Kentucky war einst Boom Land. Hier im Harlan County, im Dorf Lynch, im gesamten Osten Kentuckys fuhren die Bergleute in die Stollen und holten die Kohle, viel Kohle, die hier in Massen lagerte für das energiehungrige Amerika ans Tageslicht. In einer Gegend, in der 80 Prozent der Einwohner weiße Evangelikale
1 und heute treue Trump-Anhänger sind.
Kohle, das war kein Job, das war ein Glaubensbekenntnis zu Gott und zum Vaterland. Die Abkehr von der fossilen Energie unter Ex-Präsident Obama ist deshalb auch mehr als nur eine Abkehr vom Bergbau. Und deshalb punktete hier Trump mit seinem Patriotismus zur Kohle, der die Geschichte zurück zu drehen verspricht, eine Geschichte des Jobverlustes und des Niedergangs der großen Nation, ihren Ausverkauf an China und Europa.
Hier in Kentucky sprach man eine Sprache, die der Weißen und die war englisch. Heute hört man auf den Straßen viele Sprachen. Hier auf den Rücken der Appalachen war man Patriot, weil die Kohle im Zweiten Weltkrieg die Stahlöfen von Pittsburgh befeuerte, die den Stahl lieferten für die Handelsschiffe, die England über Wasser hielten und die Kriegsschiffe, die deutsche U-Boote bekämpften, die Soldaten am D-Day zum Omaha-Beach und anderen Stränden der Normandie brachten.
Heute, wo einst einmal rund 10.000 Menschen lebten, es Schulen, ein Krankenhaus, Geschäfte gab, ist alles weg, vielleicht noch 200 Einwohner, die hier ausharren.
In Harlan County, Kentucky, war man Bergmann oder ging zur Army, bis Obama kam und seinen „Clean Power Plan“ entwickelte, der Schuld ist am Niedergang der Kohle und der Region, der auf moderne Technologien setzte wie das Fracking und die Energieversorgung Amerikas aus Kentucky noch Texas und Oklahoma verlagerte; und aus war es mit dem „American Dream“ hier, den sie lange träumten; so jedenfalls erscheint es ihnen.
Viele glauben seit Trump an eine Renaissance der Kohle hier in Kentucky. Daran, dass alles nur eine Unterbrechung von ein, zwei Jahrzehnten war und nur ein Zyklus ist, in dem die Kohle kommt und geht und wiederkommt. Portal 31 Coal Mine steht am Eingang in den Berg, der einst 4000 Mitarbeiter, ohne die Familienmitglieder, Kinder und all die Unternehmen einzurechnen, die etwas mit Portal 31 zu tun hatten, ernährte. Eine raue, derbe, angriffslustige Gesellschaft, kampferprobt und widerstandsfähig, kompromisslos.
In den 1920ern war die Mordrate von Harlan County die höchste der Nation. Die Thunder Road, eine Strecke, die, in Harlan beginnend, bis Knoxville in Tennessee führte, avancierte während der Prohibitionszeit zum gefährlichen aber lukrativen Transportweg für illegale Schnapsbrenner, von denen es viele gab. Harlan County hatte die Weltwirtschaftskrise überlebt, als 1931 ein Drittel aller Gruben schlossen, die durchschnittlichen Bergarbeiter-Jahreslöhne bereits zwischen 1929 und 1931 von 1235 auf 749 US-Dollar sanken und die Not der arbeitenden Bevölkerung, der Hunger besonders bei den Kindern so groß war, dass das von Quäkern ins Leben gerufene American Friends Service Committee (AFSC) in den Gemeinden des Bezirks Kinderspeisungen organisieren musste; sonst wäre die nachfolgende Generation dezimiert worden.
Die Menschen in Kentucky erlebten, was es heißt, wenn Grubengesellschaften die Löhne nach der Krise 1931 um weitere zehn Prozent senkten, wo doch ein Leben schon kaum noch möglich und ein Traum gar unmöglich zu träumen war. Damals wussten die Menschen hier bereits, was eine verlorene Generation ist, was es heißt, dass es den Kindern einmal nicht besser gehen würde und man ging auf die Straße.
Es kam es zu einem jahrelang währenden, blutigen Konflikt, dem sog. Harlan County War. Man stritt um das Recht der Bergbauarbeiter, sich gewerkschaftlich zu organisieren, natürlich um höhere Löhne sowie um bessere Arbeitsbedingungen.
Die von beiden Seiten unerbittlich geführte, blutige Auseinandersetzung fand ihren Höhepunkt im Battle of Evarts am 5. Mai 1931, in deren Verlauf vier Personen zu Tode kamen. Von 1931 bis 1939, also insgesamt acht lange, leidvolle Jahre, dauerte der Konflikt, in dessen Verlauf bundesstaatliche Polizeiverbände (darunter auch Einheiten der Nationalgarde) mehrmals in die County einmarschierten. Die Auseinandersetzungen begründeten den Ruf des Countys als „Bloody Harlan“; das vergisst man nicht leicht.
