Tragödie der Kultur

Wie weit man also den Begriff der Arbeit auch ausweitet und differenziert, man verlässt damit nicht den Geltungsbereich der Neoklassik, die Arbeit nur als Erwerbsarbeit, also als monetär bewertete Arbeit kennt, insofern sie nur diese Form der Arbeit zum Gegenstand ihrer Analysen zulässt. Virtuell verfährt sie auch mit nicht-monetär bewerteten Formen der Arbeit entsprechend, insofern sie diese gleichsam exterminiert und ihren Effizienz- sowie Kosten-Nutzen-Redchnungen unterzieht.
Arbeit also, außerhalb der volkwirtschaftlichen Kalkulation, taucht nicht auf, wäre mit dem gleichlautenden Begriff Arbeit wie etwa bei Hausarbeit und Kulturarbeit auch sogleich einer eingeschliffenen, darum verhängnisvollen Assoziation unterstellt. Wenn wir also von Arbeit sprechen, dann begeben wir uns in die Immanenz eines, um mit Luhmann1 zu sprechen, geschlossenen Systems der Wirtschaftsterminologie und -ideologie.
Innerhalb dieses Systems ist Arbeit nicht anders als eine Übersetzung ihrer Ergebnisse in einer Art „binären Code“, in „to pay or not to pay.“
Gleichwohl wir keine Freunde von solchen ‚Übersetzungswissenschaften‘ sind, weil wir keinen Erkenntniszuwachs darin erkennen können, wenn ökonomische Praxis übersetzt wird in die Syntax der Linguistik bzw. der Neurolinguistik o.ä., mehr aber einen Beitrag zur Verschleierung von wichtigen Zusammenhängen, so nehmen wir doch gerne partiell gedankliche Anleihen daran, so sie uns weiterbringen.

Wie wir bereits im Begriff der Autopoeis vermerkt haben, sind geschlossenen Systeme keine „facta bruta“, sondern epistemologische Phänomene. Ihre geschlossene, zirkuläre und reversible Struktur, die Phänomene wie Sprache, Ökonomie, ja sogar das Denken selbst, hier vorgestellt in der Verbindung von Informations- und Kommunkationstechnologien als ein Universum eigener Gestalt, mit eigenen Regeln, eigener, virtueller „Empirie“ usw. konstituiert, sind insofern nicht ohne eine Form von Herrschaftsstrukturen, als sie grundsätzlich ihre Autonomie behaupten, sich selbst als lediglich auf sich selbst bezogen, also irreversibel und unendlich, d.h. dass ihre epistemologischen Prozesse, die ihre Empirie hervorbringen, einordnen und bedeuten unbegrenzt sind.

Eins der Opfer dieser Herrschaftsstruktur im Begriff der Arbeit war bislang alles, was mit Allmende im Zusammenhang stand. Neben der Hausarbeit war und ist es die sog. Kulturarbeit, die dem Herrschaftszusammenhang, dass nur, was monetär bewertete Arbeit auch tatsächliche Arbeit ist, zum Opfer fällt. Ökonomie bestimmt also nicht nur, was Arbeit ist überhaupt, sondern zugleich damit auch, was überhaupt von einem Wert ist, insofern dieser in einem marktwirtschaftlichen Zusammenhang auftaucht.

Es wäre zu einfach, hier innezuhalten und zu behaupten, dass Hausarbeit und Kulturarbeit außerhalb der Marktwirtschaft stattfinden; dem ist aber nicht so. Auch sie sind dem Verwertungsprozess auf eine besondere Art ausgesetzt. Haushaltsführung, Erziehung, Kinder- und Altenbetreuung, Pflege usw. stehen längst schon in der Teilhabe an marktwirtschaftlichen Verwertungszusammenhängen wie auch weite Bereiche der universitären Forschung und Lehre, der schulischen Weiterbildung und sozialen Integration, der kulturellen Bildung, Erziehung und Ausbildung in den Bildenden Künsten usw.
Wir fokussieren in diesem Zusammenhang noch nicht auf die arbeitspolitischen Bedingungen vor allem in der kulturellen Bildungsarbeit, die seit der Einführung von den sog. Bologna-Reformen und den unbefristeten Anschlussverträgen eine dramatische Veränderung gezeichnet haben2. So arbeiten neuen von zehn wissenschaftlichen Mitarbeitern auf befristeten Verträgen, jeder zweite Vertrag hat eine Laufzeit von unter einem Jahr, viele „Arbeitsverhältnisse“ sind überhaupt nicht vertraglich sanktioniert. Und dies gilt über alle staatlichen Bildungseinrichtungen hinweg.

Für uns geht es aber im Moment um die Art und Weise wie Haus- und Kulturarbeit epistemologisch Teil des geschlossenen Gesamtsystems Ökonomie und Politik werden können. Dies lässt sich sehr gut am Umgang mit diesen Bereichen unbezahlter, produktiver Arbeit ablesen, der ganz generell diese Form der gesellschaftlichen Reproduktion und Entwicklung über die Methode der „Opportunitätskosten“3 ins ökonomische Kalkül einbezieht.

Terminologisch schon an sich interessant, aber in der Konnotation mit Begriffen wie Schattenpreis, Alternativkosten oder Verzichtkosten erkennen wir schnell die Relation zum Kosten-Nutzen-Kalkül. Darin bilden grosso modo die uns bereits bekannten Wertgrößen wie Grenzkosten und Grenznutzen die Bezugspunkte, sind die Opportunitätskosten gleichsam die Grenzkosten eines, als Opportunität bzw. zum maximalen Nutzen bei minimalen Kosten geschätzten Beitrags zur gesellschaftlichen und kulturellen Reproduktion einer Volkswirtschaft.

