĂŒr ein Unternehmen mehr rentiert als die Produktion von kleinen Mengen. Auf die GrĂŒnde dafĂŒr, SkalenertrĂ€ge und Lernkurveneffekte, sind wir ebenso eingegangen.

Ein neuer Gesichtspunkt, der mit der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie in direkter Verbindung steht und den wir, ohne zu weit vor zu greifen, an dieser Stelle zumindest einmal ansprechen möchten, ist die Gewinnmaximierung. Sie widerspricht cum grano salis der Vorstellung jedes Gleichgewichts. GrundsÀtzlich unterstellt man Unternehmen kurz- wie langfristig Gewinnmaximierung als Unternehmenszweck. In ökonomischer Hinsicht hat die Leitung eines Unternehmens immer das Ziel seine Gewinne zu maximieren, d. h., allen Unternehmen wird unterstellt, sie seien Gewinnmaximierer.

Rechnerisch im Sinne einer GuV (Gewinn und Verlustrechnung) ergibt sich der Gewinn aus der Differenz von Gesamterlösen und Gesamtkosten2. Da die rechnerische Bestimmung von Gewinn aber nicht auf alle FÀlle von Unternehmenstypen identisch angewand werden kann bzw. in der Anwendung recht unterschiedliche Bedingungen vorfindet, muss ein Unternehmer vor allem bei seiner Kosten- und der damit verbundenen Preiskalkulation diese in AbhÀngigkeit zu seiner Marktform setzen.

Zur Errechnung des maximalen Gewinns in Wettbewerbsunternehmen, Polypolen, spielt der Preis fĂŒr die ausgebrachten Waren und GĂŒter eine entscheidende, in Monopolen keine Rolle.
Dort herrscht – theoretisch – vollkommene Konkurrenz zwischen den Unternehmen. Alle Wettbewerbsunternehmen sind der Nachfrage anderer Wirtschaftssektoren und auch des eigenen Sektors gleichermaßen ausgesetzt, so dass die Substitutionsrate wie die Absatzmenge die entscheidenen Rollen fĂŒr die Gewinnnmaximierung spielen. Wie bei Walras gilt in dieser Situation von Wettbewerbsunternehmen oder im sog. Polypol der Preis fĂŒr ein Produkt als fix (im Markt bereits weitegend ausgehandelt. Wir sprachen „mee too“ Produkten), und der erzielbare Erlös aus einer zusĂ€tzlichen verkauften Leistungseinheit, also der Grenzerlös dem Marktpreis. Da der Preis also als konstant angesehen werden muss, kann ein Polypolist die Gewinnmaximierung nur ĂŒber die Absatzmenge regeln, nicht ĂŒber den Preis.3

Anders ist das bei Monopolen. Anders als Unternehmen in einem Polypol, können Monopole in ihren Sektoren aufgrund ihre starken Marktposition, d.h. weil sie als einziger KĂ€ufer/VerkĂ€ufer auftreten und keinem Wettbewerb oder nur einem schwachen durch sog. Follow-up Unternehmen ausgesetzt sind, ihren Gewinn auch ĂŒber den Preis bestimmen.
Monopole bestimmen den Schnittpunkt zwischen der Grenzerlöskurve und der Grenzkostenkurve und erhalten dabei eine gewinnmaximierende Absatzmenge. Anhand der Nachfragefunktion, wenn also z. B. die Nachfrage steigt oder sinkt, können Monopole den dazugehörigen Preis festlegen.
Produzieren nach dieser „Rechnung“ Monopole unter der errechneten gewinnmaximierenden Menge, so haben sie zwar weniger Kosten, aber die entgehenden Erlöse aus den zusĂ€tzlichen VerkĂ€ufen sind grĂ¶ĂŸer als die eingesparten Kosten und fĂŒhren somit zur Gewinnminderung.
Stellen Monopole im Gegensatz dazu mehr als die gewinnmaximierende Produktionsmenge her, so entstehen ihnen einerseits höhere Erlöse, andererseits ĂŒbersteigen die Kosten fĂŒr die zusĂ€tzliche Produktion ĂŒber der Gleichgewichtsmenge die Erlöse und fĂŒhren ebenfalls zur Gewinnminderung. Ach, wenn doch alles so einfach wĂ€re!

[sidebar]
[title]Begriffe – Anmerkungen – Titel – Autoren[/title]

Marktversagen und Wohlfahrtsanomalieninterindividuelle NutzenvergleicheGewinnmaximierungDifferenz von Gesamterlösen und GesamtkostenPolypole


1 Substitutionsrate – Maßzahl, zu der ein Konsument bei gegebenem Gesamtnutzen (Nutzen) bereit ist, ein bestimmtes Gut durch ein anderes zu ersetzen.
Technische Substitutionsrate – Die Grenzrate der Substitution gibt bei zwei Produktionsfaktoren an, in welchem Umfang die Einsatzmenge des einen Faktors erhöht werden muss, wenn die Einsatzmenge des anderen Faktors gesenkt wird und die Produktionsmenge konstant bleiben soll.

2 Gewinn (G) = Gesamterlöse (R) − Gesamtkosten (K)
Die allgemeine und spezielle Bedeutung von Erlös
Erlös entsteht durch den Verkauf von Waren oder Dienstleistungen, kann aber auch aus Vermietung und Verpachtung erzielt werden. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff auch als Synonym fĂŒr Umsatz verwendet und meint damit ErtrĂ€ge, die aus einer bestimmten GeschĂ€ftstĂ€tigkeit heraus erwachsen. In der Buchhaltung hat der Erlös eine besondere Bedeutung, weil dort unterschiedliche Arten von Erlösen auf Ertragskonten gebucht werden und spĂ€ter in die Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) einfließen. Eine genaue Definition von Erlös kennt das Handelsgesetzbuch. Dort dient der Begriff nicht als Synonym, sondern als Abgrenzung zum Umsatz. Im Bilanzrecht ist diese Unterscheidung von Bedeutung. Denn vor WirtschaftsprĂŒfern und Investoren macht es einen großen Unterschied, ob UmsĂ€tze aus der typischen GeschĂ€ftstĂ€tigkeit eines Unternehmens entstehen oder ob andere Erlösquellen erheblich zum Gesamtergebnis beigetragen haben. (Sage: Blog.

3 Grenzerlös R â€Č entspricht dem Preis P, den ein Wirtschaftssubjekt fĂŒr das Produkt zu zahlen hat. Es gilt fĂŒr alle Wettbewerbsunternehmen die kurzfristige Gewinnmaximierungsbedingung:
Grenzkosten K = Grenzerlös R‘ = Preis P


[/sidebar]