Jene, die in Lynch geblieben sind zählen im reichen Amerika ein Jahreseinkommen von weniger als 20.000 Dollar pro Jahr. Sie schauen auf eine Zeit zurück, in der alles besser war, weil der Wirtschafts-faktor Kohle Anlagen entstehen ließ, die wie für die Ewigkeit gebaut aussahen, jenseits der Vorstellung, einmal gesprengt zu werden oder verrostet in der Berglandschaft der Appalachen einfach als anonyme Mahnmale der Schwerindustrie zurück gelassen zu werden. Was die Menschen und die Besucher heute daneben noch zu sehen bekommen, sind die Wunden in der Natur, die entstanden, als die Kohle nach dem Verfahren des sogenannten Mountain Top Removal2 in der Tageförderung ganze Bergkuppen der Appalachen wegsprengten, um an die Kohle zu kommen. Man brauchte nur noch wenige Mitarbeiter und ließ eine verwüstete Landschaft mit zerschundenen Bergrücken und kontaminierten Wasserläufen zurück. Mehr als 500 Bergkuppen sind gesprengt und diverse Täler zugeschüttet worden. Mehr noch: Bergflüsse auf einer Länge von mehr als 3000 Kilometer wurden verschüttet, etwa 7000 Quadratkilometer Wald gingen in der Gegend um Whitesburg, Kentucky, verloren.
Lukrativ war das Geschäft mit der Steinkohle. Weniger für die Menschen in Whitesbury, Kentucky, als für die RWE in Essen, Nordrhein-Westfalen. Die hier gewonnene Steinkohle dient angesichts der niedrigen Gaspreise in Amerika immer weniger der einheimischen Versorgung, sondern wandert zumeist in den Export, mit dem Blackhawk Mining, eine RWE-Tochter, satte Gewinne im Geschäftsbericht der RWE-Mutter in Essen bilanziert. RWE macht den Leuten in Whitesbury drastisch klar, dass man mit dem Mountaintop Removal so richtig Geld verdienen kann, wenn Berge, Flüsse und Täler hemmungslos zerstört werden dürfen. Was die Menschen schon schwieriger mit den Removals, dem Umzug der heimischen Kohle in fremde Länder in Verbindung bringen mussten, waren zunehmende Krebs- und Missbildungsraten in der heimischen Bevölkerung.
In Beckley, Kentucky, war es besonders schlimm. Aus dem Abraum floss eine Brühe mit Blei, Eisen, Schwefel und anderen Schwermetallen belastet, ungefiltert in Flüsse und Grundwasser und vergiftete langsam aber sicher die Menschen hier, die es gewohnt waren, ihr Trinkwasser aus eigenen Brunnen zu fördern. „Wir regen uns über die Chemiewaffen in Syrien auf und nehmen zu Hause die schlei-chende Vergiftung mit einem Schulterzucken hin“, hört man sarkastisch das kurze Resümee am Tresen in den lokalen Bars über die segensreichen Investitionen ausländischer Konzerne in eine bessere Zukunft ihrer heimischen Energiewirtschaft.
Es dauerte ein wenig, bis man die Antwort auf die Frage fand, wer denn diese gigantische Landschaftszerstörung und Vergiftung der Menschen finanziert hatte; in einer Studie des Wirtschaftsnachrichtendienstes Bloomberg wird ausdrücklich die Deutsche Bank als Kreditgeber für die umstrittenen Projekte aufgeführt. Nun wissen die Menschen hier, was sie nie für möglich gehalten hatten, dass sie, die Patrioten zu den Verlierern der Globalisierung gehören. Dass ihr Staat, ihre liberale Marktwirtschaft die systematische Ausbeutung und Gefährdung ihrer Kinder, der zukünftigen Generationen im Osten von Kentucky ermöglicht hat. „Ich befürchte, dass unsere Kinder uns einmal verdammen werden, wenn sie mit den Konsequenzen der Globalisierung „Made in Germany“ konfrontiert sind.
Sie werden überrascht sein, dass gerade Unternehmen aus dem Energiewendeland Deutschland in solche Geschäfte verwickelt sind und diese Abbaumethoden finanzierten und billigten. Wir erinnern uns, immer wieder haben deutsche Banken versichert, bei der Kreditvergabe an Bergbauunternehmen auf den Umweltschutz zu achten wie sich auch die deutschen Stromkonzerne zur Energiewende, also für eine umweltschonende, saubere Energie verpflichtet haben.
Natürlich ist Deutschland nicht verantwortlich für das umstrittene Moutaintop-Removal-Verfahren, aber die Methoden der Bergbauunternehmen in Kentucky bleiben als Made in Germany in Erinnerung. Einer Erinnerung, von der die deutschen Stahlerzeuger und Stromkunden, die den Hauptnutzen der Kentucky Coal Mines davon trugen, nichts wissen wollten oder konnten. Und auch davon nichts, dass die Minen in Kentucky auch den Bergleuten in der Ruhr den Staub in den Pott gespuckt haben, bis beide, Jim aus Kentucky und Willy aus Wattenscheid ans Tageslicht kamen und in die Röhre schauten.