Betrachtet man diese Kosten einmal genauer, dann erkennt man auch ein sich ständig reproduzierendes Muster, das die Herrschaftsstruktur dieser Denkfigur logisch-ideologisch und faktisch markiert. Die Opportunitätskosten der produktiven, unbezahlten Arbeit innerhalb einer Volkswirtschaft werden als jene Kosten berechnet, die dem Marktakteur durch eine, meist als persönlich unter freien Umständen unterstellten, also autonom getroffenen Wahl entgangen sind.
Bei der Hausarbeit sind dies überwiegend jene Lohnsummen, die durch Verzicht auf eine Berufstätigkeit des Marktakteurs – hier fast immer Frauen – entstanden sind. Dass diese Wahl tatsächlich autonom ist, ist ebenso falsch wie die Berechnung der Lohnsummen selbst. Denn die historische Situation der Hausarbeit besteht fundamental darin, dass Frauen selbst in entwickelten westlichen Industriegesellschaften bis heute noch erblich weniger an Löhnen und Gehältern verdienen als im Vergleich zu Männern.

Wenn Frauen also auf ihre Berfstätigkeit „verzichten“ und was noch in Deutschland mit dem perfiden Steuergesetz des Ehegatten-Splittings untermauert und monetär bzw. fiskalisch gefördert wird, dann ist deren Entscheidung mithin nicht rational, insofern Frauen ja generell weniger verdienen als (ihre) Männer. Die Entscheidung zum „Verzicht“ ist insofern „logisch“ wie die gesellschaftliche, arbeitsmarktpolitische wie fiskalische Situation der Frauen logisch-ideologisch eben tautologisch ist. Die Tautologie dieser logisch-ideologischen wie faktischen Ungleichheit liegt darin, dass man die Methode der Berechnung der Opportunitätskosten anwendet und partout nicht merken will, dass im Vergleich mit z.B. Hausarbeit durch Männer resp. Ehegatten die Opportunitätskosten bei Frauen besser weil geringer ausfallen, da Frauen ja auch generell am Markt, also in der Erwerbsarbeit weniger verdienen. Das Ehegatten-Splitting, oft diskutiert und für verbesserungswürdig gehalten, bestätigt und belohnt also den, ach so autonomen Verzicht auf Erwerbsarbeit der Frauen.

Diese Tautologie als „Logik“ zu verkaufen, ist schon ein übler Treppenwitz der Geschichte, dessen Narrativ noch dadurch verstärkt wird, dass Opportunitätskosten innerhalb der Kostenrechnung der Ökonomik unter dem Blickwinkel von entgangenen Deckungsbeiträgen einer nicht gewählten Handlungsmöglichkeit – hier ebenso als Verzicht auf Erwerbsarbeit vorgestellt – firmieren. Als Deckungsbeiträge betrachtet, d.h. als Berechnung von Preis- bzw. Kostenuntergrenzen vorgestellt, werden so Handlungsmöglichkeiten wie etwa die Alternative zwischen Hausarbeit und Erwerbsarbeit mit einander verglichen und unter kosten-analytischer Betrachtung bewertet.

Im Ergebnis wäre demnach männliche Hausarbeit unter Kostengesichtspunkten die erheblich teuere Lösung. Als Alternativkosten innerhalb einer mikroökonomischen Betrachtungsweise vorgestellt, wenn also Erträge oder Nutzen in einen Vergleich zur besten, nicht realiserten Handlungsmöglichkeit gesetzt werden, ist männliche Hausarbeit auch erheblich unwirtschaftlicher als von Frauen erbracht. Wir erkennen, dass das Wirtschaftlichkeitsprinzip an dieser Stellen zwar logisch und richtig männliche Hausarbeit aufgrund höherer Opportunitätskosten nicht als die beste Lösung bewertet, sondern konsequent tautologisch auch bei der Vermeidung von Opportunitätskosten die Herrschaftsstruktur der ökonomischen Betrachtungsweise in diesem Beispielsfall von Allmende zementiert.
Und was in Wahrheit das Wirtschaftlichkeitsprinzip ist, stellt sich schnell heraus als eben jene Metaphysik der Effizienz, als jener Glaube, dass mit einer Kosten-Nutzen-Rechnung im Ergebnis nicht nur ein monetärer Betrag herauskommt, sondern auch der damit untermauerte faktische Beweis für die Richtigkeit einer Handlungsalternative.

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AutopoeisHerrschaftsstrukturen„Opportunitätskosten“Wirtschaftlichkeitsprinzip


1 Luhmann (1989), S. 52. Bowles und Gintis (2000), S. 1427f.
2 Die GEW hat eine entsprechende Studie erstellt – danach klagen sechs von zehn Befragten über schlechter gewordene Arbeitsbedingungen, gut die Hälfte gibt an, ihr Arbeitsaufwand habe sich durch den Bologna-Prozess erhöht, für mehr als zwei Drittel hat der Druck zugenommen, Drittmittel einzuwerben. Siehe: „Anspruch und Wirklichkeit des Bologna-Prozesses – Umsetzung der europäischen Ziele in Deutschland.“
Ebenso Education at a Glance 2009. OECD Studie PDF.

3 Der Begriff der Opportunitätskosten ist weit verbreitet und gerade in der Wirtschaft von großer Bedeutung. Oftmals werden statt Opportunitätskosten auch Begriffe wie Schattenpreis, Alternativkosten oder Verzichtkosten verwendet.


Luhman, Niklas (1989). Ecological communication. Cambridge: Polity Press.
Bowles, Samuel und Herbert Gintis (2000). Walrasian Economics in Retrospect. In: The Quarterly Journal of Economics 115 (4), S. 1411-1439

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