RWE ziemlich weit vorne als größter Klimakiller Europas, in schönen Commercials und Werbeslogans führendes Umweltbewusstsein zu heucheln, war nachweislich der einzige europäische Energiekonzern, der direkt an Mountaintop-Removal-Firmen beteiligt war und heute noch ist, Besserung gelobend, da nun keine Camouflage mehr hilft, die Fragen zur Lieferkette amerikanischer Energieträger in den undurchschaubaren Weiten des Weltmarktes zu verschleiern.
Die Fragen der Kinder Kentuckys: wie konntet ihr das geschehen lassen? Habt ihr wirklich nichts gewusst von alle dem, was hier passiert ist? Hat euch niemand reinen Wein eingeschenkt? Wo war eure Regierung? Wie konntet ihr glauben, dass das hier wirklich funktioniert? stehen immer mit am Tresen, schwingen in jedem Gespräch der Menschen in Kentucky mit.
Die Story von Kentuckys Coal Mines ist längst nicht zu Ende. Trump will die Minen öffnen und schon gelingt es Blackhawk Mining zu expandieren. Denn die Geschichte der Globalisierung geht ja weiter; glaubt ja nicht denen, die von der Deglobalisierung reden und glauben, Amerika kann zurückkehren zum Energieselbstversorger durch Kentuckys Kohle. Hier im Osten Kentuckys liest man, wie die Geschichte der Krisen weitergeht. Die Akteure sind (fast) dieselben, austauschbar die Namen, nicht das Modell. Viele US-Kohlefirmen mussten in den vergangenen Jahren angesichts der Konkurrenz durch Fracking-Erdgas und rapide sinkender Marktpreise Insolvenz anmelden. Das war die Stunde von Blackhawk Mining. Die nutzte den Niedergang und kaufte die Pleiteunternehmen zum Schnäppchenpreis. Sodann nutzte der Konzern die Gunst der Stunde sparte sich die Verpflichtungen aus den Pensions- und Krankenversicherungen für die Mitarbeiter und setzt auf eine Markterholung durch Trumps „Amerika First“, strich Steuerreform und Subventionen ein und schrieb sein Geschäftsmodell als eine Wette auf die Zukunft mit einem Energieträger von gestern um.
Bloomberg identifizierte die Deutsche Bank als einen der Finanziers des „schwarzen Adlers“, der sich seit 2012 mehr als eine Milliarde Dollar für den Kauf der insolventen Konkurrenten und für seine Expansionspläne zu den anhaltend günstigen Zinsbedingungen in den USA geliehen hat. Mit dabei die Bank of Amerika, die Schweizer UBS und BNP Paribas aus Frankreich, die alle brav erklärt haben, sich aus der Finanzierung des Mountaintop Removal Mining zurückzuziehen. Und natürlich verzichtet einer der größten deutschen Kohleabnehmer, der Essener Stromversorger
Steag, vollständig auf derart produzierter Kohle und man muss nicht viel Phantasie aufbringen, um sich vorzustellen, dass da im weltweiten Handel mit Energieträgern Abnehmer warten, die nicht so genau hinschauen, was in Kentucky passiert ist, wie damals auch die deutsche Öffentlichkeit; vielleicht verleugnen sie auch die Tatsachen, weil sie bereits wissen, dass sie zu den nächsten Globalisierungsverlierern gehören.
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Evangelikale – „Clean Power Plan“ – Harlan County War – Energiewendeland Deutschland
1 Evangelikale machen eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus zur Grundlage ihres Christentums; persönliche Willensentscheidungen wie auch individuelle Erweckungs- und Bekehrungserlebnisse sind für eine solche Beziehung von Bedeutung. Zentral ist ebenso die Berufung auf die (teilweise als irrtumsfrei angesehene) Autorität der Bibel.
Das zugehörige Adjektiv evangelikal wird von dem umfassenderen und häufig konfessionsbezogen verwendeten Adjektiv evangelisch unterschieden. Evangelikale Christen können verschiedenen protestantischen Konfessionen angehören, sie können beispielsweise reformiert, lutherisch, baptistisch, methodistisch oder anglikanisch sein, sich aber auch im pietistischen Sinne konfessionsübergreifenden (überkonfessionellen) oder keiner speziellen konfessionellen Gruppierungen zugehörig fühlen. Damit ist Evangelikalismus kein trennscharfer, konfessionsspezifischer Begriff. In Deutschland arbeiten die Evangelikalen in der Mehrzahl in den evangelischen Landeskirchen mit, in denen sie zum Teil eigenständige Gemeinschaften und Strukturen bilden. (Wikipedia)
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